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Katalogförderung des NWWK - Katja Then - noT - Neuer Worpsweder Kunstverein - Worpswede - 2020

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Katja Then noT Katja Then noT


Katja Then noT


Impressum Colophon Herausgeberin Editor Katja Then Mitherausgeber Co-Editor Neuer Worpsweder Kunstverein Fotonachweis Photo credits Katja Then Repro Repro Konrad Winter Bildrechte Copyright Künstlerin Urheberrechte Texte bei den Autoren Rainer Beßling, Gerhard Mayer, Ulrike Rathjen, Karlheinz Schmid Gestaltung Graphic design Katja Then, Konrad Winter Auflage Edition 1000 Printed in Germany ISBN 978-3-00-065854-9 Alle Rechte vorbehalten All rights reserved Besonderen Dank an Special thanks to Konrad Winter Dank an Thanks to Ursula Barwitzki, Rainer Beßling, Gerhard Mayer, Ulrike Rathjen, Karlheinz Schmid, Konrad Winter Texte Texts Rainer Beßling Der magische Spalt zwischen dem Profanen und dem Poetischen Das Malerische in den Bildwerken von Katja Then Ulrike Rathjen Building castles in Spain Gerhard Mayer Sie holt Luftschlösser vom Himmel Gerhard Mayer Ihre Ornamente sind wie Laub Karlheinz Schmid Das Blumenmuster Der Katalog entstand im Rahmen der Ausstellung noT im nwwk - Neuer Worpsweder Kunstverein vom 28.06 bis 30.08.2020


undercollar seemings Building castles in Spain Luftschlösser ranking Blumenkleid Flower Dress Budapest Redwash Flausen Fluffy Shirts Die Wolke wolken growing up and growing down Good Mourning Blumenkleid Flower Dress Salzburg greening eve homegrown Blumenkleid Flower Dress Kleekleid Clover Cloth Snow Cloth Mimikry mimicry Spring The Face Küchenstücke Acryl auf Öl baustellenpoesie Urlaubsbilder (Sommer) Urlaubsbilder (Winter) Winterbilder noT Am Rudern Sailing noT


Der magische Spalt zwischen dem Profanen und dem Poetischen Das Malerische in den Bildwerken von Katja Then Wie achtlos abgelegt hängt ein löchriger bunter Kittel an einem Ha - ken. Den Boden unter ihm säumen zahllose Stoffschnipsel. Blumen aus dem Kleidungsstück geschnitten, so als lösten sie sich von ihrer dienenden Rolle als Dekor, so als wollten sie in einem Stadium des Verfalls an ihre bodenhaften Ursprünge erinnern und sich zurück - verwandeln in eine körperhafte Form. Ein Stillleben mit Vergäng - lichkeitsanmutung, zugleich aber auch ein Porträt, denn die floralen Ausschnitte deuten sinnbildlich auf die anonyme Trägerin des Kittels hin. Das Muster mag diese zu ihrem Wohlbefinden geschmückt, deren Arbeit garniert haben. Vielleicht kompensierte es die Putzlast, vielleicht wetteiferte es mit den Blumen im geliebten Garten. Kitsch oder Mimikry, sentimentale Kleinbürgerlichkeit unter der Rollenbür - de vergangener Zeiten, pure Augenlust oder der unschuldige Hang zur Verschönerung des Alltags? Die Blickwinkel bleiben offen. Katja Then erwarb den getragenen Kittel auf einem Flohmarkt in Budapest. Die Verkäuferin legte ihr diesen ans Herz, weil er eine Identität verkörpere und eine Geschichte erzähle. Die Offerte stieß bei der Künstlerin auf Resonanz und das Thema Kleidung fiel auf fruchtbaren Boden. Auch wenn das Schaffen von Katja Then durch mediale und motivische Vielfalt bestimmt ist, fällt doch eine Häufung textiler Arbeiten auf und darin besonders das Zusammenspiel von Kleid und Dekor. Damit verbindet sich eine weitere Thematik, die das Gesamtwerk durchzieht: die Korrespondenz zwischen Gebrauchsge - genstand und Kunstwerk, die Frage nach den Grenzen oder besser Übergängen zwischen dem Alltäglichen und dem Ästhetischen. In einem weiteren Kleid sprießen Drahtblumen aus dem Stoff und die Körperhülle häutet sich zum autonomen Relief. In einem frühen Blu - menkleid sind gepresste Pflanzen in eine Kunststofffolie eingelassen, was auf dem Bügel zwischen Transparenz und Präsenz für reizvolle Rainer Beßling


Schemen und Schattenwürfe sorgt. Im „Kleekleid“ ist Kleesamen in einen duftigen Stoff eingebracht, gesäumt von blätterhaften Garnlineaturen in rechteckiger Feldformation wie in einer Balance zwischen Geometrie und organischem Wuchs. In „Snow Cloth“ ist Alyssum eingesät und eingenäht in einen weißen Stoff, der bewässert wird. Mit dem Steinkraut, das in Gärten wie ein Schneekleid aus unzähligen kleinen Blüten den Boden bedeckt, ist auf anschaulichste Weise ein weiteres Leitmotiv in Katja Thens Werk aufgerufen: das Verhältnis von Natur und Kunst. In der Natur aufgelesen und von der Natur abgelesen, verwandelt sich das künstliche und künstlerische Ornament im Kulturnährboden des Kleides wieder in seine ursprüngliche Form zurück, nicht ohne eine Spur des Augenreizes, aber auch den gedanklichen Nachhall einer Metapher für den Kreislauf und die Wechselfälle des Lebens hinterlassen zu haben. Greifen bereits die genannten Kleider in viele Richtungen und Schichten elementarer künstlerischer Fragestellungen aus, erweitern andere textile Arbeiten noch das ästhetische Spektrum. Wenn die Künstlerin verschiedene Kleidungsstücke bis auf ihre Nahtstellen zurückschneidet, tauchen diese als Wandzeichnungen und Raumzeichnungen ihrer selbst auf. Sie produzieren ihre eigenen Konturen, die mehr grafisches Gerüst sind als geschlossene Umrisse. Die stoffliche Reduktion abstrahiert sie von ihrer herkömmlichen Gegenständlichkeit. Sie entpuppen sich zu einer fast paradoxen Bildlichkeit zwischen Präsenz und Repräsentation. Die Nähte sind zugleich Bruchstellen und Risse, reißen auch als zeichnen verstanden, Schnitte aus dem Raum, die Gestalt bilden und damit körperliche Identität erweisen. Es bleibt ein Skelett, das von einer Entleibung zeugt und zugleich einen imaginären Körper ergänzen lässt, das von Abwesenheit und Anwesenheit spricht, von Abtrag und Aufbau, von Verlust und Vollendung. Um solche Pole kreist auch die sowohl in materialer wie auch in motivischer Hinsicht außergewöhnliche Arbeit „Flausen“. Vielleicht noch mehr als in anderen Werken ist hier ein eher randständiges, buchstäblich flüchtiges Alltagsphänomen der Impulsgeber. Die Künstlerin trägt Flusen zusammen, die sich im Wäschetrockner ablösen und anhäufen. Aus diesen fertigt sie ohne Bindemittel textile Stücke in Kleidungsform, bildhafte Objekte, keine tragbaren Textilien. Die Arbeiten wurzeln ganz in den Eigenschaften ihrer Ursprungsstoffe und im Ergebnis physischer Einwirkungen. Dabei werfen sie die Fragen auf, wie lange die Gegenstände den Abrieb wohl überdauern und wie und ob sich das Ephemere, das Flüchtende und Flüchtige, wieder verfestigen lässt, ja, wie weit sogar eine zumindest bildliche Annäherung an die Ursprungsformen realisiert werden könnte. Dass die Stofflichkeit mit ihrer eigenen Funktionsgeschichte die Idee zur künstlerischen Gestalt liefert und auch die Transformation als Hauptmerkmal künstlerischer Prozesse auf den Weg bringt, erscheint wie ein Beispiel für die Selbstorganisation des Bildes, wie die Selbstmodellierung der Form nach einer Schöpfung aus den Quellen der Alltagsrealität. Vom Trockner zur Waschmaschine ist zumindest im Haushalt der Weg nicht weit. Katja Then weiß offensichtlich produktiv den Blick der Künstlerin in ihre Wirklichkeit als Mutter hineinzutragen. Zumindest liest sie aus den Waschgängen hinter dem Bullauge des Automaten malerische Prozesse und Ereignisse ab, die an Konzepte von bildnerischen Automatismen und abstrakten Expressionen erinnern. In ihrem Video „Redwash“ bestimmt der Titel gebende Rotton von Beginn an das Kolorit und legt sich allmählich als dominanter atmosphärischer Farbklang über die gesamten textilen Rotationen. Mit jeder Runde ändert sich das Farb-, Flächen- und Liniengeschehen. Permanent wechseln die Bildstrukturen und Farbnuancen, so als stülpten sich immer neue Oberflächen aus tieferen Schichten hervor, so als entfalteten und verknüpften sich die Stoffe immer wieder neu in malerischen Aktionen. Jede Konstellation trägt die folgende bereits in sich, so lange bis sich aus den


Balancen der Kontraste eine beruhigte Einheit ergibt. Gleichwohl schließt diese aber alle bisherigen Prozesse in sich ein und öffnet sich gleichermaßen als Projektionsfläche für imaginäre visuelle Anlagerungen des Betrachters. Spätestens hier schält sich in der Betrachtung der verschiedenen Werkgruppen ein Aspekt heraus, der das Zentrum von Katja Thens Schaffen bildet: es ist das Malerische an ihren Arbeiten, im Zugang, im Werkverständnis, in den bildnerischen Prozessen und in der ästhetischen Wirkung. Es ist Malerei in einem ausgedehnten Feld und einem erweiterten Begriffsverständnis. Malerei, die Impulse von anderen Medien aufgenommen hat und die ihre eigenen Kernqualitäten in andere Medien hineinträgt: die Stofflichkeit, die Sprache des Materials, die Artikulation und Inhalt aus sich selbst entwickelt, das Bildverständnis und die bildnerischen Mittel zwischen Konstruktion und Dekonstruktion, Fragment und prekärer Einheit, Artikulation und Akt, zwischen Prozess und Struktur. Komposition zeigt sich als Transformation. Und natürlich ist es auch die Farbe, die in mehr oder weniger großer Nähe oder Distanz zum Gegenstand verschiedenste Auftrittsmodi zugewiesen bekommt. Nicht zuletzt verweist die Künstlerin durch diverse Rahmungen und deren Überschreitungen auf die Eigenwelt und den Selbstbezug des malerischen Bildes, weist aber dadurch auch umso prägnanter auf die Brüche und Brücken zwischen den Wirklichkeiten der vorgefundenen und der imaginierten Realität hin. In ihrer „Baustellenpoesie“ reiht sich die Malerin in eine lange kunstgeschichtliche Tradition ein, knüpft an profane Phänomene an, die im künstlerischen Blick zu ursprünglichen ästhetischen Ereignissen werden. Risse und Maurerkellenriefen, Farbablagerungen und Wischspuren werfen reizvolle grafische Spuren und amorphe oder streifige malerische Flecken und Flächen an die Wand und auf den Boden. Hier baut bereits der Blick das Bild. „Urlaubsbilder“ nennt Katja Then zwei Werkreihen, in denen zwei verschiedene Objekte den Rahmen für Farbfeldmalerei geben. In der Sommervariante finden sich monochrome Leinwände in Liegestühlen wieder. Die Wintervariante präsentiert schwarze Rechtecke in Schlitten, nicht nur effektvoller imaginärer Kontrast zum Schnee, sondern auch Reminiszenz an eine ikonische malerische Antwort auf den Ballast einer implodierenden Gemäldegeschichte. Wirkungsvoll, weil zugleich humorvoll verspielt und präzise zitierend, lässt die Künstlerin das funktionale Gestell und das ästhetische Objekt auf Augenhöhe zusammentreffen. Diese sichtbar bleibende Anbindung an den Alltag wirft auf angenehm unangestrengte Weise die Grundsatzfrage nach dem Kunststatus auf. Dabei zitiert die Künstlerin Epochen der Malerei, die Abstraktion und damit Entwicklungslogik der Moderne thematisiert und wie nebenbei noch nach den Anknüpfungspunkten und Möglichkeiten heutiger Malerei fragt. Noch weiter zugespitzt tritt die Frage nach den Quellen, nach den Modi und nach den Orten einer heutigen Malerei in den MimikryBildern von Katja Then auf. Die Fotografien von Innenräumen, die an dekorwütige vergangene Epochen erinnern, lassen sich über die historische Reminiszenz hinaus auch als Verweise auf eine von Bildern umstellte gegenwärtige Lebenswelt lesen. Als eine von strategischem Design zur Sinnenreizung mit Befriedigungsversprechen aufgerüsteten Oberflächenmassierung, in die sich das malerische Bild kontrastiv einbetten muss, um überhaupt wahrgenommen zu werden. In Katja Thens Interieurs lässt die Malerei ihre Herkunft aus der Alltagsästhetik oder zumindest aus ähnlichen Quellen wie das Design vermuten. Sie will sich absetzen und die Wahrnehmung beruhigen, den Blick neu ausrichten und ihre Eigenwelt behaupten. Der Status und Rang des Tafelbildes ist aber offenkundig nicht leicht zu bestimmen und trennscharf zu identifizieren. Gefährlich gefügig schmiegt es sich der Ästhetisierung der Lebenswelten und der Wahrnehmungswirklichkeiten an. Könnte sich ein Weg darin finden, die vorgefundenen Muster und


Raster gänzlich zu übertünchen und auf dieser neu geborenen tabula rasa eine ähnliche, aber doch gänzlich andere, weil malerisch aufgebaute und somit ins Bildhafte verfremdete Wirklichkeit zu schaffen? Die Künstlerin verfährt so, wenn sie Küchentücher weiß grundiert und darauf Streifenmuster legt. So mutiert das vormals lediglich schmückende Dekor zu einer Rasterordnung, die an geometrische Abstraktion erinnert. Liegen banales Augenfutter oder ästhetischer Anspruch in nah verwandten Motiven? Liegt nur ein schmaler Spalt zwischen dem Profanen und dem Poetischen? Ein Spalt, der zugleich einen weiten Horizont öffnet? So wie Alltag und Ästhetik, so wie Natur und Kunst, so wie Mimikry und Mimesis und vor allem das Malerische als Kondensation alles Bildhaften ziehen sich Designfragen durch das Schaffen von Katja Then. Bei einem Aufenthalt in Worpswede lernte sie im Barkenhoff die kunstgewerbliche Seite Heinrich Vogelers näher kennen. Zugleich war sie angetan von der Landschaft rund um den Künstlerort, von der Hamme, von den Wiesen, von den Farben und Formen im Teufelsmoor. Diese Impressionen scheinen Einzug gefunden zu haben in Bilder aus dem vergangenen Jahr. Charakteristisch an ihnen ist ein Aufbau von Schichten, die jeweils verschiedene Wirklichkeitsebenen und Bildqualitäten repräsentieren. Da ist eine Schicht aus Ornament und Muster, aufgebracht mit Schablonen oder Walzen, da ist eine weitere mit ebenso konkreten wie abstrahierten Naturmotiven, eine mit direkten Abdrücken von Schilfhalmen, und da findet sich noch eine Ebene zwischen Malgrund und malerischer Einkleidung, die das feste Raster und die stillgestellten Naturformationen in eine fließende Atmosphäre einfügt. Den zu zeichenhaften Linienbändern geronnenen Naturerscheinungen werden malerisch gesehene Einzelereignisse zur Seite gestellt und beides scheint auf und taucht ein im Kontext eines stimmungsgeladenen Farbmonochroms als Hülle vitaler Energien und schöpferischen Elans. Katja Then bezieht ihre Kunst nicht aus der Plötzlichkeit einer Alltagserscheinung. Sie fokussiert nicht das Momenthafte und auch wenn manche ihrer Arbeiten mit der erkenntnisfördernden Kraft der Spontaneität und Pointe arbeiten, sind sie doch allmählich und behutsam entwickelt, in einem längeren Dialog mit dem Gesehenen und Gefundenen zur Bildreife getrieben. Nicht zuletzt durch die ebenso treffsicheren wie sprachlich geschliffenen textlichen Bild-Erläuterungen der Künstlerin befördert, wirken manche Titel wie eine poetische Begleitspur zur bildnerischen Arbeit. So taucht die Frage auf, ob vielleicht das Bild dem Wort folge, doch dem ist nicht so. Die neuesten Arbeiten bestätigen, dass sich die Künstlerin mit der Betitelung Zeit lässt. Das Kürzel „noT“ lässt sich in „noch ohne Titel“ aufschlüsseln, ebenso als vorläufige „Not“-Lage in der Namensgebung begreifen oder vielleicht sogar auch als Hinweis auf die Haltung, der Bild- Lektüre „nicht“ durch einen Titel eine eindimensionale Richtung zu verleihen. In der Bildreihe „Luftschlösser“ könnte der Eindruck entstehen, die Redewendung vom Bau dieser illusionären Architekturen habe den Weg zum Bild gewiesen. Doch ein genauerer Blick auf die Arbeiten unter diesem Gruppentitel zeigt, dass hier alles andere als die Illustration eines Gedankenbildes vorliegt. Katja Then entwickelt die Imaginationen auch hier ganz aus dem Material, der Form und der Farbigkeit. Sie lässt das Imaginäre und Illusionäre ganz aus den zarten Konturen und durchscheinenden Papieren erstehen. So zeichnen sich die aus trügerischen Visionen gebauten Luftschlösser wie Nachbilder ab, die ihre Prägung und Präsenz als prekäres Echo und als Zerfall schon in sich tragen. Auch in der jüngsten Arbeit Katja Thens dauerte es eine Zeit, bis die Künstlerin aus den Fundstücken eine Installation entwerfen konnte. Auch hier zieht sich das Arrangement in einem Brückenschlag zwischen Sportgerät und Bildelementen zu einer Malerei in einem erweiterten Feld aus Fläche, Objekt und Raum zusammen. Und auch hier stellte sich der Titel erst später ein, der den visuel-


len Tatbeständen noch eine metaphorische Ebene hinzufügt, die dem autonomen Eigenleben des Bildes eine sinnbildliche Dimension im Verweis auf die allzu vertraute Lebenslage „am Rudern“ hinzufügt. Vier Paddel säumen eine nierenförmige Farbfläche, die in einer Variante der Arbeit weiß, in der anderen schwarz ist. Die Farbfläche erinnert an Malerei, die den Rahmen und den Träger des Tafelbildes verlassen hat und frei und objekthaft als pures Kolorit in den Raum fließt, ohne gegenständlichen Bezug und ohne Gestaltbehauptung gänzlich als stoffliches Ereignis vorbegrifflich und in gewisser Hinsicht auch vor-bildlich, weil vor einer Form liegend. Die Farbflächen in Katja Thens Malerei-Arrangement besitzen diesen Charakter, verweisen aber zugleich auch auf Vorstellungen, in einer monochromen Fläche versammelten sich wie an einem Nullpunkt aus Anfang und Ende alle Farben, um sich im Auge des Betrachters gleichermaßen wieder zu öffnen und zu entfalten. Noch mehr aber bestätigen sie die Vorstellung, in einem Gemälde, selbst wenn es auf nichts als auf seine stofflichen Elemente zu verweisen scheint, eine ganze Welt zu finden und zu empfinden. Diese Sicht findet Bestätigung, wenn sich in der glänzenden Lackpfütze als Wasserbild die Raumumgebung spiegelt mit architektonischen und dekorativen Elementen. Dann schließt die abstrakte und dezidiert materiale malerische Erscheinung Welt ein und auf, dann tritt das Bild als Spiegel und als Fenster zugleich auf, als Membran zwischen künstlerischem Formwillen und Projektionsfläche für den Betrachter. Katja Then macht die Malerei zum Forum für die Begegnung verschiedener Medien und Wirklichkeiten, verschiedener Bildwelten und Abstraktionsstufen. Gerade mit der Anbindung an den Gebrauchsgegenstand, an Design und Dekor, bereitet sie dem Kunstwerk einen Raum für seine spezifischen Auftritte. Wenn sich Nützlichkeit zu Möglichkeit wendet, so erkennen wir in diesen Arbeiten, entfalten Poesie und Ästhetik ihr Potential.


undercollar 1999, rosa Herrenhemd, unter und über Keilrahmen gespannt pink men’s shirt stretched over and under bar


Seeming an ordinary rosé man's shirt cut out to its seams stuck to wall with pins seeming to be a drawing on the wall being a drawing in the space in fact producing its own outlines casting its shadows on the wall representing itself and still being itself in the same time being a representation of itself hanging like an icon reminding of a skeleton telling about loss and asking for completion. seemings 1997, rosa Herrenhemd, auf seine Nähte reduziert pink men’s shirt reduced to its seams


seemings 1997-1999, Kleidungsstücke auf ihre Nähte reduziert garments, reduced to their seams


Ein Schloss, verführerisch in sachtem Dunst, wie ein Hirngespinst, eine Schimäre im Niemandsland; menschenverlassen scheint es, und kühl und entrückt lagert es, einem Traumbild verwandt, nicht greifbar, in großer Stille. Es könnte verschwinden, sobald man versuchte, die Beschaffenheit der Architektur und der Umgebung genauer ergründen zu wollen. Tiefstehendes Licht wirft lange Schatten, erzeugt eine Vielfalt zarter Grautöne, die doch dem Weiß in Weiß des Materials entspringen. Das halbopake Papier, aus welchem das Schloss gebaut und auf dem sein Abbild gedruckt ist, unterstützt diese Erscheinung des Ephemeren, in dem ein Zustand stets im Werden und Vergehen ist, sich nur kurz an etwas kristallisiert und in dem die Zeit einem anderen Lauf zu folgen scheint als in der alltäglichen Realität. Der an Don Quijotes‘ Leben und Taten erinnernde Titel Building castles in Spain greift eine, vor allem im Spätmittelalter verwendete, englische Redewendung auf, die, wie das hierzulande gebräuchliche Luftschloss, für Fantasiegebilde oder Utopisches verwendet wurde: Luftschlösser bauen. Verwoben und versponnen ist die sowohl skulpturale als auch malerische Arbeit Building castles in Spain mit einer mit Türmchen und Fialen ausgestatteten Silhouette, die, wie auch der Titel der Multiple-Arbeit, Luftschlösser verspricht. Einen kurzen Moment lang herrscht die Illusion, als würde das Versprechen eingelöst und ein ungewöhnliches, schimmerndes Palais entstehen - doch dann rundet sich eine um die andere Seifenblase und nimmt ihren stillen Weg im Raum auf. Ulrike Rathjen I Kunsthistorikerin Building castles in Spain 2007, erbaut aus und gedruckt auf transparentem Architektenentwurfspapier built with and printed on transparent architectural plotting paper


Sie holt Luftschlösser vom Himmel. Sie hat Planetensysteme aus Seifenblasen. Sie macht transparent was verschlossen ist. Sie baut Sandburgen aus Zucker. Sie schafft Poesie durch Verwandlung. Sie verschiebt leicht die Materialpalette. Ihre Schlösser scheinen schwerelos. Gerhard Mayer Luftschlösser 2007, Multiple, Kunststoff, Seifenlauge plastic, liquid bubble soap sud


Sie scheint Kleidung herzustellen. Sie macht transparent was verschlossen ist. Sie erzeugt Linien wie Hosennähte. Sie schafft Poesie durch Verwandlung. Sie verschiebt leicht die Materialpalette. Sie hat eine Flotte aus Papier. Ihre Ornamente sind wie Laub. Gerhard Mayer


ranking 2009, Transparentpapier, gedreht und gefaltet paper, folded and twisted


Luftschlösser und Building castles in Spain 2009, Luftmuseum, Amberg


Das Blumenmuster Ich erinnere mich: Meine Mutter hatte solche Putzkittel aus Nylon getragen, oft den ganzen Tag lang, wenn sie das Haus auf Hochglanz brachte. Florale Muster, gesättigte Farben – da fühlte sich die Gartenfreundin so richtig wohl. Die serielle Flower Power, vermutlich gleich im Dutzend erworben, schien sie im HausfrauenAlltag zu motivieren. Später, als sie krank war, nicht mehr wie einst durch Haus, Hof und Garten wirbeln konnte, hingen diese bunten, vorn zu knöpfenden Blumenkleider auf einer Garderobe. Und eigenartigerweise verbreiteten sie die Aura jener schier unerschöpflichen Energie, die diese Frau bis wenige Monate vor ihrem Tod auszeichnete. Vor kurzem konfrontierte mich die Nürnberger Künstlerin Katja Then, Jahrgang 1973, mit dieser Erinnerung. Als Studentin der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg hatte sie ein Auslandsstipendium erhalten, um die Auseinandersetzung mit Kunst und Mode intensivieren zu können. Auf dem Flohmarkt in Budapest fand sie einen gebrauchten Putzkittel aus Nylon, wie ihn meine Mutter getragen hatte. Das Muster: Weiße Blumen im floralen Gelb-Orange-Rot. Die schnitt sie, Stück für Stück, aus dem alten Kittel heraus. Die Schnippelei dauerte zwar rund zwei Wochen, doch der große Aufwand war nicht auszumachen. Im Gegenteil: Katja Thens Beschreibung, mit einem Augenzwinkern vorgetragen, läßt auch durchaus an Zauberei denken. „Den Kittel hängte ich wie beiläufig, wie abgelegt, an einem Nagel auf“, lautete ihr Geheimnis, „und über Nacht fielen alle seine Blumen zu Boden.“ Waren es 200 oder mehr Blüten, die in einer Raumecke, direkt unter dem zerschnittenen Nylon-Kittel, ein Blumenbeet bildeten? War es hier nicht aufs Wunderschönste gelungen, Mensch und Raum sowie Natur und Architektur miteinander in den Dialog zu setzen? Und wann hat mich zuletzt, ohne den üblichen Markenzeichen-Erkennungsdienst, eine Arbeit derart spontan begeistert? Karlheinz Schmid I Kunstzeitung


Blumenkleid Budapest 1997 gebrauchter Putzkittel, herausgeschnittene, zu Boden gefallene Blumen used apron dress, with its flowers cut out and fallen to the floor


Turning, turning, turning. What first seems to be a still shot of clothes begins to move. Water starts dripping down, the garments take it up and change their colour. They slowly turn and stop again and with each turn and stop a new composition of clothes and with it a new composition of colours and contents appears. A strong meditative feeling is created by the continuous motion. While the wash is resting subtle events take place captured in apparently unmotivated ‚film-stills‘, like the slight movement of a garment or the dripping of water. Resting and turning, Redwash slowly progresses into an exciting final spin cycle. An enlightening red vibrates, expands, contracts, fastens and slows down. A warm field of red colour embraces and soaks the viewer creating a new, almost physical space for contemplation. Projected directly onto a white wall, Redwash functions like a painting. It opens a perspective into another world. The contemplative atmosphere of the climactic final spin is shortly interrupted by some splashes of foam and washing powder. It appears as if Jackson Pollock had done a dripping in one of Rothko‘s paintings. Then the tension resolves and reveals again: the wash. The turning gets slower and slower until the washed garments come to rest. Redwash is a painting in the contemporary media of video. The title uses the double meaning of wash as „the act of cleaning clothes“ and „a thin layer of colour painted on a surface“. It is the ordinary process of washing the artist‘s red clothes, recorded on tape and projected onto the wall. It plays without sound focusing on the visual and the tension of the extra-ordinary. It is edited without any interventions or digital manipulation. The duration of the recording is defined by the duration of the short wash cycle. It is however cut after the climatic spin cycle. It lasts 18 minutes. As a washing cycle Redwash circles around garments and identity, around gender, the body and the ephemeral. Redwash 2001, Videoprojektion, 18 min


Flausen im Kopf? „Wie oft muß man ein Kleidungsstück eigentlich waschen, bis es ganz verschwunden ist?“ Fasziniert von dieser Frage, dem unmerklichen Verschwinden der Kleidung und dem Material der Trocknerfluse begann die Künstlerin 1996 mit dem Sammeln des besagten Materials, das sich nach dem Wasch- bzw. Trockenvorgang in den Flusensieben der Wäschetrockner sammelt, ohne irgedwo anders vermisst zu werden. Die gesammelten Flusen sortierte sie nach Farben und brachte sie wieder in die Form eines Kleidungsstückes zurück. Zusammengefaltet und aus einem Guss sind diese jedoch ihrer Funktionalität beraubt. Sie sind die Erinnerung des einen speziellen Kleidungsstückes sowie das Gedenken an all die gewaschenen Kleider und deren Träger. Keine zusätzlichen Bindemittel wurden verwendet um den vergänglichen Charakter des Materials zu erhalten. Aus Flusen sind diese Hemden gemacht und zu Flusen werden sie wieder werden. Vergänglichkeit und Erinnerung sowie auch Leben und Arbeit haben sich in diesen Flusenhemden eingeschrieben.


Flausen 1996-2000, Trocknerflusen, gesammelt, nach Farben sortiert, wieder in Kleidungsform gebracht, ohne Bindemittel fluff (lint), collected, sorted by colour, casted in the form of a garment again, without the use of any adhesives


Die Wolke In zarten Rosa- und Pastelltönen schwebt eine poetische Wolke inmitten der Landschaftsfotografie von Katja Then, als wolle sie den Betrachter nochmals ins Bild zurückholen und ihn auf ihren Ursprung aufmerksam machen, der sich im schmalen Streifen am unteren Bildrand befindet: Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld in Unterfranken. In Betrieb genommen 1982, stillgelegt 2015, aufgenommen am Geburtstag der Künstlerin im Jahre 2004 und 30 Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, im Jahr 2016, als Arbeit ausgewählt, das Bild der Wolke aus Christa Wolfs Der Störfall zitierend, zieht es den Betrachter in seinen Bann. Leise und poetisch.


Die Wolke 2016, Farbfotografie auf Alu-Dibond, 40 x 70 cm


wolken Auch in der Arbeit ‚wolken’ findet sich das Motiv der ‚Wolke’ wieder, die hier aus zwei transparenten Stricklieseln und dem filigranen Material einer Nylonschnur erwächst, die Ausstellungslandschaft durchwandert und sich in einer poetisch leichten wolkengleichen Pfütze am Boden sammelt. Die Stricklieseln erinnern an die unbeschwerten Tage und Tätigkeiten der Kindheit, an generationenübergreifende Traditionen und Überlieferungen, an Märchen (wie Rapunzel) und Märchenhaftes (Flechten, Weben, Stricken) und inspirieren in ihrer transparenten Leichtigkeit und durch die vielleicht als unnütz empfundene Tätigkeit des Spinnens eines Gewusels, Gewimmels und Gewirrs aus einem fast unsichtbaren und etwas eigensinnigen Fadens, den abstrakten Titel der Arbeit ‚wolken’. ‚Ende gut, alles gut’ geht einem durch den Kopf auch wenn Anfang und Ende des fließenden Mäanderns nicht auszumachen ist. Wie Städte sind die märchenhaften Türme der Strickerei miteinander verbunden und wuchs die Arbeit zu Beginn noch von einer in die andere Richtung, so erwächst sie nun mit der Partizipation der aus Afghanistan geflohenen Masume Rahimi von zwei Seiten und erschafft neue Verbindungen, Interpretationen und Kommunikation über (Länder-)Grenzen hinweg. wolken 2016, Kunststoffstricklieseln, Nylon knitting dolls, nylon


Good Mourning 2003, weißes Kopfkissen mit weißer Stickerei embroidery on linnen


growing up and growing down 2001, weißes Bettlaken mit weißer Stickerei embroidery on linnen


Blumenkleid Salzburg 1999 weißes Sommerkleid, weiße herauswachsende Drahtblumen


greening 2001 Stoff, frische Schnittblumen


eve 2001, Mehrfachsteckdose, Stecker, Kabel, Glühbirnen und Glas multiple socket, plugs, cable, light bulbs, glass


homegrown 2003, Kunstblumen, gebogen


Blumenkleid 1995, gepresste Pflanzen, Kunststofffolie pressed plants, fabric


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