Segelfliegen 2022-03-04 Flipbook PDF


73 downloads 113 Views 22MB Size

Recommend Stories


Porque. PDF Created with deskpdf PDF Writer - Trial ::
Porque tu hogar empieza desde adentro. www.avilainteriores.com PDF Created with deskPDF PDF Writer - Trial :: http://www.docudesk.com Avila Interi

EMPRESAS HEADHUNTERS CHILE PDF
Get Instant Access to eBook Empresas Headhunters Chile PDF at Our Huge Library EMPRESAS HEADHUNTERS CHILE PDF ==> Download: EMPRESAS HEADHUNTERS CHIL

Story Transcript

Im Adler-Revier: Richtig reagieren Flugtechnik Der (fast perfekte) Endanflug 2022

Nr. 2 - März | April

B 62493

|

Streckenflug Die slowenischen Wolkenkratzer

ISSN 1612-1740 | Schweiz CHF 11.50 | Deutschland € 9.50 | EU-Länder € 9.50

EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser, gleichzeitig mit dem Erscheinen dieses Heftes beginnt für die Frühstarter unter uns auch die neue Segelflug-Saison. Das gleißend helle Licht der ersten Frühlingstage, das sich über den Schneeresten in den Voralpen und Alpen spiegelt und in der kalten Frühlingsluft starke, enge Frühlings-Aufwinde auslöst, lockt uns wieder ins Cockpit.

Ernst Willi Fluglehrer, Flugplatz Schänis

Wir hoffen, Sie mit der Auswahl unserer Berichte zusätzlich zu einem ersten Frühlings-Flug motivieren zu können. In dieser Ausgabe finden Sie ein ausführliches Interview mit Bernard Dobre und Luka Žnidaršič. Das sind jene beiden Slowenen, die in den kurzen Januar-Tagen einen 1300-km-„Weitschuss“ entlang der Wellen über der Küste der östlichen Adria geflogen sind. Ihr Flug zeigt, was man selbst im europäischen Winter mit einem klaren Plan erreichen kann. David Richter-Trummer erklärt, wie man sein Flugzeug in einem (fast) perfekten Endanflug ins Ziel bringt. Dann finden Sie je ein „Anti-Aging“-Programm für Senioren – und auch für den Lack ihrer Fluggeräte. Jünger und zukunftsträchtig(er) ist der Bericht über das Konzept und die ersten Erfahrungen mit einer elektrischen Segelflug-Startwinde. Für Genießer beginnen die Erinnerungen und Bilder einer Carat-Flugsaison zu fliegen und gleichzeitig zeigt ein Bericht auf, wie man genussreich über mehrere Tage mit dem Segelflieger in warmer Luft wandern kann oder wie man sich mit einem Beatmungssystem in große Höhen hinauf und sicher wieder hinunter bewegt. Sie finden also zu Saisonbeginn in dieser Ausgabe eine umfangreiche Auswahl an Themen. Sie soll die Vielfalt unserer Sportart demonstrieren und vor allem Sie zu Saisonbeginn wieder neu zu unvergesslichen Erlebnissen im Cockpit motivieren. Ich wünsche Ihnen einen tollen Start in eine unfallund vorkommnisfreie Segelflug-Saison. Passen Sie auf sich auf. Ihr Ernst Willi

segelfliegen 2 - 2022

3

Inhalt

Foto: Lothar Schwark

Titel: Patrick Gabler

6



Die slowenischen Wolkenkratzer 1300 Kilometer entlang der Adriaküste mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 149 km/h. Ein Interview mit Bernard Dobre und Luka Žnidaršič.

12

Im Adler-Revier: Richtig reagieren Zusammen mit einem Adler in der Thermik kreisen – damit das für beide Seiten gefahrlos bleibt, gilt es ein paar Dinge zu beachten

18

Der (fast perfekte) Endanflug Sicherheit ist im Endanflug wichtig. Wie baut man sie ein und wie beurteilt man, was am Ende tatsächlich noch übrig ist?

26 Warmluft-Wandern Es müssen nicht immer vierstellige Strecken sein, auch eine Nummer kleiner macht enorm viel Spaß. 34

Hexenwerk: Die Launen der Thermik Mal sind Aufwinde ein lausiger Nullschieber, mal ein Hammerbart – und das an einem einzigen Tag.

54



60

Senioren im Cockpit Man kann bis ins hohe Alter segelfliegen – vorausgesetzt man hält sich fit. Vier Portraits.

66

Und die Bilder beginnen zu fliegen Erinnerungen an eine Flugsaison mit dem CARAT.

72

Stark, leise und wie auf Schienen Erfahrungen mit der elektrische Segelflugstartwinde ESW 2 B von Ulbrich Industrieelektronik.

80

Firmenportrait: AdvanTec GmbH Mehr als 20 Jahren Expertise im Bereich der Entwicklung von Komponenten für die Luftfahrt.



3 5 82 83

Anti-Aging für den Lack Wenn es um die Pflege unserer geliebten Fluggeräte geht, sind Segelflieger ja gar nicht so viel anders als die Autotuner am GTI-Treffen.

Fliegen mit dem EDS



In den Wellen tragen uns die Aufwinde in Höhen, welche den Thermikflieger zuerst staunen lassen – und kurz darauf in Schwierigkeiten bringen können. Doch auch ein EDS hat seine Grenzen.

ie safely: Aller guten Dinge sind Drei S er Fly Die „Vor dem Start“-Checkliste ist allein noch nicht die ganze Wahrheit. Erst Notverfahren und Strategie machen das Briefing komplett. 42

4

46

segelfliegen 2 - 2022

Editorial Leserpost Impressum/Vorschau Kolumne

Ausgabe 06-2021 „König der Wellen“ Guten Tag Ernst, jetzt nehme ich mir mal endlich Zeit, dir und deinen Redaktions-Gesellinnen zu danken für eure Zeitschrift „segelfliegen“. Ich freue mich rundum sehr über eure Publikation. Insbesondere gefällt mir eure Offenheit gegenüber den Meinungen in einer oftmals eher vehementen Community. Wissenschaft und Safety-Gedanken sind ebenfalls adäquat vertreten. Rundum sehr gut, danke. Pepe Schäuble, Alten CH, SFVS, Ressort Ausbildung Ausgabe 06-2021 „Checklisten“ Super Bericht! Ich selbst habe seit 2 Jahren eine solche im LX9050 für mein Flugzeug hinterlegt. Nach dem Lesen des Berichts, habe ich unserem Verantwortlichen im Verein geschrieben, dass wir sowas für die Vereinsflugzeuge auch umsetzten! Ein Tool für das Handy im Winter zum Üben wäre nicht schlecht. Dann eine gleiche Liste im LX für den Flug programmieren. Uwe Schreyer, Neschwil, CH Ausgabe 01-2022 „Hexenwerk“ Henry Blum stellt die Frage: „Warum steigt warme Luft nicht einfach auf, ...“. Seine Argumentation anhand der Senkkästen/Caissons ist falsch. Damit in den unten offenen Caisson kein Wasser, Schlamm etc. eintritt, muss der Luftdruck innen höher sein als der Wasserdruck an seiner Unterkante. Die seitlichen Kräfte heben sich auf, an der Decke des Caissons ist der Luftdruck von unten (ein wenig) höher als der Wasserdruck von oben = Auftrieb! Dass der Caisson nicht aufschwimmt, liegt schier an seinem Gewicht. Die Physik der Atmosphäre ist schwieriger: Damit ein Luftpaket gegenüber dem Boden aufsteigen kann, muss es Auftrieb gegenüber seiner horizontalen

Nachbarschaft haben (es braucht also, wie Henry Blum später auch richtig argumentiert, horizontale Temperatur-Unterschiede), und zwar so viel Auftrieb, dass er die Reibung und die gleichzeitige Abkühlung durch Wärmeübertragung überwiegt. Ob ein labiles Gleichgewicht kippt, kann man durch Störungsrechnung bestimmen. Sowohl Reibung als auch Wärmeübertragung sind bestimmt durch turbulente Prozesse. Laborexperimente sind beschrieben in de.wikipedia.org/wiki/RayleighB%C3%A9nard-Konvektion. Wissenschaftlich sicher interessant, für die Segelflugpraxis wohl aber leider nicht nützlich. Das Nützliche ist seit langem bei Reichmann, Lindemann, Dale, ... zu finden. Der Rest des Artikels ist eine

muntere Plauderei über längst Bekanntes, also für die Segelflugpraxis auch nicht nützlich. Dr. Ulrich Wölfel, Edemissen Anm. d .Autors: „Der Leser wurde wohl durch meine Grafik zu dem Kommentar veranlasst, da sie u. U. missverständlich war: Sie stellt möglicherweise das Prinzip eines pneumatischen Caissons dar. Das ist eine von mehreren üblichen Senkkasten-Konstruktionen (Caissons), mit der ich den erwähnten Spezialfall des archimedischen Prinzips an einem praktischen Beispiel illustrieren wollte. Das ändert aber nichts an meinen Aussagen zu den Auftriebskräften, die an einem Körper (hier einem Warmluftpolster) angreifen können und wie sie wirken“. 

Rundflüge

Sicherheitspilot

Alpeneinweisung

Arcus M Vercharterung

Du willst mit einem erfahrenen Piloten die Alpen erkunden? Du bist ein erfahrener Pilot, benötigst einen Sicherheitspiloten, möchtest ein Sicherheitstraining oder eine Eigenstartschulung machen? Dein Traum ist es einen Arcus M zu fliegen?

Wir erfüllen Fliegerträume in Europa und Namibia

SF_110x130_0322_V01.indd 1

Kontakt DreamWings Charter GbR Mail: [email protected] Web: www.DreamWings.eu www.instagram.com/dreamwings.me

11.12.21 20:33

Die slowenischen Wolkenkratzer 6

segelfliegen 2 - 2022

In der Primärwelle auf Südostkurs zum ersten Wendepunkt im bosnischen Livno

Am 13. Januar 2022 nutzen Bernard Dobre und Luka Žnidaršič den starken Nordostwind am Ostrand eines mächtigen Hochdruck-Gebietes für einen außergewöhnlichen Flug entlang der Adriaküste über 1300 km Länge. Interview: Ernst Willi. Fotos: Bernard Dobre, Luka Žnidaršič

segelfliegen 2 - 2022

7

Bernard Dobre und Luka Žnidaršič kratzen auf ihrem Wellenflug entlang der Adria-Küste an einer Lenticularis-Wolke

S

ie starten im slowenischen Postojna im F-Schlepp in einem Duo Discus XL (FES), die erste Wende südöstlich des bosnischen Livno umrunden sie um 10:20 Uhr (LT). Die zweite Wende nahe ihres Startpunkts Postojna passieren sie bereits um 12:03 Uhr. Um 14:07 Uhr erreichen sie bei der dritten Wende erneut die Region Livno und um 16:25 Uhr wenden Bernard und Luka ein letztes Mal an der italienisch-slowenischen Grenze. Herausragend ist am Ende nicht nur die Durchschnittsgeschwindigkeit von 149 km/h. Die Crew vereinigt auch eine ungewöhnliche und innovative Mischung an Flugerfahrung: Bernard kennt die Fortbewegung in der Luft hautnah vor allem als ehemaliger Spitzen-Skispringer und zuletzt durch Segelflüge bis 8000 m MSL. Luka ist der FES-Erfinder und heutige CEO des slowenischen FES-Herstellers LZ Design. Was war dein bisher großartigstes Segelflug-Erlebnis? Luka: Das war die Euroglide 2018 mit einem 950-km-Flug mit meinem Ventus 2cxa FES und einem Start aus der Winde. Bernard: Das war wohl mein 840-km-Flug ab Ptuj vor zwei Jahren. Ich brauchte dafür 11,5 Stunden, aber ich habe es wirklich genossen. Diesen Winter fallen lange Wellenflüge entlang der AdriaKüste auf. Was denkst du, was an maximalen Flugdistanzen in der Region möglich ist? Bernard: Wir haben während langer Zeit von einem 1000-km-Wellenflug geträumt, aber heute denke ich, dass sogar 1750 km möglich sind, wenn die Tage länger werden.

8

segelfliegen 2 - 2022

Welche Voraussetzungen haben diesen Flug begünstigt/ ermöglicht? Bernard: Entlang des Velebits (Küstengebirge zwischen Jesenice und Krk) und des Dinarischen Gebirges (östlich von Knin) fanden wir aufgrund der günstigen Windrichtung von 70 Grad und einer Windgeschwindigkeit von 50 bis 90 km/h starke Wellen. Wie habt ihr auf diesem langen Flug die Aufgaben verteilt? Luka: Wir tauschten uns von Zeit zu Zeit am Steuer aus. Bernard übernahm die Kommunikation mit der Flugsicherung. Bernard: Wenn einer von uns flog, machte der andere Vorschläge für die Flugrichtung. Auf diese Weise konnten wir unser Wissen kombinieren, um bessere Entscheidungen zu treffen, einen klugen Weg zu finden und um voneinander zu lernen. Wie habt ihr die taktischen Entscheide gefällt – gemeinsam – oder jeweils einer von Euch beiden? Bernard: Wir fällten die wichtigen Entscheide zusammen. Hat der FES-Antrieb eure Entscheide auf dem Flug beeinflusst? Luka: Fliegen mit der FES ist natürlich immer entspannter, weil wir uns bei Problemen darauf verlassen können und natürlich mehr Möglichkeiten haben, um Schwierigkeiten zu entkommen. Als Alpenflieger taktieren wir im Föhn mit „Auffanglinien“, Hängen, an denen wir auch mal tief wieder wegkommen. Gibt es entlang der Adria-Küste vergleichbare „Auffangnetze“?

Im „Wellenparadies Adria-Küste“ konzentrieren sich mögliche Landungen auf die Flugplätze von Lošinj, Zadar oder Krk

In die Region des bosnischen Livno legten Bernard und Luka auf ihrem 1300-km-Jojo ihren ersten und dritten Wendepunkt

Über dem nordöstlichsten Adria-Zipfel und der slowenisch-italienischen Grenze bei Triest umrundeten Bernard und Luka ihren letzten Wendepunkt

segelfliegen 2 - 2022

9

Oben links: Der Bodenwind am 13. Januar 2022 am Südostrand des ausgedehnten Hochdruckgebiets Oben rechts: Der Wind auf 925 hPa oder ca. 750 m MSL am 13. Januar 2022 Links: Die Flugdaten des schnellen 1300-km-Wellenflugs auf WeGlide. Die Piloten kommentierten: „Folgen Sie der Adria-Autobahn“

Luka: Bisher sind wir über schwierigen Streckenabschnitten immer mit ausreichendem Sicherheitsabstand geflogen. Bei Windverhältnissen wie auf unserem Flug kann aber Fliegen unter 2000 m oder sogar 3000 m bereits „interessant“ werden. Eine Landung wäre auf den Flugplätzen Lošinj, Zadar oder Krk möglich. Wie bereitest du dich auf deine langen Flüge vor? Luka: Abgesehen von der Beobachtung der Wettervorhersage müssen viele Dinge bereits am Vortag geklärt und erledigt werden, damit man entspannt in den frühen Morgenstunden starten kann.

10

segelfliegen 2 - 2022

Bernard: Als Erstes muss ich natürlich die Wettervorhersage analysieren. Wenn klar ist, dass geflogen werden kann, spreche ich mich mit dem Schlepppiloten für einen frühen Schlepp und auch mit jemandem aus dem Verein, der dann beim Start hilft, ab. Außerdem baue ich das Flugzeug normalerweise am Vortag auf, damit ich das nicht mitten in der Nacht tun muss. Ich kontrolliere, ob die Sauerstoff-Flaschen gefüllt sind, und bereite die restliche Ausrüstung vor. In der Nacht vor dem Flug schlafe ich normalerweise auf dem Flugplatz und wache ein paar Stunden vor dem geplanten Start auf. Ich prüfe das Wetter ein letztes Mal und deklariere eine Aufgabe. Eine Stunde vor dem Flug gebe ich auch einen Flugplan ab.

Wie schützt du dich gegen die Kälte? Luka: Im Winter und zu Beginn des Frühlings bin ich wie beim Skifahren gekleidet, mit Skyboots über den Schuhen und einer warmen Mütze. Bernard: Für das Fliegen auf Wellen ziehe ich mich normalerweise so weit an, wie es das Cockpit zulässt. Ich muss am Ende noch ins Cockpit passen, alle Griffe bedienen können, die Instrumente erreichen und den Druck in der Sauerstoffflasche kontrollieren können. Das bedeutet, dass ich zehn Schichten Kleidung habe und normalerweise brauche ich auch jede einzelne davon. Welche Wetterdienste benutzt du zur Flug-Vorbereitung? Luka: Mehrheitlich SkySight. Bernard: Skysight. Ich überprüfe aber auch andere Vorhersagen, wie Windy und Skew-T. In der Regel ist es nützlich, die Vorhersagen zu vergleichen, damit ich erkennen kann, wie zuverlässig die Daten sind. In welcher Region fliegst du am liebsten?

Luka: Die Alpen im Allgemeinen. Bernard: Die Alpen und die Adriaküste. Ich mag das Flachland nicht besonders, aber einige Wettbewerbe im Flachland sind trotzdem schön. Was fasziniert dich am Segelflug-Sport? Luka: Es ist das Erforschen der Natur-Kräfte. Aber sich in einer so schönen Umgebung wie den Alpen zu bewegen, finde ich einzigartig. Auch die technischen Aspekte des Segelfliegens sind für mich sehr interessant. Bernard: Ich mag die Herausforderungen des Segelflugsports, neue Regionen entdecken und mich mit anderen Piloten messen. Welche langfristigen Ziele hast du im Segelflug-Sport? Luka: Ich würde gerne von Slowenien aus ein 1000-km-FAIDreieck und einen 1000-km-Zielrückflug erfüllen. Bernard: Ich würde gerne einen 2000-km-Wellenflug an der Adriaküste absolvieren, denn Luka sagte ja eben, dass „nur“ 1750 km möglich sind. Und ich möchte gerne ein 1000-kmFAI-Dreieck in den Alpen fliegen. t

Bernard und Luka persönlich: Bernard Dobre Flugerfahrung: 800 Std. Beruf: Student in Mechanical Engineering Alter: 21 Wohnort: Ljubljana, Slovenia Bevorzugte Flugzeuge: DG 300 Flight log: https://www.weglide.org/flight/119418

Luka Žnidaršič 3600 Std. Aeronautical Engineer CEO LZ Design (FES) 45 Logatec, Slovenia Ventus 3 FES, Duo Discus FES

Bernard

Luka

Ülis Segelflugbedarf GmbH · [email protected] · www.segelflugbedarf24.de

Im Adler-Revier:

richtig reagieren

12

segelfliegen 2 - 2022

Nicht immer verläuft die gemeinsame Nutzung des Luftraums durch Vögel und Flugzeuge problemlos. Auch Segelflieger haben immer wieder Kontakt zu ihren gefiederten Mitfliegern. Damit das ohne Schaden für beide Seiten ausgeht, muss man ein paar Dinge beachten. Autor: Ludwig Haslbeck Bilder: Patrick Gabler, SUST

segelfliegen 2 - 2022

13

B

esonders beeindruckend ist das Kreisen in der Thermik mit großen Vögeln wie Störchen, Geiern oder Adlern. Oft zeigen sie zuverlässig gute Aufwinde. Während etwa mit Störchen und Geiern ohne Probleme in der gleichen Thermik gekreist werden kann, sind Begegnungen mit Adlern nicht immer konfliktfrei. Auch wenn auch diese Vögel meist nur gemeinsam mit den großen „Kollegen“ in der Thermik kreisen, kommt es doch hin und wieder zu Attacken. Neben Mäusebussarden sind es Steinadler, die dieses aggressive Verhalten zeigen, über Angriffe anderer Raubvogelarten gibt es keine Berichte. Die Zahl der Angriffe ist aber in der Relation zu der deutlich gestiegenen Population der Greifvögel und der großen Aktivität der Segelflieger relativ niedrig. Da solche Attacken aber oft sehr spektakulär sind, werden sie immer gerne in Fliegerkreisen weitererzählt, manchmal wird auch in der Presse berichtet. Das Revier verteidigen Auch die Zeit der Angriffe lässt sich laut einer Studie der Schweizerischen Vogelwarte definieren, ebenfalls die Höhe, in der sie in der Regel erfolgen: Der begrenzte Zeitraum, in dem die untersuchten Fälle stattfanden, entspricht in etwa der Segelflugsaison. Mit einer Ausnahme erfolgten die Attacken zwischen März und September, also auch außerhalb der Brutperiode, in einem Höhenband von 1500 bis 3200

Bilder oben und Mitte: Wenn der Adler sich auffällig verhält, auf das Cockpit zufliegt und abrupt abdreht oder gar seine Fänge zeigt: sofort wegfliegen. Bild unten: Wenn er ruhig mitkreist und Sichtkontakt herstellt, kann man zusammen in der Thermik bleiben

14

segelfliegen 2 - 2022

Metern, was wohl dem Lebensraum der Tiere entspricht. Hauptmotiv der Angriffe dürfte der Versuch sein, das eigene Revier, das die Lebensgrundlage sichert, zu verteidigen. Und offenbar entsprechen vor allem Segelflugzeuge dem Rivalenschema. Sie lösen damit einen „Schlüsselreiz“ aus, der zu den Angriffen führt. Vorsicht ist geboten, wenn der Adler, dem man sich nähert, einen, wie der Fachbegriff heißt, wellenförmigen „Girlandenflug“ zeigt, mit dem er dem Rivalen seine territorialen Ansprüche signalisiert. Dann: abdrehen und einen anderen Flugweg suchen, um einen Angriff auszuschließen. Der erfahrene österreichische Segelflieger und segelfliegen-Autor David Richter-Trummer sagt dazu aus seiner Erfahrug: „Echte Zusammenstöße mit Adlern sind Gott sei Dank sehr selten. Mir sind in Innsbruck nur zwei Fälle bekannt, bei denen einmal eine ASK21 im Kunstflug mit einem Adler kollidierte und das andere Mal eine ASH25 beim Thermikkreisen. Beide Kollisionen erfolgten übrigens aus heiterem Himmel, ohne dass der Pilot den Adler zuvor bemerkt hatte. Relativ häufig angegriffen oder bedroht wird man jedoch vor allem im Frühjahr (März bis Mai). Dabei sticht der Adler typischerweise von hinten oben auf einen herunter, um knapp vor dem Aufschlag abzufangen und mit seinen Fängen nach unten zu langen. Das kann sehr knapp sein, manchmal sogar mit Kratzern in der Haube (unsere LS1-f D 6521 hat entsprechende Kratzer in der Haube seit einem Angriff 2013). Als Lehrmeinung, um solche Vorfälle zu entschärfen, gilt in Innsbruck: Wenn dich ein Adler übersteigt und seine Angriffe fliegt, solltest du darauf durch Absenken der Nase, also kurzzeitiges Nachlassen des Steuerknüppels, ein „Untertänigkeits-Zeichen“ geben. Der Adler stoppt darauf für gewöhnlich seine Angriffe und steigt schlecht gelaunt

etwas höher mit einem im Bart mit, ohne dabei weiter feindselig zu werden. Ob das wirklich funktioniert, weiß ich nicht, bisher haben mich die Vögel daraufhin jedenfalls in Ruhe gelassen.“ Attacke in 3000 Metern Einen besonders interessanten Fall, der vor allem ein außergewöhnlich besonnenes Verhalten des Piloten zeigt, hat die Schweizer Flugunfallstelle SUST genau recherchiert und dokumentiert. Die Attacke fand in fast 3000 m Höhe über Gipfelniveau statt. Trotz der erheblichen Beschädigungen der Kabinenhaube gelang es dem Piloten, die Situation zu meistern und sicher zu landen. Im Bericht der SUST wird auch auf eine umfassende Untersuchung im „Ornithologischen Beobachter/Band 107/ Heft 2“ vom Juni 2010 verwiesen, in der der Autor David Jenny 20 dokumentierte Fälle von Angriffsflügen von Steinadlern analysiert und auch eine umfangreiche Literaturliste aufführt. Der Bericht bietet eine recht umfassende Untersuchung dieser Fälle, die durch unterschiedliche Quellen dokumentiert werden und aus einem längeren Zeitraum stammen. Die daraus gezogenen Schlüsse sind für uns Segelflugpiloten wichtig und sollen uns helfen, unsere gefiederten Mitflieger nicht zu gefährden, denn Kollisionen gehen in der Regel für die Flugzeuge glimpflich, für die Vögel leider fast immer tödlich aus. Die Untersuchung gibt auch Erklärungen für das mögliche Motiv der Attacken und räumt mit dem Vorurteil auf, dass sie weitgehend nur während der Brutphase stattfinden. Jenny spricht von „Angriffsflügen“, die klar aggressiv motiviert sind, bei denen es aber oft nicht zu Kollisionen kommt, da entweder der Flieger ausweicht oder der Vogel den Angriff abbricht. In den meisten Fällen stürzen sich die Adler von oben mit ausgefahrenen Fängen auf das Cockpit, seltener gegen die Tragflächen.

Summarischer Bericht der Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle SUST

Bezüglich des vorliegenden Unfalls wurde eine summarische Untersuchung gemäss Art. 46 der Verordnung über die Sicherheitsuntersuchung von Zwischenfällen im Verkehrswesen (VSZV ) durchgeführt. Dieser Bericht wurde mit dem Ziel erstellt, dass aus dem vorliegenden Zwischenfall etwas gelernt werden kann. Flugverlauf Am 28. Mai 2017 führte der Pilot mit dem Segelflugzeug LS 6-c18, eingetragen als HB-3210, vom Flugplatz Thun (LSZW) aus einen Streckenflug in das Berner Oberland und die Walliser Alpen durch. Während des Flugverlaufes flog der Pilot nördlich des Lütschentals in Richtung Faulhorn. Etwa 700 m südwestlich des Gipfels der Winteregg drehte der Pilot in einer Rechtskurve in einen guten Aufwind ein (Bild 1 nächste Seite). Nach dem ersten Vollkreis sah der Pilot einen Steinadler, der im gleichen Aufwind ebenfalls in Rechtskreisen fliegend an Höhe gewann. Die Kreise des Segelflugzeugs und des Adlers schienen sich dabei leicht zu überschneiden, aber es bestand kein Kollisionsrisiko. Im dem Moment, in dem der Pilot mit dem Adler scheinbar Blickkontakt herstellen konnte, änderte der Greifvogel abrupt seine Drehrichtung nach links in Richtung des Segelflugzeugs (Bild 2 nächste Seite). In der Folge kollidierte der Adler auf einer Flughöhe von 2920 MSL, rund 400 m über der Bergkrete der Winteregg, mit der rechten Seite der Kabinenhaube des Segelflugzeugs, so dass diese barst. Der Pilot bemerkte, dass sich der Adler in der Flugkabine über der Kopfstütze verfangen haben musste und bugsierte ihn mit seinen Händen aus dem Flugzeug. Im Anschluss daran verlor er den

segelfliegen 2 - 2022

15

1

2

1 Flugweg der HB-3210. Der rote Kreis kennzeichnet die Position, an der das Segelflugzeug mit dem Adler zusammenstieß (Basiskarte reproduziert mit Bewilligung des Bundesamtes für Landestopografie Swisstopo, JA150149) 2 Dreidimensionale Darstellung des Flugweges der HB-3210 kurz vor dem Zusammenstoß mit dem Adler, Blickrichtung gegen Norden mit dem Brienzersee im Hintergrund. Der rote Kreis kennzeichnet die Position, an welcher aus Sicht des Piloten der Adler abrupt nach links Richtung Segelflugzeug abdrehte

Adler aus den Augen. Praktisch zeitgleich vernahm der Pilot ein weiteres, lautes Knallgeräusch und das Segelflugzeug fing an, leicht nach links zu schieben. Der Pilot vermutete vorerst, dass der Adler zusätzlich mit dem Höhenleitwerk kollidiert sei und dieses dabei beschädigt haben könnte. Die Steuerbarkeit des Segelflugzeuges war aber weiterhin gewährleistet. Es zeigte sich in der Folge, dass sich ein

16

segelfliegen 2 - 2022

zusätzlicher Riss in der Kabinenhaube gebildet hatte, der das Knallgeräusch ausgelöst haben musste. Der Pilot entschloss sich, auf direktem Weg zum Flugplatz Thun zurückzufliegen. Während des Rückfluges verstaute er die Scherben der Kabinenhaube sowie die Flugkarten mit dem restlichen Material in der Flugkabine und setzte blind Meldungen auf der Funkfrequenz von

Thun ab. Die anschließende Direktlandung auf dem Flugplatz Thun verlief ereignislos. Schaden am Segelflugzeug Die rechte Seite der Kabinenhaube war komplett herausgebrochen und fehlte. Zusätzlich verlief ein Riss quer über die gesamte Kabinenhaube (Bild 3). Die Rückenlehne des Pilotensitzes war an mehreren Stellen gebrochen.

3

3 3 Schaden an der HB-3210 unmittelbar nach der Landung auf dem Flugplatz Thun: In Grün ist der Umriss der fehlenden rechten Seite der Kabinenhaube eingezeichnet; entlang der roten Linie verläuft zusätzlich ein Riss quer über die gesamte Kabinenhaube

Schlussfolgerung Der hier beschriebene Unfall ist darauf zurückzuführen, dass das Segelflugzeug beim Kreisen in der Thermik mit einem Steinadler kollidierte. Mit großer Wahrscheinlichkeit betrachtete der Greifvogel das Segelflugzeug als fremden, fliegenden Artgenossen und führte nach Unterschreiten einer kritischen Distanz von rund 100 m instinktiv einen aggressiv motivierten „Angriffs-

flug“ auf das Segelflugzeug aus. Der Entscheid des Piloten, nach der Kollision mit dem Steinadler sofort zum Ausgangsflugplatz Thun zurückzukehren, war der Situation angepasst.

Studie zu Kollisionen zwischen Steinadlern und Flugzeugen

In einer Studie der Schweizerischen Vogelwarte („Kollision zwischen Steinadlern Aquila chrysaetos und Flugzeugen

in den Alpen“, David Jenny, Schweizerische Vogelwarte Sempach, 29. März 2010) wurden zwanzig dokumentierte Fälle von Kollisionen zwischen Luftfahrzeugen und Steinadlern analysiert und Verhaltensregeln für Piloten zur Vermeidung von derartigen Kollisionen vorgeschlagen. Die meisten der Fälle betrafen Segelflugzeuge, die – abgesehen von der Objektgröße – bezüglich Silhouette und Geschwindigkeit ungefähr den optischen Signalen entsprechen, die bei Steinadlern normalerweise von fremden, fliegenden Artgenossen ausgehen. Aufgrund des Territorialverhaltens des Steinadlers löst ein solcher optischer Reiz innerhalb der Reviergrenzen Aggressionsverhalten aus. Bei Unterschreiten einer kritischen Distanz von etwa 100 m können diese Signale zu einer Instinkthandlung des Steinadlers mit nachfolgendem „Angriffsflug“ oder „Stoßflug“ führen. Die dokumentierten Fälle von Kollisionen traten im Sommerhalbjahr zwischen März und September und in einer Flughöhe zwischen 1500 m und 3200 m MSL, bei einer durchschnittlichen Höhe von 2200 m MSL auf. Ein Bezug zu nahegelegenen besetzten Horsten der Steinadler konnte nicht nachgewiesen werden. Meist beschrieben die Piloten die Attacken der Steinadler als plötzlichen Angriff gegen die Kabinenhaube. Thermiksuchende Flugsportler fliegen häufig in unmittelbarer Nähe von Steinadlern oder fliegen diese als Indikatoren für Aufwindzonen sogar aktiv an. Steinadler betrachten ein Flugzeug aber weder als Spielobjekt noch als potenzielles Beutetier oder gar als Partner. Vielmehr lösen fremde Flugobjekte einen gewissen Stress beim Steinadler aus, der stets aggressiv beantwortet werden kann. Dies gilt es bei Begegnungen mit Steinadlern zu berücksichtigen und sich im Zweifelsfall zurückzuziehen.t

segelfliegen 2 - 2022

17

18

segelfliegen 2 - 2022

Der (fast perfekte) Endanflug Um genau das geht es heute, denn am Ende jedes erfolgreichen Streckenfluges kommt irgendwann das Ziel unserer Aufgabe in theoretische Reichweite, sodass wir über den Endanflug nachdenken. Im Endanflug gleiten wir dann die im letzten Bart erklommene Höhe bis zum Ziel hin ab. Autor: David Richter-Trummer, Bilder: David Richter-Trummer, Eduard Supersperger

segelfliegen 2 - 2022

19

D

as Ziel ist dabei zumeist eine Ziellinie, ein Zielkreis oder die „Position zur Landung“ in der Platzrunde. In seltenen Fällen wird das Ziel auch als Direktlandung am Flugplatz angeglitten. Doch wie soll ich meinen Endanflug heute anlegen? Der perfekte Endanflug existiert wie praktisch alles in der Segelflug-Welt nur theoretisch. Und leider hält sich die Praxis auch in diesem Fall nur mit Glück an die Theorie. Weil man aber nicht immer Glück haben kann, ja manchmal auch Pech dazu kommt, ist es besonders für den Endanflug wichtig, entsprechende Sicherheiten einzubauen. Ich möchte in diesem Beitrag verschiedene Konzepte besprechen, wie man einerseits diese Sicherheit einbauen und andererseits während des Endanflugs beurteilen kann, wie viel Sicherheit denn jetzt und hier noch vorhanden ist. Sicherheit ist im Endanflug wichtig; auch meine erste und bisher einzige Außenlandung mit Schaden passierte, weil ich meinen Endanflug falsch berechnet hatte. Auf dem Acker fragte ich mich, was den passiert war? Ich war denselben Endanflug wie an allen anderen Tagen zuvor in diesem Wettbewerb auch geflogen? Nun, der Wind hatte sich gedreht und das hatte ich schlicht nicht beachtet. Zunächst einmal müssen wir aber differenzieren welchen Aspekt des Streckenfluges wir denn nun eigentlich über den Endanflug optimieren wollen, was denn also das konkrete Ziel ist, denn Endanflug-Strategien können sich sehr deutlich unterscheiden. Endanflug bei dezentralen Flügen Für dezentrale Flüge zählt so gut wie immer das Erfüllen der Aufgabe und zusätzlich die Erreichung eines möglichst punktehohen Fluges. Die Optimierung der Reisegeschwindigkeit über den

20

segelfliegen 2 - 2022

Endanflug ist dabei sehr oft absolut uninteressant – wir wollen weit fliegen und heimkommen. Daher ist ein „scharfer“ Endanflug auf ein Ziel (also ein genau gerechneter mit realistischem MacCready-Wert und wenig Sicherheitsreserve) bei dezentralen Flügen selten angebracht. Anders sieht die Situation im zentralen Wettbewerb und fundamental anders im Sailplane Grand Prix aus. Denn bei diesen Wertungsformen geht es letztlich um die relative Geschwindigkeit oder die Reihenfolge des Finishs im direkten Vergleich zu unseren Mitbewerbern. Wie groß ist denn die Zeit-Marge, mit der wir hinsichtlich der Optimierung rechnen können? Nehmen wir dazu das Beispiel eines „typischen“ 800-km-Fluges mit der Clubklasse. Sei die Wolkenbasis beim Endanflug-Bart 2000 m über der Platzrunde und der letzte Steigwert bei 1,5 m/s. Rechnerisch optimal würden wir nun bei Windstille mit einer leeren LS4 mit 132 km/h die letzten 63,3 km abgleiten und dabei 29 Minuten verbrauchen. Ich möchte es aber nie so spannend machen und habe gerne etwas Sicherheit. Kurble ich für einen dezentralen Flug zum Beispiel 400 m über den Gleitpfad, so brauche ich heute dafür etwa 4,5 Minuten. Der Gesamtschnitt für meinen 800 km Flug sinkt, falls ich meine Sicherheitshöhe bis zum Schluss behalte, dadurch von 90 km/h auf 89,24 km/h. Dafür steigt die Chance, dass ich heute mein Landebier am Heimatplatz einnehmen kann, sehr deutlich an. Komme ich in diesem Setting tatsächlich zu hoch über dem Platz an, so kann ich außerdem noch Wertungsstrecke gewinnen, indem ich den Platz etwas „übergleite“. Vielleicht werden ja heute entspannte 816 km daraus? Aus diesem Grund ist es im Dezentralen oft angebracht, auch spät abends noch einen eventuell gefundenen letzten Bart bis ganz nach oben auszukosten, auch wenn der Heimatplatz schon lange erreichbar ist.

Endanflug im zentralen Wettbewerb Nehmen wir einen typischen 875Punkte-Tag mit 3:31 h Sieger-Zeit und damit 96 km/h Sieger-„Schnitt“ an. Die Abflughöhe ist in diesem Beispiel wie so oft nur durch den Luftraum auf 2850 MSL begrenzt, während das Ziel in mindestens 575 m zu erreichen ist. Der letzte Bart bringt 2,0 m/s und trägt auf 2850 m. Damit sind theoretisch 2275 m mit optimal 142 km/h bei einer Gleitzahl von 28,4 abzugleiten. Damit entsteht theoretisch für die letzten 64,6 km ein „Schnitt“ von 142,5 km/h, ich muss ja nur mehr abgleiten. Die Reststrecke, die ich ehrlich wie beim Dezentralen überwinden muss, reduziert sich dadurch von 336 km auf 272 km. Und der Schnitt für diese Strecke liegt lediglich bei 88,32 km/h. Erst durch den Endanflug werden in Summe dann 96 km/h daraus und natürlich macht es für diesen langen Abgleiter einen erheblichen Unterschied, ob ich leer oder voll Wasser unterwegs bin. Auch im zentralen Wettbewerb benötige ich zum Erkurbeln von 400 m Sicherheitshöhe auf diesen Gleitpfad drei Minuten zwanzig. Diese Zeit entspricht nun aber bei nur 3:31 min. Task-Zeit einem Verlust der Task Speed von 96 km/h auf 94,5 km/h. Das ist im zentralen Wettbewerb ein signifikanter Verlust. Dasselbe gilt übrigens auch nochmals verschärft für einen suboptimal niederen Start der Aufgabe, denn anders als beim Endanflug lässt sich der hierbei auftretende Höhenunterschied nicht zum Teil durch schnelleres Gleiten kompensieren, wie das beim Endanflug geht. Die Task Speed im zentralen Wettbewerb ist nach den derzeitigen Regeln immer markant höher als die tatsächliche Schnittgeschwindigkeit, die das Segelflugzeug erreicht hat (gerechnet mit selber Ausgangshöhe wie Ankunftshöhe). Besonders bei schwachem Wetter und damit kurzen Tasks ist der Unterschied oft gewaltig. Denn im Wettbe-

werb wird lediglich die Task-Strecke durch die Zeit dividiert, die zur Erfüllung der Aufgabe nötig war. Weil man nun seine Aufgabe sehr viel höher starten kann, als man durchs Ziel fliegt, besteht besonders bei kurzen Tasks ein erheblicher Anteil des Fluges aus einem reinen Abgleiter ohne die Notwendigkeit, die verlorene Höhe wieder mühsam zurück zu gewinnen. Das führt einerseits zu einer erheblichen Erhöhung der letztlich vorgefundenen Task Speed und andererseits zu taktischen Vorteilen für hohe Flächenbelastungen im zentralen Wettbewerb. Sicherheitsbetrachtung In beiden Fällen verlieren wir durch das Erkurbeln einer größeren Ausgangshöhe als rechnerisch nötig (+ auf Gleitpfad) Zeit. Bauen wir nun aber keine Sicherheit in unseren Endanflug ein, so riskieren wir, den Flug gar nicht zu vollenden. Das kann unangenehm, in manchen Fällen auch sehr gefährlich sein. Ich denke an Flugplätze wie Bozen oder Innsbruck vom Westen, Graz oder Mariazell vom Norden, die aus diesen Richtungen einige Kilometer vor dem Platz schlicht gänzlich unlandbar sind. Daher ist es wichtig, abhängig von der Geografie, dem Wetter, der Aufgabenstellung und der Landbarkeit, mehr oder weniger Sicherheit zu dem physikalisch zu erwartenden Gleitpfad hinzuzufügen. Es gibt nun verschiedene Arten, diese Sicherheit in die Endanflugberechnung einzubauen. Eine beliebte Art ist es, eine Sicherheitshöhe auf Ziel fix mit dem Zielpunkt zu definieren. Dadurch ändert sich rechnerisch schlicht die Endhöhe der Gleitpfadrechnung und wir steuern zum Beispiel einen fiktiven Flugplatz-Bezugspunkt an, der einige hundert Meter über dem Platz liegt. Ich persönlich mag diese Art der Sicherheitsbetrachtung nicht, weil sie mir besonders in kritischen Phasen, wenn das Erreichen des Flugplatzes unsicher

wird und der Stresspegel steigt, eine Kopfrechnung und eine Erinnerungsleistung abverlangt: „Verdammt, ich hab jetzt minus 35 m auf Ziel, doch ich hab ja noch 200 m Sicherheit oben drauf oder waren es 300 m? Damit komme ich doch in 175 m über Platz an? Oder doch 165 m?“ Gerade in stressigen Phasen irren wir uns häufig und der Wille, dass etwas doch noch geht, beeinflusst unsere Wahrnehmung in manchmal ungesunde Richtungen. Mein AbbruchKriterium für den Endanflug wird durch diese Betrachtung schwer und missverständlich interpretierbar. Ich persönlich fliege daher immer mit „Reservehöhe = 0“, also mit der tatsächlich zu erreichenden Höhe auf Ziel, und baue mir die Sicherheit anders ein. Viele Piloten drehen für ihre Gleitpfad-Berechnung ihre MC-Einstellung etwas höher, als es dem Endsteigen im letzten Bart entspricht. Damit rechnen sie mit einer höheren Fluggeschwindigkeit und damit mit höherem polarem Sinken, als der Realität entsprechend, weil tatsächlich langsamer geflogen wird, als der Sollfahrtgeber diktiert, bis

alles in trockenen Tüchern ist. Zu beginn des Endanfluges wird also langsamer geflogen, um mit der Höhe hauszuhalten. Das System funktioniert mit etwas Erfahrung recht gut, doch ist es stark abhängig von der Referenz-MCEinstellung. Denn die Erhöhung der Sicherheit ist bei weitem nicht linear an die Erhöhung der MC-Settings gekoppelt, und zwar in die „falsche Richtung“. Was heißt das jetzt konkret? Zum obigen dezentralen 800-km-Beispiel: Erhöhe ich den MC-Wert ausgehend von MC = 0 m/s um pauschal 1 m/s, so gewinne ich geometrisch mit meiner LS4 weniger als fünf Gleitzahlpunkte. Es macht also auf unsere 64 km Reststrecke nur eine Sicherheitsreserve von 250 m aus, ob ich nun mit dem besten Gleiten mit 93 km/h oder mit MC = 1 => 120 km/h fliege. Wenn ich nun aber ausgehend von MC2 (142 km/h) auf MC3 um einen Meter erhöhe, gewinne ich bereits 470 m Sicherheit. Problematisch ist das System also dann, wenn ich zu knapp komme, weil sich einerseits die Sicherheit durch Zurück-

Die erreichbare Gleitzahl über Grund ist im langsamen Geschwindigkeitsbereich stark von der Windkomponente abhängig. Je schneller wir vorfliegen, desto geringer ist der Einfluss von Gegenwind oder Rückenwind

segelfliegen 2 - 2022

21

drehen nur marginal erhöht und andererseits uns das System gerade am Ende zu langsamem Fliegen in Bodennähe ermutigt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr viel Höhe verbraucht, wenn ich sehr langsam mit 90 km/h in Sinken einfliege und beschleunigen muss. Daher ist für mich die niedrigste Endanflug-Basisgeschwindigkeit mit einem Clubklasse-Plastik-Flieger 120 km/h. Wenn es dann steigt, reduziere ich und wenn es kurzfristig sinkt, tut es nicht so weh, das durchzustehen. Lange Zeit habe ich mir Sicherheit im Endanflug eingebaut, indem ich den Wind systematisch pessimistisch mit 15 km/h mehr Gegenwindkomponente gerechnet habe, als es dem besten Schätzwert entsprach. Der Einfluss ist, besonders wenn es knapp wird, sehr stark und geht damit im Sinne der Sicherheit nicht linear mit dem Zahlenwert einher. Denn bei niederen Vorfluggeschwindigkeiten macht die Windkomponente einen großen Unterschied für die erreichbare Gleitzahl über Grund, während sie bei hoher Speed immer mehr an Bedeutung verliert. Ich rechne noch immer gerne mit diesem Modell, doch auch hier gibt es ein Problem: Es kommt nämlich der Tag, da musst du einen Endanflug über einen Umlenkpunkt rechnen. Funktioniert in deinem Rechner-System diese Sicherheitsbetrachtung dann noch sinngemäß richtig? Einen ähnlichen Einfluss wie die Windkomponente haben die „Mücken [%]“. Nachdem mir aber noch niemand erklären konnte, was denn der Mücken Parameter mathematisch nachvollziehbar mit meiner Polare im Rechner macht, wende ich das nicht an. Wenn ich schon falsch rechne, möchte ich wissen, was ich da mache. Wenn es im Endanflug mal knapp wird, reduzieren wir intuitiv die Fahrt; im Extremfall, wenn es trägt, auch unter die Geschwindigkeit des besten Glei-

22

segelfliegen 2 - 2022

tens. Es hat sich für mich herausgestellt, dass es aber oft schädlich ist, noch einen Kreis fliegen zu wollen, wenn das Steigen nicht eindeutig positiv ist. Meist verliert man dann durch den Vollkreis ein paar wertvolle Meter, während man durch vorsichtiges Weitergleiten im verminderten Sinken ein paar Meter gegenüber dem Gleitpfad gewonnen hätte. Ich habe mir daher angewöhnt, wirklich nur dann zu kreisen, wenn ich mir sicher bin, auch echtes Steigen für diesen Vollkreis halten zu können. Das braucht etwas Routine und Disziplin, denn wenn man wirklich Steigen braucht, ist die Wahrnehmung oft sehr trügerisch. In diesen stressigen Situationen kommt es auch gelegentlich vor, dass ich meinen Flieger unbeabsichtigt überziehe, was in Bodennähe unschöne Auswirkungen haben kann. In der Karte rechne ich auch „zu Fuß“. Das heißt, ich schreibe mir in meine Papier-Karte hinein, an welcher markanten Position ich bei dem vorhergesagten Wind und dem für den Endanflug zu erwartenden MC-Wert wie hoch sein muss. Aber wozu denn, ich habe ja eh schon drei Rechner an Bord? Vor dem Start ans Landen denken Nun es ist gut für die Psyche, den Endanflug bereits beim Briefing vorzuprozessieren, sich also mental damit bereits vor dem Start zu befassen, die letzte Landemöglichkeit vor dem Platz zu kennen und sich vorzustellen, in welcher Höhe man dann darüber gleitet oder auch nicht. Zusätzlich ist es einfach schön, ein völlig unabhängiges Verifikationssystem an Bord zu haben, das kein GPS und keinen Strom bracht. Es kommt nämlich öfters vor als man denkt, dass man im Endanflug an den Angaben seines Rechners zweifelt. Da hilft ein analytischer „Kann-das-seinWert“, der vor dem Flug mit kühlem Kopf kalkuliert wurde, ungemein. Für mich hat sich neben dem Differenz-

wert der Höhe relativ zum optimalen Gleitpfad ein weiterer „So-schaut‘s-ausWert“ als sehr hilfreich erwiesen. Besonders, wenn ich dem Ziel näherkomme, hilft mir persönlich die nötige geometrische Gleitzahl auf Ziel sehr, um einerseits meine Chancen einschätzen zu können und andererseits meine überschüssige Energie rechtzeitig in Fahrt umzusetzen. An diesem Wert ist nun aber ebenfalls einiges zu beachten: Wir müssen unsere realistische Gleitzahl bei Wind und bei unserer momentanen Fahrt wissen – und ja, der Einfluss des Windes wird in der Regel deutlich unterschätzt. Gerade im Wettbewerb zeigt sich sehr deutlich, dass, wer früher drückt länger schnell ist. Das heißt, ein Pilot, der bereits einige Kilometer früher als die Meute die Fahrt im Endanflug leicht erhöht und damit ein wenig tiefer, aber flotter (sagen wir mit 160 statt 150 km/h) dem Ziel entgegenstrebt, ist später praktisch nie mehr einzuholen. Natürlich vorausgesetzt, er hat genug Sicherheit und eine Linie, die ihn seine Fahrt bis zum Ziel halten lässt. Muss er jedoch die Fahrt reduzieren, um durchs Ziel zu hungern, ist er weg vom Fenster. Den Endanflug in ein thermisch müdes und windstilles Becken hinein beginne ich typischerweise mit nötiger Gleitzahl 30 auf Ziel, also + 300 m bei MC 1 für 40 km. Steigt die nötige Gleitzahl und sinkt die Sicherheitshöhe auf Gleitpfad ohne sichtlichen Grund, habe ich ein Problem und muss die Fahrt auf 120 km/h drosseln, die Linie überdenken und oder vielleicht noch irgendwo Steigen mitnehmen. Die Chance, auf 40 km noch etwas zu finden ist sehr hoch. Meist gelingt es aber, die Linie zu optimieren und damit die nötige Gleitzahl langsam auf 28, dann 25 zu reduzieren und gleichzeitig graduell mit der schwindenden Restdistanz die Fahrt zu erhöhen. Es ist mir dabei je nach Landbarkeit voraus wichtig, mit der nötigen

Gleitzahl auf Ziel bis auf 15 bis 10 km ans Ziel deutlich unter meiner realistisch erreichbaren Gleitzahl angekommen zu sein. Das heißt, erwarte ich z. B. bei 20 km/h Gegenwind eine Gleitzahl um die 30, so fliege ich nur sehr ungern mit nötiger GZ >25 zum Flugplatz weiter. Ist es gar bis zum Flugplatz unlandbar, wäre eine nötige Gleitzahl 27 hier bereits ein Indikator dafür, eine geplante Außenlandung, solange sie noch gut durchführbar ist, ernsthaft in Betracht zu ziehen. Besonders im Nahbereich des Ziels ( Vielbrunn 270/170 km): Wiedersehen! Es geht in Leverkusen sehr zögerlich los mit der Thermik, Zeit für noch einen Kaffee und dann Start gegen halb eins. So niedrig habe ich mich in unserem Luftraumkorridor zwischen Köln und Düsseldorf noch nie nach Osten geschlichen! Immerhin stehen die Wolken nahe beieinander und gehen zwar schwach, aber halbwegs zuverlässig. Und mit einem Quintus lässt sich selbst bei nur max. 700 m MSL im Sauerland von Platz zu Platz springen (mit meiner sonst so geliebten LS7 hätte ich schon Schwierigkeiten gehabt). Kurz vor Meinerzhagen hat es sich dann aber ausgesprungen und ich bemühe nach gut 40 km zum ersten Mal den Motor. Das zweite mal dann am Flugplatz Siegerland, wo ich zunächst dem Controller erläutere, warum ich nicht landen, sondern nur landen können möchte. Dann noch einen Platz auf der endlosen Asphaltpiste aussuchen und den parallel anfliegenden Verkehr im Auge behalten – ich nehme es als Bestätigung, dass der Übungsstand passt, um auf Wanderschaft zu gehen. Kurze Zeit später habe ich dann erstmalig 1000 m Luft unter den Flächen, weshalb der dritte Motoreinsatz bei Nastätten unter dem Frankfurter Deckel sicherlich vermeidbar gewesen wäre. Sei’s drum, danach läuft es mit Steigwerten über 1 m/s

28

segelfliegen 2 - 2022

gut und auch der Sprung über das Rheintal ist problemlos. Kurz vor Vielbrunn erwische ich den besten Bart des Tages, so dass ich am Ende genug Höhe habe, um in Ruhe zu schauen, wie die Anflüge auf den geneigten Platz mit Waldkante am oberen Ende aussehen: Start bergab und Landung bergauf, ein Gebirgsflugplatz im Odenwald also. Gregor ist schon längst da, er war ebenfalls gegen halb eins gestartet, aber mit besserem Wetter und kürzerer Strecke zwei Stunden vor mir angekommen. Wir haben es tatsächlich geschafft; nicht nur, uns nach vielen Jahren wieder zu sehen, sondern sogar, in einen gemeinsamen Wandersegelflug zu starten (Bild 1). Grandios! Da nehme ich gerne in Kauf, dass ich für den einen Flug den Motor ebenso oft geschmissen habe wie in meinem gesamten motorisierten Segelfliegerleben bis dahin (von Starts/Testläufen natürlich abgesehen). Und dann das erste Mal Abendprogramm Teil 1: Flieger versorgen, Essen und Übernachtung klären. Ersteres müssen wir selbst machen, der Rest übernehmen die unglaublich gastfreundlichen Vielbrunner (ein Lob dem Koch des Gulaschs!). Überhaupt haben wir für den Auftakt eine sehr nette und aktive Gruppe gefunden: Wir genießen eine abendliche Kunstflugeinlage und bewundern einen Specht der Oldtimerfreunde der IG Scheibe. Der ist, wie ich lernte, dafür zugelassenen, ihn in der Luft mit einem Fallschirm zu verlassen – jetzt weiß ich, wo der Fallschirmspringer neben mir nach der Landung herkam. Das Angebot, uns zur Unterkunft zu fahren, lehnen wir dankend ab, etwas Bewegung tut gut! In der Ferienwohnung dann Abendprogramm Teil 2: Wetter. Die Wetterlage bleibt, tendenziell wird es wohl Richtung Osten gehen. Tag 2, 12.08. (Vielbrunn -> Beilngries, 268 km): Mühsam nährt sich... Beim Frühstück mit den Vielbrunnern schauen wir ins Wetter. Der Nordosten sieht für die nächsten Tage noch am besten aus; erstmal rät uns Dieter (der mit seiner ASH26 an diesem Tag deutlich schneller unterwegs gewesen sein wird als wir) aber, eine südliche Route zu wählen. In Beilngries südöstlich Nürnberg sei sogar Fliegerlager. Mit knapp 250 km passt das nicht wirklich zu meinen hochfliegenden Plänen, die noch vom gestrigen letzten Bart getragen werden. Daher sehe ich Beilngries nur als Etappenziel, vielmehr denke ich an Auerbach (Vogtland) oder Pirna bei Dresden, die ich beide morgens schon per Mail angefragt hatte. Von wegen. Wir kommen erst um halb zwei los (geht auf meine Kappe) und mühen uns dann in der nach wie vor rumpeligen Warmluftthermik. Der ganz enge Teamflug gelingt uns noch nicht, vielleicht auch, weil wir feststellen, dass 25 Jahre Profilentwicklung und 5 m Spannweite doch einen Unterschied machen. So habe ich es deutlich entspannter,

während Gregor sich ab und an von unten ausgraben muss. Dennoch wieder das Wunderbare am Wandersegelfliegen: den ganzen Tag irgendwo unterwegs, wo wir fliegerisch noch nie vorher waren. An der Tauber entlang geht es über die Frankenhöhe bis ans Südende der fränkischen Alb. Am Ende schließen wir noch eine Sightseeing-Runde bis zur Donau an, bevor wir gegen halb sieben auf dem wunderschön im Altmühltal gelegenen Platz von Beilngries einschweben. TopMeteo sagt für den frühen Morgen einen vereinzelten Schauer in der Nähe voraus. Ich frage mich, wo der herkommen soll, dennoch geben wir uns besondere Mühe beim Verzurren. Die Beilngrieser treiben für uns noch zwei Fahrräder mit Schlössern auf, zügig geht es damit in der Dämmerung Richtung Hotel. Beim Bezahlen nehmen wir uns allerdings vor, demnächst lieber Segelflieger und keine Motorflieger nach einer Hotelempfehlung zu fragen. Tag 3, 13.08. (Beilngries -> Pirna, 276 km): Der frühe Vogel kotzt den Wurm Das Wetter beim Frühstück gibt die Richtung vor: Nordosten. Daher nehmen wir uns Auerbach als Tagesziel und liebäugeln mit dem Norden von Berlin für die Folgetage. Die Prognosen mit unfliegbaren Frontensystemen von Westen ignorieren wir. Nicht ignorieren lässt sich aber das plötzliche Blitzen, Donnern und Regengeprassel. Tja, tun können wir

gerade eh nichts (außer TopMeteo Abbitte zu leisten), also erstmal weiter frühstücken und nach dem Regen los. Die Flieger stehen da, als wäre nichts gewesen, nur (noch) sauberer und nasser. Klar, dass es nach dem Regen und bei der Wetterlage nicht früh los geht. Dennoch, um halb eins starten wir entgegen dem Rat der Ortsansässigen. Und bereuen es schon bald bitterlich. Wir kämpfen eine halbe Stunde, wo es höchstens mal einen halben Kreis hoch geht, fluchen, überlegen, wieder zu landen, und entscheiden uns dann doch, nochmal den Motor zu nehmen. Und tatsächlich reicht dies nach einer weiteren halben Stunde K(r)ampf mit vermindertem Sinken und Nullschiebern, um den ersten erlösenden Bart zu finden. Wir sind also schon weichgekocht, bevor es richtig losgeht, und ich bin froh, dass wir uns heute früh drauf geeinigt haben, den Tag diesmal nicht bis zur letzten Thermik auszukosten, sondern beizeiten zu landen. Es wird halt doch immer spät sonst. Die Warmluft schüttelt uns weiter durch, und nur selten sind wir über 1000 m AGL unterwegs. Dennoch genießen wir die Landschaft, und um halb fünf überquere ich das erste Mal in meinem Leben segelfliegerisch die tschechische Grenze! Alle Mühen des Beginns sind vergessen, als wir schon bald darauf Kurs nehmen aufs Erzgebirge. Dabei sind wir vollkommen allein, weder Augen noch Flarm nehmen irgendeinen ande-

1 Angekommen in Vielbrunn

2 WeGlide-Flugspuren am 13.08., unsere hervorgehoben (dunkelblau). Das Knäuel im Nordwesten stammt von der Thüringer Landesmeisterschaft in Rudolstadt

ren Segelflieger wahr (was WeGlide bestätigt, siehe Bild 2). Auch die Bord-Bord-Frequenz haben wir komplett für uns alleine, wie eigentlich immer während der fünf Flugtage! Eine vollkommen neue Erfahrung für jemanden, der in Leverkusen fliegt, wo sich bei schwachen Lagen alle in dem einen Luftraumkorridor tummeln (und bei guten Lagen alle dort kanalisiert werden). Auerbach ist kurz darauf in Reichweite, doch im Erzgebirge gibt’s gegen halb sechs das erste Mal richtig runde Bärte. Also eine vorsichtige Anfrage bei Gregor, und schon ist von früh landen nicht mehr die Rede. Wir nehmen Kurs auf Dresden und lassen um sechs auch Großrückerswalde links liegen (Bild Startseite). Der Anflug auf Pirna über die Elbe in bleicher Abendsonne mit Heißluftballon neben uns (Bild 3) – Segelfliegerherz, was willst du mehr? Na ja, beim Wandern fällt einem da schon noch etwas ein: Jemanden, der uns vom schon einsamen Platz holt (wurde umgehend erfüllt, kaum dass wir standen), Unterkunft (ein Zimmer am Platz für uns),

30

segelfliegen 2 - 2022

Essen (Pizza gab’s), nette Gesellschaft (Pleidelsheimer auf Fliegerlager). Wandersegelfliegerherz, was willst du mehr? Tag 4, 14.08. (Pirna -> Rudolstadt, 252 km): Auf nach Westen! Von den guten Wettervorhersagen für den Norden Berlins ist nichts mehr übrig, die Prognosen für die nächste Woche sehen von Westen kommend dafür immer düsterer aus. Also ist klar: Zurück nach Westen, so weit es eben geht. Wir machen einen kleinen Spaziergang zum nächsten Supermarkt, kaufen die üblichen Äpfel und Müsliriegel, frühstücken, bewundern noch einen Lommatzsch FES-530/II „Lehrmeister“ (den einzigen noch fliegenden in Deutschland) und starten gegen eins. Da die Wilga für einen Rundflug verplant ist, muss Gregor an die Winde. Für die Reisekasse nicht schlecht, und der Turbo bringt ihn zu mir an die Ausläufer des Erzgebirges. Mit schwachem Steigen (früher hätten wir nicht starten dürfen!) mühen wir uns erst auf den Kamm und fliegen dann auf der tschechischen Seite nach Westen.

3 Im Queranflug auf die 12 in Pirna 4 Ankunft in Rudolstadt

Wer tief und langsam fliegt, lernt Gegend kennen. Braunkohletagebau, Petrochemie, darüber Wanderzentren und Bergdörfer. Wir sind wieder alleine unterwegs, die wenigen Bundesliga-Flieger aus Pirna versuchen ihr Glück im Osten. Nach zwei Stunden kreisen wir das erste Mal in einem Bart mit einer 1 vor dem Komma, es beginnt zu laufen, nur müssen wir dann leider ins Flache Richtung Thüringer Wald. Über diesen hinweg werden wir heute sicher nicht mehr kommen, daher funke ich die östlich davon gelegenen Plätze an. Rudolstadt bietet einen Abschlussabend der Thüringer Landesmeisterschaft, wer könnte da nein sagen? Wieder landen wir auf einem schon leeren Platz, werden dennoch umgehend versorgt (Bild 4), und haben sogar das Glück, ein Zimmer des bereits abgereisten Schlepppiloten zu kriegen. So können wir die Abschlussfeier genießen, erfahren einiges über das Fliegen in Thüringen – und können dem allgemeinen Gestöhne und der Außenlandestatistik entnehmen, dass wir mit unserer Wahrnehmung des Wetters der letzten Tage nicht alleine sind.

Tag 5, 15.08. (Rudolstadt -> Schweinfurt-Süd, 143 km): Finale Die Fronten kommen, ein Stückchen nach Westen wird es heute gegen zunehmenden Wind und unter Abschirmungen wohl noch gehen. Aber für die Tage danach sieht es ganz mau aus, mit wechselnden Wetterfenstern von wenigen Stunden. Ich versuche, telefonisch einen Hallenplatz in Würzburg zu organisieren, doch es gibt nur Verzurrmöglichkeiten draußen – immerhin. Ich bin nochmals froh, dass ich den Jaxida-Haubenbezug dabeihabe. Zum Frühstück dürfen wir uns den Rudolstädtern anschließen, und ich frage nach Ideen, um aus dem Lee in den Thüringer Wald einzusteigen. Der Waldrücken bei Pennewitz wird uns empfohlen. „Das hat gestern aber nicht funktioniert“ kommt prompt die Bemerkung einer Wettbewerbsteilnehmerin. Na ja, zu verlieren haben wir nichts. Da eine Schleppmaschine mit Pilot nicht mehr zur Verfügung steht, wird extra für Gregor die Winde aufgebaut. Und für mich

segelfliegen 2- 2022

31

5 Ab in die Hänger in Schweinfurt, nachdem das erhoffte Wetterfenster ausgeblieben war – die Wanderer waren dennoch glücklich

gibt’s sogar noch einen ersten Start mit Quintus auf Asphaltbahn. Vielen Dank Euch allen für die Gastfreundschaft! Tatsächlich finden wir trotz Abschirmung einen ersten schwachen Bart im Blauen bei Pennewitz, direkt an besagtem Waldrücken. Während ich an der Inversion kreisend auf Gregor warte, merke ich, dass es minimal weiter steigt. Vorsichtig ertaste ich das Steigen, es ist ruhig und ortsfest – eindeutig Welle. Nicht DIE Thüringer-Welle, klar, dennoch ein Hochgefühl, wir sind nun sogar Welle geflogen und die 300 zusätzlichen Meter können wir gut gebrauchen. Denn es bleibt mau, und westlich des Thüringer Walds kämpfen wir irgendwann nur noch ums Obenbleiben. Ich schlage vor, deutlich nach Süden auszuweichen, wo in der Ferne dicke Wolkenbänke locken. Gregor lehnt zum Glück ab – eine halbe Stunde später ist aus den Wolkenbänken ein Regengebiet geworden. Den nächsten Flugplatz habe ich bei Bodenakrobatik immer im Funk, und so höre ich, dass in Schweinfurt-Süd ein Segelflieger unterwegs ist. Fragen kostet nichts, daher erkundige ich mich, ob zufällig für ein paar Tage Platz in der Halle sei für einmal Offene und einmal 18-m-Klasse. Ich stelle mir vor, dies würde jemand bei uns am Platz fragen, und drehe vorsichtshalber den Funk leiser wegen des erwarteten lauten Gelächters. Aber nichts dergleichen, ein kurzes Nachfragen und

32

segelfliegen 2 - 2022

dann kommt die Antwort „Einer geht bestimmt rein, der andere vermutlich auch“. Es gehen tatsächlich beide, da der Duo für uns abgebaut wird (später wartet auf ihn Südfrankreich). Und beim abendlichen Zusammensitzen lernen wir wieder nette Menschen kennen und einen Verein, der auf Astire schwört und damit über 600 km fliegt. Als Krönung kriege ich als standhafter Bier-Verweigerer einen Frankenwein – stilecht aus dem Bocksbeutel. Schweinfurt, ich komme wieder! Tag 6, 16.08. (Schweinfurt Stadtrundgang): Hoffnung So ganz geben wir die Hoffnung auf ein Wetterfenster in den nächsten Tagen nicht auf, und da wir diesmal eine Segelfliegerin gefragt haben, können wir uns das Hotel auch zwei Nächte leisten. Also nutzen wir den Tag in Schweinfurt für einen Stadtrundgang – definitiv eine lohnenswerte Stadt mit (Industrie)kultur, auch wenn es gewisse Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Würzburg zu geben scheint. Dass wir dabei streng der vom Tourismusbüro vorgegebenen Route folgen (was ich sonst vehement ablehne, aber da muss ich ja auch nicht ständig Wetter schauen), wird meiner Frau später als weiterer Beweis der Janusköpfigkeit aller Segelflieger dienen. Irgendwie ist das Thema wieder präsent, seit ich den

Quintus vor dem Losfliegen selbstverständlich komplett gewachst habe, aber nach wie vor überzeugt bin, dass unser Auto das nach 7 Jahren noch längst nicht braucht (von der Notwendigkeit, Kratzer zu entfernen, ganz zu schweigen). Um es kurz zu machen: Das Wetterfenster kam nicht, und wir haben die Flieger dann zwei Tage später mit dem Hänger geholt (Bild 5) – nicht, ohne noch ein gebührendes Abschlussfoto zu machen. Irgendjemand schrieb im segelflug. de-Forum mal, er käme bei seinen Wandersegelflügen selten heim. Meine (begrenzte) persönliche Statistik bestätigt das – It’s a feature, not a bug! Fazit: Klar, es gibt Segelflieger, die km-mäßig an guten Tagen das, was wir in fünf Tagen erflogen haben, an einem schaffen. Muss man dafür also Wandersegelfliegen? Man muss nicht,

aber man sollte! Denn bei solch einer Wetterlage wäre ich zuhause höchstens einmal die ausgeleierte Strecke Aachen-Sauerland hin und her geflogen. Mit Gregor unterwegs war ich 27 Stunden in der Luft, habe neue Landschaften, Menschen und Vereine kennengelernt - und nicht zuletzt fliegerisch dazugelernt. Eigentlich wird sogar andersrum ein Schuh draus: Würde ich diese Woche tauschen gegen einen Hammerflug über dieselbe Strecke an einem Tag? Niemals, selbst wenn meine Fähigkeiten zu letzterem ausreichten (Konjunktiv!). Wandern ist eben doch die schönste Art des Segelfliegens! Und wenn sich jemand dabei unter den Kölner Luftraum traut, würde ich mich sehr freuen, ein klein wenig von der großen Gastfreundschaft, die wir erleben durften, zurückzugeben. Gerne auch an die gesamte Schweinfurter Astir-Flotte! t

Installieren Sie den kostenlosen SeeYou Navigator und schalten Sie Premium Funktionen mit dem SeeYou Abo frei

www.SeeYou.Cloud

Navigations Apps Aufgabenplaner Logbuch Lernen & Teilen Wetterintegrationen Gerätekopplungen

Enabling pilot excellence.

Lothar Dittmer | [email protected] | Tel.: 030 2175 2095

34

Zusätzlicher Sauerstoff ist kein Doping:

Fliegen mit dem EDS Wenn das Flugzeug unerwartet mit gigantischen und noch zunehmenden Steigwerten gegen die Stratosphäre schießt, kommen verschiedene neue Elemente ins Spiel: Luftraumgrenzen, Kälte, Geschwindigkeitsgrenzen oder Sauerstoffmangel – und eben der ist tückisch. Wenn ich mir die Flüge auf WeGlide und OLC anschaue, dann kommen mir Zweifel, ob sich alle Höhenflieger dieser Gefahren bewusst sind. Autor: Roland Bieri Bilder: Roiland Bieri, Mountain High Oxygen Systems, Dancing with the Wind

segelfliegen 2 - 2022

35

E

rlebnisbericht eines Piloten: Ein unerwarteter, hypoxischer Zwischenfall als „pilot flying“ (26.11.2008, Patagonien, Nimbus 4 DM auf FL 250) begann mit einem nicht abklingen wollenden, unerklärlichen leichten Hüsteln aus heiterem Himmel (unerklärlich, da vorgängig weder erkältet, noch hat er sich verschluckt). Logischerweise konnte der Pilot derart nicht mehr gleichzeitig tief einatmen und somit auch sein EDS mit Setting F10 nicht mehr triggern, weshalb er versuchte, im Hinblick auf den erhofften Überlebensfall, die F-Position noch schnell auf R/M (maximale Sauerstoffversorgung) zu rasten. Dabei konnte er, obwohl noch bei geringem Restbewusstsein, die angewählten „Settings“ bereits nicht mehr entziffern, da seine Sicht schon grob unscharf war. Sodann schrumpfte sein Gesichtsfeld bis zum Tunnelblick und er befand sich in einem stuporösen Zustand, einem Handlungsunvermögen bei noch offenen Augen. Hingegen funktionierte das Gehör noch einigermaßen, denn er vernahm vom hinteren Sitz deutlich den Aufschrei: „Fliegst du dieses Flugzeug oder nicht“? Während sowohl das ständige Hüsteln wie auch die Handlungsunfähigkeit keine verbale Antwort mehr zuließ, fühlte er am heftigen Ruck des Knüppels, dass der hintere Pilot glücklicherweise das Steuer übernommen hatte. Offenbar hatte aber auch der ebenso schwer hypoxische Hustenreflex bei noch erhaltener Spontanatmung den Geist aufgegeben, denn als der Pilot wieder zu sich kam (weil sein EDS nun wieder periodisch getriggert wurde) und sich nach einigen Minuten sogar wieder einigermaßen flugfähig fühlte, erwies sich die angewählte F-Position nicht als die vermeintlich gerastete R/M, sondern wurde wegen verkehrter Drehrichtung auf N (gottlob nicht auf Off...!) vorgefunden.

36

segelfliegen 2 - 2022

Dieser saugefährliche Zwischenfall hätte im Einsitzer tödliche Folgen gehabt. Weitere schwere hypoxische Vorfälle bei anderen Piloten sind in Jean-Marie Cléments reich bebildertem Buch „Danse avec le vent/Dancing with the wind“ im Kapitel 12 ausführlich beschrieben und erklärt. Wellenfliegen wird immer populärer und die Winterpause für Segelflieger ist auch in Europa am Ausklingen. In den Wellen tragen uns die Aufwinde in Höhen, welche den Thermikflieger zuerst staunen lassen und kurz darauf in Schwierigkeiten bringen können. Mit dem Electronic Delivery System EDS von Mountain High haben wir ein geniales Gerät, welches den Alpensegelflug generell und die Wellenflüge im Speziellen sicherer machen. Diese Geräte haben aber ihre Grenzen, welche der Benutzer kennen muss. Auswirkungen des Sauerstoffmangels Mit zunehmender Höhe kann der Mensch aus der dünner werdenden Luft immer weniger Sauerstoff aufnehmen. Die Vorschriften für den Segelflug sind etwas elastisch formuliert: „Wenn der verantwortliche Pilot nicht feststellen kann, wie sich der Sauerstoffmangel auf die Personen an Bord auswirkt, sollte er sicherstellen, dass alle Insassen während der Zeit, in der die Druckhöhe über 10000 Fuß liegt, zusätzlichen Sauerstoff verwenden“ (EASA Easy Access Rules for Sailplanes, AMC1 SAO.OP.150). Effektiv beginnen die Auswirkungen schon unter 3000 m, langsam und in der Regel unbemerkt und mit zunehmender Höhe immer dramatischer: l abnehmende Neugier und Entscheidungsfreude, unerklärliche Müdigkeit, Vergesslichkeit l verminderte Konzentration, man wird unkritisch, verspätete, oberflächliche, unvollständige Gedankengänge und Reaktionen, fehlende Aufmerksamkeit für langsam sich einstellende Veränderungen, leichtes Kopfweh

l Anstrengungsatemnot (beim Pinkeln,

Karte hervorzerren etc.), Sehschwierigkeiten (Unschärfe, Akkommodationsverzögerung, Gesichtsfeldeinschränkung, nachlassendes Farben Sehen) l Hyperventilation, Muskelkrämpfe, Motivationsverlust, Stirnkopfweh, kalte Extremitäten, Ameisenlaufen, Druck auf der Brust, Herzklopfen, Übelkeit trotz Flugerfahrung, Augenbrennen, ständiges Gähnen, abnormale Müdigkeit mit kurzem Einnicken, Kraftlosigkeit l Bewusstlosigkeit mit den entsprechenden Folgen im Flug Selbstverständlich reagieren wir individuell sehr verschieden. Junge, gesunde Menschen vertragen in der Regel deutlich mehr als Ältere. Eine lang andauernde, milde Hypoxie (acht Std. auf 3000 bis 4000 m) führt auch schon zu Symptomen wie eingeschränkter visueller Wahrnehmung, verminderte Konzentration, Einnicken etc. Häufig werden diese Symptome nicht bewusst wahrgenommen und weil in den Alpen vielfach nahe am Gelände und auf Flugrouten mit viel Verkehr geflogen wird, können sie gravierende Auswirkungen haben. Kollisionen mit dem Gelände oder Strömungsabrisse am Hang sind in den Alpenländern leider eine häufige Unfallursache – ob jeweils Sauerstoffmangel eine Rolle spielt, kann im Nachhinein nicht festgestellt werden. Wie funktioniert das EDS? Wichtig: Die folgende, kurze Zusammenfassung ersetzt nicht das Studium des EDS-Manuals! Es gibt verschiedene EDS-Typen, die hier nicht im Detail beschrieben werden. Auf den Bildern sind Geräte der zweiten Generation (EDS 2G) zu sehen. Bild 1: An der Sauerstoffflasche (a) wird ein Druckreduzierventil (b) angeschlossen, welches den Flaschendruck auf 1,5 bar reduziert. Damit das EDS richtig funktioniert, muss der Verbin-

1

2

dungsschlauch (c) möglichst kurz sein und darf nicht geknickt werden. Am Ausgang des EDS (d) wird die Kanüle (e) oder Maske angeschlossen. Der Schlauch soll so kurz wie möglich sein, damit das EDS genügend Sauerstoff abgibt. Der Schlauch (c) wird am roten Anschluss eingesteckt, die Kanülen (e) am blauen (Bild 2). Beim Einatmen wird durch den entstehenden Unterdruck ein kurzer Sauerstoffpuls ausgelöst. Auf diese Art wird die Einatmungsluft mit zusätzlichem Sauerstoff angereichert. Die Pulsdauer ist abhängig von der Flughöhe und soll die abgegebene Sauerstoffmenge so regulieren, dass die Sättigung des Blutes etwa konstant bleibt. Angestrebt wird

eine andauernde Sättigung von über 90  %. Der Benutzer wählt mit dem Modus-Selektor, ob sofort oder erst ab einer bestimmten Höhe ein Puls ausgelöst wird: Stellungen N (sofort), D5 (ab 5000 ft) oder D10 (ab 10000 ft). Durch den Puls zu Beginn des Atemzuges wird praktisch kein Sauerstoff vergeudet; der Puls kann deshalb sehr kurz sein und dies macht die EDS-Anlagen so sparsam. Auf den Stellungen F (Facemask) wird der Puls zusätzlich verlängert, um den Wirkungsverlust auszugleichen, der entsteht, weil mit der Maske der Sauerstoff nicht mehr direkt in die Nasenlöcher injiziert wird. Bei einem Druckabfall (leere Flasche, geknickte Leitung etc.) oder wenn

1 Sauerstoffanlage mit EDS 2 EDS 2G für Doppelsitzer oben, darunter das Gerät für Einsitzer. Im Doppelsitzer können auch zwei Einsitzer-Geräte eingesetzt werden. Die Leitung vom Druckregulierer wird am roten Anschluss, die Kanülen an den blauen Anschlüssen eingesteckt. Über den Modeselektor kann gewählt werden, ab welcher Höhe wieviel Sauerstoff geliefert werden soll

während längerer Zeit nicht geatmet wird (Apnoe-Warnung), wird eine optische und akustische Warnung ausgelöst. Wie wird das EDS richtig benutzt? Für eine optimale Sauerstoffversorgung gilt es, einige Feinheiten zu beachten. Wie schon erwähnt müssen die Leitungen knickfrei sein. Gerade bei der Kanüle oder Maske muss das im Flug immer mal wieder kontrolliert werden – z.  B. nach dem Essen oder anderen Aktivitäten, welche im engen Cockpit für Unordnung sorgen können. Es soll auch schon vorgekommen sein, dass beim Schließen der Haube die Leitung eingeklemmt worden ist. Vor dem Flug wird das Flaschenventil

segelfliegen 2 - 2022

37

geöffnet und der Druck in der Flasche kontrolliert: Reicht die Restmenge für den geplanten Flug aus? Dann folgt eine Funktionskontrolle, der Pilot stellt sicher, dass die Batterien des EDS noch frisch sind. Der Sitz der Kanülen in den Nasenlöchern ist entscheidend, damit der Unterdruck beim Einatmen die Sauerstofflieferung richtig auslöst. Die Kanüle muss genau symmetrisch, wie auf Bild 3, positioniert sein. Der Puls ist ein gut hörbarer kurzer Zischlaut. So kann die Funktion akustisch kontrolliert werden. Damit der zusätzliche Sauerstoff eingeatmet wird, muss durch die Nase geatmet werden und ein normal tiefer Atemzug sorgt dafür, dass möglichst viel davon bis in die Lungen kommt. Eine zu hohe Atemfrequenz oder zu flache Atmung löst keinen Puls aus und die angereicherte Luft wird nicht vollständig in die Lungen eingesogen. Eine bewusste, kontrollierte Atmung ist nötig und kann auch trainiert werden. Das EDS kann verschiedene Piepstöne von sich geben und dreifarbig blinken. Ich bin im Flug nicht imstande, die gepiepsten Feinheiten zu unterscheiden, weiss aber, dass es drei Gründe zum Piepsen gibt: Apnoe (Atemstillstand), Flowfehler oder schwache Batterie. Apnoe ist (bei mir) der häufigste Auslöser, weil ich auf etwas anderes konzentriert bin und dabei den Atem anhalte oder durch den Mund atme. Bewusst einatmen, den Zischlaut hören – wenn der Alarm weggeht, ist alles ok. Wenn es weiterpiepst, kontrollieren, ob nicht ein geknickter oder herausgerissener Schlauch der Grund ist oder ob die Flasche leer ist. Wenn das Problem nicht gelöst werden kann, muss die Flughöhe abgebaut werden. Ein Batteriewechsel im Flug ist je nach Gerätetyp nicht einfach. Nach dem Flug muss das Gerät ausgeschaltet und die Leitung drucklos gemacht werden, um Batterien und System zu schonen.

38

segelfliegen 2 - 2022

3 Richtiger Sitz der Nasenkanüle: genau symmetrisch in der Nase, um die Ohren geschlauft

Grenzen des EDS Wie hoch können wir mit einem EDS steigen, welche Limite müssen beachtet werden? In einem Text von Mountain High steht, man habe mit der Kanüle bis in Höhen über 30000 Fuss eine Sauerstoffsättigung von mehr als 90  % erreicht, trotzdem müsse über 18000 Fuß gem. FAR 231447 eine Maske verwendet werden. Wie sieht das im richtigen Leben aus? Im Jahr 2012 befasste sich eine Bachelorarbeit der ZHAW mit dem Thema Sauerstoffbedarf auf langen Alpenflügen und dem EDS. Es wurden mit verschiedenen Geräten Versuche in der Unterdruckkammer bis 7500 m und auf einem Flug mit Pilatus PC-6 bis 6000 m durchgeführt. Die Sauerstoffaufnahme von verschiedenen Probanden wurde aufgezeichnet und ausgewertet. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass junge, gesunde Piloten den fehlenden Sauerstoff durchwegs deutlich besser kompensieren können als Ältere, Raucher oder Übergewichtige. Es zeigte sich aber auch, dass die EDS-Geräte

ihre Grenzen haben – die schauen wir uns im Folgenden genauer an. Druckreduzierventil: Eine volle Flasche hat einen Druck von 200 bar. Der dynamische Druck nach dem Druckminderer ist hoch genug, solange der Flaschendruck über ca. 50 bar ist. Darunter muss davon ausgegangen werden, dass bei gleicher Pulslänge immer weniger Sauerstoff abgegeben wird, ohne dass der Nutzer das merkt (Bild 4). Theoretisch könnte das mit einem höheren F-Modus kompensiert werden; besser ist es, Höhenflüge abzubrechen, wenn der Restdruck unter 50 bar sinkt. Maximale Sauerstoffmenge: Bei den Versuchen in der Unterdruckkammer wurde die gelieferte Sauerstoffmenge pro Puls in den verschiedenen Modi gemessen. Es wurden Geräte der zweitletzten Generation verwendet, deshalb haben die Modi eine etwas andere Bezeichnung. Das Funktionsprinzip hat sich nicht geändert. Im Bild 5 sehen wir, wie die Menge in Abhängigkeit der Höhe zunimmt bis auf maximal ca. 120 ml. Die blaue Kurve zeigt die Abgabemenge der Modi N und D. In den F-Modi (grün) liefert ein längerer Puls zusätzlichen Sauerstoff (für die Maskenbenutzung oder individuell höheren Bedarf). Der Modus R/M produziert bei jedem Puls die maximale Länge und liefert damit die maximal mögliche Sauerstoffmenge von ca. 120 ml (diesen Modus gibt es bei den neueren Geräten nicht mehr). Die Messungen ergaben, dass in den Modi N (D5, D10), F5 und F10 mit zunehmender Höhe wie gewünscht immer mehr Sauerstoff geliefert wird. Interessant ist nun die Tatsache, dass bei F20 und F15 bereits ab 5000 bzw. 6000 m die maximale Abgabemenge erreicht wird. Das bedeutet in der Praxis: Wer sich mit einem F-Modus etwas mehr Sauerstoff gönnen will, kann das nur bis etwa 6000  m, darüber hinaus begrenzt die maximale Pulsdauer die Zufuhr! Nach

4

5

4 Bei einem Flaschendruck unter 50 bar ist der dynamische Eingangsdruck am EDS an der Grenze für eine korrekte Funktion. Unter 30 bar liefert das Gerät nicht mehr genug Sauerstoff. 5 Mit zunehmender Flughöhe nimmt die Pulslänge und damit die abgegebene Sauerstoffmenge zu. Achtung: Die maximale Menge wird bei einigen Modi bereits ab 5000 m erreicht!

segelfliegen 2 - 2022

39

6

6 Links die Nasenkanüle,

rechts die EDS-Maske. Die Kanüle ist viel effizienter!

7 Die Zeit, welche bei Ausfall der Sauerstoffversorgung zur Verfügung steht, um sich zu retten (EPT steht für Effective Performance Time)

meinem Kenntnisstand haben auch die EDS der neuesten Generation diese Einschränkung. Maske statt Kanüle: Mit der Maske (Bild 6), welche über 18.000 Fuß eingesetzt werden müsste, wird die Versorgung sogar noch schlechter! Im Gegensatz zur Kanüle, welche den Sauerstoff direkt in die Nase leitet, ist der Schlauchanschluss unten an der Maske, dadurch wird nur die Luft in der Maske angereichert. Die Problematik mit der limitierten Pulslänge bleibt bestehen Bei den Patagonien-Flügen wurden zwei EDS parallel verschlaucht, das richtige Atmen trainiert und die Sättigung konstant überwacht. Im Doppelsitzer können sich die Piloten gegenseitig überwachen, trotzdem wurden bei den Flügen in Patagonien immer wieder Situationen mit teilweise gravierender Sauerstoff-Unterversorgung aufgezeichnet! Der eingangs beschriebene

40

segelfliegen 2 - 2022

7

Vorfall dokumentiert dies eindrücklich. Weil Sauerstoffmangel schwierig zu erkennen ist, wäre eine Kontrolle der Blutsättigung sehr hilfreich. Wenn die Sättigung gegen 90% sinkt, kann der Modus eine Stufe höhergestellt werden. Es gibt billige Fingerclip-Pulsoxymeter und Fitnessuhren, welche die Sättigung messen können. Diese Messungen ist leider unzuverlässig, die Genauigkeit lässt zu wünschen übrig oder sie funktioniert im Flug nicht wegen Streulichteinfall. Bei leerer Flasche oder einer Panne kann die Sauerstoffversorgung auch schlagartig ausfallen. Die Zeit, in welcher wir handlungsfähig bleiben zur Rettung, ist die sogenannte „Effective Performance Time“ EPT (Bild 7). Die mit einem Überwachungsarzt in der Unterdruckkammer gemessenen Werte müssen für den Piloten im Segelflugzeug auf die Hälfte reduziert werden.

Auf 6000 m haben wir gut fünf Minuten Zeit, um vernünftig zu reagieren, weiter oben wird es sehr schnell sehr kritisch – und die Zeit läuft auch schon, wenn die fehlende Sauerstoffversorgung noch nicht bemerkt worden ist! Deshalb muss in diesen Höhen zusätzlich eine unabhängige Notversorgung mit an Bord sein (z. B. Oxy-Miniset). Fazit: Zu wenig Sauerstoff ist heimtückisch, eine Hypoxie ist schwer zu erkennen. Jeder Mensch reagiert anders auf Sauerstoffmangel, mit zunehmendem Alter ist man leider nicht im Vorteil. Ich beschreibe hier meinen Umgang mit der Materie ohne Anspruch, dass dieser für jeden richtig ist. Die Nasenkanüle installiere ich schon vor dem Start und mache eine Funktionskontrolle der Anlage am Boden. So ist sichergestellt, dass das Flaschenventil geöffnet ist und die Anlage läuft. Das

EDS ist so positioniert, dass ich im Flug den Modus umstellen und die Kontrollleuchten sehen kann. Bei Alpenflügen benutze ich das Gerät konsequent vom Start weg im Modus D, auch wenn keine Wellen in Sicht sind. In Vor-EDS-Zeiten kam es häufig vor, dass ich am Abend nach einem achtstündigen Flug zwischen drei und viertausend Metern sehr müde war, manchmal Kopfweh hatte – das gehört der Vergangenheit an. Ich achte auf das Zischen – trotzdem erwischt es mich gelegentlich in einer Phase höherer Konzentration mit einer Apnoewarnung. Dann ist Entspannung und bewussteres Atmen angesagt. Richtig atmen: Durch die Nase tief einatmen, die Luft eine Sekunde anhalten, langsam ausatmen; etwa zehn bis zwölf Atemzüge pro Minute. Achtung: Wenn die Atemfrequenz zu hoch ist (weil man es besonders gut machen will), besteht das Risiko einer Hyperventilation. Das EDS ist sehr effizient und verschwendet praktisch keinen Sauerstoff. Für normale Thermikflüge zwischen 2500 und 4000 m reicht die 3,8 l-Flasche für ca. 50 Flugstunden. Bei Föhnflügen viel weniger lange. Die Batterien muss ich etwa zweimal pro Saison wechseln, Kälte reduziert die Batterieleistung. Bei der Flugsicherung verlange ich grundsätzlich keine Freigaben über 6000 m.

Im Doppelsitzer ist mir bei Flügen mit weniger erfahrenen Piloten aufgefallen, dass – wenn es fliegerisch anspruchsvoller wird – die Warntöne des EDS nicht mehr wahrgenommen werden. Das kann minutenlang piepsen ohne eine Reaktion, das wird auch im Einsitzer für

Anmerkung des Autors: Ich habe den ersten Entwurf dieses Artikels dem segelfliegenden Anästhesiologen Heini Schaffner vorgelegt. Seine Beurteilung war ernüchternd: viel zu harmlos, zu wenig detailliert, das kannst du so nicht bringen! Er hat mir dann seine Version geschickt – mein Kommentar dazu: viel zu komplex, das liest kein Nichtakademiker bis zum Ende. Nach einem verbalen Schlagabtausch haben wir uns auf folgendes Vorgehen geeinigt: Ich konzentriere mich auf die prakti-

Ungeübte gleich sein. Wer mit einem Fluggast in dünner Luft unterwegs ist, übernimmt eine zusätzliche Aufgabe. Vor dem Start muss der Gast gebrieft werden und das EDS muss vom Piloten im Flug bedient und für zwei Personen überwacht werden können. t

sche Anwendung des EDS und lasse komplizierte Erklärungen weg. Damit kann jeder das EDS innerhalb seiner Grenzen zweckmäßig einsetzen und seine Flüge sicherer machen. Wer es genau wissen will, findet am Ende des Artikels einen Link zum Aufsatz von Heini Schaffner mit allen detaillierten Erklärungen zu den Auswirkungen der Hypoxie. Ich hoffe, dass dank diesem Artikel in Zukunft kein Flachlandflieger ohne EDS in seinen Fliegerurlaub nach Südfrankreich reist.

Weitere Literatur und Links: Artikel von Heini Schaffner: www.segelflug.ch/wp-content/uploads/ 2022/02/Fliegen-mit-dem-EDS_HS.pdf Tutorials: www.mhoxygen.com/category/videos/ Dancing with the Wind von Jean-Marie Clement, ISBN 978-88-903432-4-7

„Aller guten Dinge sind DREI“ ...passt auch gut zu uns (Segel-)Fliegern. Denn das reine Lesen von Checklisten bewahrt weder vor einem zeitkritischen Ereignis, noch eröffnet sich damit ein valider Notfallplan.

Autoren: Tino Janke und Kerstin Mumenthaler

Was gehört alles zu einem vollständigen Briefing? Der Mediziner würde in diesem Zusammenhang die Checkliste wohl mit einer „Präventivmaßnahme“ gleichsetzen – denn sie bewahrt uns vor vermeidbaren Fehlern. Hingegen sind im Fall des Falles schon eine „Erste Hilfe“ oder eben die richtigen Notfallmaßnahmen umgehend gefordert. Neudeutsch sind diese auch als „Boldface items“, „Memory Items“ oder „Critical Action Procedures“ bekannt. Und diese müssen wir – wie auch der Rettungssanitäter – schlicht und einfach auswendig wissen! Zu guter Letzt kommt es darauf an, mit

42

segelfliegen 2 - 2022

einer geeigneten Strategie wieder aus der misslichen Lage herauszufinden. Vergleichbar mit der „Regeneration“ nach dem „Schock“ finden wir uns in der neuen Situation zurecht und versuchen, bestmöglich damit umzugehen! Beispiel Windenstart Um die einzelnen Elemente eines komplexen Briefings kennenzulernen, schauen wir sie uns zunächst am Beispiel des Windenstarts jedes für sich an. Denn leider birgt der Windenstart eine Vielzahl von Tücken, die auch regelmäßig zu schweren Unfällen führen. Um so wichtiger ist die strukturierte Vorbereitung!

1.NORMALE CHECKLISTEN – die „Präventivmaßnahme“ Wie schon im segelfliegen magazin 06/2021 beleuchtet, sind „normale Checklisten“ unverzichtbar für eine sichere Flugdurchführung. Wichtige Erkenntnis war: l Checklisten sind alternativlos und müssen GELESEN werden l Checklisten unterscheiden sich in „Follow up“ oder „To-Do“-Checklisten – sie richtig anzuwenden, gilt es zu trainieren! l Checklisten müssen logisch aufgebaut und „lesbar“ sein – sind sie fehlerhaft, zu lang oder unlogisch, werden sie nicht benutzt!

Die für den Windenstart relevante „Normale Checkliste“ ist die „Vor dem Start“-Checkliste, wie sie unter anderem bezeichnet wird. Hier im Beispiel der „Vor dem Start“-Checkliste eines weit verbreiteten Schuldoppelsitzers befinden sich am Fuß der Liste die Punkte „2“ und „3“, die auf zwei weitere unverzichtbare Elemente der unmittelbaren Flugvorbereitung hinweisen. Im entferntesten Sinne kann man die Punkte „Startstrecke und Ausklinkraum“ sowie „Windverhältnisse“ dem Notfallbriefing sowie die „Startunterbrechung“ dem Notverfahren zuordnen. Schauen wir uns diese einmal im

Notfallbriefing

Einzelnen an, um am Ende ein schlüssiges Briefing zusammenzustellen! 2. NOTFALLBRIEFING/STRATEGIE – die „Regeneration“ Ganz gleich, wie hektisch es vor einem Start auch zugeht, auf ein Element darf nicht verzichtet werden: das Zurechtlegen einer Strategie für den Fall, dass etwas nicht so läuft wie erwartet, der viel zitierte Plan „B“ also! Und da es eine Vielzahl von Einflussgrößen gibt, beinhaltet das sogenannte „Notfallbriefing“ mitunter auch eine Vielzahl von Plänen und möglichen Strategien. Und diese können sich an einem Platz, selbst mit immer dem gleichen Flugzeug, bei

fly safely

„Vor dem Start“-Checkliste

jedem Windenstart ändern. Deswegen ist es unmöglich, die Strategie als „Patentrezept“ starr auf eine Checkliste zu drucken. Vielmehr ist das Procedere vor jedem Start individuell den aktuellen Bedingungen anzupassen. Bekannte Einflussgrößen, die unsere Strategie für einen Seilriss beeinflussen, sind unter anderem: l Flugzeugtyp (mit oder ohne Wölbklappen) l Gewicht/Beladung (mit oder ohne Lehrer, Wasser-, Trimm-, Spornballast) l Wind (Richtung & Stärke/Rückenwind) und Wetter (Böen, niedrige Wolken etc.)

segelfliegen 2 - 2022

43

fly safe ly

l Platzverhältnisse (z. B. abschüssige

Flächen, Rasenmaat, Verkehr)

l Außenlandeflächen u. v. m.

Auch wenn diese Punkte von Tag zu Tag und/oder Flug zu Flug variieren (können), sind sie doch vor dem Start leicht zu erkennen – wenn man denn darauf achtet! Unbekannte Einflussgrößen Was wir definitiv nicht wissen ist, ob, und wenn ja, wann und wo unser Seil reißt! Auf diese Unbekannten ist das Notfallbriefing abermals auszurichten. Denn auch hier ändern sich die Strategien entsprechend der zuvor genannten Randgrößen bei jedem Start aufs neue. So ist die Strategie z. B. bei starkem Wind von vorn zwangsläufig eine andere, als wenn er an einem warmen Sommertag nur schlaff von der Seite oder sogar von hinten kommt! Oft ergeben sich nicht nur auf dem Startplatz verschiedene Möglichkeiten, häufig müssen auch Außenlandeflächen außerhalb der Flugplatzbegrenzung in Betracht gezogen werden. Diese nicht selten mit bestimmtem Anflugweg und/ oder hangaufwärts... 3. NOTVERFAHREN – die „Erste Hilfe“ Vor der zu fliegenden Strategie ist jedoch erst einmal sicherzustellen, dass wir überhaupt noch fliegen! Vielen Unfällen beim Windenstart ist gemein, dass z. B. die Umkehrkurve eingeleitet oder die Klappen gezogen werden, bevor die Fahrt anliegt. Der anschließende Strömungsabriss ist dann nur selten abzufangen. Aus diesem Grund ist in unserem – zeitkritischen – Beispiel nach dem Erkennen der Startunterbrechung SOFORT zu reagieren. Es bleibt keine Zeit zu überlegen oder eine Checkliste zu befragen. Nachdrücken, Fahrt aufholen, Auskuppeln – so oder so ähnlich müssen die ersten Handgriffe ausgeführt werden, und erst danach wird die Entscheidung über eine mögliche Strategie getroffen. Dieser Handlungsablauf muss dafür jedoch

44

segelfliegen 2 - 2022

Startvorbereitung am Beispiel Windenstart

lange vor dem Flug verinnerlicht werden und jeder Zeit abrufbereit in der mentalen Schublade liegen. Dazu braucht es regelmäßige Wiederholung! Auch Verkehrspiloten wiederholen vor jedem Takeoff aufs Neue die wenigen Handgriffe (Notverfahren), die im Falle eines Startabbruchs notwendig sind. Danach geht es an die Strategie. Wie erfolgt der Steigflug, wo wird eventuell (nicht) gelandet? Eine kurze Routine, die nicht lang dauern muss und auch nicht weh tut, aber viel Vertrauen schafft! Das komplexe Briefing Ordentlich sortiert könnte eine Startvorbereitung für unseren Windenstart wie folgt aussehen: 1. Lesen der Checkliste „Vor dem Start“ 2. Wiederholung „Notverfahren“ 3. Strategie ausarbeiten Die Stichpunkte der Strategie sind hier nicht als feste Werte zu verstehen, sondern eben nur Stichpunkte darstellen, die bei der Strategiefindung helfen sollen!

In einer „perfekten Welt“ hätte man all diese Elemente im Winter zuvor so lange im (Segelflug-)Simulator trainiert, bis der Startabbruch in jeder beliebigen Höhe bei den unterschiedlichsten Bedingungen gemeistert wird. Gefahrlos! Denn immer wieder erleben wir auch in der Ausbildung Unfälle oder sind in der Vielfalt des Trainings eingeschränkt. Auch in der Verkehrsluftfahrt gab es eine Zeit, bei der mehr Menschen während des Trainieren eines Fehlers verunglückt sind als beim Erleben dieses Fehlers in der Realität. Dieser Umstand hat vor ca. 40 bis 50 Jahren die Entwicklung von Simulatoren massiv voran getrieben. Seit dem ist die Zahl der tödlichen Unfälle im Training auf Null zurück gegangen! In einer noch perfekteren Welt würde man all diese Elemente zusätzlich für den F-Schlepp sowie Eigenstart aufarbeiten, trainieren, briefen.... Denn auch hier schlummern viele Gefahren, die durch die konsequente Benutzung von Checklisten, die unbedingte Kenntnis von Notverfahren und das Vorhanden-

sein einer Strategie gemindert werden können! Fazit: Der vorliegende Artikel erhebt keinen Anspruch darauf, für einen bestimmten Tag, an einem bestimmten Platz mit einem bestimmten Flugzeug usw. den Windenstart zu „briefen“. Vielmehr wurde der Windenstart als ein Beispiel von vielen herangezogen, die mit strukturierten Briefings sicherer gemacht werden können. Denn wenn z. B. auch die „Vor dem Start“-Checkliste regelmäßig genutzt wird, ist sie allein noch nicht die ganze Wahrheit. Wie schon eingangs erwähnt: „Aller guten Dinge sind drei“: Checkliste, Notverfahren und Strategie! t

Unsere Autoren: Kerstins Berufung ist Pilotin, ihre Leidenschaft die Flugsicherheit und ihre Vision ist es, die Expertise aus der professionellen Luftfahrt auch in andere Bereiche und Branchen zu übertragen. aim4safety.eu

Airlines und Segelflugvereine haben mehr Gemeinsamkeiten, als man denkt. Trotzdem unterscheiden sich beide beim Umgang mit Notverfahren und Checklisten gravierend.  Tinos Idee ist es, das Gute aus beiden zu verbinden. easymemoryitem.com

Bevor wir euch in einer der nächsten Ausgaben noch mehr konkrete Tipps geben, welche Maßnahmen erfolgsvorsprechend sind, möchten wir zuerst eure Meinung wissen: Wie handhabt ihr das Thema „Flight Safety“ bei euch im Verein? Share your experience – erzählt uns, wie es bei euch läuft: [email protected]

VON FLIEGERN FÜR FLIEGER:

6 PE 0 JA SC H H RE KE

IHR KOMPETENTER PARTNER FÜR LUFTFAHRTVERSICHERUNGEN.

SIEGFRIED PESCHKE KG VERSICHERUNGSVERMITTLUNG

Tel: +49 (0) 89 744 812-0 www.peschke-muc.de

H E X E N werk Die Launen der Thermik

46

segelfliegen 2 - 2022

Heute beginnen wir aufzuschlüsseln, wie die Konvektion selbst die Voraussetzungen dafür schafft, dass Thermik so unterschiedlich ausfällt, wie wir sie in der Praxis immer wieder erleben: Aufwinde können an ein und demselben Tag zwischen lausigen Nullschiebern und Hammerbärten variieren.

Autor: Henry Blum

segelfliegen 2 - 2022

47

S

obald Luft aufsteigt (es spielt übrigens keine Rolle, ob Warmluft als Thermik beginnt aufzusteigen oder ob Luft an einem Berghang hochgedrückt wird), sinkt ihr Umgebungs-Druck. In der Folge dehnt sich unser Luftpaket aus. Die Luftmoleküle haben mehr Platz, um sich zu bewegen, und in der Konsequenz sinkt auch die Temperatur. Übrigens immer um genau ein Grad Celsius pro 100 Meter Höhen-Unterschied. Umgekehrt gilt übrigens auch: Sobald Luft aus größerer Höhe absteigt, gerät sie unter höheren Umgebungs-Druck. Die absteigende Luft wird komprimiert und ihre Temperatur steigt an. Auch hier liegt die Temperatur-Zunahme bei genau einem Grad Celsius pro 100 Meter Höhen-Unterschied. Thermik, die als warme Luft anfängt aufzusteigen, wird ihrerseits durch absinkende Luft aus der Höhe ersetzt. Auch wenn die ersten Blasen nur wenige hundert Meter aufsteigen, so kühlen sie sich doch um den eben erwähnten Wert

8.00

9.15

von einem Grad Celsius pro 100 Meter ab. Die zwecks Massenerhalt zum Ausgleich absinkende Luft erwärmt sich beim Abstieg wieder um eben ein Grad Celsius pro 100 Meter. Die Folge: Sobald Konvektion einsetzt, entsteht eine durchmischte Schicht, deren Temperatur-Abnahme mit der Höhe genau 1 °C entspricht. Immer! Und das bis etwa ans obere Drittel der Wolken-Untergrenze, selbst wenn die, wie in Namibia zum Beispiel, erst in über 5000 Metern MSL zu finden ist. Am Bild 1 kann man diese Entwicklung wunderbar nachvollziehen. Sie zeigt die Erwärmung der konvektiven Schicht im Laufe eines Vormittags, an dem die Sonne ungehindert einstrahlt. Jede der hellroten Linien zeigt die Messung zu einer bestimmten Uhrzeit. Der erste kleine Zipfel unten links entsteht um 05:30 Uhr morgens. Die zweite Linie zeigt den Temperaturverlauf um 08:00 Uhr. Die dritte von links den um 09:15 Uhr und so weiter bis zur letzten Linie mit den Messdaten von 13:00 Uhr. Sehr schön zu sehen ist auch die Überwär-

10.00

11.00

mung der bodennahen Luftschicht, der überadiabatischen Schicht, aus der die Thermik gespeist wird. Über die hatten wir in den letzten beiden Artikeln schon ausführlich gesprochen. Die thermik-durchmischte Luftschicht, in der wir später fliegen werden, zeigt also eine konstante Temperatur-Abnahme mit der Höhe von exakt 1 °C/100 Meter. Sie wird hier im Bild als adiabatische Schicht bezeichnet und endet an der Untergrenze der entstehenden Quellwolken. Nur oberhalb der Basis haben wir andere Temperatur-Verhältnisse, auf die wir später zu sprechen kommen. Praxistipp Gestattet mir an dieser Stelle bereits einen wichtigen Hinweis für die Praxis: Eine Temperatur-Änderungsrate von einem Grad Celsius pro 100 Meter Höhen-Unterschied nennt man in der Meteorologie eine (trocken-)indifferente Schichtung. Man spricht auch von einem Gradient (einer Temperatur-Änderungsrate) von Eins! – Das heißt aber, die Luftmasse ist weder labil (dann

1 Ausbildung einer konvektiven Schicht

13.00

Höhe

Cumuluswolken Schicht

1500 m

3/8 5.30 MEZ 1/8 1/8

0

Adiabatische Schicht

500 m 0 0 0 0

-5°C

0°C

0°C

0°C

0°C

0°C

0°C

5.30 MEZ

8.00

9.15

10.00

11.00

13.00

Überadiabatische Schicht

Änderung des Temperaturverlaufs in den untersten 2000m der Atmosphäre am 26.04.74 in Meppen von 5.30 bis 13.00 Uhr. (Daten aus Beyer, Roth, 1977 – gefunden bei Müller, Kottmeier, 1984).

48

segelfliegen 2 - 2022

müsste die Temperatur-Änderung größer als 1 °C sein), noch ist sie stabil, (dazu müsste sie weniger als 1 °C/100 m betragen). Meteorologen wissen das natürlich. Deshalb benötigen sie die Definitionen „labil“ und „stabil“ für eine konvektive Schicht gar nicht erst. Statt dessen nutzen Wetterprofis diese Begriffe nur im Zusammenhang mit der möglichen Entwicklung von Quellwolken, speziell der Entwicklung von Gewitterwolken. Streng genommen müssten die Meteorologen dann eigentlich über „feucht labile“ oder „feucht stabile“ Bedingungen für die Wolkenbildung reden. Das wäre zumindest die wissenschaftlich korrekte Bezeichnung. Den Zusatz „feucht“, (also „feucht“ labil oder „feucht“ stabil) lassen sie aber auch hier der Einfachheit halber gerne weg. – Das wiederum hat praktische Konsequenzen für uns Segelflieger: Wir glauben nämlich oft, gute Thermik gibt’s nur wenn die konvektive Schicht, in der wir fliegen, labil geschichtet ist. Umgekehrt soll eine stabile Schichtung für schwache

Bärte verantwortlich sein. Aber wie gerade gesehen, gibt’s das in der Praxis nicht. Die konvektive Schicht, in der wir fliegen, ist immer indifferent beziehungsweise adiabatisch geschichtet! Meteorologen und Segelflieger reden also regelmäßig aneinander vorbei; zumindest wenn von stabilen oder labilen Bedingungen die Rede ist: Labil bedeutet für den Meteorologen in der Regel, es besteht Neigung zur Überentwicklung. Für uns Segelflieger dagegen bedeutet es gute Thermik. Und da es an Gewittertagen auch durchaus mal Hammerbärte geben kann, klärt sich dieses Missverständnis nur selten auf. Eine konvektive Schicht ist nie labil Woher kommt unsererseits die grob fehlerhafte Vorstellung einer (trocken-) labilen Schichtung und warum hält sich die so hartnäckig in Segelfliegerkreisen? Als in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts die Thermik entdeckt wurde, suchte man auch sofort nach wissenschaftlichen Erklärungen. Da die Sonneneinstrahlung ganz offenbar für

die neu entdeckten Aufwinde verantwortlich war und warme Luft leichter ist als kalte, lag es nahe, einen Temperatur-Vorsprung der Thermik als Ursache für das Steigen anzunehmen. Auch die beobachteten, sehr unterschiedlichen Steigwerte suchten nach einer Begründung. Die Energie, die einen Aufwind „am Leben“ erhält, musste ja nachvollziehbar sein. Und da Bärte an manchen Tagen sogar mit der Höhe stärker wurden, musste eine größere Temperatur-Differenz zwischen Aufwind und Umgebung als Erklärungsmodell für gutes Steigen herhalten. Die („trocken“-)labile Schichtung war geboren. Bild 2 (Georgii W., 1976) illustriert diese (fälschliche!) Annahme. Sie zeigt die vermeintliche Schichtung der Atmosphäre bei einer Nord-Ost-Lage, die einen (im Jahr 1962 noch nicht verwirklichten) 1000-Kilometer-Flug möglich machen sollte... Die Temperatur-Abnahme der Umgebungsluft wurde überall größer oder gleich 1 °C angenommen. Also trockenlabil! Der Temperatur-Verlauf der

2 Darstellung einer trockenlabilen Schichtung, wie sie in der Realität allerdings nicht vorkommt (Copyright: Vieweg Verlag)

TrockenAdiabate

Temperatur-Gradient trocken labil

segelfliegen 2 - 2022

49

3

100

80

60

40 Konvektionshöhe in Prozent 20

Lenschow & Stephens OSTIV Congress Chateauroux, 1978

Temperatur-Differenz in °C

3

© HENRY BLUM

Höhe in Meter

4

0 m/sec

1400

+1,0 °C +0,5 °C

1 m/sec

1200

+1,5 °C

2 m/sec TemperaturDifferenzen

1000 800

+2,0 °C

Inversion

Steigwerte

3 m/sec

0,25°C

600 0,5°C

400 0,75 °C

200

1,0 °C 1,5 °C 1,25 °C HENRY BLUM

3 Gemessene Abweichungen der Thermiktemperatur in verschiedenen Höhen 4Temperatur-Differenzen in einem guten Aufwind

Thermik beträgt dagegen die erwähnten 1 °C pro 100 Meter. Wenn diese Bedingungen zuträfen, wäre der Thermikschlauch immer wärmer als die Umgebungsluft und würde seine Auftriebs-Energie aus der schraffierten Fläche beziehen.

50

segelfliegen 2 - 2022

Leider hat diese Modell-Vorstellung nicht nur Eingang in die weltweite meteorologische Fachliteratur gefunden. Sie wurde auch in den Lehrbüchern für Piloten immer wieder kritiklos abgeschrieben. So ist sie bis heute ein fester Bestandteil in jedem Theorie-Unterricht

und wird so auch in den Luftfahrerprüfungen abgefragt. Nur, so einleuchtend die Argumentation auch klingen mag, sie hält der Realität nicht stand! Nicht nur, dass es keine labile Konvektionsschicht unterhalb der Wolkenbasis gibt, es gibt in größerer Höhe auch keine messbaren positiven Temperatur-Differenzen zwischen Thermik und Umgebungsluft. (Ausnahme in Bodennähe). Sie verschwinden mit der Höhe nicht nur, sondern werden unter Umständen sogar negativ. Die ersten Messungen Eigentlich sind diese Erkenntnisse nichts Neues: Als in den Siebzigern die ersten elektronischen Bauteile auftauchten, deren Widerstand sich mit der Temperatur ändert (sog. Thermistoren), bauten Segelflieger in Australien die Halbleiter in ihre Flügelspitzen ein, um die Thermik besser finden und zentrieren zu können. Tatsächlich funktionierte das in sehr niedrigen Höhen noch leidlich. Aber schon etwas weiter oben ließen sich keine Temperatur-Unterschiede mehr feststellen. Schon damals kamen erste Zweifel an der Temperatur-Theorie auf, und bis heute gibt es keine Anwendungen dafür. Selbst in der teuersten Bordelektronik nicht. Wenig später, 1978, fand anlässlich der Segelflug-Weltmeisterschaft in Chateauroux in Frankreich ein OSTIVKongress statt. Dort stellten die amerikanischen Meteorologen Lenschow und Stephens die Ergebnisse einer ausführlichen Strukturvermessung der Thermik über einer warmen Meeresströmung im Osten Japans vor: die warme See wirkt wie eine Heizplatte auf Kaltluft, die darüber hinweg strömt und bildet entsprechend starke Konvektion und Quellwolken aus. Auch ihre Ergebnisse bestätigten: schon in mittleren Höhen über MSL waren keine Temperatur-Differenzen in der Thermik mehr messbar. Noch verblüffender: Die Thermik wurde in der Höhe sogar deut-

lich kälter als die Umgebung. Das war im Durchschnitt schon auf halber Basishöhe der Fall! Ein Phänomen, das besonders bei hochreichender Quellbewölkung auftritt (Bild 3). Die Messflüge wurden mit einer (mit Nasenmast ausgerüsteten) Lockheed Electra an verschiedenen Tagen und in sehr unterschiedlichen Höhen durchgeführt. Man fing in wenigen Metern über dem Meeresspiegel an, deshalb die eng gedrängten Messwerte nahe der überadiabatischen Schicht. Weiter oben, in der Nähe der Wolken-Untergrenzen, wurden die Abstände größer. Um die aufgenommenen Messwerte bei unterschiedlichen Wolken-Untergrenzen ver gleichbar zu machen, wurden sie prozentual auf die Basishöhen normiert. Jedes Symbol, Quadrat oder Dreieck z.  B., entspricht dabei einem Flugtag. Ich habe die Orginal-Grafik farbig hinterlegt, um die Daten leichter interpretierbar zu machen, und die Achsenbezeichnung übersetzt. 1987 schließlich veröffentlichte Carsten Lindemann einen Artikel im aerokurier mit Daten von eigenen Messflügen, die er mit einem Motorsegler, einer Schleicher ASK 16 durchgeführt hatte. Im Bild 4 sind die Messwerte dokumentiert, die Carsten Lindemann an einem sehr guten Thermiktag in einer 1300 m hoch reichenden konvektiven Schicht gemessen hat. Die gemessenen Steigwerte und die im selben Bart gemessenen Temperatur-Differenzen sind zwecks besserer Lesbarkeit getrennt voneinander dargestellt. Sehr deutlich zu sehen: Die anfänglichen Temperatur-Differenzen von etwa 1,5 °C in Bodennähe verschwinden sehr rasch. Spätestens ab etwa 800 Meter Höhe sind keine Unterschiede mehr messbar. Man kann sogar sehr schön sehen, wie die Thermikblasen in die Inversion eindringen können, ohne dass eine positive Temperatur-Differenz vorliegt. Thermik ist also nicht wärmer als die Umgebung! Sie kann, wie

erwähnt, sogar leicht kälter werden, als die Luft in der sie aufsteigt. Einspruch, Euer Ehren! Jetzt gibt es aber immer wieder Veröffentlichungen von Gleitschirmpiloten und Segelfliegern, die ihrerseits Messungen in der Thermik durchgeführt haben und vermeintlich doch Temperatur-Vorsprünge der Thermik nachweisen konnten. Je nach verwendeter Technik und Einbauposition der Thermometer ist da die Rede von wenigen Zehntel Grad Celsius bis hin zu Extremwerten von 3 °C. Wie geht das zusammen? Es ist das Verdienst von Oliver Predelli und Ronald Niederhagen, dass dieser vermeintliche Widerspruch aufgeklärt wurde. In einem Aufsatz in Technical Soaring, (Vol. 45, Number 1) haben sie die Hintergründe ausführlich dokumentiert und mit eigenen Messungen belegt. Berücksichtigt sind dabei Daten, die Ronald in mehr als 90 Flugstunden in seinem Ventus zwischen April und August

5 To

2018 gesammelt hat (www.journals.sfu. ca/ts/index.php/ts/issue/view/231). Ihr Ergebnis kurz zusammengefasst: Wenn man in der Thermik kreisend die Temperatur misst und anschließend mit den beim Abstieg registrierten Temperaturen der Umgebungsluft vergleicht, schleicht sich ein Messfehler ein. Der gaukelt einen vermeintlichen Temperatur-Vorsprung der Thermik vor. Man kann diesen Messfehler allerdings korrigieren und siehe da, dann bestätigen auch ihre Messflüge die bisherigen Aussagen: Es gibt in größerer Höhe keinen Temperatur-Unterschied mehr zwischen Thermik und Umgebung. Wenn, dann kann er sogar negativ werden! Wieso liefern Messungen beim Kreisen in der Thermik überhaupt fehlerhafte Daten? Jedes Thermometer, und sei es noch so empfindlich, reagiert mit einer kleinen Zeitverzögerung auf Temperatur-Änderungen (T0) (Bild 5). Das ist nicht weiter problematisch, solange die zu messende Temperatur lange genug

Soll-Temperatur To konstant Der Messfehler ist hier nach fünf Zeitkonstanten < 1%

AusgangsTemperatur Ta

time

Soll-Temperatur To nicht konstant Delta T

To AusgangsTemperatur Ta 5

Ein Messfehler Delta T bleibt erhalten!

time © HENRY BLUM

5 Reaktions-Verhalten von Thermometern: Bei sich ständig ändernden Temperaturen bleibt ein Messfehler erhalten

segelfliegen 2 - 2022

51

Delta < 2 °C

Taupunkt

3

Temperatur

2 Aufstieg Abstieg

1

Copyright: Ronald Niederhagen. – Mess-Flug vom 13.05.2018, 14:20 bis 15:00 UTC ohne Korrektur der Messwerte

6 6

Taupunkt

Delta < 0,1 °C

3

Temperatur

2 1

7

Copyright: Oliver Predelli. – Mess-Flug vom 13.05.2018, 14:20 bis 15:00 UTC mit Korrektur der Messwerte 7

6 Typische Messwerte beim Kreisen innerhalb und außerhalb der Thermik 7 Wird der Messfehler korrigiert, bestätigen auch Messungen während des Kreisens: Temperatur-Vorsprünge in der Thermik verschwinden

konstant bleibt (das ist z. B. bei Querschnittsflügen durch den Aufwind wie mit der Lockheed Electra oder der ASK 16 der Fall). Ändert sich die Temperatur dagegen kontinuierlich, bleibt eine kleine Mess-Differenz erhalten. Und genau das passiert bei Messungen während des Kreisens in der Thermik oder beim Abstieg außerhalb. Bitte dran denken, die Temperatur der konvek-

52

segelfliegen 2 - 2022

tiven Schicht ändert sich wie bereits gesehen um 1 °C/pro 100 Meter Höhe. Beim Steigen läuft also das Thermometer nach und zeigt höhere Werte an, als tatsächlich angetroffen wurden. Beim Sinken ist es umgekehrt. Die Temperaturen der Umgebung steigen schneller, als die nachlaufenden Messwerte anzeigen. Wie sehen die dann real aus? Bild 6

demonstriert das Ergebnis einer solchen Roh-Messung während eines Fluges. Drei Bärte wurden kurz hintereinander angeflogen (man sieht das an den verschiedenen Taupunktskurven). Es entsteht das typische Bild einer Hysterese bzw. von Kringeln zwischen dem Aufstieg im Aufwind und dem Sinkflug außerhalb. Ergebnis: Zwischen den gemessenen Temperaturen besteht hier ein Unterschied von ca. zwei Grad Celsius! Auf den ersten Blick könnte man deshalb glauben, es besteht tatsächlich eine Temperatur-Differenz zwischen Bart und Umgebung. Erst die mathematische Korrektur des Messfehlers bestätigt: Es gibt keine nennenswerte Temperatur-Differenzen zwischen Aufwind und Umgebung (Bild 7). Die Tatsache, dass Temperatur-Unterschiede zwischen Thermik und Umgebung selbst bei starken Bärten verschwinden, ist für’s spätere Verständnis der verschiedenen Thermikphänomene so wichtig, dass die Durchschnittswerte in Bild 8 noch mal als rote Linie dargestellt sind. Die Durchschnitte sind niedriger als die Werte in dem „Hammerbart“ in Bild 4! Trotz dieser geringen Temperatur-Differenzen haben wir an guten Tagen nicht nur sehr gute Steigwerte (je höher die Basis, desto größer ist üblicherweise das durchschnittliche Steigen), es kann durchaus vorkommen, dass die Steigwerte mit der Höhe sogar noch zunehmen. Wie geht das zusammen? Woher kommt der Auftrieb, der die Aufwinde weiter steigen und sie noch an Stärke gewinnen lässt, wenn sich in der Thermik selbst gar keine Temperatur-Unterschiede mehr messen lassen? Wasserdampf, die „Seele des Aufwindes“ Die Antwort auf diese Fragen finden wir, wenn wir die Feuchtigkeit mit ins Kalkül ziehen, denn erstens ist feuchte Luft leichter als trockene Luft und zweitens kann Luft, abhängig von der

Temperatur, unterschiedlich viel Wasser in Gasform aufnehmen. Bei niedrigen Temperaturen nur wenige Gramm pro Kubikmeter, bei hohen Temperaturen wesentlich mehr. Und je mehr Feuchtigkeit als (unsichtbarer) Wasserdampf in einem Luftpaket gespeichert ist, desto geringer ist seine physikalische Dichte! Es verhält sich wie ein Stück Holz oder Kork unter Wasser und drängt nach oben. Und je feuchter so ein Luftpaket im Vergleich zu seiner Umgebung ist, desto höher ist auch sein Auftrieb! Was lässt sich daraus für die Thermikprognose ableiten und was nützt uns das in der Praxis für die Flugtaktik? Das sind Fragen, die wir in einer der nächsten Ausgaben abhandeln werden. Bis dahin gilt: Archimedes, der Entdecker des statischen Auftriebs, lässt grüßen! t

LO ! L A H NE I E VER

8 1300 m 1000 m

Typischer ThermikSchlauch

Höhe über Grund in m

600 m

0,15°

Über-adiabatische Schicht am Boden, aus der die Thermik entsteht

200 m

0 m 0°

0,3° C

Temperatur-Differenz HENRY BLUM

30° C

8 Durchschnittliche Temperatur-Differenzen der mitteleuropäischen Thermik, sehr große Temperatur-Vorsprünge direkt am Boden werden rasch abgebaut

gratuliert allen frischgebackenen Scheininhabern mit drei gratis Ausgaben! Macht euren Schein-Neulingen eine besondere Freude: Meldet sie nach bestandener Prüfung bei uns [email protected] Stichwort: Scheinneuling und die nächsten drei Ausgaben segelfliegen magazin kommen gratis zu den Neu-Piloten nach Hause! (Danach endet die Belieferung ohne weitere Verpflichtung!)

Anti-Aging für den Lack Zum Thema Oberflächenbehandlung von Segelflugzeugen gibt sehr viele verschiedene Techniken, Theorien und Meinungen. Ja, die Lackpflege ist fast schon ein bisschen eine Glaubensfrage unter den Segelflugjüngern geworden. Von Schwabbeln über Polieren bis hin zu Pflege mit Parkettbodenpflege, meistens schwören wir uns auf eine ganz bestimmte Technik ein. Zumindest wenn es um die Pflege unserer geliebten Fluggeräte geht, sind wir ja gar nicht so viel anders als die Autotuner am GTI-Treffen. autor: simon lemmerer, bilder: simon lemmerer, werner luidolt, viento.aero

54

segelfliegen 2 - 2022

B

ei meiner alten Libelle sehr kraftvoll ist, aber man mit ganz (mittlerweile habe ich mir langsamer Geschwindigkeit polieren einen neu lackierten kann (250-1380 U/min). Hier schont Ventus a gekauft) aus dem man den Lack, da er durch die niedrige Jahr 1974 war das Thema Geschwindigkeit dann auch nicht zu natürlich allgegenwärtig. Jeden Winter heiß werden kann. Hierzu kommt noch wurde der Lack gepflegt, mal mit Polier- ein einfacher Schwingschleifer aus dem mittel, mal nur mit Lackreiniger, aber Baumarkt, hier muss man nicht unbewie das halt bei einem alten Lack so ist dingt in ein teures Modell investieren. – er wird halt jedes Jahr etwas gelber und älter. Wobei es auch ein bisschen auf Für die eigentlichen Polier- und den Flugzeughersteller ankommt — Wachsarbeiten empfehle ich nach jahreviele Flugzeuge der 80er und 90er Jahre langen Tests von allen möglichen Flugmussten oft schon nach zehn Jahren zeugpolituren die Produkte der Firma neu lackiert werden wegen vermehrter Scholl, bekannt aus dem KFZ-Bereich Rissbildung. — auch ein paar Lackierer aus meinem Glasflügel hat, was den Lack betrifft, Bekanntenkreis schwören auf die einen sehr guten Ruf, die Oberfläche Scholl-Produkte. Es können aber natürder Glasflügel-Flugzeuge ist oft jahr- lich auch andere Produkte verwendet zehntelang rissfrei und gut bearbeitbar, werden. da sie damals sehr dick lackiert wurden. Auch aus dem KFZ-Bereich kommen So ist es wichtig, dass für das nachfol- die Abralon-Schleifschwämme, die wir gend beschriebene Finishing auch nur eine möglichst rissfreie Oberfläche benutzt wird. Zumindest sollten die Risse fein sein und noch nicht das Laminat erreichen. In diesem Fall sollte man sowieso über eine Neulackierung nachdenken — man macht mehr kaputt, wenn man zu lange wartet, da nach dem Abschleifen des Lacks oft Schäden bei tiefen Rissen sichtbar werden, die das Aufbringen von zusätzlichen Gewebematten nötig machen. 2019 bekam ich dann von Marc Förderer eine kurze Anleitung zur Aufarbeitung eines Flugzeuglacks in mehreren Schleif-, Polier- und Wachsstufen — die ich dann etwas erweitert und verbessert habe. Eines der wichtigsten Werkzeuge ist die Poliermaschine — hier etwas mehr Geld in die Hand zu nehmen schadet nicht und ist für die Bearbeitung eines Segelflugzeuges fast schon das Um und Auf. Ich persönlich habe mich für ein Markengerät der Firma Flex entschieden, und zwar den flex Polishflex PE 14-1. Dieser hat den großen Vorteil, dass er

für den zweiten Schritt der Aufbereitung brauchen. Auch ein paar Mikrofasertücher für das Abledern und Säubern nach den einzelnen Arbeitsschritten ist wichtig. Nochmal zusammengefasst sollten folgende oder ähnliche Materialien vorhanden sein:
 l Poliermaschine (Empfehlung: Flex Polishflex PE 14-1) l Schwingschleifmaschine l Abralon 3000er und 4000er Schleifschwamm rund (ca. 2 pro Flugzeug)
 l Fellscheibe l Schaumscheibe (Empfehlung: Scholl schwarz)
 l 4 Mikrofasertücher l Politur (Empfehlung: Scholl S3 Politur) l Wachs (Empfehlung: Scholl W9) l Wassersprühflasche

Oben: Eine Übersicht über die verwendeten Materialien, das Innotec Spray Shine and Polish verwende ich für die Haube Links: Ein fast 50-jähriger Originallack ohne Risse und hellweiß nach beschriebener Aufbereitung

segelfliegen 2 - 2022

55

Links oben: Die Oberfläche ist nach dem Schleifen matt und fühlt sich sehr weich an Links unten: Nach dem Abschleifen der Warnlackierung und dem Polieren ist die Oberfläche schon sehr schön Oben: Die Flächenunterseite beim Kleben der Kennzeichen und vor dem Wachsen

1. Vorbereitung Da die ersten Arbeitsgänge nass durchgeführt werden, ist es wichtig, dass alles, was nicht nach getaner Arbeit voller Lackspritzer sein soll, abgedeckt wird. Die Lichtsituation ist auch sehr wichtig, hier sollte man darauf achten, entweder unter guter Werkstattbeleuchtung oder überhaupt im Freien (Schatten!) zu arbeiten. Das Flugzeug sollte von allen Klebebändern und Kleberesten befreit werden. Wichtig bei einem Flugzeug mit abnehmbarer Haube (Libelle, ASW15 etc.): Die Haube in Sicherheit bringen und das Cockpit mit Folie abdecken. Mit einem leichten Lackreiniger sollte die Oberfläche vor dem ersten Arbeitsgang noch einmal gereinigt werden.

56

segelfliegen 2 - 2022

2. Schleifen Begonnen wird mit dem Schwingschleifer und dem Abralon Schleifschwamm; vorzugsweise 4000er Körnung, an manchen Stellen kann man die gröbere Körnung verwenden. Wichtig ist hierbei, Stellen, bei denen schon tiefe Risse sichtbar sind, auszulassen, diese können durch die Bearbeitung auch aufblättern. Je nach Flugzeuggröße werden zwei bis drei Scheiben gebraucht. Eine neue Scheibe schleift besser, man sollte hier dann etwas schneller arbeiten. Natürlich soll man immer nass schleifen und darauf achten, dass immer ein guter Wasserfilm auf der Oberfläche vorhanden ist. Solange sich Bläschen und Schaum bilden ist genug Schleifwirkung vorhanden. Falls es nicht

mehr so ist, kann man die Scheibe wechseln. Normal schafft man aber mit einer Scheibe beide Flächen. Das Schleifen ist Knochenarbeit, ich habe pro Fläche ungefähr zwei Stunden reine Schleifzeit aufgewendet. Man kann sehr fest andrücken und sollte diagonal oder in Flugrichtung schleifen, beim Rumpf dann eher rund und den Konturen entsprechend, auch immer in verschiedene Richtungen. Das Schleifen dauert wirklich lange und wenn man gewissenhaft arbeitet, bekommt man auch ein richtig gutes Ergebnis. Hier ist definitiv Geduld gefragt! Nach dem Schleifen soll man die Oberfläche nochmal gründlich reinigen und mit einem Mikrofasertuch ganz trocknen. Die Oberfläche

Der fertige Rumpf und das Leitwerk nach getaner Arbeit

fühlt sich nach dem Schleifen sehr weich an. Das Mikrofasertuch ist ein sehr wichtiges Hilfsmittel, ich habe mir gleich mehrere gekauft — braucht man sie eh immer wieder zur Flugzeugpflege. Sie wurden nach jedem Tag in der Werkstatt auch wieder gewaschen, damit sie immer frisch sind. Die Tücher sollten für jeden Arbeitsschritt markiert werden, damit man sie nicht durcheinanderbringt (hier kann man die Stickkünste des Partners oder der Partnerin in Anspruch nehmen). 3. Polieren Nun kommt die Poliermaschine zum Einsatz. Der große Vorteil an der PE 14-1 ist, dass man sehr niedrige Dreh-

zahlen fahren kann und dadurch optimal und temperaturarm gearbeitet wird. Die Politur von Scholl ist sehr hochwertig und sparsam — die Qualität der Produkte ist überzeugend. Wichtig auch beim Polieren: sehr nass arbeiten. Ein paar Tropfen Politur auf die Oberfläche, mit der Fellscheibe auf Stufe 1 verteilen und mit Stufe 4 dann polieren. Ich habe zum Auftragen des Wasserfilms eine Sprühflasche ver–wendet. Nach jeder großen Fläche (zum Beispiel Flächenober- und Flächenunterseite) habe ich die Scheibe dann auch wieder ausgewaschen, da sie an Wirkung verliert. Die Oberfläche soll nicht zu heiß werden! Nach dem Polieren wieder mit dem Mikrofasertuch abreiben, bis die

Oberfläche glänzt und frei von Politur ist. Tücher nie durcheinanderbringen! Man kann die Oberfläche auch zwei Mal mit der Politur bearbeiten, wobei man bei dünnen Lacken eher sparsam mit der Politur arbeitet und dafür den Fokus auf das Wachsen legt. In gutem Lichteinfall sollten nun keine Kratzer auf der Oberfläche sichtbar sein. 4. Wachsen Für das Wachsen verwenden wir wieder die Poliermaschine und die Schaumscheibe. Mit dieser kann man das Wachs gut in die Oberfläche einarbeiten. Ein paar Tropfen Wachs auf die Oberfläche aufbringen und mit der Schaumscheibe sehr fest auf der ersten Stufe einarbeiten und mit Stufe 4 auspolieren.

segelfliegen 2 - 2022

57

Oben: Der fertige Rumpf, kurz vor dem ersten Aufrüsten. Als Schriftgestalter habe ich auch die Beschriftung für das Kennzeichen selbst gestaltet Links: Auch die zweite Fläche bekommt vor dem Wachsen das etwas andere Wettbewerbskennzeichen verpasst, als Designer hat man hier halt einen überaus speziellen Anspruch Rechts: Beim letzten Flug mit der Libelle vor dem Verkauf, bei dem auch das Titelbild der Story entstanden ist

Wichtig ist, dass die Oberfläche warm wird (so warm wie sinnvoll, nicht zu heiß, da dies zu Schäden führt!), da sich dann das Wachs in die Oberfläche einarbeitet. Sobald die Oberfläche warm ist, sollte man das Wachs in mehrere Richtungen einarbeiten. Unbedingt sollte man permanent die Temperatur gewissenhaft prüfen. Das Wachsen ist der schnellste Arbeitsgang, sollte aber dennoch gewissenhaft und mehrfach (an einer Stelle) durchge-

58

segelfliegen 2 - 2022

führt werden. Nach dem Wachsen wieder mit dem einen eigenen Mikrofasertuch abwischen, bis die Oberfläche glänzt und kein Wachs mehr im guten Licht zu sehen ist. Nochmal, weil es so wichtig ist: Die Tücher nicht durcheinanderbringen! Am Ende nochmal mit einem frischen Mikrofasertuch abreiben bis zum Glanz. Falls die Abdichtung wieder hergestellt werden muss, sollte man nun auch auf diesen Stellen wieder den Lack reinigen,

damit die Bänder auch wieder gut haften. Im Jahr darauf sollte man das Flugzeug dann nicht mehr schleifen, sondern nur polieren und wachsen. Das Schleifen sollte man alle 3 bis 5 Jahre (je nach Lackzustand) wiederholen. So macht man aus einem alten, vergilbten Lack einen frisch gepflegten und kann durch diese Maßnahmen eine Neulackierung oft über Jahre hinausschieben. t

Wir können: ✔ (Neu-)Lackierung von Segelflugzeugen, Motorseglern, Motorflugzeugen, ... ✔ Faserverbundfertigung von Formen, Bauteilen und Kleinserien in Glas-, Kohle- und Aramidfasern ✔ Prototypen- und Urmodellbau für Faserverbundkunststoffe ✔ Über 35 Jahre Erfahrung

FBS Finish GmbH Heidelberger Str. 1 76676 Graben-Neudorf http://www.fbs-finish.de – [email protected] Tel.: 07255/7959992 - Fax: 07255/7959993

Senioren im Cockpit Fliegen ist eine Passion, der man bis ins hohe Alter frönen kann. Wie man seine Zeit im Cockpit durchaus sehr lange genießen kann, zeigen unsere Porträts. Autorin: Claudia Götz Bilder: Claus Dieter Zink, Josef Häupl, privat

F

liegen ist ein Sport, der neben einem gesunden Herz-Kreislauf-System vor allem einen wachen Geist sowie Konzentration fordert und fördert. Viele stellen sich spätestens in ihren mittleren Jahren die Frage: Wie lange werde ich fit genug fürs Fliegen sein? Die Antworten sind immer sehr individuell, auch wenn gesellschaftliche Altersbilder – die Vorstellung, wie ältere und alte Menschen leben und womit sie sich beschäftigen – die eigenen Vorstellungen durchaus beeinflussen können. Ich habe vier sehr spannende Fliegerlebensläufe zusammengetragen und die Protagonisten zu ihrem ganz eigenen Zugang zum Hobby und ihren Umgang mit dem Sport im fortgeschrittenen Alter befragt.

60

segelfliegen 2 - 2022

Siegfried Götz: Angeborener Fliegertick Ein „Flugspinner“ war der 1938 geborene Regensburger schon als Bub. Mit 16 Jahren begann er mit der Ausbildung – was für ein Glück, dass der Flugplatz im Regensburger Westen mit dem Fahrrad von seinem Elternhaus aus in einer halben Stunde zu erreichen war. Den Alleinflug hatte er ein Vierteljahr später, im Sommer 1955. Seitdem fliegt er ohne Unterbrechung – inzwischen 66 Jahre. Und 55 Jahre lang war er als Segelflug-Ausbilder tätig. 1957 machte er die Kunstflugberechtigung, anschließend die Motorseglerberechtigung und das Silber-C. Ab 1960 war er Fluglehrer-Assistent und im Herbst 1963 folgten die Segel- und Motorsegler-Lehrberechtigung.

Beruflich bedingte Umzüge bringen für den Maschinenbauingenieur immer auch einen Vereinswechsel mit sich: nach Passau (Fürstenzell) zurück nach Regensburg (als sich der Flugplatz des Sportflieger-Clubs noch direkt unterhalb der Walhalla an der rechten Donauseite befand) und von dort nach Coburg (Steinrücken). Hier macht Siegfried Götz 1995 den UL-Schein mit Lehrberechtigung. Ein weiterer – diesmal privater Umzug – führt 2005 nach Weiden. Von 2013 bis 2021 leitet er die UL-Vereinsschule. Sein ältester Schüler bisher fing übrigens im zarten Alter von 72 Jahren mit dem UL-Fliegen an. 2015 gibt er die Segelflug-Lehrberechtigung ab. Bislang stehen insgesamt rund 4500 Flugstunden auf Segelflugzeugen,

Die LS9 (großes Bild) war für Siegfried Götz „das Rennpferd“ und sein „liebstes eigenes Flugzeug“. Angefangen hatte er aber sehr viel bescheidener: 1966 in einer Flugpause neben dem Kleinsegler Ka3 (oben). Mit dem Birdy (rechts), einem dank E-Antrieb eigenstartfähigen Flugzeug der 120kg-Klasse, will Siegfried Götz sein Fliegerleben abschließen

segelfliegen 2 - 2022

61

Motorseglern und UL-Flugzeugen zu Buche. „In meinem Fliegerleben habe ich bisher vier sehr unterschiedliche Segelflugzeuge besessen, keines glich dem anderen.“ Auf die gebrauchte Ka3 folgten nach einigen Jahren ohne eigenen Flieger ein Halteranteil an einem tschechischen Alu-Blanik, dann eine ASW 24 E, eine LS9 sowie eine Apis BEE – ein UL-Segelflugzeug, das er im Herbst 2020 verkaufte, um dann möglichst zügig mit dem Birdy-Bausatz (siehe segelfliegen 06-2020) in die Luft zu gehen. „Insgesamt habe ich rund 25 Segelflugzeuge, etwa 15 Motorsegler und circa zehn verschiedene ULs geflogen“, so sein Flieger-Resümee. Sein Tipp für jeden, der in ein neues Fluggerät steigt: „Wichtig ist immer eine gründliche Einweisung und gefühlvoller Umgang mit Neumustern. Die Schwierigkeit beim Umgang mit dem jeweiligen Muster und dessen Eigenarten liegen besonders in den unterschiedlichen Anforderungen beim Landen.“ Mit zunehmendem Alter – das hat er nicht nur an sich selber, sondern auch an seinen Schülern beobachten können – „fehlt die Lockerheit der Jugend und man muss sich stärker konzentrieren, vor allem beim Landevorgang“. Für ihn persönlich wäre genau das auch der Grund, mit dem Fliegen aufzuhören: „Wenn ich das Gefühl habe, dass ich nicht mehr sicher landen kann, wie der alte Spruch es auf den Punkt bringt – Fliegen ist freiwillig, Landen ist Pflicht.“ Und es gibt für ihn inzwischen Flugzeuge, die er heute nicht mehr fliegen würde: „Unser Sportflieger-Club hatte Ende der 1950er-Jahre ein Hochleistungs-Segelflugzeug, das ging bei der kleinsten Fehlbedienung (z. B. Langsamflug in der Thermik) unangekündigt ins Trudeln.“ Den Veränderungen, die das Älterwerden auch fürs Fliegen mit sich bringt, wirkt er entgegen, indem er sich gut vorbereitet: „Das betrifft den Check,

62

segelfliegen 2 - 2022

Ulf Merbold: „Motorflug ist ein Handwerk, das kann jeder, das ist wie Traktorfahren. Segelfliegen ist eine Kunst, für die man sich fit halten muss.“ Rechts mit etwa 30 Jahren auf dem Hornberg

das Wetter, den Wind – ich fliege nicht, wenn ich mich nicht wirklich fit fühle und Lust habe.“ Für Siegfried Götz war an der Fliegerei auch immer die Arbeit in der Werkstatt wichtig. Früh hat er selber als Konstrukteur an Plänen für eigenstartfähige Segelflugzeuge gearbeitet. „Das Fliegen, das Arbeiten in der Werkstatt, und die Beschäftigung mit Eigenentwicklungen, aber natürlich auch das Vereinsleben, waren eine gute Möglichkeit zum Abschalten von beruflicher und familiärer Belastung.“ Er ist sich sicher: „Mein Drang in die Luft zu kommen – der Fliegertick – liegt in den Genen“. Um das Fliegerleben so lange wie möglich zu genießen, hat der 83-jährige ein einfaches Rezept: „Freude daran haben, in Übung bleiben und nichts erzwingen!“

Ulf Merbold: Zwischen All und Cockpit Der Beginn seiner Segelfliegerei war und ist für Ulf Merbold ein denkwürdiges Datum: Während seines Studiums an der TU Berlin leistete er in der dortigen Akaflieg seine Werkstattstunden ab und freute sich darauf, im Sommer 1961 auf dem nächstgelegenen Flugplatz Braunschweig endlich abzuheben. Für den 1941 im thüringischen Greiz Geborenen ohnehin kein leichtes Unterfangen: „Ich durfte ja nicht mit den anderen im VW-Bus von WestBerlin aus nach Braunschweig, ich brauchte einen Flug nach Hannover.“ Während er in Braunschweig das Segelfliegen lernte, wurde in Berlin die Mauer gebaut. Ulf Merbold entschied sich, nach Stuttgart zu gehen, und führte dort auf dem Hornberg das Segelfliegen

fort: „Rhönlerche, Bergfalke, K 8 – und der absolute Traumflieger, die Ka 6“, zählt er die damaligen Flugzeuge auf. Überlandflüge nach Eichstätt sind in dieser Zeit die sportliche Herausforderung. „In meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut kam ich, auch wegen der Verpflichtungen für die Familie, nicht so viel zum Fliegen.“ Als der finanzielle Spielraum es zulässt, kauft er sich ein erstes eigenes Flugzeug – eine LS4 – um möglichst unabhängig zu sein. „Mein Trainingsplan für die ESA lies mir wenig Zeit. Das war ein komplett fremdbestimmtes Leben, in dem das Segelfliegen mit einem eigenen Flugzeug etwas leichter unterzubringen war.“ Und gebraucht hat er es – auch in dieser Zeit: „Mir hat das Segelfliegen immer geholfen, ein ausgeglichenes Leben zu leben. Und es hat mir immer enorm Spaß gemacht, damals wie heute.“ Der Firma Rolladen Schneider ist er treu geblieben. Heute fliegt er – neben dem eigenstartfähigen Ventus, den er sich mit einem Flugkollegen teilt – immer noch seine LS6, die er 1995, eineinhalb Jahre nach seinem dritten Weltraumaufenthalt, gekauft hat. „Die Überlegung war damals: für wenig mehr Geld von 15 auf 18 Meter umzusteigen.“ Gerne denkt er an die zehn Jahre zurück, die er bei den Marburg Open gestartet ist, „auch wenn mein Dienstplan bei der ESA es oft nicht erlaubte, an allen Wettbewerbstagen dabei zu sein“. Neben seiner LS6 fliegt Ulf Merbold aktuell auch noch regelmäßig die Piper Seneca eines Flugkollegen. Was ist für einen, der im All war und der in einem Alpha Jet auf dem vorderen Sitz mit seinem Ausbilder und Freund viel Spaß hatte, das Faszinierende am Segelfliegen – auch im Vergleich zum motorisierten Fliegen? „Motorflug ist ein Handwerk, das kann jeder, das ist wie Traktorfahren. Segelfliegen ist eine

Kunst. Es ist mitnichten sicher, dass man das, was man sich vornimmt, auch erreicht, es ist weniger planbar.“ Sein Tipp für alle, die ihr Hobby möglichst lange ausüben möchten, ist deshalb: „Diejenigen, die am Segelfliegen so viel Spaß haben wie ich, werden sich dafür fit halten.“ Prof. Dr. med. Uwe Stüben: Fit von Berufs wegen Früher geht nicht: Seinen ersten Schulstart hatte Uwe Stüben 1962 mit 13 Jahren in St. Michaelisdonn und seit

seinem 14. Lebensjahr fliegt er allein. Heute im Alter von 72 Jahren fliegt er „eine ASW 22 BLE 50 R mit 26,99 m Spannweite und das Forschungsflugzeug der Deutschen Akademie für Flugmedizin, eine ASH 30 MI. Es sind die besten Segelflugzeuge, die ich in meinem Legen geflogen bin“, erklärt der Flugmediziner, der seine fliegerische Ausbildung bis zum früheren L 2 beim Cuxhavener Verein für Luftfahrt auf einem Flugplatz in Altenwalde durchlaufen hat. „Ab 1972 war ich dann bei der AKAFlieg

Prof. Stüben im Sommer 2021 auf dem Flugplatz im südfranzösischen St. Auban und 1962 im Alter von 13 Jahren bei einem Schulungsflug in einer Doppelraab

segelfliegen 2 - 2022

63

Hartmut Lodes beim Abholen des selbststartenden Doppelsitzers ASG 32 Mi in der Rhön und mit etwa 24 Jahren in einem Bergfalken II 55 auf dem Flugplatz Flugplatz Saarbrücken-Ensheim

Frankfurt auf dem Platz „Der Ring“ in Schwalmstadt und schließlich seit 20 Jahren beim LSC Bad Homburg auf dem Flugplatz EDFA Neu Anspach.“ Auch Prof. Stüben ist Fluglehrer – seit 1975 mit allen Startberechtigungen, einschließlich Kunstflugberechtigung und TMG. Aus seiner beruflichen Erfahrung weiß er am besten, was das Fliegen für Anforderungen an Körper und Geist stellt und wie sich diese mit zunehmendem Alter verändern: „Untersuchungen in der ASH 30 an Hochleistungsfliegern in den Alpen und über Namibia haben gezeigt, dass Segelfliegen über die gesamte Flugzeit ein langdauernder Stress für Körper und Psyche ist. Dem begegnet man im Alter nur durch körperliche Fitness und häufiges Fliegen.“ Heute liegen seiner Ansicht nach die Schwierigkeiten in höherem Alter im Cockpit „in den zunehmenden Mehrfachbelastungen durch eng kontrollierte Lufträume, durch die Zunahme des

64

segelfliegen 2 - 2022

Funkverkehrs und die zunehmend komplexere Computerisierung der Cockpits“. Er hat neben der Cessna 172, der DA40 und der Remorqueur auch die Super Dimona geflogen. Eines fällt für ihn persönlich aber fliegerisch aus: „Zu klapprigen UL-Flugzeugen habe ich nicht genug Vertrauen, um mich hineinzusetzen.“ Grundsätzlich nimmt er an sich selbst mit steigendem Alter auch positive Veränderungen bezüglich des Hobbys wahr: „Ich kann heute gelassen zum Vergnügen fliegen. Die Jagd um Schnitte und Kilometer mache ich nicht mehr mit“, sagt er. „Die sozialen Kontakte, die Freunde und die gemeinsamen fliegerischen Erlebnisse waren früher und sind heute für mich wichtig.“ Doch der Sport hat für ihn auch noch eine andere Komponente: „Der Kontakt zur nachfolgenden Generation hält mich fit. Das gegenseitige Verantwortungsgefühl, die Kameradschaft und die gegenseitige Hilfe sind gerade beim

Segelflugsport besonders ausgeprägt und für mich von besonderer Bedeutung.“ Allerdings verändern sich seiner Beobachtung nach nicht nur die Flieger, die heute in ihren 60er-, 70er- oder 80er-Jahren sind, sondern auch die Gesellschaft und mit ihr der Nachwuchs: „Heute gibt es gegenüber früheren Zeiten mehr Egoisten, die auf ihren Vorteil bedacht sind. Das kann in Vereinen zur Belastung werden“, ist er überzeugt. Jungen Fliegern rät er vor allem, „risikobewusst zu fliegen, besonders im Wettbewerb mit anderen. Selbst die Aussicht, Weltmeister in unserem Sport zu werden, lohnt nicht, dafür sein Leben zu riskieren“. Für seinen eigene fliegerischen Lebenslauf hat sich Prof. Stüben vorgenommen: „Ich höre mit der Fliegerei auf, wenn ich Fehler mache, die ich als Fluglehrer bedenklich fände, und auf alle Fälle, bevor andere mir sagen, dass es besser wäre aufzuhören. Bisher bin ich 59

Jahre ohne Unfall geflogen und dabei möchte ich auch bleiben.“ Er ist überzeugt, dass auch das System dazu beiträgt, Flieger fit zu halten: „In unserem Hobby wird ja man regelmäßig untersucht, je nach Lizenz. Allein der regelmäßige Kontakt mit dem Arzt ist eine Komponente, die dazu führt, dass sich die Leute, die weiter fliegen wollen, gesund halten.“ Hartmut Lodes: Fan der fliegerischen Vielfalt Die Liste der Flugzeuge, die der 1937 in Zweibrücken geborene Volljurist Hartmut Lodes in seinem über 60-jährigen Fliegerleben geflogen hat ist lang: Grunau-Baby IIb, L-Spatz 55, Bergfalke II/55, Ka 2b, Zugvogel IIIA und IIIB, SF 27 und SF 27M, LS1, LS1-f, LS3, LS4, LS6, LS7, LS8, LS9, ASW 22 und ASH 25 und D-36 Circe – um gleich mal einige zu nennen. Begonnen hat seine Segelflugausbildung 1959 auf der Rhönlerche in Saarlouis-Düren. Danach flog er Saarbrücken-Ensheim. Ab 1964 war er zudem als Segelfluglehrer tätig, arbeitete als Windenfahrer und Werkstattleiter und flog auch regelmäßig Wettbewerbe: „Hahnweide Klippeneck, Rieti, Bezirksmeisterschaften, Deutsche Meister-

schaften“, zählt er auf, aber auch Bewerbe in „Australien, Neuseeland, Frankreich, Finnland, Mexiko und in Wladikawkas“, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Nordossetien-Alanien stechen aus der Liste heraus. Als „Krönung“ seines Fliegerlebens bezeichnet er „die ETA mit 30,9 Metern Spannweite, an deren Entwicklung ich beteiligt war“. Weitere spannende Erlebnisse waren für ihn etwa die schwanzlose Fauvel AV.36 oder der Nurflügler Flair. Egal ob Motorflugzeug, Ultraleichte oder Hubschrauber – für Hartmut Lodes ist die Vielfalt beim Fliegen ein großer Teil der Faszination. Neben 6500 Flugstunden Segelflug, 2500 Flugstunden Motorflug und 1000 im Hubschrauber kann er auch auf ganz besondere Langstreckenflüge zurückblicken. „Ein Höhepunkt war sicher Namibia, Südafrika, mit 1000 km“, erinnert er sich. Und erzählt lachend von einem weiteren Ereignis, das damit indirekt in Zusammenhang steht: „Alle meine Flugbücher wurden geklaut, als mein Bus aufgebrochen wurde.“ Das könnte insofern schon der erste Tipp sein, den der heute 83-jährige für seine jüngeren Flugkollegen hat. Für die Ausbildung und um die Freude

am Segelfliegen rundum auszukosten, empfiehlt er Fliegerlager, Wettbewerbe und Auslandsaufenthalte. „Denn man sollte das Segelfliegen nicht halbherzig betreiben. Es duldet daneben keine anderen Götter“, sagt er schmunzelnd. Doch der Hintergrund ist durchaus ernst gemeint, wenn man das Fliegen so lange als möglich betreiben möchte: „Die körperliche und die geistige Leistungsfähigkeit sinkt mit dem Alter. Sie ist aber durch Geduld und Erfahrung kompensierbar.“ Er hat gelernt, das hinzunehmen, sagt er. Und er hat festgestellt, „im Alter ist man nicht mehr so fluggeil, man ist bedächtiger, genießt den Flug aber intensiver“. Was er im Gegensatz zu früher heute mit Bedauern betrachtet ist eher das Miteinander: „Früher war es auf dem Flugplatz familiärer, man war dort mit Kind und Kegel. Aber der Verein ist immer noch ein Stück Heimat.“ Und noch etwas gilt heute für ihn beim Fliegen noch genauso wie früher: „Wie mein Schweizer Rechtsanwaltskollege Alois Bissig sagt: Für mich gibt es nichts Schöneres. Und Flugkollege und Lufthansa-Pilot Mathias Schunk hat es so treffend auf den Punkt gebracht: Segelfliegen ist der geilste Sport der Welt überhaupt“, lacht er. t

tost_anz_dt_allgemein_215x78_0120.qxp_Layout 1 23.01.20 15:40 Seite 1

Wir fertigen mit EASA-Zulassung:

rheit rt e h c i S r für meh im Flugspo Tost GmbH Flugzeuggerätebau München Thalkirchner Str. 62 D-80337 München Tel. +49- (0) 89 - 544 599-0 Fax +49-(0) 89-544 599- 70 [email protected] www.tost.de

Flugzeugräder Bremshydraulik Flugzeugreifen/-schläuche Sicherheitskupplungen Schleppseileinziehwinden Start-/Schleppausrüstung

segelfliegen 1 - 2022

6

Und die Bilder beginnen zu fliegen Erinnerungen an eine Flugsaison mit dem Motorsegler CARAT Von Stefan Selke

66

segelfliegen 2 - 2022

Draußen ist es ungemütlich, und weil der Mensch ja immer irgendetwas denkt, kreisen meine unruhigen Gedanken heute um das Thema Erinnerungen. Dabei schaue ich mir Bilder der letzten Flüge mit meinem Motorsegler CARAT an.

Drei Stunden Warten, bis die „richtigen“ Segelflieger auf Burg Feuerstein in der Luft waren

W

ir sind Erinnerung. Stets haben wir das Bedürfnis nach Bilanzierung unserer Erlebnisse oder gar unserer Existenz. Gleichzeitig sind wir geschichtenerzählende Wesen, weil wir uns mit der Hilfe von Geschichten bequem selbst thematisieren können. Um dabei zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, nutzen wir intuitiv zwei Techniken: die „Verdichtung“ von Lebensereignissen durch die Konzentration auf besonders wichtige Momente. Und Plastizität, also das „Umdichten“ des Erlebten. Vielleicht sollte ich gleich mal die Probe aufs Exempel machen? Wie habe ich das vergangene Jahr mit meinem CARAT wahrgenommen? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus ziehen? Und wie geht es weiter? Eigentlich hörte die letzte Saison für mich gar nicht auf. Als CARAT-Pilot hatte ich nach Ende der thermikaktiven Zeit noch ein Ass im Ärmel. Wohin soll es gehen? Das war die einzig notwendige Frage. Und die einzige Einschränkung war die anhaltende Pandemie. Noch sehr spät im Jahr führte mich ein Flug in meine Heimatstadt Würzburg, wo ich bei Minusgraden meinen Bruder und meine Mutter auf einen Kaffee Corona-konform neben dem Tower traf. Zwischen September und April waren tolle Flüge möglich: stimmungsreich, lehrreich und voller Vorfreude auf mehr. Sicher waren meine Flüge zu den vielen neuen Plätzen keine Weltreisen. Aber mit jedem Flug spürte ich deutlich, wie sich mein fliegerischer Horizont weitete. Irgendwann ging dann das kalendarische Jahr zu Ende. Hier und da verlangten die Bodennebel Aufmerksamkeit beim Fliegen, aber stimmungsvoller geht es ja wohl kaum. Und mehr Fliegen muss nicht sein. Lebenskunst besteht auch darin, zu wissen, wann man satt ist. Ich war richtig verliebt in den neuen CARAT und langsam

segelfliegen 2 - 2022

67

füllte sich die Zeit mit Ritualen der Vertrautheit. Im Winter las ich passenderweise den dicken Schmöker „Zen oder die Kunst ein Motorrad zu warten“, ein äußerst sperriger Weltbestseller von Robert Pirsig. In einer Art philosophischem Road-Trip klärt uns der Autor darüber auf, dass wir mit Liebe an die Technik herangehen sollten, von der wir abhängen. Klar, dass ich die Erkenntnisse gleich auf meinen Flieger übertrug. Mit einem Unterschied: Wer fliegt, kann nicht einfach rechts ranfahren, wenn etwas nicht stimmen sollte. Ein starkes Hochdruckgebiet schenkte mir dann bereits im Februar eine Art Frühlingserwachen. Auf einer schlammigen Wiese baute ich meinen Flieger in Donaueschingen auf. Gemütlich brauste ich nach Mainz und erlebte einmal mehr, dass Fliegen Akzentverschiebungen mit sich bringt. Raum, Zeit und Leben fühlten sich plötzlich anders an. Selbst wenn sich alle Menschen um mich herum einredeten, dass das „normale“ Leben am Boden – in den Städten, den Büros, den Cafés – bald wieder stattfinden könnte, wurde all das mit einem Schlag langweilig und entrückt. Bei überraschenden 20 Grad stieg ich in Mainz mit meiner dicken Daunenweste aus und ließ mich von erstaunten Piloten fragen, ob ich aus Norwegen käme. Mit ein wenig Rückenwind huschte ich später zurück nach Hause. Ein kleiner Ausflug für einen CARAT, aber ein Riesenschritt für einen ehemaligen Segelflieger, der noch nie im Februar so autonom und stressfrei in die Lüfte kam. Auf dem Nachhauseweg glühte sich die Sonne durch einen milchigen Abendhimmel, gerade so, als hätte jemand vergessen, die Herdplatte abzuschalten. Diese frühen Flüge gaben mir immerhin eine Ahnung davon, was noch alles möglich sein würde. Über der Schwäbischen Alb bildete ich mir ein, ein wenig Blauthermik unter den Flügeln gespürt zu haben. Tatsächlich? Ja, sie wird kommen, die kraftvolle Thermik! Ja, sie werden entstehen, neue gigantischen Wolken und Wolkenstraßen! Und ich werde ganz sicher bereit sein. Denn der CARAT ist zwar ein prima Flieger, um auch mal vier oder fünf Stunden geradeaus zu fliegen. Aber im Grunde dreht sich bei mir alles um das motorlose Fliegen. Noch immer. Und die Bilder... Auch Erinnerung wird heutzutage immer rationaler und effizienter gestaltet. Sie lässt sich wie am Fließband produzieren. Noch 2010 lautete die Werbung des Computerherstellers Apple: „Mach aus Fotos schöne Erinnerungen. Direkt auf den Mac. Damit Erinnerungen ewig halten.” Mittlerweile werden unsere Erinnerungsspuren immer lückenloser. Aber dafür zahlen wir einen hohen Preis: Je mehr Daten wir besitzen, desto weniger lässt sich interpretieren. Je mehr Fotos wir sammeln, desto weniger Spielraum bleibt für Assoziationen. Und je objektiver wir unsere Flüge dokumentieren, desto we-

68

segelfliegen 2 - 2022

Der herbstliche Bodennebel versperrt hier und da den Weg – doch stimmungsreicher geht es kaum

Tolles Lichtspiel und berauschendes Frühjahrspanorama über der Schwäbischen Alb – so lässt sich die Segelflugsaison gut an

niger „erzählerische Wahrheit“ ist möglich. Dieser mächtige Datenstrom ist gerade kein Zeugnis unseres Lebens mehr. Stattdessen werden wir zu editierbaren Menschen, zu belebten Dokumenten. Gruselig schön stand plötzlich das zweite Corona-Ostern vor der Tür. Ich sehnte mich schon seit langem nach den ersten thermischen Osterspaziergängen. An einem Samstag erhielt der CARAT mit großer Geste noch einen neuen roten Haubenfaden und endlich durfte ich wieder Segelflieger sein. Als ich startete, war es auf der Schwäbischen Alb noch blau. Aber

Frühlingserwachen über dem Schwarzwald, dafür aber gleich richtig!

Immer geradeaus der Wolkenstraße folgen – hier kann man auch mit dem CARAT nichts falsch machen

wie vorausgesagt ballten sich in einiger Entfernung erste Wolken. Wer nun undogmatisch bleibt, könnte Spaß haben. Gedacht, getan. Nach rund 25 Minuten Anflugweg befand ich mich ohne große Mühe in einem tollen Wetterfenster. Anfangs stieg ich mühsam, dann endlich durfte ich wieder „richtig“ segelfliegen! Aber CARAT fliegen, heißt fliegen. Egal wie. So einfach ließe sich der Erkenntnisgewinn zusammenfassen. Die Basis stieg stetig und mein Gefühl für das Kurbeln kam schnell zurück. Ja, ein wenig mehr Seitenruder brauchte er schon, aber sonst? Ich fühlte sehr gut, was ging

und was nicht. Nach fast drei Stunden Kreisen im Steigen war es mit dem Zauber vorbei. Gerade hatte ich noch tolle Bärte genossen, nun startete ich den Motor und tuckerte in Hygge-Manier nach Hause, wo ich nach rund vier Stunden glücklich landete. Die Thermiksaison stotterte sich warm – oder kam das nur mir so vor? Immer wieder musste ich aus meinem Arbeitsfenster hinaus zum Himmel schauen. Doch viel zu oft narrte mich das Wetter. Nach drei ungeduldigen Wochen besserte es sich endlich und ich fühlte nun tatsächlich so etwas wie Frühling. Endlich Mai! Endlich fliegen! Mit dem CARAT. Weil ich kein Experte bin, stolperte ich eher in die besten Flugmöglichkeiten. Viel wichtiger aber war, dass ich mir Zeit nahm, um genussfähig zu werden. Denn was nützt das ganze Tun, wenn man es nicht in vollen Zügen genießen kann, weil der Stress mitfliegt? Endlich kamen auch die magischen Tage, die Momente, die sich auch ohne Fotos und IGC-Datei in die Erinnerung einbrennen. Es gab aber immer wieder auch Augenblicke, in denen die Zweifel zurückkamen: Ist ein CARAT überhaupt das richtige Flugzeug für mich? Doch an einem dieser besonderen Flugtage versöhnte mich das außergewöhnliche Wetter mit meinem Hadern. Am Nachmittag entwickelten sich prächtige Wolken. Bis auf 2600 Meter katapultierten sie mich hinauf. Dort war es kühl, aber ich fühlte mich wohl wie schon lange nicht mehr. Schlussendlich flog ich unter ausgeprägten Wolkenstraßen den Schwarzwald entlang – für mich die Königsdisziplin des Genussfliegens. Über weite Strecken glitt ich dahin und war unendlich dankbar dafür, hier oben sein zu dürfen. Rasendes Fliegen ohne Stillstand. Doch niemals sollte sich ein CARAT-Pilot mit schlanken Segelfliegern vergleichen, die vorbeihuschen. Wer vergleicht, verliert immer. Wer hingegen seine Optionen kennt, gewinnt. Dieser Flugtag katapultierte mich auf die Sonnenseite des Lebens. Erst nach sieben Stunden Himmelsturnerei ging er zu Ende. Müde, aber tiefenentspannt fuhr ich nach Hause. Nur um gleich am nächsten Montag erneut zu fliegen. Und am Dienstag. Und am Mittwoch. Frei und entspannt. So vergingen die Wochen. War das Wetter in meiner Region weniger gut, tankte ich und schnurrte dorthin, wo mich die Luft willig hob. Während andere sich in ruppiger Blauthermik abmühten (wofür ich sie respektvoll bewunderte), gönnte ich mir drei Stunden Segelflug in einer 250 Kilometer entfernten Region. Für den Moment reichte mir das. Aber in mir bohrte die Frage, was der Sommer wohl bringen würde. Und die Bilder beginnen... „Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte“, schreibt der Schweizer Schriftsteller Max Frisch, „die er, oft unter gewaltigen Opfern, für sein Leben hält“.

segelfliegen 2 - 2022

69

1

Beim Erzählen spüren wir die Macht, die frühere Erlebnisse über unser Leben haben. Je älter Menschen werden, desto deutlicher nimmt die Neigung für Zwischenbilanzen und Rückblicken zu. Irgendwie spüren wir dabei, dass sich unser Leben nicht mechanisch abbilden lässt. „Das Leben besteht nicht aus Fakten, sondern aus Geschichten“, so der brasilianische Schriftstellers João Guimarães Rosa. Aber ist das nicht eine gefährliche Verklärung? Nostalgie als Flucht vor der Realität? Nein! Neuere Forschungen zeigen, dass eine nostalgische Haltung bei der Bewältigung von Krisen hilfreich sein kann. Der Soziologe Fred Davis bezeichnet Nostalgie sogar als eine Art Bankkonto, auf das wertvolle Erinnerungen eingezahlt werden und von dem man etwas abhebt, wenn man in die eigene Zukunft investieren möchte. Wenn das so ist, dann habe ich jetzt ein prall gefülltes Erinnerungskonto, voll mit Szenen, die ich im letzten Jahr mit dem CARAT erleben dufte. Manchmal staunte ich, was alles in einen einzigen Tag passt. Doch dafür musste ich als Pilot einen eigenen Weg einschlagen. Zwar bietet die Herde Wärme und Sicherheit, aber sie verhindert auch den Weg ins Freie. Auf diesem Weg wollte ich im August mehrere Tage unterwegs sein. Meine Gepäckstrategie hatte ich zwischenzeitlich verbessert. Schließlich wollte auch ich unterwegs „richtig“ segelfliegen. Leider lautete die Wetterprognose beinahe täglich: träge Warmluft, mäßige Steigwerte. Dennoch trieben

70

segelfliegen 2 - 2022

mich die Wolken immer weiter nach Osten. Erst abends landete ich in Giebelstadt, um meine Mutter zu besuchen, die sich von einem Krankenhausaufenthalt erholte. Der CARAT taugt auch für diese Art von Überraschung. Die netten Segelflieger bemühten sich redlich um mich und meinen Flieger. Trotz Windstille schleppen sie Wasserkanister zum Verzurren herbei, dazu Sprit aus Kanistern für den Weiterflug in zwei Tagen. Zwar sollte es bald wieder losgehen, doch meine erwartungsvollen Blicke zum Himmel wurden enttäuscht. Die Segelflieger starteten an der Winde und waren nach zwei Kreisen wieder am Boden. Anders als vorhergesagt blieb die Basis niedrig, dafür wurde der Wind stärker. Ich startete und versuchte mich als Segelflieger über Franken. Es war mühsam, weil sich eine dunkelgraue Abschirmung von Westen kommend über den Himmel wölbte und sowohl Licht als auch Euphorie unterdrückte. Gegen 17 Uhr landete ich enttäuscht und zerknirscht – dafür mit mehr Zeit für die Familie. Im Wandersegelflug ging es dann weiter nach Nordosten. Kurs Jena. Neuland. Die Warmluft war das eine, erneut gab mir eine Abschirmung den Rest. Immerhin genoss ich den Thüringer Wald und das Saale-Tal aus einer neuen Perspektive. Am nächsten Tag waren die örtlichen Segelflieger nach dem F-Schlepp schnell wieder am Boden, ich wartete also lieber noch etwas. Die Wolken sahen zwar gut aus, aber wieder ein-

3 2

1 Oben bleiben war in diesen Warmluft-Tagen mühsam wie hier in der Nähe der Volkacher Mainschleife. 2 Letzte Thermikflüge im Spätsommer – bald stehen wieder Reiseflüge an. 3 An der Basis am letzten Thermiktag der Saison Mitte

mal war Warmluft mit im Spiel, die ich ab jetzt „Warum-Luft“ taufte – warum bin ich eigentlich hier? Hier und da packte ich einen Aufwind oder gar einen Abschnitt unter einer Wolkenstraße. Aber mit Magie hatte das nur wenig zu tun. Nur wenige Segelflieger begegneten mir. Wenig Segelflieger? Das ist ein schlechtes Zeichen, dachte ich mir. Bald war ich es leid und überlegte sogar, in einem Rutsch wieder in den Schwarzwald zu fliegen. Aufgeben? So schnell dann doch wieder nicht. Denn auf der Agenda stand übungshalber der Einflug in die Kontrollzone von Hof-Plauen. Dort parkte ich den CARAT vor kleinen Airlinern und wunderte mich am nächsten Tag über moderate sieben Euro Landegebühr und fünf Euro Abstellgebühr. So flog ich dann in Etappen zurück, die mich zwar segelfliegerisch nicht verzückten, aber im Kern geht es ja um Freude, um das innere Ja zum äußeren Tun. Viel zu spät wurde mir klar, dass dies wohl die letzten Segelflüge mit dem CARAT waren. Noch ein paar Mal lockte mich im August die „Homezone“ über der Alb. Die letzten Überentwicklungen genoss ich in vollen Zügen. Dann begann die Regenzeit, die wir dieses Jahr aus Gewohnheit Sommer nannten. Leben ist keine Gerichtsverhandlung, bei der es darum geht, die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu berichten. Unser Gedächtnis arbeitet ständig mit dem Er-

September, es war einfach wunderbar!

innerungsmaterial. Interessant an Geschichten ist nicht, was sie beinhalten, sondern was weggelassen wurde. Damit richtet sich die Wahrheit über das eigene Leben ebenso nach innerer Folgerichtigkeit wie nach äußerer Eleganz. Was dabei entsteht sind Motivgeschichten, in denen wir den anderen und uns selbst erkennen können. Der Sommer ging stetig aber sicher in den Herbst über. Am 13. September zeigte sich dann, dass unerwartete Geschenke die schönsten sind. Es war wahrscheinlich der letzte richtige Thermiktag, wenngleich der Genuss nur kurze Zeit anhielt. Gleichwohl war jede Minute an der Basis unbezahlbar für mich. Noch einmal auf knapp 2000 Meter. Noch einmal dieses Piepsen des Varios im Ohr. Kein Rekord, außer ein Rekord im Genießen. Es war ein Montag. Dort oben traf ich nur Vögel und ein motorisiertes Trike. Zufall? Daran glaube ich nicht. Inzwischen bin ich mit dem CARAT als Motorflieger unterwegs, aber das sind Geschichten, die an dieser Stelle keinen Ort haben, wenngleich sie zu meiner Lebensgeschichte gehören. Bei einem Glas Rotwein sitze ich in meinem schweren Ledersessel, in dem ich immer tiefer versinke, denke an die gerade erzählten Episoden zurück und suche mir passende Bilder heraus. Immer tiefer tauche ich in meine eigenen Erinnerungen ein. Noch ein Glas. Noch mehr Erinnerungen. Noch mehr innere Bilder. Und die Bilder beginnen zu fliegen – der neuen Saison entgegen... t

segelfliegen 2- 2022

71

Windenstart mit Potenzial: elektrisch in den Himmel 72

segelfliegen 2 - 2022

Seit 18 Jahren betreibt der Luftsportverein Bad Neuenahr-Ahrweiler mit der ESW 2 B von Ulbrich Industrieelektronik eine elektrische Segelflugstartwinde. Damals war dies die erste am Markt erhältliche elektrische Winde. Wie kam es zu dieser Entscheidung und welche Erfahrungen hat der Verein in dieser Zeit gemacht? Autor Klaus Fey Bilder: Simine Short, Gerhard K altenegger Dietmar Spranger, Skylaunch

Stark, leise und wie auf Schienen segelfliegen 2 - 2022

73

I

n der Zwischenzeit hat sich – genau wie in der Automobilität – viel getan. Neue Batterien, Fortschritte in der Regelung und die inzwischen vorwiegend verwendeten UHMPE-Seile haben die Startart verändert. Vorab ein wenig Windengeschichte und Hintergründe. Der Windenstart von Segelflugzeugen stellt seit Jahrzehnten in vielen Ländern eine effektive und kostengünstige Variante dar, Segelflugzeuge mit einer hohen Startfrequenz auf eine je nach Gegebenheit mehr oder weniger gute Ausgangshöhe zu bringen. In Deutschland zählte man bis zur Einstellung der Statistik im Jahr 1994 jährlich 750.000 Windenstarts. In der Zwischenzeit dürften es durch weniger Segelflieger, die Zunahme von Selbststartern und die Einführung des kostengünstigen UL-Flugzeugschlepps weniger geworden sein. Die Zahl wird aber dennoch bei einigen Hunderttausend Starts pro Jahr liegen. Auch Länder, in denen über Jahre fast ausschließlich Flugzeugschlepp betrieben wurde (wie Frankreich oder die USA) haben die Startart für sich entdeckt. Denn gerade in der Segelflugschulung, wo viele Starts und Landungen den Lernforschritt beschleunigen, ist und bleibt der Windenstart eine bewährte, effektive und kostengünstige Startart. Durch die Verwendung von Kunststoffseilen ergibt sich bei langen Flugplätzen zudem die Möglichkeit von sehr hohen Ausklinkhöhen. Belegt sind Starts auf mehr als 1500 Meter (siehe segelfliegen magazin 1-2007, S. 50-51). Flugzeugschlepps sind dadurch nicht mehr notwendig und für den Segelkunstflug ergeben sich nie dagewesene Möglichkeiten. Ein Ausflug in die Geschichte Während Otto Lilienthal und die frühen Pioniere des Gleit- und Segelflugs noch abschüssige Hänge als Startrampen zunächst laufend, später mit Seilen und

74

segelfliegen 2 - 2022

Oben: Pilot William im Start, noch mit dem Schleppseil verbunden Rechts oben: Avery (Mitte) demonstriert Octave Chanute (links) die Funktion der Winde Rechts unten: Straßenbahnmotor als Startwinde. (Aus: Hans Nietlispach, Die Tramwinde, Segelflug-Bulletin 1/2004- 12/2005)

Gummiseilen nutzten, suchte man im Flachland bereits früh nach alternativen Methoden, die Segelflugzeuge an den Himmel zu bringen. Das Motorflugzeug kam hierzulande bereits seit den 1920er-Jahren zum Einsatz, doch damals wie heute stellte dies eine relativ aufwändige und kostenintensive Methode dar. Wenn man nicht gleich mehrere Schleppflugzeuge und Piloten sowie ausreichend große Pisten verfügbar hatte, ließen sich nur mäßige Startfrequenzen erreichen. Für den Autoschlepp gilt ähnliches, wobei hier zusätzlich die Ausklinkhöhe limitiert ist. Weil Segelflieger seit jeher eine innovative Spezies sind, dauerte es nicht lange, bis man Automobile und Motorräder zu ersten einfachen Winden umrüstete. Zunächst ersetzte man die

angetriebenen Räder durch Seiltrommeln, später nutzte man Riemen oder Rollen zum Antrieb. Je schwerer und leistungsfähiger die Flugzeuge wurden, desto höher die Ansprüche an Technik und Leistung der Winden. Schon bald entstanden statt umgerüsteter Fahrzeuge speziell konstruierte Seilwinden. America first Auch wenn zunächst alle frühen Winden Verbrennerantriebe verwendeten, träumten Segelflieger seit jeher von den bekannten Leistungen und der Drehmomentcharakteristik des Elektromotors. Das manche hiervon nicht nur träumten, sondern solche Winden erfolgreich bauten und einsetzten, war wenig bekannt – vielleicht auch deshalb, weil Flieger hierzulande oft nicht so

dagegen die sogenannte Schweizer Tramwinde. Diese wurde aufgrund des akuten Benzinmangels anfangs des Zweiten Weltkriegs vom Betriebsleiter der Berner Straßenbahn, Otto Schurter, konstruiert. Der Schweizer Segelflieger Hans Nitlispach berichtet, dass ein 380 Volt-Wechselstrommotor einen Gleichstromgenerator antrieb, der über einen Schleifgriffkurbelwiderstand einen Straßenbahnmotor mit Strom versorgte. Diese Winde soll auch von anderen Schweizer Gruppen nachgebaut worden sein.

sehr über den Flugplatzrand und erst recht nicht über den Länderrand hinweg schauen. Denn schon vor 118 Jahren und 15 Jahre bevor die legendären Darmstädter Studenten – hierzulande als Erfinder des Segelflugsports gefeiert – sich zur Wasserkuppe zu ihren ersten Gleitflügen aufmachten, startete im Jahr 1904 in St. Louis, USA, William Avery mit einem von Octave Chanute gebauten Gleiter im Windenstart und – man lese und staune – mittels einer elektrisch angetriebenen Winde. Eigentlich sollte es anlässlich der dortigen Weltausstellung ein publikumswirksames Fliegertreffen geben. Allerdings sagten die Gebrüder Wright ihre Teilnahme ab. Und so kamen nur Avery und Chanute, der im Kontakt mit Otto

Lilienthal bereits 1896 erfolgreich Gleitflugzeuge gebaut und an den Dünen des Lake Michigan geflogen hatte. Sie brachten einen Gleiter mit 15 Metern Spannweite und einer Leermasse von gut 8 kg mit. Als Startrampe dienten etwa 30 Meter lange in Windrichtung ausgelegte Schienen mit einem Wagen zur Aufnahme des Piloten und seines Flugzeugs. Die eigens konstruierte Elektrowinde meldete Chanute zum Patent an. Avery unternahm zur großen Freude des Publikums tägliche Flüge, erreichte hierbei etwa 30 Meter Höhe und Flugstrecken um die 200 Meter Länge. Ältere deutsche Segelflieger berichteten, dass es auch in den 40er-Jahren Versuche mit Elektrowinden gegeben haben soll, aber hierzu konnten keine Unterlagen gefunden werden. Gut dokumentiert ist

Frühe Pioniere Elektrowinden waren im Nachkriegsdeutschland zunächst kein Thema. Die vielen Vereine konstruierten, bauten oder kauften Verbrennerwinden unterschiedlichster Bauarten. Namen wie Röder-, Backnang-, Pfeifer-Winden sind älteren Segelfliegern noch geläufig. Auch der Münchener Unternehmer, Segelflieger und Windenpionier Hans Tost setzte zunächst auf Verbrennerantriebe. Seine Tost-Winden der verschiedenen Baureihen wurden etwa 650 Mal gekauft oder in Lizenz gebaut. Ab 1987 beschäftigte er sich in Kooperation mit dem Aero-Club Dachau und der Firma Siemens Antriebstechnik mit einer elektrischen Winde. Es kam aber nicht mehr zur Markteinführung, auch weil die Verfügbarkeit von Starkstrom auf den Flugplätzen schwierig machbar erschien. In Unterwössen machte Rüdiger Ettelbrück in der Zuammenarbeit mit der Firma Siemens weiter, wo Hans Tost aufgehört hatte. Es wurde dort eine stationäre 4-Trommelwinde gebaut, die ans örtliche Starkstromnetz angeschlossen ist. Diese Winde ist bis heute erfolgreich im Einsatz. 1990er-Jahre in Bad Neuenahr Der Segelflugzeugpark in Bad Neuenahr besteht dank einer großzügigen Spende ausschließlich aus Kunststoffflugzeugen. Als Winde dient allerdings weiterhin

segelfliegen 2 - 2022

75

eine fast 50 Jahre alte Winde System Backnang mit GM/Opel 5,4-Liter-230PS-Motor. Dank guter Auslegung und Wartung schleppt sie die schweren Vögel auf der kurzen Bengener Heide gar nicht mal so schlecht. Aber bei hohen Temperaturen und Startfrequenzen gerät sie an ihre Grenzen. Überhitzung, defekte Zylinderkopfdichtungen, Ventile, Hydrostößel – und das bei einer immer schlechter werdenden Ersatzteillage und weniger Nachwuchs an fähigen Technikern in den eigenen Reihen. Eine neue Winde muss her. Ein Team checkt den Markt und macht es sich nicht leicht. Alle am Markt verfügbaren Winden werden besichtigt und soweit möglich ausprobiert: SkylaunchWinden in England, eine MEL-Winde in den Niederlanden, die Eggerwinde in Deckenpfronn. Mit Hans-Tost-Nachfolger Aldo Trisolino wird über den Bau einer neuen Tost-Winde verhandelt. Dazu werden einige gebraucht angebotene Winden besichtigt. Die Wende kommt mit einem Ausflug von drei Fluglehrern und einem Fahrlehrer nach Polheim bei Gießen. Dort hat der Elektroingenieur Jürgen Volk die Tost-Elektro-

winde mit neuer Regelung und Pufferbatterien versehen und wir testen sie vom Windenfahrer- und ASK13Cockpit aus. Alle sind mehr als begeistert von der einfachen Bedienung, der enormen Beschleunigung, der Schleppcharakteristik und den erreichten Auslinkhöhen. Zuhause wollen Vorstand und die Mitglieder überzeugt werden. Den Skeptikern wird dadurch begegnet, dass zunächst der Prototyp der ESW 2B (dieser schleppt heute in Bad Gandersheim) ein halbes Jahr probeweise in Betrieb genommen wird. Weil noch keine Kabel verlegt sind, wird die Stromversorgung über einen gemieteten Generator gewährleistet. Das Ergebnis überzeugt und so beschließt die Mitgliederversammlung, eine neue ESW 2B zu bestellen. Hauptargumente für diese Entscheidung damals: Es soll eine neue Winde mit Gewährleistung sein, der leistungsstarke, umweltfreundliche Antrieb spielt ebenso wie die einfache Bedienung und die Seilkraftregelung eine große Rolle. Auch die prognostizierten geringen Betriebskosten und die weitgehende Wartungsfreiheit waren ein wichtiges Argument.

Eine zukunftsweisende Entscheidung Der Verein, Motor- wie Segelflieger, standen geschlossen hinter dem Projekt, viele Mitglieder halfen mit Spenden von 10 € bis zu vierstelligen Beträgen. Auf Vermittlung des inzwischen verstorbenen Mitglieds Hans-Peter Israel spendete die Firma Siemens 1200 Meter Erdkabel, das zu den beiden Startköpfen verlegt werden musste. Auch die Verlegeaktion wurde gemeinsam mit breiter Unterstützung gestemmt. Das Kabel wurde im Übrigen nicht eingebaggert, sondern mit einer in der landwirtschaftlichen Bewässerung üblichen Fräse in die Erde gebracht. Ein neues Telefonkabel kam gleich mit in die Erde. An den beiden Startköpfen setzte man abschließbare Verteilerkästen mit 400-Volt-CE-, 230-Volt- und Telefonsteckdosen einbetoniert. Strom an den Startstellen – z. B. für Kühlschrank oder Ladegeräte im Startbus – sind angenehme Nebeneffekte. Am 20.07.2003 fand die offizielle Inbetriebnahme der Winde statt. Presse und Öffentlichkeit würdigten die zukunftsund umweltweisende Entscheidung. Bezahlt hat der Verein damals 52500 € zuzüglich Steuer.

Links: Bei den Erdarbeiten zum Verlegen des Starkstromkabels packte der ganze Verein mit an. Hier der damalige Erste Vorsitzende, Peter Büth (links), der Autor (Mitte) und der große Förderer des Projektes, Hans Peter Israel † (rechts) beim Setzen des Anschlusskastens am Startkopf 28 Rechts: Seit dem 20.07.2003 ist die ESW 2B im im LSV Bad NeuenahrAhrweiler im Einsatz

Inzwischen steht die ESW 2B auf einem E-THW-Magirus und ist selbsverständlich nicht mehr mit Stahl-, sondern modernem Dyneemaseilen ausgestattet. Die Winde lehnt sich im Aufbau an die bewährten Tost-Muster an. Der zentral und längs angeordnete 90 kW-Drehstrom-Normmotor kann in der Spitze 210 kW Leistung abgeben. Über eine Welle gelangt die Kraft auf ein Winkelgetriebe und die beiden AlugussSeiltrommeln. Im Gegensatz zu den Tostwinden verwendet diese Winde keine LKW-Hinterachse mit Differentialgetriebe, sondern ein eigens konstruiertes und gebautes Winkelgetriebe mit angebauter Spulvorrichtung und Ausziehbremse. Das Einkuppeln der Trommeln erfolgt mechanisch. Diese Hebel betätigen auch die Seilauszugbremsen. Ansonsten können die Trommeln nicht gebremst werden, was auch nicht nötig ist. Beim Reduzieren der Motorleistung auf Null wird die Trommel elektrisch gebremst und läuft nur wenig nach. (Technische Daten im Kasten Seite 78) Erwartungen erfüllt? Mit Einschränkungen. In den etwa 18 Jahren hat die Winde knapp 15.000

Starts im Buch stehen. Was waren die Erfahrungen? Voll erfüllt haben sich die Erwartungen hinsichtlich der einfachen Handhabung für den Windenfahrer. Nach dem manuellen Einkuppeln der jeweiligen Trommel, Einschalten und Leistungsfreigabe stellt der Windenfahrer nach Kommando das Leistungs-Potentiometer auf „Seil straffen“. Bei „Seil straff – Fertig“ geht der Schieber zügig, nicht etwa langsam, etwas über den markierten Wert der Seilkraft bzw. des dort genannten Musters. Die Winde beschleunigt enorm, die Rollstrecke ist auch bei schweren Doppelsitzern sehr kurz. Nach dem Abheben und eventuellem Reduzieren der Leistung auf die gewünschte Seilkraft kann der Windenfahrer sich entspannt zurücklehnen. Die Winde regelt die Seilkraft. Schnelleroder Langsamer-Kommandos soll es nicht geben. Erst im letzten Viertel des Schlepps wird der Leistungshebel allmählich zurückgenommen und nach dem Ausklinken zügig wieder nach oben bewegt. Mit dem Stahlseil und je nach Seilschirm gab es zu Anfang ab und zu Schlaufen auf und neben den Trommeln. Seit Modifi-

kation durch Verkleidung der Trommeln und spätere Verwendung von Kunststoffseilen gehören diese Schlaufen der Vergangenheit an. Auch die Kosten bewegen sich im versprochenen Rahmen. Der Stromverbrauch beträgt etwa 1 kWh pro Schlepp. Vom Hersteller versprochen war, dass die 50 Kfz-Puffer-Starterbatterien etwa sieben Jahre halten und dann ersetzt werden müssen. Dies traf genau zu und es ist nur der dritte Satz Batterien im Einsatz. Pro Batteriesatz mussten etwa 3500 € gezahlt werden. Wenn man diesen Betrag auf die Startzahlen umlegt, kommt man zusammen mit Abschreibung, Seil und Zubehör auf Kosten wie im Kasten auf Seite 78 genannt. Erfüllt haben sich auch die Erwartungen hinsichtlich Wartung: eine Durchsicht im Jahr und etwas Fett auf die Motorwelle, dazu (bis zum Einsatz wartungsfreier Batterien) einmal pro Jahr Säurestand kontrollieren und auffüllen. Leider hat sich die Hoffnung, mit einer fabrikneuen Winde vor frühen Defekten geschützt zu sein, nicht erfüllt. Bereits kurz nach Inbetriebnahme versagte das Winkelgetriebe. Es stellte sich heraus,

Technische Daten ESW 2B A Antrieb Trommelanzahl Abgabeleistung max. kW/PS Energiebedarf pro Start Batterien Anzahl / Spannung / Kapazität Startfrequenz Doppelsitzer bei 20 kW Anschlussleistung Schleppmasse max. Beschleunigung Seilauslage Seilgeschwindigkeit min/max Maße Masse

Drehstrom-Normmotor 2 205/280 ca. 1 kWh 50 / 12 V / 88 Ah ca. 20/Stunde 850 kg 7 - 10 m/s2 max. 1800 m 18/108 km/h 300 x 200 x 130 cm 3200 kg

Kosten Winde ESW 2B Bad Neuenahr-Ahrweiler e.V. (bezogen auf 1000 Starts pro Jahr, alle Kosten gerundet und netto) Art Kosten/Jahr Abschreibung (20 Jahre) 3100,00 € bezogen auf insgesamt 62.000 € Anschaffungs- und nachträgliche Anschaffungskosten Betriebskosten Energie 300,00 € ca. 1 kWh pro Start Pufferbatterien pro Satz 500,00 € alle 7 Jahre ca. 3500 € Wartung, ca. 500,00 € Seil, Seilschirme, Seilzubehör ca. 1000,00 €

Kosten/Start 3,10 €

Summe

5,40 €

5400,00 €

das im Kegelrad Zähne ausgebrochen waren. Wie es dazu kommen konnte, ließ sich nicht klären. Leider konnte man die Winde auf unserem Transit nicht auf der Straße zum Hersteller fahren, sondern musste das etwa 600 kg schwere Getriebe selbst ausbauen und nach Weilburg bringen. Nach Wiedereinbau kam es zu einem starken Ölverlust und das Getriebe musste erneut zum Hersteller. Nach einem weiteren

78

segelfliegen 2 - 2022



0,30 € 0,50 € 0,50 € 1,00 €

Getriebeschaden entschloss man sich, ein Winkelgetriebe eines renommierten Herstellers (Tandler, Bremen) für ca. 6500 € zu erwerben und einzubauen. Des Weiteren wurde die Klauenkupplung zwischen Motor und Getriebe um eine Brechbolzenkupplung erweitert, um hohe Lasten am Winkelgetriebe zu vermeiden. Ein Glücksfall zur Bewältigung dieser Probleme und Durchführung der Reparaturen war und ist der

technische Leiter im Verein, Jürgen Niedenführ. Ohne seine Ideen, seinen Sachverstand und seine handwerklichen Fähigkeiten hätte man die Arbeiten nicht stemmen können. Inzwischen läuft die Winde zuverlässig, bei hohen Temperaturen und Lasten kommt es selten zu Umrichterstörungen. Im Jahr 2016 musste nach einem Bruch der Flanke eine Seiltrommel ersetzt werden. Während eines Gespräches vor Verfassen dieses Beitrages mit dem Konstrukteur und Hersteller Jürgen Volk wies er daraufhin, dass wir als Pioniere und Käufer der ersten Serienwinde noch von der ein oder anderen Kinderkrankheit betroffen gewesen seien. Er versicherte, dass die aktuellen Produktionen all diese Mängel überwunden hätten und es ansonsten viele Neuerungen und Weiterentwicklungen gibt. Sicherheitsaspekte Elektrowinden regeln über die Elektronik zuverlässig die Seilkraft. Das ist – und hier sind sich die Experten, allen voran Professor Dr. Richard Eppler, Dr. W. Ambros und auch Karl Höck einig – der Schlüssel zu sicheren, effektiven Windenstarts. Übermitteln der Schleppgeschwindigkeit per Funk oder Telemetrie sind zwar nützliche Hilfsmittel, können eine Seilkraftregelung aber nicht ersetzen. Verbrennerwinden, deren Leistung per Gaspedal oder -griff geregelt werden, brauchen erfahrene und umsichtige Windenfahrer, die je nach Wind und geschlepptem Flugzeug mit dem richtigen Fingerspitzengefühl an den Himmel schleppen. Die in den letzten Jahrzehnten zunehmend aufgekommenen starken Dieselwinden bergen hier ein zusätzliches Risiko. Allzuleicht kann ein leichter Einsitzer mit zu hoher Anfangsbeschleunigung geschleppt werden. Karl Höck hat einmal nachgewiesen, dass bei bestimmten Leistungseinsitzern die Position der Schwerpunktkupplung bei gegebener Rumpflänge und Höhenru-

dergröße nicht ausreicht, das entstehende Moment zum Aufbäumen durch einen Höhensteuerausschlag in Richtung Drücken zu verhindern. Ein zu hoher Anstellwinkel mit Strömungsabriss kann die Folge sein, in den ersten Höhenmetern des Windenstarts eine kaum zu parierende Situation. Zu hohe Seilkraft im weiteren Verlauf des Schlepps kann zu Sollbruchstellenoder Seilrissen führen. Startunterbrechungen gehören wie die genannten Strömungsabrisse zu den häufigsten Unfallursachen im Windenstart, leider oft mit tödlichem Ausgang. Seilkraftgeregelte Winden helfen dem Winden-

fahrer, dies zu verhindern. Augenscheinlicher Beweis: In Bad Neuenahr reißen Sollbruchstellen sehr, sehr selten. Schließlich regelt die Winde die Seilkraft auf weniger als die definierte Bruchlast. t

Hinweis: Alle Informationen erfolgten nach bestem Wissen und Gewissen. Sollten unsere Leser weitergehende Informationen oder auch Fragen haben, freuen wir uns über ihre Zuschrift: [email protected]

Unser Autor: Klaus Fey ist Journalist, Verleger, Segelflieger, Fluglehrer, Windenfahrer, -reparierer und -wart und seit jeher ein großer Fan dieser Startart. Seit vielen Jahren beobachtet er den nationalen und internationalen Markt von Winden, Seilen, Seilschirmen und Zubehör. Die Sicherheit im Windenstart liegt ihm besonders am Herzen und die relativ konstant bleibende Anzahl an Windenunfällen besorgt ihn.

Der aktuelle Windenmarkt: Elektrisch und Verbrenner Viele Anbietern von Winden sind in den vergangenen Jahren vom Markt verschwunden. Tost-Nachfolger Aldo Trisolino hat das Geschäft aufgegeben, MEL/Van Gelder-Winden in den Niederlanden werden nicht mehr angeboten und auch der baden-württembergische Windenbauer Egger hat seinen Betrieb im Jahr 2013 aufgegeben. In San Diego, Californien, hat die Firma Roman Design 2006 eine interessante Mehrtrommelwinde mit Seilkraftmessung vorgestellt und hiervon mehrere an die kanadischen AirCadets ausgeliefert. Was hieraus und dem vielversprechenden Projekt der LLC Hydrowinch in den USA geworden, ist nicht bekannt. Bleibt die Firma Skylaunch aus England, zurzeit international der erfahrenste und erfolgreichste Anbieter von Verbrennerwinden mit weltweit über 170 verkauften Winden (Bild rechts). Auch Skylaunch bietet inzwischen die Winden mit Elektroantrieb an. Eine solche Winde ist seit 2011 in Frankreich im Einsatz. Eine neue Skylaunch Doppeltrommelwinde kostet mit 8,2 Liter Gasmotor und Grundausstattung ab 83.715 € netto, mit 285 kW Elektro-

antrieb ab ca. 101.000 € netto, zzgl. Fahrgestell, Überführung, Seilausrüstung, Elektroinstallationen, Puffer- oder Speicherakkus und Ladenetzteil sowie Komfortausstattungen. Der Hersteller Ulbrich Industrieelektronik berichtet, dass es seit vier Jahren eine neue Steuerung, Gen4 genannt, gibt, die bei verbesserten Regeleigenschaften auch mit neuen Batterietechnologien autark betrieben werden kann. Winden mit PB-Batterien sind in

Kitzingen, Greven und Aachen im Einsatz, Winden mit LFP-Batterien in Emmerich und Wiener Neustadt (Donauwinde). Drei weitere Winden stehen unmittelbar vor der Auslieferung und 2022 sollen voraussichtlich weitere sieben Winden hinzukommen. Der heutige Grundpreis mit PB-Batterien beträgt 112.400 € netto, inflationsbedingt Tendenz steigend. Die zuletzt fest bestellte Winde S.-Nr. 38 steht zur Auslieferung im April/Mai dieses Jahres an. t

Advertorial

Firmenportrait:

AdvanTec GmbH Kernkompetenz Die AdvanTec GmbH in Augsburg ist ein erfahrener Dienstleister mit mehr als 20 Jahren Expertise im Bereich der Entwicklung von Komponenten für die Luftfahrt. Diese Entwicklungstätigkeiten erstrecken sich über die Bandbreite von Leichtflugzeugen, Helikopter von Airbus Helicopter wie EC 135 und NH  90 bis hin zu Verkehrsflugzeugen von Airbus A320, A340, A380, Dornier und Mitsubishi. Die beiden Inhaber Stefan Senger und Stefan Gorkenant sind seit ihrer Jugend mit der Luftfahrt eng verbunden und beide aktive Privatpiloten. AdvanTec betreibt seit 2016 verschiedene eigene Forschungsprojekte in den Bereichen elektrische Luftfahrtantriebe und industrieller 3D-Druck. Die Aktivitäten von AdvanTec in Forschung und Entwicklung von 2016 bis 2026 Das Projekt E-ROP 2016-2022 Die AdvanTec GmbH entwickelt als Konsortialführer seit 2016 einen hybridelektrischen Antriebsstrang für viele möglichen Anwendungs-Szenarien im Bereich: STOL, VTOL, UAM und Leichtflugzeuge.

80

segelfliegen 2 - 2022

Der verwendete Forschungsträger dafür ist eine Antares 20 E von Lange Aviation. Der Primärantrieb selbst ist als „front electric sustainer“ FES-Antrieb in Eigenleistung umgestaltet. Die Entwicklung eigener Batteriemodule und Steuerung durch ein eigenes Batterie-Management-Systems (BMS) wird in der ersten Stufe, Quartal 1/22, für eine Reichweite von 250 km, in der 2. Stufe, von 450 km im Quartal 4/22 ausgelegt. Die Flugerprobung mit dem Forschungsflugzeug beginnt im ersten Quartal dieses Jahres. Das Ziel der 3. Stufe mit der Integration des Range Extenders ist, eine Reichweite von bis zu 2500 km mit einem Verbrennungsmotor oder 1300 km mit einer Wasserstoff-Brennstoffzelle nonstop zu erreichen. Die bisherige Entwick-

lungsstufe des E-ROP-Antriebs wird auf der AERO 2022 in der Halle 7 vorgestellt. Eine mögliche zertifizierte marktreife Serienfertigung des Antriebs von AdvanTec für einen Umrüstsatz wird aufgrund erneuter Anfragen im Moment überprüft. Die Projektpartner des E-ROP-Projektes sind Bürklin Elektronik GmbH & Co. KG, LZ-Design, Engiro GmbH, DHBW Mosbach. Das Projekt ist durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWi), gefördert. Weitere Informationen: www.e-rop.de. Das Projekt HEAR 2023-2026 Das Anschlussprojekt HEAR befasst sich mit einer Antriebsfamilie, die eine Wellenleistung bis zu 150 kW bei 280-400V DC erreicht. Es wird eine Plattform für einen kompletten Antriebsstrang entwickelt, bestehend aus einem hocheffizienten Motor, der zugehörigen hocheffizienten Silicium Carbid-basierten Leistungselektronik und einer Wasserstoff-Brennstoffzelle als Range Extender. Die Leistungsklasse des Antriebs wird es ermöglichen. Luftfahrzeuge aus den Bereichen Lufttaxis, Drohnen und Leichtflugzeuge bis 2 t MTOW anzutreiben.

2

1 1 CAD-Zeichnung E-ROP mit Range Extender. 2 Forschungsflugzeug auf dem Spannfeld bei der DLR in Stuttgart für den Statik-Test. 3 Batteriemodul Lade- und Entladetest. 4 Aufnahme Wärmebild Lade- und Entladetest (DHBW Mosbach Prof. Klein)

Weitere Projekte, die sich mit der additiven Fertigung, dem industriellen 3D-Druck von Wärmetauschern für Luftfahrzeuge (AMPHEA) und der Entwicklung von luftfahrttauglichen Batterien befassen, sind seit 2020/21 in Arbeit. Die Messevorstellung E-ROP auf der ElectriFly-In 2021 in Grenchen, CH Im September 2021 hatte das E-ROPProjekt der AdvanTec GmbH das Messedebüt mit Erfolg bestanden. Viele internationale Gäste aus der Luftfahrtbranche haben das Projekt begutachtet und sich in vielen Vorträgen im Symposium der ElectriFly-In über die bisherige und weitergehende Entwicklung der elektrischen Luftfahrt informiert. Stefan Senger, CEO der AdvanTec GmbH und Prof. Klein von der Universität Mosbach (D) und Konsortialpartner im E-ROP-Projekt, haben mit einem gemeinsamen Vortrag über die Entwicklung ihrer Luftfahrtbatterie dazu ihren Beitrag geleistet. Hervorzuheben ist das international gewonnene Ausstellerfeld mit hochwertigen, innovativen Exponaten und Flugvorführungen. Die professionelle Organisation der ElectriFly-In sowie die

gastfreundliche Aufnahme durch die zum Großteil ehrenamtlichen Helfer der Messeorganisation haben dazu beigetragen, dass die ElectriFly-In ihre Erfolgsgeschichte fortschreiben wird, allerdings 2022 aus Platzgründen in Bern, was schon für sich alleine spricht. AdvanTec wird den bis dahin erreichten Entwicklungsstand des E-ROP-Projektes auch 2022 auf der ElectriFly-In präsentieren. Tochterunternehmen der AdvanTec GmbH Die VOCUS GmbH ist mit ihrer Expertise in der additiven Fertigung, Fertigung von Prototypen und Kleinserien im 3D-Druckverfahren für die Luftfahrtindustrie eingebunden. Auch eigene Entwicklungen und Produkte im Bereich Cockpit und Flugzeugzelle wie z. B. Batteriemodule, Flächenräder und aerodynamische Verkleidungen aus PA6 CFK werden vertrieben. Weitere Informationen: www.VOCUS3.de Die VisionZero GmbH betreibt das Forschungsflugzeug, die AdvanTec WN:01 auf der Basis einer Antares 20 E als Erprobungsträger für eigene oder fremde Flugerprobungen von Luftfahrtsystemen aus Entwicklungsprojekten. t

3

4

segelfliegen 2 - 2022

81

VORSCHAU Das nächste segelfliegen magazin erscheint Ende Februar 2022 und ist im Zeitschriftenhandel erhältlich sowie unter segelfliegen-magazin.de/bestellungjahresabo/ IMPRESSUM Geplant sind unter anderem diese Beiträge:

Verlag | Grafik | Abo-Service:

Gabler Media, Brigitte Gabler

Neues Wellenflug-Konzept in den Alpen Bis jetzt war klar: Süd-Föhn-Wellen fliegt man auf der Nordseite des Alpenhauptkamms und NordföhnWellen auf der Südseite. Moderne Vorhersage-Methoden erlauben nun, diese Modelle zu überdenken, was viele interessante Möglichkeiten für neue Flüge eröffnet.

Nur weil der Motor grad nicht läuft?

Gussstrasse 26, CH-8180 Bülach ZH fon +41 (o)43 810 7539

[email protected] Chefredaktion: Brigitte Gabler

[email protected] Fachlicher Berater/Testpilot: Ernst Willi Lektorat: www.luftfahrtjournalismus.de Freie Autoren: Henry Blum, Gisela Benoist, Roland Bieri, Ludwig Haslbeck, Michail

Hengstenberg, David Richter-Trummer, Sabrina Schels, Mathias Schunk, Stefan Selke, Helge Zembold

Sportlich betrachtet wird nicht differenziert, ob das Segelflugzeug denn nun einen Motor hat oder nicht. An diese Tatsache haben wir uns bereits gewöhnt – und doch führt gerade das nicht nur bei unbefangenen Zeitgenossen zu Stirnrunzeln.

Anzeigen: Holger Back, [email protected] Druck: Druckerei Wagner, D-87719 Mindelheim Bezugspreise:

Einzelheft: CH 11,50 CHF, D/EU 9,50 EUR

Jahresabo: CH 68,00 CHF, D/EU 56,00 EUR,

FWTY – Flying With The Youngsters ... steht für ein generationsübergreifendes Coaching-Projekt in Namibia. Eine Gruppe ambitionierter und top ausgebildeter Streckenflug-Junioren bietet seit Winter 2021/2022 in Bitterwasser individuelle Streckenflug-Coachings an. Ein Erfahrungsbericht der ersten Runde.

Übersee 75,00 USD

Jahresabo digital: 49,00 EUR/CHF

Kombiabo: CH 81,00 CHF, D 67,00 EUR Übersetzung, Nachdruck sowie

fotomechanische, elektronische oder digitale Wiedergabe von Teilen der

Zeitschrift oder im Ganzen sind nur mit schriftlicher Erlaubnis des Verlages

gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos Zeichnungen und

Datenträger wird keine Haftung übernommen.

(ISSN 1612-1740)

82

segelfliegen 2 - 2022

Sposo und andere Katastrophen Autorin: Gisela Benoist

D

a ist es wieder – voll das Leben! Mit allen Risiken und Nebenwirkungen! Und dazu kann ich mich als Arzt auch nicht selbst befragen. Mein Lieblingssohn hatte sich ja im letzten September dazu entschieden, sich als Sportsoldat zu bewerben. Ich gebe zu, die Entscheidung, mein Okay zu geben, fiel mir nicht leicht! Weniger wegen „Sport“, sondern mehr wegen „Soldat“ in dem Wort! Das klingt für mich sofort nach posttraumatischer Belastungsstörung und Krieg und einem völlig verstörten Kind! Ich seh ihn noch am 03.01. in aller Früh im Bahnhof winken und im dunklen Nichts verschwinden. In Hannover wurden 36 Sposos zur Grundausbildung eingezogen. Also 32 Sportler (das sind die, die nach einem harten Neun-Stunden-Dienst noch zwei Stunden hart trainieren) und vier Segelflieger. Die Chiller der Truppe. Schließlich schränken ja auch zu viele Muskeln direkt die Bewegungsfreiheit im Cockpit ein. Patrick hatte gemeint, wenn sie von ihrem Sieg bei Europameisterschaften erzählt haben, hat er leise gemurmelt, ja, ich war auch schon mal bei einer Deutschen am Start. Immerhin guckt er mich nicht mehr an, als wäre ich geisteskrank, wenn ich meine Laufschuhe schnüre, und trainiert tatsächlich am Laufband. Hat sich dann doch rumgesprochen, dass ein bisschen Kondition bei längeren Flügen nicht schaden kann. Aber wow, auch sonst hat sich der Bub verändert! Räumt selbstständig seine Shirts ordentlich in den Schrank und erklärt mit Inbrunst, wie man mit drei verschiedenen Bürsten Schuhe putzt! Kann er bei seinen drei Paar Sneakers super anwenden! Wenn er zuhause ist, dreht sich jetzt alles um die bevorstehenden Wettbewerbe. Im Gegensatz zu den letzten beiden Jahren wird ja heuer in allen Teilen Europas geplant wie wild. Ich weiß gar nicht, bei wie vielen Wettbewerben sich Patrick beworben hat, aber er hat für mich erschreckend viele Plätze bekommen! Er wird mit seinem Hänger gefühlt einmal quer durch Europa unterwegs sein, und ich bin mir nicht sicher,

ob die Straße oder die Luft mehr Gefahren für ihn bereit hält! Was wird das für ein Jahr für mich! Da waren die Wochen in Hannover noch die einfachsten. Kürzlich beim Abendessen bekam er die Mail, dass er sogar zum Grand Prix nach Schweden nachgerückt ist. Wollte sofort die Startgebühr überweisen, aber leider hat sein Handy gerade schlechte Verbindung. Hat er halt mein Handy genommen. Allein von den Startgeldern hätte ich meine Frühjahrs-Outfits finanzieren können, aber nach dem zweiten Corona-Winter ist man ja stolz, wenn man noch in die Klamotten vom letzten Jahr passt und es sich dabei nicht nur um einen Schal und die Schuhe handelt. Neue Styles sind voll überbewertet. Zu allem Übel kam jetzt auch Max nochmal auf die Idee, sich um einen Platz beim Wettbewerb zu bemühen. Alter schützt bekanntlich nicht vor Torheit. Easy, dachte ich, er hat kaum Punkte, da kriegt er safe keinen Platz. Von wegen. Zack, und schon mache ich heuer Urlaub auf dem Flugplatz statt am Meer, Surfen ist ja auch wirklich gerade nicht Thema! Und sollte da in Schöngleina ein See zum Surfen sein, hab ich ganz sicher keine Zeit dazu. Das ist super safe. So dreht sich jetzt alles ums Trainieren und Tunen bei beiden Männern! Irgendwas gibt es immer, was noch ins Cockpit passt, die Software updatet oder den Flieger – angeblich – schneller macht. Immer öfter kommen Mails oder Pakete der Kategorie: Oh, das verstehst du nicht; oder: Das ist jetzt wirklich schwer zu erklären. Vater und Sohn verstehen sich dagegen wunderbar und teils ohne Worte, ist ja auch schön. Die verschiedenen Poliermittel jedenfalls habe ich erkannt, Max meint, so richtig poliert hält eine 31 mit den EBs locker mit. Hat sich ja rumgesprochen, dass nicht Länge (bzw. Spannweite) zählt. Ähem. Ja, diesmal will er gleich mit den ganz Großen mitspielen. Ich plädiere für den vorletzten Platz, Letzter fühlt sich echt nicht gut an. Für alle. Ich fürchte, mir bleibt heuer so gar nix erspart! Vielleicht, wenn noch so ein bisschen Lockdown käme – beschränkt auf Wettbewerbe auf Flugplätzen???

segelfliegen 2 - 2022

83

WIND. VARIO. AHRS. ALL IN ONE. JETZT AUCH VERFÜGBAR FÜR DIE

LX80xx/90xx Reihe E N T W I C K E LT V O N Heinrich Meyr und Peng Huang und lizensiert an LXNAV

Wind in Echtzeit

3D Wind

Instantane Ergebnisse

2-Zeiger Vario

Keine Fehlinformation durch Horizontalböen

Get in touch

Social

© Copyright 2013 - 2024 MYDOKUMENT.COM - All rights reserved.