Segelfliegen 2022-05-06 Flipbook PDF


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Story Transcript

Te Araroa: Neuseeland von Süd nach Nord Streckenflug Eine neue Wellen-Ära 2022

Nr. 3 - Mai | Juni

B 62493

Sicherheit Risiko: Hangflug |

ISSN 1612-1740 | Schweiz CHF 11.50 | Deutschland € 9.50 | EU-Länder € 9.50

EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser, in den kommenden Tagen öffnet die Aero in Friedrichshafen für die Besucher nach zweijähriger Corona-Pause wieder die Hallentore und versucht, in eine Art wirtschaftliche Messe-Normalität zurückzufinden. Obwohl die Ausstellung 1977 ihre Erfolgsgeschichte mit einer Handvoll Segelflugzeuge und Motorsegler startete, sind dieses Jahr zahlreiche Hersteller unserer geliebten Hightech-Sportgeräte oder des dazu passenden Zubehörs in Friedrichshafen unter den ca. 500 Ausstellern nicht vertreten. Ernst Willi Fluglehrer, Flugplatz Schänis

Wer sich im ersten Augenblick denkt, dass sich die Segelflug-Hersteller dank voller Auftragsbücher eine finanziell und organisatorisch aufwändige Ausstellung zur Akquisition von Kunden sparen will, die sie ohnehin nur mit mehrjährigen Wartefristen bedienen kann, liegt nicht ganz richtig. Die Geschichte ist komplizierter. Da ist einerseits der Termin Ende April, der schon in der für die Hersteller wichtigen Wettbewerbs-Saison liegt. Manche Ausstellungs-Maschine kann deswegen ihrem Produzenten nicht auf dem Siegerpodest Ruhm und Ehre verschaffen und gleichzeitig in der Messehalle „bella figura“ machen. Anderseits spielt auch die (Welt-)Politik mit. Die hat wegen der rasant wachsenden Flüchtlingsströme aus der Ukraine eine der Messehallen als mögliches Aufnahme-Zentrum reklamiert, worauf die Segelflug-Hersteller von der Messeleitung, die ihren Teil zur Linderung der humanitären Krise beitragen will, umquartiert wurden. Das kam nicht bei allen gleich gut an. Ob die vorsorglich reservierte Halle A1 nun aber tatsächlich als Aufnahmezentrum für Flüchtlinge benötigt wird oder einfach leer steht, war bei Redaktions-Schluss noch nicht sicher. Nun ist die Vorstellung, dass man nahe am bedrückenden Flüchtlings-Elend bei Weisswein-Apéro und Bratwurst-Duft fachsimpelt, ob das Interieur seines neuen Spielzeuges im Bereich eines sechsstelligen Kaufpreises (bei Motorfliegern deutlich teurer) mit hellem Leder oder Stoffbezügen ausstaffiert werden soll, für viele kaum akzeptabel. So wie viele Bereiche unseres Alltags heute anders sind als vor dem 24. Februar 2022, ist eben auch dieses wichtige Branchen-Event vom Überfall der Ukraine betroffen. Sicher diskutieren wir mit der Abwesenheit unserer Branche in Friedrichshafen ein Luxus-Problem. Aber wenn die ganze Wirtschaft mit schlechtem Gewissen in depressives Nichtstun verfällt, fehlt am Ende auch die finanzielle Power, um den Betroffenen bei einem Wiederaufbau oder einem Start in einer neuen Heimat solidarisch beistehen zu können. Genießen Sie also in den nächsten Tagen die Aero in Friedrichshafen, auch wenn diesmal nicht alle gewohnten Segelflug-Hersteller anwesend sein werden. Das soll Sie ja nicht von einer großzügigen Spende für die Flüchtlinge aus der Ukraine abhalten. Ihr Ernst Willi

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Inhalt

Foto: Lothar Schwark

Titel: Georgia Schofield, Skyline Auckland, Neuseeland

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DMSt reloaded geht ins zweite Jahr Vereinswertung jetzt mit einer ersten und zweiten Bundesliga sowie fünf Regionalligen

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Nur weil der Motor grad nicht läuft? Die IGC entschied 1997: Motorsegler sind Segelflugzeugen gleichzustellen, solange das Triebwerk nachweislich nicht läuft. Unser Autor meint: no-go, nicht nur bei dezentralen Wettbewerben!

Te Araroa Neuseeland von Süd nach Nord Terry Delore fliegt entlang des Te Ararora Trails die gesamte Länge Neuseelands ab, vorbei an der Skyline Aucklands, über Seen, Vulkane und Sandstrände

22 Die Thermik sichtbar gemacht

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ie S er Fly safely: Hazardous Attitudes Menschen machen Fehler – deshalb ist „Human Factors Training“ wichtig, auch für Segelflug-Piloten

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Risiko: Hangflug Im Gebirge wird häufig in Bodennähe geflogen, doch diese Fliegerei ist sehr anspruchsvoll

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Quer geht auch Ein Sechs-Stunden-Flug quer zu den bekannten Thermikrennstrecken Schwarzwald und Alb

Steuern, bremsen, sicher landen

Die Idee, moderne Flächenfallschirme für die Rettung aus Luftnot einzusetzen, setzt sich durch



Thermikauslösung in der bodennahen Schicht – wird dabei die Rechnung ohne den Wind gemacht? Dazu ein Einblick in die Wind-Messung mittels Lidar

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Windenstart mit elastischen Seilen Die Elastizität des Seils hat wenig Einfluss auf den Start? Mit der Einschätzung liegt man ziemlich daneben

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Eine neue Wellen-Ära

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Ja ... wo isses denn? Bluetooth-basierte Vorseilsucher sparen Zeit und Geld

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Wo Ideen fliegen lernen Die Akaflieg Darmstadt blickt auf 100 Jahre Geschichte zurück



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Auch Nordföhn-Lagen erlauben von der AlpenNordseite Wellenflüge. Dazu bringen die neuen Tools von SkySight die Segelfliegerei auf ein komplett neues Level

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Flying with the Youngsters Junge Flieger mit gutem Knowhow im Streckensegelflug fungieren als Guide und ermöglichen so unerfahrenen Piloten in Namibia einzigartige Flugerlebnisse

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Editorial Leserpost Impressum/Vorschau Kolumne

Lese-Spaß Das Magazin zeichnet sich dadurch aus, dass die Dinge umfassend beleuchtet werden und die enthaltenen Aussagen Hand und Fuß haben. Bestückt mit wirklich faszinierenden Bildern, kritischem Blick und einem Schuss Humor macht das Ganze wirklich Spaß zu lesen. Und hat mich bewogen, so weit wie möglich in die Vergangenheit zu schauen, um möglichst viele Ausgaben lesen zu können. Stephan Mettke, Sachsenheim Ausgabe 02-2022 Hexenwerk 1) Henry Blum bringt unter Praxistipp leider die Stabilität von Schichtungen  (eine lokale Eigenschaft) und die von Luftmassen oder  -schichten durcheinander und trägt damit zur Verwirrung bei. In einer adiabatischen Schicht ist die Schichtung als lokale Eigenschaft in der Tat indifferent. Die Stabilität einer Schicht ist jedoch keine lokale Eigenschaft: Die überadiabatische Schicht unter der adiabatischen schickt überhitzte Luftpakete nach oben, die dann durch sie hindurch Richtung Inversion steigen. Konvektive Schichten sind also sehr wohl labil! Lenschow und Stephens untersuchten die Konvektion nach Kaltluftadvektion über warmem Meer. Meteorologen machen das gerne, weil „Laborbedingungen“ vorliegen mit einer großflächig homogenen, gleichmäßigen Heizung der Atmosphäre von unten. Allerdings wird in dieser Situation viel mehr Wasserdampf in die Atmosphäre eingetragen als selbst über feuchtem Ackerland, die Übertragung auf Strahlungsverhältnisse über Land erscheint mir problematisch. Jedenfalls aber ist die Bezugshöhe z_i der Grenzschicht in Grafik 3 nicht die der Basis, sondern die der Inversion, der  Obergrenze der konvektiven Wolken. Somit wurden viele der Messwerte des blau eingefärbten Bereichs in Wolken ermittelt

(„for the most part, cloud base was > 0.7 z_i“), wo verdunstende Wolkentröpfchen kühlen. Henry Blums Interpretation ist also zweifelhaft bis falsch. Die Messungen von Oliver Predelli und Ronald Niederhagen hat Albert Kiessling bereits einen Leserbrief kommentiert. Anhand von Messungen im Lüftungskanal zuverlässige Aussagen über die Temperatur der Umgebungsluft auf wenige Zehntel Grad genau zu treffen, halte auch ich nicht für machbar nach Studium des Originalaufsatzes in TS, wegen des Staueffekts, der gekennzeichneten Hysterese der Rohdaten von bis zu drei(!) Grad, und mangels jeglicher Kalibrierungsmessung an einem Nasenmast oder in einem Windkanal. An den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen? Bei Feuchte/Wassergehalt mag das anders sein, obwohl auch dort korrigiert werden musste.  Dr. Ulrich Wölfel, Edemissen 2) Wie schon Dr. Wölfel in seinem Leserbrief geschrieben hat, trifft der von Henry Blum angestellte Vergleich zwischen Caisson und Thermikblase nicht zu, und zwar aus dem folgenden Grund: Es gibt bei einer Thermikblase keine feste Begrenzung wie bei einem Caisson, egal ob man nun einen offenen Caisson betrachtet, wie im Artikel dargestellt, oder einen Caisson mit Überdruck, wie von Dr. Wölfel gemeint. In der Atmosphäre ist ein Ausgleich von Druckunterschieden möglich. Und tatsächlich ist es so, dass unter einer sich entwickelnden Thermikblase der Druck sogar geringer ist als seitlich davon, was dazu führt, dass von den Seiten Warmluft zur entstehenden Blase hinströmt und ihre Entwicklung verstärkt. Keinesfalls ist unter der Blase höherer Druck erforderlich, als seitlich davon, damit sie aufsteigen kann. Man muss nun nicht, wie für wissenschaftliche Publikationen üblich, ein peer review einführen. Aber vielleicht nimmt sich Henry Blum mal ein

Beispiel an Roland Bieri (Anm. d. Red.: „Fliegen mit dem EDS“) und diskutiert seine Thesen mit dem einen oder anderen Fachmann, bevor er sie zum Besten gibt. Detlev Schilling, Fürstenzell Ausgabe 02-2022 „Elektrische Startwinde“ Ich fand den Artikel sehr informativ, allerdings bezüglich der Eigenschaften dieser Winde etwas zu optimistisch dargestellt. Wenn hier schon in der Überschrift von Schienen gesprochen wird, finde ich das übertrieben. Mir sind im Gegenteil Beschreibungen und Kommentare zu dieser Winde bekannt geworden, welche von übermäßigen Beschleunigungen sowie von sogenannten „Löchern“ im Abhebebereich berichten.  In diesem Zusammenhang muss ich auch auf die spärliche und ungenügende Informationspolitik des Herstellers verweisen, der keinerlei Angaben zur detaillierten Steuerung der Winde herausgibt. Besonders qualitative Angaben zur Dosierung und Reichweite der Anfangsbeschleunigung werden nicht gemacht und finden sich auch nicht im Betriebshandbuch. Da diese wesentliche Sicherheitsfaktoren für einen harmonischen Start darstellen, müsste auch der Bediener der Winde diese Charakteristik kennen. Bei einer reinen Seilkraftsteuerung, wie im Bericht vermerkt, müsste eigentlich eine Einstellung des Leistungsschiebers während des ganzen Schlepps genügen. Warum also muss der Schieber gemäß Betriebshandbuch anfangs auf Volllast bzw. einen anderen Wert als die gewünschte Seilkraft eingestellt werden?  Ferner fehlen Angaben über die Ursache der Getriebedefekte in der Winde und wie dies genau in der Serie verhindert bzw. verbessert wird. Auch über andere Verbesserungen steht nichts geschrieben. Über diese Punkte sollen künftige Interessenten der Winde aber doch

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informiert sein. Im übrigen besteht kein Zweifel an der Zukunftsfähigkeit elektrischer Antriebe auch bei Startwinden, wobei aber detailierte Anpassungen und Beschreibungen der Steuerungstechnik zu beachten sind. Karl Höck, Friedberg Ausgabe 02-2022 „Fliegen mit dem EDS“ Im Artikel „Fliegen mit dem EDS“ beschreibt Roland Bieri sehr kompetent die Funktionsweise, Vorteile, aber auch die Grenzen des Sauerstoffsystems EDS. Es handelt sich dabei um einen exzellent geschrieben Artikel zum Thema Sauerstoff und sollte von jedem Segelflieger und jeder Segelfliegerin aufmerksam gelesen und verinnerlicht werden. Trotzdem möchte ich hier einen Punkt des Artikels aufgreifen und richtigstellen. Bei der Beschreibung der schwersten Symptome von Sauerstoffmangel (Hypoxie) werden Hyperventi-

LO ! L A H NE I E VER

lation und Muskelkrämpfe aufgeführt. Diese beiden Symptome sind aber nicht die Folge von Sauerstoffmangel und es wäre fatal, diese mit zusätzlichem Sauerstoff zu bekämpfen. Bei Hyperventilation herrscht kein Sauerstoff-, sondern CO2-Mangel. Um den Unterschied zur Hypoxie zu beschreiben, ist es wichtig, die Atemregulation zu kennen: Die Regulation der Atmung erfolgt im Wesentlichen über die Messung des CO2-Gehalts im Blut mittels spezieller Rezeptoren. Bei einem Anstieg der CO2-Konzentration wird die Atmungsintensität erhöht (z. B. beim Treppensteigen). Dieser Regelkreis kann durch verschiedene Faktoren, insbesondere durch Stress oder Angst, gestört werden und eine Hyperventilation auslösen. Dabei wird durch die schnelle und tiefe Atmung die Sauerstoffsättigung im Blut zwar maximal gehalten, aber gleichzeitig zu viel CO2 ausgeatmet. Da CO2 im Blut als Kohlensäure gelöst ist, führt

dies wiederum zu einer Störung des Säure-Basen-Gleichgewichtes im Blut zu Ungunsten der Säure (Alkalose). In der Folge wird dadurch der Kalziumgehalt im Blut gesenkt, was zu Muskelkrämpfen führt. Typische Zeichen dafür sind Verkrampfung der Hände (Pfötchenstellung) und der Lippen (Karpfenmaul). Weiter kommt es bei tiefem CO2-Gehalt im Blut zu einer Verengung der blutversorgenden Hirngefässe, was sich in Schwindel, Benommenheit und Sehstörungen manifestiert. Es ist also enorm wichtig, Hyperventilation zu erkennen und von Sauerstoffmangel zu unterscheiden. Die Hyperventilation kann beendet werden, indem man die CO2-Konzentration im Blut erhöht. Dies erreicht man, indem man eine Plastik- oder Papiertüte über Mund und Nase legt und die eigene ausgeatmete Luft wieder einatmet, bis sich die Atmung normalisiert. Peter Allegrini, PhD, Münchenstein

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NACHRUF Ingo Renner

(01. Juni 1940 – 26. Februar 2022)

Von Brad Edwards Übersetzung: Helge Z embold

I

ngo Renner leistete einen enormen Beitrag zur Entwicklung des australischen Segelflugs. Seiner Vorbildfunktion und seiner idealistischen Einstellung zum Segelflug eifern bis heute viele Piloten nach. Als kleiner Junge beobachtete ich ihn und träumte davon, fliegen zu können wie er. In den späten 1970er und 80er Jahren war Ingo auf dem Höhepunkt seines fliegerischen Erfolges. Wenn ich ihn in der Luft traf, konnte ich kaum nicht fassen, wie schnell er allen anderen davonstieg und in der Ferne verschwand. Ich beobachtete ihn und lernte von ihm. Ich erinnere mich noch seine knappen Worte: „Du musst jeden Tag fliegen, auch an den schlechten Tagen. Du musst alle Wendepunkte erkunden, bevor der Wettbewerb beginnt.“ Am letzten Tag bei den Weltmeisterschaften in Uvalde sagte er nur zu mir: „Ändere nichts, Brad.“ Ingo war der beste Wettbewerbspilot aller Zeiten. Er flog im Wettbewerb immer allein und ließ sich nie auf Pulks und Pokerspielchen an der Startlinie ein. Er flog nur mit den einfachsten Instrumenten und verließ sich auf seine Fähigkeiten und sein unglaubliches Gedächtnis, um die Aufgabe als Schnellster zu beenden. Ingo Renner wurde am 01. Juni 1940 in Hude bei Bremen geboren. Schon als kleiner Junge war er fasziniert von Modellen und lernte bald, seine eigenen Segelflugmodelle zu bauen. Im Alter von 15 Jahren begann er mit der Segelflugausbildung. Nach dem Erwerb seines Segelflug-

Ingo und Judy Renner im Southern Riverina Gliding Club im Februar 2021

scheins wurde er von seinem Verein zum Fluglehrer ernannt. Nach dem Abschluss seiner Ausbildung arbeitete Ingo Renner als Schiffsbauer, aber er wollte die Welt sehen. Im Juli 1967 ging er als Facharbeiter zur Evans-Deakin-Werft nach Brisbane in Australien. Kurz nach seiner Ankunft in Queensland überredete er seinen Vorgesetzten, ihn zum Darling Downs Soaring Club zu fahren. Er absolvierte einen Probeflug und hinterließ einen so guten Eindruck, dass er in der folgenden Woche die volle Lehrberechtigung erhielt. So verbrachte er drei Jahre als Fluglehrer im Darling Downs Club. Im Jahr 1970 zog er nach Tocumwal und begann seine Arbeit im neu gegründeten Sportavia Soaring Centre. In den nächsten 36 Jahren schulte Ingo Renner in den australischen Sommermonaten bei Sportavia und arbeitete im europäischen Sommer als Ausbilder für die Segelflugschule Oerlinghausen in Deutschland. 2006 ging er mit 65 Jahren offiziell in den Ruhestand. Während seiner Segelflugkarriere sammelte Ingo rund 37.000 Flugstunden, davon rund 32.000 als Fluglehrer. Durch seine Professionalität und sein Engagement in der Segelflugszene hat er einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung des Luftsports geleistet. Im Jahr 1971 nahm Ingo Renner die australische Staatsbürgerschaft an und vertrat sein neues Land bei mehreren

Weltmeisterschaften. Sein erster Sieg war der in der Standardklasse bei der Weltmeisterschaft in Räyskälä (Finnland) 1976. Es folgten drei weitere Siege in der Offenen Klasse bei den Weltmeisterschaften 1983 in Hobbs (New Mexico), 1985 in Rieti (Italien) und 1987 in Benalla (Australien). Er siegte bei 19 nationalen australischen Segelflugmeisterschaften sowie zahlreichen internationalen WettbewerbenZu seinen weiteren Erfolgen zählen ein doppelsitziger Distanzweltrekord vom 27. Januar 1975, sowie ein Geschwindigkeitsweltrekord im Einsitzer, den er am 14. Dezember 1982 auf einem 100-Kilometer-Dreieck mit 195,3 km/h aufstellte. Letzterer brachte ihm einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde ein. Er bereitete das australische Team auf Weltmeisterschaften vor, unterstützte die Japaner bei der Organisation und Durchführung ihres allerersten internationalen Segelflugwettbewerbs in Hokkaido und trainierte etliche Piloten für nationale und internationale Wettbewerbe. Seine Frau Judy hat ihn bei vielen Wettbewerben auf der ganzen Welt als Crew begleitet. 1988 wurde Ingo Renner mit der Medal of the Order of Australia (OAM) für seine Verdienste um den Segelflug ausgezeichnet, im Jahr 2000 erhielt er die Australische Sportmedaille für „große und langjährige Erfolge im internationalen Wettbewerbs-Segelflug“.

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Meine Meinung

Nur weil der Motor grad nicht läuft? Autor: Daviid Richter-trummer

Bilder: Manfred Münch, Archiv

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Lautlos dahingleiten, getragen von den Kräften der Natur allein. Segelfliegen gehört für Viele von uns zu den schönsten und reinsten Formen der Fortbewegung. Weil sie geschaffen sind, den natürlichen Gesetzen der strömenden Luft möglichst gut zu entsprechen, wirkt bereits der Anblick unserer Sportgeräte zutiefst ästhetisch. Doch was genau ist eigentlich ein Segelflugzeug?

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D

ie Frage, was denn nun eigentlich ein Segelflugzeug ist, lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Oder anders ausgedrückt: Die Antwort auf diese Frage kann sehr unterschiedlich ausfallen. Für frische Flugschüler ist es so wie auch für viele langgediente Segelflieger klar und einleuchtend, dass ein Segelflugzeug gerade eben durch den fehlenden Motor zu definieren wäre. Macht es nicht den Segelflug aus, eben keinen Motor zur Verfügung zu haben? Unterscheidet sich nicht ein Motorflugzeug von einem Segelflugzeug gerade durch diesen Punkt? Nein, nicht nach den Wettbewerbsregeln, denn sportlich betrachtet wird nicht differenziert, ob das Sportgerät denn nun einen Motor hat oder nicht. An diese Tatsache haben wir uns bereits gewöhnt, und doch führt gerade dieser Punkt nicht nur bei der Vorstellung unseres Sportes bei unbefangenen Zeitgenossen oft zu ungläubigen Rückfragen. Dazu kam es, weil im zentralen Gremium der IGC 1997 entschieden wurde, dass Motorsegler Segelflugzeugen ohne weiteres gleichzustellen sind, solange das Triebwerk nachweislich nicht läuft. Man muss dazu aber wissen, dass die IGC-Regeln in allererster Linie für zentrale First-Class-Wettbewerbe, also im Grunde für Weltmeisterschaften und Europameisterschaften ausgehandelt werden. Diesem Gremium erschien nun also der Vorteil, den ein Teilnehmer aufgrund seines Triebwerkes hat, der am selben Tag, am selben Ort und zur selben Zeit wie alle anderen Teilnehmer geschleppt wurde, um dieselbe relativ kurze und schaffbare Aufgabe zu fliegen wie alle anderen, als vernachlässigbar klein. Diese Einschätzung teile ich absolut; ob ich bei einer WM einen Motor dabei habe oder nicht, ist nahezu irrelevant. Ich fliege sowieso die Aufgabe, bis ich das Ziel erreiche oder „das Rad mitläuft“, und die Start-Prozedur ist dermaßen definiert, dass dem Motorsegler keine Vorteile entstehen dürfen. Außerdem hab ich einen Helfer dabei, der insgeheim nur darauf wartet, mich im Fall wieder vom Acker zu holen, denn das gehört eben zu seinen vereinbarten Kernaufgaben. Viele nationale und regionale Wettbewerbe, aber auch insbesondere dezentrale Wertungsformen übernehmen nun aber sehr gerne Teile der internationalen Regeln und Definitionen für ihre eigenen Anwendungen. Es ist halt einfach praktikabel und wenig aufwändig, das Rad nicht neu erfinden zu müssen und auf diese erprobten und international akzeptierten Grundlagen zurückzugreifen. Gerade im Dezentralen bestehen nun aber aus meiner Sicht sehr wohl erhebliche sportliche Unterschiede zwischen Segelflugzeugen und Motorseglern.

Der Start: Ihr kennt das wohl alle: Man steht in der Startschlange, weil man heute Glück und Durchsetzungsvermö-

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gen gehabt hat, an der idealen zweiten Position, muss also nicht lange warten, bis man geschleppt wird und hat bereits einen Schnüffler vor sich. Natürlich geht es einem hier nicht schnell genug und man baut Druck auf den Erststartenden auf. Wer als Erster startet, mag lieber etwas warten, denn wenn er absäuft, kommt er wohl erst knapp vor Mittag wieder an die Reihe, der Tag (die Chance auf einen wirklich großen Flug) ist für ihn jedenfalls gelaufen. Selbst wenn er sofort wieder geschleppt werden würde, verliert er mindestens eine Dreiviertelstunde und sehr viel von seiner Kampfmoral. Jeder Andere in der Schlange kommt in die Luft, wenn er eben dran ist. Hoffentlich wird das heute vor der Mittagspause oder vor dem ersten Tankstopp der Schleppmaschine sein. Der Kollege mit Motor kommt nach ausgedehntem Frühstück eine Stunde später auf den Flugplatz, er muss sich nicht um die Startreihenfolge kümmern und seine Position verteidigen. Er startet auch sehr viel entspannter. Wenn es noch nicht geht, verliert er vielleicht zehn Minuten und zwei Liter Sprit, nicht Stunden und damit den Flugtag. Beim Zweiten Versuch kann er ja auch ein Stück in Richtung der besseren Bedingungen voraus ratteln. Natürlich lädt das ein, es heute ein wenig früher zu probieren als vielleicht üblich. Seine Chancen, dadurch den Tag früher beginnen zu können, als wenn er keinen Motor hätte, sind erheblich. Auf Strecke: Anfangs geht es schwach, und die Gleitetappen zwischen den Bärten sind gefühlt recht lang, weil die Basis noch ist nicht berauschend hoch ist. Die Außenlandung ist ein ständiger gedanklicher Begleiter und das Wasser mag man nicht schmeißen, um später ordentlich voran kommen zu können. Der Kollege mit Motor hat ebenfalls mit seinem schweren Flieger zu arbeiten. Die Option, die Flächenbelastung zu reduzieren, hat er aber nicht im selben Maße. Dafür beruhigt die Aussicht, im Fall der Fälle keine Hilfe von Vereins-Kameraden in Anspruch nehmen zu müssen und auch nicht den gesamten Flugtag zu verlieren, falls er absäuft. Die beiden Vorteile mögen sich in etwa die Waage halten, es gibt hier keinen eindeutigen Vorteil für den Segelflieger oder den Motorsegler. Absaufer: Bei fast jedem Flug gibt es irgendwo eine Situation, in der es mal schwieriger wird, die Bedingungen schwächer werden, etwas nicht so funktioniert wie erhofft und ich ganz einfach unsicher werde. Das kann planmäßig durch die Streckenführung bedingt sein (Querung eines breiten Beckens, Alpenausstieg) zufällig aufgrund der Wetterlage, Unachtsamkeit oder schlicht durch Unglück passieren. Nicht selten verliere ich hier den Rhythmus und die Kampfmoral. Wenn ich mich wieder aus niederen Gefilden (knapp vor der Außenlandung) hochgebastelt habe, ist für mich persönlich die Versuchung meist groß, hier eine Wende einzubauen und

mich wieder zurück in die Heimat zu orientieren. Ich kann die Gedanken an die Außenlandung und all ihrer Konsequenzen, die ich gerade eben doch noch verhindern konnte, dann einfach schwer aus meinen Gedanken wegwischen. Mit einem schlummernden Motor im Rücken ist das erheblich leichter. Die Wende: Wir alle wenden viel zu früh. Wissentlich, vorsätzlich und planmäßig. Die Aussicht, heute durch ein Missgeschick, Pech oder ein unvorhergesehenes Ereignis auf dem Heimweg nicht so flott voran zu kommen, dass sich die Strecke in der restlichen Thermikzeit überbrücken lässt, zwingt ganz einfach zum Einplanen von Sicherheit. Zudem ist die Prognose, wann denn nun die Thermik zum Erliegen kommen wird, fast immer mit einer sehr großen Unsicherheit verbunden. Es ist schlicht nicht vorhersagbar, ob man heute bereits um 18:00 Uhr kaum mehr Steigen antreffen wird oder ob es wie so oft selbst noch nach 19:30 Uhr problemlos gehen wird. Um nennenswerte Strecken zu bewältigen, muss man aber gerade in Hinsicht später letzter Wenden frech werden. Mit Motor ist es sehr viel einfacher, den letzten Wendepunkt auszureizen, also wirklich nach den zu erwartenden meteorologischen Bedingungen zu optimieren. Denn der Einsatz, mit dem man dieses Spiel betreibt, ist jetzt nicht, einen Kameraden abends für viele Stunden zu einer Rückhol-Tour zu nötigen, sondern fünf Liter Sprit und wenn überhaupt ein leicht angekratztes Ego. Für die Wertung bringen weit entfernte Wendepunkte zurecht sehr viel. Will ich mit einem Segelflugzeug heute noch konkurrieren, so muss ich meine Strecke so planen, dass ich nicht ernsthaft (also mit hoher Eintreffwahrscheinlichkeit) erwarten kann, heute auf dem Heimatplatz zu landen. Der Entschluss zu so einer Planung ist hart; noch härter ist es, sich dann in der Luft auch an seinen Plan zu halten. Bei uns auf der Alpennordseite gibt es bei mäßigem Nordwind oft Flugtage, die bei uns eine sehr tiefe Basis mit hohem Bedeckungsgrad und schwachen Steigwerten bringen (Nordstau). Nur wenige Kilometer nach Süden hinter dem Alpenhauptkamm herrschen nun aber durch den Föhn-Effekt fantastische Bedingungen. Es ist auch relativ leicht möglich dort einfach hinzufliegen, sich über den Hauptkamm spülen zu lassen und einen super Tag zu genießen. Die Frage ist dann immer nur, wie man abends wieder zurück gegen den Wind über den windgestörten Hauptkamm kommt. Das kann sehr anspruchsvoll, ja an einigen Tagen im Segelflug schlicht unmöglich sein. Bei dem Versuch, abends den Hauptkamm gegen den Nordwind zu queren, bin ich schon einige Male im Acker gesessen. Diese Erfahrung sitzt mir jedes Mal im Nacken, wenn es an die Hauptkamm-Querung bei Nordstau-

Lagen geht. Und das führt ganz einfach dazu, dass ich es im Zweifelsfall bleiben lasse. Mit Motor ist das Setting umgekehrt, im Zweifelsfall probiere ich es halt, ist ja eh wurscht. Wie oft hat denn bei dir etwas im Segelflug schon problemlos funktioniert, obwohl du nicht damit rechnen konntest? Die Liste der Beispiele könnte beliebig fortgesetzt werden. Jeder einzelne hat seine persönlichen Erfahrungen dazu. Unter dem Strich erkennt man zahlreiche und zum Teil sehr deutliche sportliche Unterschiede, ob für eine Streckenaufgabe ein Segelflugzeug oder ein Motorsegler eingesetzt wird. Ob nun der Motor tatsächlich genutzt wird oder nicht, ist gar nicht so relevant – die Option ihn nutzen zu können macht den Unterschied. Segelfliegen ist ein Mentalsport. Die Konsequenzen unserer Handlungen erfahren wir dabei meist sehr rasch und schonungslos. Die sportlich letzte Konsequenz für einen Segelflieger ist in unserem Sport immer die Außenlandung. Besitzt mein Flugzeug nun aber einen Motor, so ist diese letzte Konsequenz aber dermaßen selten und unwahrscheinlich, dass sie gedanklich gerne völlig verdrängt wird („es wird nicht dazu kommen“). Einen sehr schönen Vergleich zum Sportklettern hat ein gut bergsteigender Segelflieger Kollege einmal angestellt. Er sagte: „Im Nachstieg klettere ich den siebenten Schwierigkeitsgrad. Ja, ich habe dieselben Schuhe, dieselbe Route und dasselbe Gewicht zu tragen, doch nur die Gewissheit, dass sich im Falle eines Sturzes über mir nur das Seil spannt, sodass ich im schlimmsten Fall bloß sanft ein, zwei Meter absacke, gibt mir die nötige Zuversicht und Ruhe, diese schwierige Route ohne Probleme zu klettern. Im Vorstieg könnte ich diese Route nie klettern, denn die Konsequenz wäre bei einem Sturz, dass ich sechs Meter ins Freie falle, ehe mich das Seil zu bremsen beginnt. Die Angst vor diesem Sturz klettert immer mit. Im Vorstieg klettere ich daher höchstens eine 5+“. Für mich ist das die schönste Analogie. Ja, physikalisch haben ein Segelflugzeug und ein Motorsegler dieselben Voraussetzungen, solange der Motor nicht angelassen wurde. Doch wir fliegen nicht nur physikalisch, wir fliegen im hohen Maße mental. Ja, wir spielen dasselbe Spiel, doch der Einsatz, mit dem wir es spielen, unterscheidet sich gewaltig. Aus diesem Grund gibt es Kameraden, die sagen, es ist nicht nur eine andere Liga, ob ich nun irgendwo auf Strecke 280 km entfernt von daheim einen Motor dabeihabe, „nein, es ist ein anderer Sport. Und wer glaubt, in ein Segelflugzeug einen Motor einbauen zu müssen, hat nicht verstanden, worum es in diesem Sport eigentlich geht“. Einer so extremen Ansicht bin ich bei weitem nicht, denn mir persönlich fällt es nicht so schwer, mich mit der letzten Konsequenz der Außenlandung abzufinden. Für mich gehört das

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zu dem Sport dazu und ich sitze einfach im Schnitt seit nunmehr bald Jahrzehnten drei Mal im Jahr draußen. Es gibt aber einige Kameraden, die das weniger entspannt sehen, ja beinahe schon eine Angst vor dem Außenlanden aufgebaut haben. Der relative Vorteil ist also individuell sehr verschieden. Dass ein Motor mehr Vorteile als Nachteile beim dezentralen Streckensegelflug bringt, bezweifelt eigentlich niemand ernsthaft. Auch ein Blick in die dezentralen Wertungslisten dieser Welt legt diese Vermutung nahe, denn hier finden sich seit geraumer Zeit an den Spitzenpositionen praktisch keine Segelflugzeuge mehr. Man müsste konsequenterweise seit Jahren von einer dezentralen Meisterschaft im Streckenmotorsegeln sprechen. Fest steht auch, dass dort immer häufiger Namen erscheinen, die man schlicht vor wenigen Jahren noch nie gelesen hat – dass sich einige Piloten also geradezu unglaublich schnell weiterentwickelt haben, wenn man die Wertung als Maßstab dafür heranziehen will. Natürlich könnte das alles daran liegen, dass sich heute auf einmal alle exzellenten Piloten diese unheimlich teuren Sportgeräte leisten können und wollen, sodass die Auffälligkeit schlicht eine Koinzidenz darstellt. So recht glaubwürdig erscheint mir als normalem, unselbstständigen Angestellter dieses Szenario aber nicht. Gelegentlich hört man den Vorwurf, das Festhalten am Segelflug verhindere die Innovation. Ach so? Ist die Änderung der Rahmenbedingungen jetzt eine Innovation? Nach dieser Logik wäre es innovativ bei Bob-Rennen Gewichte zuzulassen, beim Sportklettern in die Schlaufen zu greifen, beim Bergsteigen die Seilbahn zu nutzen und bei Schwimmern Flossen zu erlauben. Innovativ oder? Alles in Allem möchte ich diesen Text aber nicht als Hetzschrift gegen Motorsegler verstanden wissen. Es gibt jedes Jahr ein paar herrlich schöne, kreative und fordernde Flüge zu bewundern, bei denen Motorsegler artgerecht bewegt wurden, also die Möglichkeiten, die sie bieten, ausgenutzt wurden. Es ist einfach nur schön zu sehen, wenn exzellente Piloten zeigen, was alles mit solchen Flugzeugen möglich ist. Welche Kreativität, Ausdauer und Wetterverständnis sie zeigen, ist höchst bewundernswert. Es gibt aus meiner Sicht also in den Wertungen keine unverdienten Gewinner. Soll doch jeder fliegen, womit und wie er will! Ich habe nichts gegen Motorsegler, zumindest nichts Wirksames. Ich habe nur etwas gegen strahlende Sieger, denen ich applaudieren soll, weil sie um 04:42 Uhr in der Morgendämmerung mit ihren 820 kg Eigenstartern direkt in die Welle in 3000 m hinauf motort sind, während Segelflugzeuge einfach frühestens um 07:00 geschleppt werden können. Ich habe etwas gegen eine Wertung, die den antriebslosen Fluganteil auf die Sekun-

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de genau zwischen dem letzten Motor abstellen morgens und der ersten Wiederinbetriebnahme am Abend heraus optimiert, wobei der Pilot dann noch 120 Kilometer abends heimgeflogen ist. Ich habe etwas gegen eine absolute Gleichbewertung von Segelflugzeugen und Motorseglern, die dazu führt, dass es zur Grundvoraussetzung wird, um eine ernsthafte Chance auf einen Staatsmeistertitel zu haben, an den vier besten Tagen des Jahres ein Gerät zur alleinigen Verfügung zu haben, dass mindestens meinem siebenfachen Jahresgehalt entspricht und damit bedeutend teurer ist als die Wohnung, in der ich eingemietet bin. Für mich sind diese Welten ganz einfach so weit auseinander und finanziell dermaßen unerreichbar, dass für mich persönlich die Grundlage, ab wann man von einer Staatsmeisterschaft reden kann, nicht mehr erfüllt ist. Denn nach meinem Verständnis muss es für eine Staatsmeisterschaft der Mehrzahl aller ambitionierten Teilnehmer real möglich sein, mit dem zur Verfügung stehenden (in diesem Fall eh schon verdammt teuren) Gerät eine reale Chance auf den Titel zu bekommen. Dieser Umstand ist heute aus meiner Sicht im dezentralen Wettbewerb weitgehend nicht mehr gegeben beziehungsweise stark verzerrt. Diese Verzerrung über irgendwelche Regeln wieder gerade biegen zu wollen kann nur fehlschlagen, denn zu unvergleichbar sind die beiden Welten voneinander. Aus diesem einfachen Grund darf man aus meiner Sicht keinen Misch- Staatsmeistertitel, der über alle „Antriebsarten“ drüberfährt, vergeben. Das ist einfach unglaubwürdig, frustriert und schafft zusätzliche Anreize den Motorisierungsgrad weiter zu erhöhen. Zudem wird es für Vereine zunehmend unmöglich, „wettbewerbsfähiges Gerät“ zu stellen. Interessanterweise ist es noch nicht einmal auf allen geläufigen – ach so innovativen – Portalen einfach möglich mittels Filter zwischen Motorseglern und Segelflugzeugen zu differenzieren (in der sis.at geht das wenigstens mit einem einzigen Klick, so die Piloten richtig melden). Natürlich kann man der begründeten Meinung sein, dass jegliche dezentrale Wertung sowieso geringe Aussagekraft hat. Und um eine repräsentative Rückmeldung über die eigene Leistungsfähigkeit bekommen zu können, führe an zentralen Meisterschaften mit klaren Klassenabgrenzungen kein Weg vorbei. Nur wenn alle am selben Tag vom selben Ort mit vergleichbarem Gerät dieselbe Aufgabe gestellt bekommen, ließe sich eine echte Aussage über die segelfliegerische Leistungsfähigkeit des Piloten treffen. Dieser Auffassung kann ich nur sehr bedingt zustimmen, denn beim zentralen Wettbewerb schleppt man sehr viel mehr zusätzlichen Ballast mit sich herum als beim „richtigen Segelfliegen“. Denn taktieren, der Einsatz von Spionagetechnologie, der

höchstmögliche Abflug, Pulk fliegen, psychische Robustheit und der furchtlose Endanflug haben hier für die Erfolgsaussichten ein überdimensional großes Gewicht. Ich persönlich genieße keinen einzigen dieser Punkte und empfinde sie nur bedingt als echte segelfliegerische Qualifikationen. Sehr viele auch sehr sportliche und ehrgeizige Kameraden interessiert es schlicht nicht, sich fliegerisch in diesen Punkten zu verbessern und dem erheblichen substanziellen Zusatzrisiko, das zentralen Wettbewerben noch immer eigen ist, auszusetzen. Für sie ist Segelfliegen nun mal etwas, dass man allein und ohne ein großes Rudel macht, um es genießen zu können. Sie wollen ihre Entscheidungen selbst und unbeeinflusst durch andere treffen. Sie wollen ihre Aufgabe selbst wählen. Sie wollen ihre Thermik selbst und ohne Flarm-Radar und OGN finden, selbst zentrieren und allein auskurbeln, ohne dabei ständig mit sechs weiteren Piloten im gleichen Aufwind herumzurühren. Einige von ihnen stehen vom segelfliegerischen Können her absolut auf Augenhöhe mit Weltmeisterschafts-Teilnehmern

und haben sehr oft zudem bessere meteorologische, geografische, taktische und sportphysiologische Fähigkeiten, die ich mehr als die oben genannten den segelfliegerischen Qualifikationen zuschreibe. Aus diesem Grund sehe ich auch nur sehr bedingt eine sportliche Hierarchie zwischen zentralen und dezentralen Wertungsformen. Oder anders gesagt: Man kann auch zu Hause mit der Vereins-LS4 sehr ambitioniert und sportlich hochwertig fliegen. Daher ist es nicht mehr und nicht weniger lächerlich, die Wertungstabelle auf einer Deutschen Meisterschaft oder dem OLC auf die eigene momentane Position hin zu untersuchen. Wenn wir schon eine Wertungs-Tabelle veröffentlichen, dann sollten die zugrundeliegenden Regeln und Wertungsformeln keine wissentlichen, systematischen Verzerrungen beinhalten. Und für sehr viele von uns ist im dezentralen Wettbewerb ein Motorsegler, bei dem der Motor gerade nicht läuft, eben kein Segelflugzeug, sondern ein Motorsegler, bei dem der Motor gerade nicht läuft. t

WAS FLIEGE ICH DENN HEUTE? ARCUS, DUO DISCUS, DISCUS 2 ODER DOCH ASG 29?

Ein Entscheid, den du in Schänis an jedem fliegbaren Tag treffen musst. Auch an einem Hammertag ist bei 20 Pilotenplätzen immer ein Platz für dich in einem der neusten Segelflugzeuge mit up-to-date Avionik. Wenn du bisher im Flachland unterwegs warst, bilden dich unsere Fluglehrer zum Föhn- und Alpenpiloten weiter und Streckenfüchse zeigen dir gerne neue Fluggebiete. Clubmeisterschaften, gemeinsame Höhenflüge im Föhn oder im Teamflug in der Welle auf Strecke gehen, sind Flugerlebnisse die uns zusammenbringen und unsere freundschaftliche Atmosphäre prägen. Schänis bietet dir den idealen Einstieg in die Alpen. Wir schleppen jeden Tag von März bis Oktober. Im Winter fliegst du eines unserer Flugzeuge in Chile, Namibia oder Südafrika. Unter 26 profitierst du von unserer Juniorenförderung. Jetzt Mitglied in der SG Lägern auf dem Flugplatz Schänis werden: • •

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„DMSt reloaded“ geht ins zweite Jahr Vereinswertung jetzt mit einer ersten und zweiten Bundesliga sowie fünf Regionalligen Autor: Mathias Schunk

Punkteschema in der ersten und zweiten Bundesliga, je nachdem, wie viele Vereine in einer Runde eine gültige Wertung schaffen

Teilnehmer 1. Bundesliga

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Teilnehmer 2. Bundesliga

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ur letzten Saison gab es neben dem Umzug auf das WeGlide-Portal auch diverse Anpassungen der DMSt-Regeln, wie z. B. einen Bonus auch für Zielrückkehrflüge, die Einführung einer Sprintwertung und damit verbunden eines DMSt-Sprintmeisters, sowie die neuartige DMSt-Vereinswertung in Form einer Ligawertung. In diesem Jahr gibt es bzgl. der Flugregeln keinerlei Veränderungen, allerdings haben die Piloten die Möglichkeit innerhalb der Saison für zwei verschiedene Vereine zu melden, der zweite Verein muss lediglich bis zum 30.03. in der Pilotenanmeldung benannt werden. Zur Bewertung der Flüge wird die neue DMSt Index Liste herangezogen: www.daec.de/fileadmin/user_upload/ files/2021/Sportarten/Segelflug/DMSt_ Indexliste_2022.pdf Die DMSt-Saison hat bereits begonnen, denn der Wertungszeitraum geht ab sofort nicht mehr nur über den Sommer, sondern beginnt jetzt immer bereits am 01.10., so dass auch die ganzen Wellenflüge im Winterhalbjahr in die DMSt-Wertung eingehen. Die größte Änderung betrifft die Vereinswertung bzw. die DMSt-Bundesliga. Die erste Runde wird am Wochenende 30.04./01.05. ausgeflogen, die Ligasaison endet am 21.08. Wie bereits im letzten Jahr angekündigt, war die letztjährige erste Saison gleichzeitig die Qualifikation für die erste und zweite Bundesliga 2022. Die ersten 25 der 2021er Saison fliegen dieses Jahr in der ersten Bundesliga, die Vereine auf den Plätzen 26-50 in der zweiten Bundesliga (siehe Tabelle links). Die restlichen Vereine fliegen je nach Zugehörigkeit in ihrer jeweiligen Regionalliga. Es gibt fünf Regionalligen: Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Mitte (Rheinland-Pfalz, Hessen,

Thüringen, Sachsen und Saarland) und Nord (Berlin, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern). Die letztplatzierten Fünf aus der ersten und zweiten Liga steigen am Saisonende jeweils ab, während die ersten Fünf der zweiten Liga in die erste Bundesliga für die 2023er-Saison aufsteigen. Die jeweils erstplatzierten der fünf Regionalligen steigen direkt in die zweite Bundesliga auf. Zusätzlich gibt es einen Relegationsplatz, der aus dem direkten Vergleich des Sechstletzten der 2. Liga und dem besten Zweitplatzierten der Regional-Liga ermittelt wird. Das Punkteschema für die Rundenwertungen bleibt ebenfalls unverändert, es bleibt bei der Kombination einer Geschwindigkeits- und Streckenwertung, wobei bei der Streckenwertung, wie bisher 10 % der DMSt-Punktzahl eingehen. Neu hingegen ist, dass in der ersten und zweiten Liga die Rohpunkte über die Saison nicht mehr einfach

aufaddiert werden, sondern dass es Rundenpunkte nach einer Formel-1Wertung gibt. Jeder Verein mit einer gültigen Wertung erhält mindestens einen Punkt. Der erste bekommt drei Wertungspunkte mehr als der zweite, maximal jedoch 20 Wertungspunkte. Die Plätze 2 bis 4 bekommen jeweils zwei Wertungspunkte mehr als der Verein hinter ihnen und die Plätze 5 bis 14 bekommen jeweils einen Wertungspunkt mehr als der Verein hinter ihnen. Dies führt zu einer Gewichtung der vorderen Plätze; wenn es aber bei schlechtem Wetter nur wenige Vereine gibt, die eine Wertung schaffen, gibt es dementsprechend nicht die volle Punktzahl (siehe Beispiele links, wobei in der Titelzeile jeweils die Anzahl der teilnehmenden Teams in der jeweiligen Runde entspricht). Die Wertungspunkte der DMSt-RundenWertungen der Regional-Liga ergeben sich direkt aus den Punkte-Ergebnissen der Runden, analog zu der ersten LigaSaison 2021.

Die detaillierten DMSt-Regeln findet man unter: www.daec.de/fileadmin/user_upload/files/2021/Sportarten/Segelflug/DMStWO_2022_final_011021_.pdf

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Te Araroa

Neuseeland von Süd nach Nord Tausende Weitwanderer haben bereits die gesamte Länge Neuseelands auf dem Te Araroa Trail von Cape Reinga nach Bluff zu Fuß zurückgelegt. Segelflieger-Ass Terry Delore aus Christchurch wollte nun als erster die Strecke in umgekehrter Richtung im Segelflugzeug bewältigen... Autor: Sabrina Scheels

Bilder: Abbey Delore, Georgia Schofield

Oben: Flugroute vom 20.12.2021 – Omarama – Bluff - Drury Rechts: Flugroute vom 11.01.2022 – Drury – Cape Reinga – Drury

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Startvorbereitung im Mondlicht und dann Start hinein in den Sonnenaufgang über Omarama

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er mehrfache Weltrekordhalter Terry Delore erzielte bereits in seiner Jugend als Drachenflieger große Erfolge. 1983 gab Terry dann diese Branche des Luftsports auf und wechselte in die Segelfliegerei zurück, wo er schon nach kurzer Zeit an Weltmeisterschaften teilnahm. In den vergangenen Jahrzehnten hat er sich voll und ganz auf die Jagd nach internationalen Rekorden konzentriert. Am 13.12.2009 legte der Neuseeländer über seinem Heimatland 2500 km im Segelflug zurück – ein Weltrekord, der jedoch noch am selben Tag von Klaus Ohlmann in Argentinien gebrochen wurde.

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Bei seiner neuen Herausforderung, dem 1600-km-Flug von Bluff nach Cape Reinga, wird er von seiner Tochter Abbey unterstützt, die selbst seit ihrem 16. Lebensjahr fliegt. Als Copilotin übernimmt sie die Navigation und Kommunikation mit den Controllern. Das für ihr Abenteuer ausgewählte Flugzeug, ZK-GZF, ist eine selbststartfähige ASH25Mi, mit der Steve Fossett und Terry Delore bereits gemeinsam auf Rekordjagd gegangen sind. Als Startplatz ist Omarama logistisch am Besten geeignet, auch wenn das die Flugdistanz um ca. 270 km erhöht. Von Bluff aus, dem südlichsten Ort Neuseelands, soll es dann soweit wie möglich Richtung Norden gehen. Ebenso wie die Weitwanderer werden auch Terry und Abbey die beeindruckenden diversen Landschaften Neuseelands während ihres Fluges bestaunen können. Auf der wilden Südinsel stehen die rotbraunen Berge und die Hochlandschaft mit ihren blauen Seen im direkten Kontrast zu den in Schnee und Gletscher gehüllten Giganten aus Granit auf der einen Seite und den grünen, flachen Feldern in Küstennähe. Auf der grünen Nordinsel überfliegen sie deutlich höher besiedelte Gebiete und Großstädte, sowie weite Waldzüge und Ackerland. Sogar Vulkane und Sandstrände liegen auf ihrer Flugroute.

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Um den Flug überhaupt möglich zu machen, muss sich über der gesamten Südinsel im Lee des Alpenhauptkamms ein verlässliches Wellensystem ausbilden. Dazu ist ein starker Wind aus Nordwesten erforderlich. Während die laminare Strömung nicht durch Thermik gestört werden soll, darf die Luftmasse auf der Nordinsel hingegen nicht zu feucht sein. Passende Voraussetzungen treten deswegen nur alle paar Jahre auf und oft muss man es einfach „auf gut Glück“ versuchen, erzählt Abbey. „Wir beobachten das Wetter bereits 14 Tage im Voraus. 24 Stunden vor Abflug gibt es dann kein Zurück mehr“, berichtet Abbey. Der Wetterbericht für den 20.12.2021 ist vielversprechend, um nach zehn Jahren Vorbereitung den vierten Anlauf zu wagen. Durch die vorangegangenen Versuche wissen sie bereits, was sie für den Flug vorbereiten müssen: Kleidung, Überführung des Flugzeuges nach Omarama und die Controller über ihr Vorhaben informieren. Am 20. Dezember 2021 um 05.18 Uhr steigt die ASH mit dem Vater-Tochter-Duo an Bord dem Sonnenaufgang entgegen. Über 100 kt Wind in Flughöhe und brechende Wellen sorgen für schwierige Bedingungen auf dem Weg nach Süden. Auf halber Strecke über Waikaia treffen die beiden endlich auf gutes laminares Steigen, wodurch sie die erforderliche Höhe zum Umrunden des ersten Wendepunkts gewinnen. Drei Stunden nach ZFs Abflug erreichen Terry und Abbey um 08:27 Uhr Bluff. Anders als erwartet befindet sich das beste Steigen weiter östlich. Dem North-West Arch folgend arbeiten sich die beiden nach Norden vor. Dabei erreichen sie in einer Flughöhe von FL 220 durchschnittlich 250 km/h. Draußen sind es -30 °C. Die Piloten sind eingepackt wie für eine Expedition zum Südpol. Doch die Kälte macht den Batterien zu schaffen, weswegen sie den Flug in geringerer Höhe fortsetzen müssen. Um Strom zu sparen, bleiben zusätzlich die meisten elektrischen Verbraucher für den restlichen Flug ausgeschaltet.

1 Terry und Abbey Delore 2 Endlich in Bluff 3 So weit das Auge

reicht erstreckt sich die North-West-Arch über die Südinsel 4 Abbey und Terry lassen die Südinsel hinter sich, vor ihnen liegt unter der Wolkendecke die Nordinsel 5 Ankunft in der Welle über der Nordinsel 6 Im Gleitflug über Vulkanlandschaft nach Taupo vorbei an Mt Ruhapehu

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7 7 Gutes Segelflugwetter

auf der Flugroute von Auckland City nach Norden 8 Am sagenumwobenen Kap mit dem berühmten Leuchtturm (unterhalb der Flügelspitze) trifft die Tasmansee auf den Pazifik

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Die Überquerung der Cook Strait, einer 22 km breiten Wasserpassage zwischen Süd- und Nordinsel beginnt die ASH um 13:00 Uhr in FL240, nachdem sie die Marlborough Sounds erreicht hatte. Auf der anderen Seite werden sie nahe Masterton mit Aufwinden begrüßt, die laut Abbey der „absolute Knaller“ sind. Das Steigen im Lee der Tararuas und der Ruahine Range erlaubt es dem Team, weiter nach Norden vorzudringen. Sie lassen Taupo um 16:00 Uhr hinter sich und gleiten nach Tokoroa, wo sie kurz vor 17:00 Uhr die erste Thermik des Tages zentrieren. Diese ist das Sprungbrett zur Kaimai Range, der ZF im Hangaufwind in 3000 ft folgt. Die überschüssige Höhe reicht für den Endanflug nach Drury, einem Segelflugplatz am südlichen Stadtrand von Auckland. Nach 13,5 Stunden Flugzeit haben Terry und Abbey dort endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Nach einem gescheiterten Versuch am darauffolgenden Tag bleibt ZF über Weihnachten in Auckland. Vater und Tochter kehren im neuen Jahr zurück, um am 11.01.22 endlich ihre Mission zu beenden.

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Nach dem Start um 11:40 Uhr von Drury müssen sie für ihren letzten Flugabschnitt zunächst zur anderen Seite der Großstadt gelangen. Eine Mischung aus Thermik und Konvergenz erlaubt es ihnen, Auckland City in 4500 ft unter andauernder Verbindung mit Air Traffic Control ohne Motorkraft zu überfliegen. Nach stressigen 30 Minuten können sie die Großstadt endlich hinter sich lassen und der Konvergenz entlang des engen Landstreifens zum finalen Wendepunkt folgen. Sie umrunden den berühmten Leuchtturm auf Cape Reinga um 16:00 Uhr. Die intensive Recherche zu diesem Flugabschnitt hat sich gelohnt. Nun ist auch Auckland und Northland für die beiden kein fliegerisches Neuland mehr. Nach ihrem insgesamt 760 km langen Flug sind Abbey und Terry um 19:10 Uhr wieder zurück in Drury. Cape Reinga im Segelflug zu erreichen „erforderte jedes Gramm meines Wissens, meiner Fähigkeiten und Erfahrung“, gesteht Terry. Da die Rückholung mit dem Anhänger für den Top-Piloten absolut keine Option ist, steigen Vater und Tochter am nächs-

ten Tag erneut ins Cockpit. In einer Mischung aus Thermik und Hangaufwind erreicht ZF die Südinsel und landet am Flugplatz Omaka (Blenheim). Von dort aus ist es am 14.01. verhältnismäßig nur noch ein Katzensprung nach Springfield, ihrem Heimatflugplatz nahe Christchurch. Über die vielseitige Unterstützung während ihres Abenteuers ist das Duo sehr dankbar. Auf ihrer Facebook-Seite „Delore Soaring“ hatten Freunde beispielsweise örtliche Wetterbilder aus

ganz Neuseeland hochgeladen. Auch bezüglich einer Übernachtungsmöglichkeit konnten sich die beiden ganz auf die Segelfluggemeinschaft verlassen. Sogar international hatten die Delores viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Insgesamt 244 Personen fieberten auf Flight Radar mit, was ZF am 20.12. zum meist verfolgten Flugzeug weltweit machte. Konkrete Pläne für weitere Abenteuer haben Abbey und Terry derzeit noch keine. In Zukunft möchten sie aber mehr auf der Nordinsel segelfliegen. t

FLUGDATEN Strecke Oma-Bluff-Drury Drury-Cape R.-Drury Drury-Omaka Distanz ca. 1600 km 435 km 509 km Flugzeit 13 h 51 min 7 h 30 min 5 h 49 min ∅ Geschw. ca. 115 km/h 99 km/h 105 km/h Links: Strecke 1: Strecke 2: Strecke 3:

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Lothar Dittmer | [email protected] | Tel.: 030 2175 2095

Die THERMIK SICHTBAR gemacht Neue Einsichten in die Struktur der Aufwinde

In den letzten 20 Jahren gelang es in der Meteorologie, durch neue Messtechniken eine Reihe neuer Erkenntnisse zu gewinnen. Leider ist festzustellen, dass der Wissenstransfer aus der Forschung in die Breite des Segelflugs nicht so richtig passiert ist. So entstand die Idee, Neues zur Thermik aus Forschungsarbeiten herauszuarbeiten und in loser Folge im magazin segelfliegen darzustellen. Die Artikelserie behandelt die Vorgänge in der sogenannten konvektiven Grenzschicht, in der sich das motorlose Fliegen meistens abspielt. Autoren: Christoph Kottmeier und Detlef Müller, Bild: Jan Georgi

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Fliegen im gleichen Aufwind beim Wettbewerb Wetzlarer Woche

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hermikauslösung in der bodennahen Schicht – wird dabei die Rechnung ohne den Wind gemacht? Die Ursache für Thermik, also ausfliegbare Aufwinde, liegt bekanntlich im Auftrieb, den „Luftpakete“ erfahren. Wichtig ist dabei – nach dem Archimedischen Prinzip –, dass sie eine geringere Dichte als die seitlich umgebende Luft haben. Neben Temperaturunterschieden sind auch Wasserdampf-Unterschiede mit Dichteunterschieden verbunden. Am Boden ist es an Strahlungstagen in

der Regel eine höhere Temperatur, die die Dichteunterschiede verursacht. Mit der Höhe nimmt – aufgrund des abnehmenden Luftdrucks – grundsätzlich die Dichte ab. Nur bei einer sehr starken Temperaturabnahme mit der Höhe von mehr als 3,4  Grad  Celsius/100  m befindet sich leichtere Luft unter schwererer. Dass dieses gelegentlich auftreten kann, ist an Luftspiegelungen, etwa über überhitzten Asphaltflächen, zu beobachten. Bei dieser sehr instabilen Schichtung genügen sehr kleine Störungen, um einen Austausch der leichteren bodennahen Luft mit der

schwereren darüber auszulösen. Das können, wie manchmal berichtet wird, bewegende Fahrzeuge oder auch ein Windenstart selbst sein. Auch rein thermische Auslösung ist möglich, wenn in Bodennähe eine trockenlabile Schichtung vorliegt, d. h. die Umgebungstemperatur um 1 Grad Celsius/100 m oder mehr mit der Höhe abnimmt. Ein stärker erwärmtes Luftpaket, das durch seinen Auftrieb etwas angehoben wurde, erfährt durch seine trockenadiabatische Abkühlung zunächst weiteren Auftrieb. Leichtere Luft neben schwererer entsteht vor allem durch eine

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räumlich unterschiedliche Erwärmung des Bodens, und damit der bodennahen Luft Da die Luft von der Erdoberfläche – mit Unterschieden in Bewuchs, Bodenfeuchtigkeit, mit Wasserflächen und Bebauung – sehr unterschiedlich mit Wärme und Wasser versorgt wird, werden sich kleinräumig auch im Flachland immer unterschiedlich warme und feuchte Luftmassen nebeneinander entwickeln. Die leichteren werden nach oben beschleunigt, solange sie nicht in eine Umgebung mit Luft gleicher Dichte vorstoßen. Ab dann trägt sie ihr Schwung noch etwas höher, aber bei stabiler Schichtung – spätestens an Inversionen – werden sie aktiv gebremst. Durch Feuchtezufuhr vom Boden oder Wasserflächen in die Luft durch Verdunstung wird Strahlungsenergie umgewandelt und weggeführt, die Erwärmung der Erdoberfläche und der bodennahen Luft fällt geringer aus. Dies dämpft die Thermikauslösung über feuchten Flächen. Der Auftriebsbeitrag des höheren Wasserdampfgehalts kann das nicht verhindern. Die Bedeutung dieser Aussage wird klar, wenn man die Dichteänderung durch Erwärmung bzw. Feuchtezufuhr grob vergleicht: Bei Normaldruck am Boden (1013 hPa) entspricht die Dichteabnahme bei einer Erhöhung der relativen Feuchte um 40 % der bei einer Temperaturerhöhung um 1 Grad Celsius. Messungen an meteorologischen Masten über Landflächen zeigen, dass horizontale Lufttemperaturunterschiede am Boden von mehr als einem Grad Celsius eher angetroffen werden als Feuchteunterschiede von mehr als 40 %. Für die Aufwindbildung am Boden ist in der Regel die Temperatur also der entscheidende Faktor. Eine Hebung kann auch durch Hindernisüberströmung oder durch Konvergenz des horizontalen Windes verursacht werden. Da die aufsteigenden Luftpakete aus der überhitzten bodennahen Luftschicht („überadiabatischen Schicht“) stammen, haben sie im Falle

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1 Vertikalgeschwindigkeiten, gemessen mit einem dritten Lidar am Standort 0 (Bild 2). Auf Basis der bekannten horizontalen Windgeschwindigkeit wurde aus der zeitlichen Abfolge zwischen 08:16 Uhr bis 08:41 Uhr GMT die räumliche Verteilung bestimmt. Messungen oberhalb von 1,3 km sind durch zu geringes Rückstreusignal nicht auswertbar

der trockenlabilen Schichtung zunächst gute Chancen aufzusteigen. Gleichzeitig muss benachbart kältere/trockenere Luft absinken, da die Gesamtmasse erhalten bleibt. Die aufsteigenden und absinkenden „Luftpakete“ können als Bestandteile von Wirbeln verstanden werden. Diese Wirbel sind räumlich und zeitlich nicht konstant, sondern überlagert und ständigem Zerfall unterworfen, was auch als Turbulenz bezeichnet wird. Insgesamt entwickelt sich auf diese Weise bodennah ein buntes Turbulenztreiben mit vielen kleinen Wirbeln verschiedener Größe. Diese Wirbel werden in ihrer Größe vor allem auch durch die nahe Erdoberfläche begrenzt, mit Wirbeldurchmessern nicht größer als der Abstand zum Boden. Da die kleinen Wirbel besonders durch Einmischung von Umgebungsluft in ihrem Randbereich beeinflusst werden, können viele nicht „überleben“. Jeder Thermikflieger weiß, dass ausfliegbare Aufwinde eine gewisse Mindestgröße von einigen hundert Metern

Durchmesser besitzen müssen. Für die thermische Auslösung von Aufwinden ist deshalb am Boden ein Nebeneinander von größeren Flächen, die sich homogen aufheizen oder abkühlen – also z. B. Wasserflächen, trockene Äcker oder Wälder – förderlich. Außer dieser Heterogenität der Erdoberfläche ist auch das Zusammenwachsen kleinerer Aufwinde zu wenigen größeren ein entscheidender Prozess, der auch noch Gegenstand aktueller Forschung ist. Jetzt wollen wir aber auf die abseits der Forschung weniger bekannten besonderen Windstrukturen in Bodennähe eingehen, also auf „geordnete Turbulenzstrukturen“, die bei mäßigem und stärkerem Wind ähnlich wichtig wie die Dichteunterschiede für die Thermikauslösung sein können. Kohärente Strukturen im Windfeld, mit Lidar sichtbar gemacht Mit Messungen eines Windlidars senkrecht nach oben an einem festen Ort lassen sich zeitgleich in allen Höhen die

2 Beispiel für Streifenstrukturen im bodennahen Wind, bestimmt aus zwei Windlidargeräten mit überlappendem Messgebiet. Dargestellt sind Windvektoren (als Abweichung vom mittleren Wind, Referenzpfeil rechts unten) in ca. 20 m Höhe am 08. April 2013 in einem etwa 4,5 x 4,5 km2 großen Gebiet bei Jülich. Die Farben geben die Geschwindigkeitsabweichungen, die Pfeile ihren Betrag und Richtung an

Vertikalwinde messen. Die Daten (als Beispiel Bild 1) machen die Auf- und Abwinde sichtbar, die mit dem Wind über den Messort geführt werden. Sie reichen bei diesen Messungen am Vormittag bis ca. 1200 m Höhe, in schwacher Form bis über 1500 m Höhe. Die Aufwinde erreichen bis zu +1,5 m/s und Abwinde bis zu -1,5 m/s. Ihre Form ist sehr variabel und unterschiedlich. Ebenfalls durch Windlidarmessungen, aber auch numerische Strömungssimulationen wurden in den letzten Jahrzehnten neue Einsichten in „kohärente“ Turbulenz-Strukturen im bodennahen Wind gewonnen. Man nennt sie kohärent, wenn sich die Luft nicht nur ganz zufällig turbulent bewegt, sondern in einer gewissen Ordnung und mit wiederkehrenden ähnlichen Mustern der drei Windkomponenten (Vertikalwind und die zwei horizontalen Komponenten in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung). In der Vergangenheit wurden mit mehreren Messmasten bereits solche kohärenten Windstrukturen festgestellt. Instrumentierte Masten liefern aller-

dings immer nur Daten an einem Ort, allenfalls noch Unterschiede in der aktuellen Richtung des Windes, da die Luft ja „vorbeischwimmt“. Frühere Messungen zeigten bereits, dass das Lösen der Aufwinde aus der überadiabatischen Schicht häufig in sogenannten „Auswürfen“ (englisch „ejections“) erfolgt: in einer besonderen Wirbelstruktur mit Haarnadel- oder Hufeisen-ähnlichen Wirbeln („hairpin“ oder „horse-shoe“), mit einem Kopfbereich, der mit dem Wind nach vorn geneigt ist. Stromauf davon wird in einem Mitnahme- oder Wischeffekt („sweeps“) Luft von oberhalb in Bodennähe geführt. Jüngere umfangreiche Messungen konnten auch alternierende Streifen (englisch „streaks“) höherer und geringerer Windgeschwindigkeit belegen. Träumner und Damian führten mit drei Windlidargeräten Messungen zu Streifenstrukturen in der Nähe von Jülich durch. Hierbei deckten die Lidarstrahlen in den untersten 20  m ein gemeinsames Überlappungsgebiet ab. Aus den Daten konnten beide horizon-

tale Komponenten des Windes mit einem Messpunktabstand von 80  m kontinuierlich über 12 komplette Tage im April 2013 aufgenommen werden. Deutlich erkennbar sind die abwechselnden Streifen höherer und geringer Windgeschwindigkeit (Bild 2). Aneinandergrenzende Windstreifen dieser Art sind in Verbindung mit rollenähnlichen Zirkulationen zu erklären, wobei die Rollen in Windrichtung ausgerichtet und die Zirkulationen quer zum Wind. Durch die – allerdings schwachen – Abwinde wird Luft höherer Geschwindigkeit in Bodennähe geführt und führt dort zu einem Streifen mit vergrößerter Windgeschwindigkeit. Die Streifen geringerer Geschwindigkeit liegen dagegen im Bereich der Aufwinde der Rollen. In solchen Situationen würden dann die größeren Konvektionsrollen der thermisch durchmischten Schicht oberhalb – die bei Cumulusbewölkung als Wolkenstraßen sichtbar werden – bereits in der bodennahen Schicht angestoßen. Die Streifen mit geringerer Windgeschwin-

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l Bei

3 Konzeptionelles Bild zu den im Artikel dargestellten kohärenten Strukturen im bodennahen Windfeld, Entwurf aus einer Reihe von Publikationen zu Hufeisen- und Haarnadelwirbeln, „ejections“ und „sweeps“ sowie den in Windrichtung nebeneinander liegenden Streifen („streaks“) im Horizontalwind

digkeit stehen offensichtlich in Verbindung mit den genannten Hufeisenwirbeln, von denen die stärksten direkt mit dem Ablösen eines Aufwindes („ejections“) aus der überhitzten Schicht verbunden sind (Bild 3). Ein plausibles, vereinfachtes Bild all dieser Windstrukturen ist in Bild 3 skizziert. Es verdeutlicht, wie die mit Lidar beobachteten Streifenstruktur im Wind durch die schwache Rollenstruktur erklärt werden kann und wie sich in dem Streifen geringerer Geschwindigkeit hufeisenförmige Wirbel aufbauen, die zu den Ablösungen („ejections“ bzw. „bursts“) der Aufwinde führen. Die Häufigkeit der Streifen im Windfeld wurde mit Hilfe der Lidar-Daten ausgezählt (Bild 4). Demnach treten sie auch nachts bei stabiler und bei indifferenter Schicht auf, sind aber bei labiler Schichtung in der bodennahen Luftschicht am häufigsten. Das deutet darauf hin, dass sie dynamisch durch den Wind, seine Reibung an der Erdoberfläche und Scherung – also über eine dynamische Instabilität – verursacht werden. Wenn vorhanden, beeinflussen sie dann ihrer-

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seits die Aufwindauslösung. Durch die in Windrichtung langgezogene Struktur wird dann viel Luft aus dem Nachlauf und der Umgebung einbezogen, was die Thermikauslösung verstärken oder abschwächen kann. Obwohl die Bewegungsvorgänge in den untersten 20  m äußerst komplex und keineswegs ganz verstanden sind, können dennoch auch praktische Aussagen für das thermische Segelfliegen abgeleitet werden:

schwachem Wind sind die bekannten Erwärmungsunterschiede am Boden und die Kontraste unterschiedlicher warmer Flächen ent scheidend. Störungen von „außen“ können die Auslösung beeinflussen. l Im Flachland bilden sich unter Windeinfluss oft bodennah die genannten kohärenten Strukturen aus und beeinflussen auch Ort und Zeitpunkt der Auslösung der Thermik. Hierbei werden die lokalen Erwärmungsunterschiede überdeckt. In Windrichtung orientierte Windleitbahnen und wärmere Flächen dürften die Lage der Strukturen beeinflussen. l Die bekannten Strömungshindernisse wie Waldkanten, Siedlungen und Hügel bleiben für beide Arten von Thermikauslösung wichtig. Mit den neuen bodennahen Lidardaten lässt sich aber noch nicht die Frage beantworten, wie genau sich die größeren Aufwinde oberhalb der bodennahen überadiabatischen Schicht entwickeln. Die beschriebenen Thermikauslösungen in den untersten 20 bis 30 m sind häufig zu schwach, dass weitere Vorgänge benötigt werden, um ihr Zusammenwachsen mit der Höhe zu starken nutzbaren Aufwinden zu erklären. Auf diese Frage wird in einem folgenden Artikel eingegangen. t

4 Mittlerer Tagesgang der Häufigkeit beobachteter (graue Balken) und fehlender (schwarze Balken) kohärenter Strukturen. Daten vom 04 April bis 23. Mai 2013

Hintergrund der Wind-Lidarmessung Autor: Christoph Kottmeier

1 Schema der Windmessung mit Lidar.

Das Lidar sendet einen Laserpuls der Länge Dp aus, welcher an Aerosolen entlang des Strahls teilweise zurückgestreut wird. Die zeitabhängige Analyse der Frequenzverschiebung zwischen aus- und eingehendem Signal liefert eine räumliche aufgelöste Windmessung entlang des Strahls (nur Windkomponente in Strahlrichtung)

D

ie Messung des Winds mittels Wind-Lidar beruht auf Fortschritten in der Entwicklung von LASER-Geräten und Detektoren. Beim Wind-Lidar (LIDAR = Light Detection And Ranging) werden von einem Festkörper-Laser winzige intensive „Lichtblitze“, sogenannte Pulse, erzeugt. Die für diesen Artikel verwendeten Lidare haben Wellenlängen von 1,5 oder 2 Mikrometern und sind somit etwas langwelliger als sichtbares Licht und für das menschliche Auge ungefährlich. Diese Pulse elektromagnetischer Strahlung haben eine Dauer von ca. 300 Nanosekunden, was bei ihrer Ausbreitung mit Lichtgeschwindigkeit einer Länge von ca. 80 m entspricht. Der gepulste Lichtstrahl ist stark fokussiert und wird über ein schwenkbares Spiegelsystem (Scanner), auf ca. 15 cm Strahlbreite aufgeweitet. Im Unterschied zum „normalen“ Licht

einer Taschenlampe vergrößert sich die Breite des Laserstrahls mit steigender Entfernung nur sehr wenig. In die Atmosphäre ausgestrahlt trifft die Laserstrahlung auf unsichtbare Schwebteilchen (Aerosole) in der Luft (Bild 1). An diesen Aerosolen wird das Laserlicht in alle Richtungen gestreut, ein kleiner Teil auch zurück zum Sender. Dieses schwache zurückgestreute Licht wird über den Spiegel wieder zurück ins Gerät geführt, dort detektiert und hinsichtlich der Amplitude und Frequenz analysiert. Von den inzwischen sehr vielen unterschiedlichen Größen, die mit Lidar gemessen werden, interessiert bei Doppler-Lidaren die Windmessung. Sie erfolgt wie bei der Geschwindigkeitskontrolle mit Radar: Die Bewegung des Aerosols in Richtung des Lidars oder von dem Gerät weg bewirkt eine sehr kleine Frequenzverschiebung zwischen

ausgesendeter und rückgestreuter Strahlung. Eine Auswertung dieser sehr kleinen Frequenzverschiebung erlaubt somit eine Messung der Windgeschwindigkeit, da das Aerosol mit dem Wind transportiert wird. Das Streulicht kommt selbst aus 10 km Entfernung innerhalb von 66 Mikrosekunden zurück. Der Ort der Streuung (Abstand vom Lidar) ist durch die gemessene Laufzeit des Lichts über die Lichtgeschwindigkeit berechenbar. Durch eine zeitliche Abtastung des Messsignals erhält man somit eine räumlich aufgelöste Windmessung entlang des Lidarstrahls. Typischerweise werden Messwerte für ca. 80 m lange und 15 cm breite Luftzylinder längs des Strahls bis zur maximalen Reichweite von ca. 10 km aufgenommen. Da immer nur die Bewegungskomponente des Windes (der Aerosole) in Richtung des Lidar-

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2 Ein vertikal abstrahlendes Lidar zur Messung des Vertikalwindes (der Auf- und Abwinde) in verschiedenen Höhen. Es wird jeweils der im Beispiel gezeigte blaue bzw. rote Anteil an Auf-/Aufwind des Windvektors gemessen. 3 Ein Lidar schwenkt den Strahl auf

einem Kreiskegel und misst dabei in verschiedenen Blickrichtungen die Komponente des Horizontalwindes in Strahlrichtung (gestrichelte Abschnitte). Bei schnellem Scan und konstantem Wind ergibt sich daraus der horizontale Windvektor in verschiedenen Höhen

strahls gemessen werden kann, ist es mit nur einem Lidargerät nicht möglich, den ganzen Windvektor mit seinen drei Komponenten zu messen. Es handelt sich also bei einem Lidargerät um eine eindimensionale Messung entlang einer vorgegebenen Raumrichtung, im Gegensatz zu einer nulldimensionalen (Punkt-)Messung mit einem klassischen Anemometer. Zur Ausrichtung des Laserstrahls in der Atmosphäre sind Lidarsysteme üblicherweise mit einem Scanner, einem System von Umlenkspiegeln, ausgestattet. Der Scanner lässt sich horizontal und vertikal schwenken, so dass in etwa 10 Minuten der ganze Halbraum über dem Gerät abgescannt werden kann. Innerhalb der ersten 100 bis 400 m (je nach Gerätetyp) können keine Winddaten gewonnen werden. Die erreichbaren Entfernungen für verwertbare Messungen liegen horizontal bei einigen bis zu 10 km, vertikal nur 1 bis 3 km, da

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oft die Aerosole als Rückstreuer oberhalb davon fehlen. Wolken dämpfen die Strahlung bereits innerhalb von 100 m bis 200 m Eindringtiefe und verhindern tiefergehende Messungen im Inneren und „hinter“ Wolken. Messgeometrien Am Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK-TRO) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) wurden in den letzten Jahren vielseitige Kombinationen von Lidargeräten mit aufwändiger synchroner Steuerung der Scannerbewegungen, Zusammenführung der Daten und Berechnungen des Windes realisiert. Damit können sehr unterschiedliche Fragestellungen der Grenzschichtmeteorologie untersucht werden, für die vorher keine Messmöglichkeit bestand, z. B. Hindernisüberströmungen, Berg-Talwind-Zirkulationen, Böenuntersuchungen bei Starkwind, Wind in Stadtgebieten und

andere. Für die Untersuchung der Konvektion (Thermik) sind die im folgenden vorgestellten Scanmuster besonders wichtig. Vertikalprofil der Auf- und Abwinde an einem Ort Hierbei werden die Pulse senkrecht nach oben abgestrahlt, somit liefert das zurückgestreute Signal eine Messung des Vertikalwindes (Auf- und Abwinde) direkt über dem Lidar. Typischerweise kann der Vertikalwind mit einer räumlichen Auflösung von 80 m entlang des Strahls und einer zeitlichen Auflösung von 0,1 s bis einigen Sekunden gemessen werden. Durch Wiederholung der Messungen in kurzen Abständen wird die Vertikalstruktur der Thermik so erfasst, wie sie mit dem mittleren Wind über das Gerät getragen wird (Bild 2). Eine Modifikation davon ist die Messung mit einem Lidar aus einem Flugzeug senkrecht nach unten. Hierbei

4 4 Zwei Lidare messen mit horizontaler Abstrahlrichtung die beiden strahlenparallelen Windkomponenten (dicke rote und blaue Abschnitte im Beispiel) in einem horizontalen räumlichen Überlappungsgebiet. Aus den Messwerten lässt sich der Horizontalwind an den Schnittpunkten berechnen

werden in Flugrichtung aufeinanderfolgende Vertikalprofile gemessen. Vertikales Profil des Horizontalwindes an einem Ort Durch Schwenken des Strahls auf einem Kreiskegel-Mantel lässt sich aus allen Messpunkten in der gleichen Höhenschicht der horizontale Wind berechnen, und dann aus allen Höhenschichten ein Vertikalprofil des horizontalen Winds. Dieses Scanmuster benötigt einige Minuten, da für die Auswertung ein horizontal gleichmäßiges Windfeld ohne Turbulenz angenommen werden muss, was nur bei langen Mittelungsdauern ausreichend erfüllt ist (Bild 3). Räumlich aufgelöster Horizontalwind auf einer Fläche Durch zwei Lidargeräte in einem Abstand von einigen Kilometern können in einem Überlappungsbiet

zwei Komponenten des jeweiligen Windvektors aus zwei Richtungen gleichzeitig gemessen werden. Daraus können die Komponenten in Ost-Westsowie Nord-Süd-Richtung berechnet werden. Hierbei schauen die synchronisierten Lidare im Idealfall horizontal und können bis zu ca. 50 km2 abdecken (Bild 4).

Vertikale Profile des Horizontal- und Vertikalwindes an beliebigen Orten (virtuelle Masten) Zwei oder mehr Lidare an verschiedenen Orten können so betrieben werden, dass sich die Laserstrahle an vorgegebenen Orten und Höhen in einem Überlappungsgebiet kreuzen. Durch mathematische Berechnungen

können dann alle drei Komponenten des Windes an diesem Ort berechnet werden. Dann ist durch Kombination aller drei Messungen der Wind in allen drei Komponenten an diesem Ort bekannt. Schwenken die Scanner in einem gemeinsamen Schnittpunkt herauf und herunter, so liegen für diesen Ort vollständige Windvektoren für alle anvisierten Punkte vor (Bild 5). Über diese Grundmuster hinaus wurden viele weitere Scanmuster entwickelt und erprobt. Von Interesse sind nicht nur Messungen am Boden, Lidarmessungen mit ähnlichen Scanmustern können auch vom Flugzeug aus durchgeführt werden. Beispiele dafür werden in einem späteren Artikel gegeben. Die Entwicklung der Ansteuerungs- und Auswerte-Software, die Auswertung mit Fehleranalysen sowie die Messungen sind sehr anspruchsvoll und konnten in der Vergangenheit nur in Forschungsprojekten der Meteorologie durchgeführt werden. Inzwischen gibt es besonders für die Messungen des vertikalen Profils des Horizontalwinds an einem Ort zahlreiche einfach zu betreibende Systeme, da diese Messungen z. B. für Fragestellungen in der Windenergie von großer Bedeutung sind. Zusammengefasst Mit einem vertikal-blickenden Lidar kann die mittlere Vertikalbewegung über dem Lidar in 80 m Höhenintervallen im Abstand einiger Sekunden gemessen werden. Zahlreiche andere Verfahren erlauben auch die Messung des horizontalen Windes, wobei jeweils Einschränkungen bezüglich der räumlichen Abdeckung und zeitlichen Wiederholrate der Messung existieren. Gegenüber konventionellen Windmessungen mit Anemometern ist der Informationsgewinnen trotz dieser Beschränkungen jedoch sehr groß, da sowohl vertikal als auch horizontal aufgelöste Messungen erhalten werden. t

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5 5 Virtuelle Masten. Zwei Lidare messen am Ort und in der Höhe der Schnittpunkte

ihrer auf- und abwärts schwenkenden Strahlen die beiden strahlenparallelen Windkomponenten (rot und blau gepunktet im Beispiel). Bei flachem Strahl oder ohne Vertikalwind errechnet sich daraus der Horizontalwind. Eine Erweiterung auf drei Lidare ermöglicht die Messung aller drei Komponenten

Unsere Autoren

Vor 40 Jahren haben wir, Detlef Müller und Christoph Kottmeier, das Büchlein „Thermik von A-Z – Meteorologische Grundlagen des Streckensegelflugs“ verfasst (Müller und Kottmeier, 1985), das zu unserer Freude immer noch gelesen und zitiert wird. Jetzt sind wir als Ruheständler nach dem Berufsleben in einem deutschen Großkonzern (D. Müller) und als Professor für Meteorologie am Karlsruher Institut für Technologie KIT (Ch. Kottmeier) wieder zum Stand der Segelflugmeteorologie und aktuellen Forschung ins Gespräch gekommen. Viele Grundlagen stammen aus Messprogrammen und Doktorarbeiten des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung (IMK, Bereich Troposphäre) des KIT, oft in Kooperation mit anderen Einrichtungen wie dem Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) und Universitäten in Europa. Sie beruhen meistens auf Messungen mit der Messtechnologie der Windmessung mittels Lidar.

Literatur Müller, D., Kottmeier, Ch. (1985). Meteorologische Aspekte des Streckensegelflugs. Thermik von A-Z. Selbstverlag. www.imk-tro.kit.edu/download/Thermik_von_A_ bis_Z.pdf Träumner, K., Damian, T., Stawiarski, C., and Wieser, A. (2015). Turbulent structures and coherence in the atmospheric surface layer. Bound.Lay. Meteorol., 154(1):1–25. Damian, T. (2016). Coherent Structures in the Atmospheric Boundary Layer Measured by Dual Doppler Lidar. Dissertation, KIT, KIT Publishing, 164 S Müller, D., Etling, D., Kottmeier, C., and Roth, R. (1985). On the occurrence of cloud streets over northern Germany. Q. J. R. Meteorol. Soc., 111(469):761– 772 Raasch, S. and Schröter, M. (2001). PALM–a large-eddy simulation model performing on massively parallel computers. Meteor. Z., 10(5):363–372 Träumner, K., Damian, T., Stawiarski, C., and Wieser, A. (2015). Turbulent structures and coherence in the atmospheric surface layer. Bound.-Lay. Meteorol., 154(1):1–25. Young, G.S., Kristovich, D.A.R., Hjelmfeld, M.R., and Foster, R.C. (2002). Rolls, Streets, Waves, and more. A Review of Quasi-Two-Dimensional Structures in the Atmospheric Boundary Layer, Bull. Am. Met. Soc., ES 54-ES69

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Vom Matterhorn Kurs Richtung Wallis. Tatsächlich gab es eine Welle von Zermatt bis Brigg

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Nach erfolgreichem Welleneinstieg: Blick auf den Aletsch-Gletscher

Eine neue Wellen-Ära Dank der Wellenvorhersage von SkySight habe ich entdeckt, dass es viel öfters Wellenlagen gibt, als ich bis vor Kurzem angenommen habe. Gerne nehme ich euch auf zwei sehr spezielle Wellenflüge bei Nordföhn mit. Zuerst machen wir jedoch Flugvorbereitung. Autor: Yves Gerster

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Gute Daten Seit einiger Zeit nutze ich SkySight. Zu Beginn habe ich lediglich die 3D-Wellen angeschaut, weil mir die Darstellung gefällt (Bild 2). Für die Flugplanung verwende ich mittlerweile am liebsten die „Vertical Velocity“ auf 4 km oder 5 km Höhe. SkySight zeigt sogar sechs Tage im Voraus die Wellen an, was ein großer Vorteil gegenüber den anderen Prognose-Tools ist. Sechs Tage gibt einem genug Zeit, um sich das Material für einen Wellenflug zusammen zu suchen; sogar im Winter (Bild 3).

ie Alpen bieten eine ideale Spielwiese für Wellenflüge. Leider gibt es immer noch sehr wenig Streckenflüge in Welle. Das liegt vermutlich an den Vorurteilen, welche sich im Laufe der Zeit etabliert haben. Beispiele davon sind: „Es gibt nur wenige Wellenflugtage“ oder „Um von der Alpen-Nordseite her gute Wellenflüge zu machen, braucht es Süd-Föhn“. Wetter-Vorbereitung Um gute Wellenflugtage in den Alpen zu erkennen, habe ich ursprünglich immer die Druckdifferenz zwischen Zürich und Lugano angeschaut. Mit diesem einfachen Diagramm kann man Föhnlagen und Wellen vier bis fünf Tage im Voraus erkennen. Diese Methode hat zwei Schwächen. Zum einen gibt das Diagramm lediglich den Boden-Wind an. Wenn die Luftschicht darüber eine zu große Richtungsänderung aufweist oder zu schwach ist, gibt es keine guten Wellen. Zum anderen können gute Wellen entstehen ohne große Druckdifferenz, wenn der Wind in der Höhe genug stark bläst und richtig geschichtet ist.

Nordföhn-Lage Als sich Ende Januar eine klassische Nordföhn-Lage eingestellt hatte, begann ich wie üblich mit der Suche nach Möglichkeiten für einen coolen Flug. Für Nordföhn-Flüge kommen für mich normalerweise Aosta, Ambri oder Locarno in Frage. Alle drei Plätze erfordern einige Autostunden für einen einzigen Flug, was nicht ganz bequem ist. Ambri hat Winterpause und Locarno lässt einem nicht früh starten. Bei genauerer Betrachtung der Wellen-Vorhersage von SkySight (Bild 4) hatte ich entdeckt, dass es im Wallis Wellen gab, welchen ich

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bis da noch keine Beachtung geschenkt habe. Somit kamen zusätzlich noch Sion, Bex und Raron in Frage als Startplatz. Die Suche geht weiter Als nächstes schaute ich mir die Feuchtigkeit an. Gibt es geschlossene Wolkendecken oder Niederschlag? SkySight verriet mir, dass sich die Bewölkung auf der Alpen-Nordseite im Verlauf des Tages auflöst. Nur am Morgen gab es eine hohe Wolkenschicht mit einer Untergrenze von 3000 m MSL. Das bedeutete, dass ich theoretisch direkt vom Norden her mit Rückenwind in die Welle einsteigen könnte. Ich glaubte zwar noch nicht richtig an das Konzept, war aber motiviert, einen Versuch zu starten. Ich wusste, dass der Flugplatz Bern-Belp nicht viel Verkehr hat im Moment. Weil ich in Bern wohne, war das der ideale Startplatz für dieses Projekt. Somit begann ich die Flugplanung für den 22. Januar. Dank des Nordwinds sollte es kein Problem sein mit dem Motor bis ins Wallis in die Welle zu fliegen. Mit dem Rückenwind und den Wellenvorhersage wurde der Flug bis ins Wellensystem bei Locarno nicht sehr kompliziert sein. Für den Rückweg hatte ich noch keine gute Idee. Meine scheinbar beste Option war, mich in der Region Ambri gegen den Wind durch die Wellenbänder wieder in den Norden vorzuarbeiten. Erster Flug Der Flughafen Bern war äußerst kooperativ und erlaubte mir, bereits um 07:00 Uhr direkt auf dem Vorfeld neben der Embraer von Helvetic aufzubauen. Das sieht man auch nicht alle Tage. (Bild 5). Nach dem Start erwartete mich wie vorhergesagt ein Wolken-Deckel auf 3000 m MSL. Das war genügend hoch, um über den Ravil-Pass zu fliegen. Durch das Satellitenbild wusste ich, dass das Wallis ziemlich sonnig war. Trotz der Wetter-Informationen war ich sehr gespannt, was mich im Wallis erwarten würde. Im Grunde war ich sehr früh aufgestanden, habe im Dunkeln ein Flugzeug zusammengebaut und 25 Minuten den Motor laufen lassen, nur um einen roten Fleck auf einer computergenerierten Karte zu erreichen. Irgendwie verrückt. Es klappt Sobald ich über den Pass ins Wallis kam, erreichten mich die ersten Sonnenstrahlen und das Vario zeigte nach oben. Genau da, wo SkySight seit sechs Tagen eine Welle angekündigt hatte,

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stand sie auch. An dieser Stelle war für mich der Tag bereits ein Erfolg, egal ob ich den Rückweg nach Bern schaffte oder nicht. Nach dem erfolgreichen Welleneinstieg nahm ich mir einen kurzen Moment, um die Aussicht zu genießen (Bild 6). So hoch war ich da noch nie. Nun galt es Wellen zu fliegen. Das hieß, Sauerstoff rein, Höhenfreigabe holen und langsam das System auskundschaften. Westlich des Aletsch-Gletschers konnte ich auf 5500 m MSL steigen und ließ mich dann vom Rückenwind durchs Tessin bis ins Valtellina-Tal treiben. Ich folgte den Prognosen von SkySight. Das war ziemlich einfach, weil mein Handy meine Position sowie die Position der Wellen kannte. Somit musste ich einfach den blauen Punkt in den roten Bereichen halten. Kurz vor dem Tal von Bozen wendete ich, weil mich der Sprung nach Österreich sehr viel Zeit gekostet hätte, welche ich an diesem kurzen Winter-Tag nicht hatte. In Welle konstant auf über 4000 m flog ich in den Westen und wendete kurz vor Monte Rosa. Mein Plan war nun, die Welle bei Ambri zu erreichen, um dann nach Bern zurückzufliegen. An dieser Stelle wurde ich zu ungeduldig und verlor die Konzentration, so dass ich nördlich Locarno, anstelle in einer schwächeren Welle zu steigen, mein Glück bei Biasca versuchte. Leider war ich da bereits zu tief, um Glück zu haben. Motor Nach 40 Minuten voller Turbulenzen ohne gutes Steigen entschloss ich, den Motor zu zünden, um noch eine Chance zu haben, bei Tageslicht in Bern zu sein. 20 Motor-Minuten später war ich wieder in der Welle, welche mir erlaubte über den Albrun-Pass ins Wallis zu fliegen. Ein letzter Motor-Einsatz brachte mich über den Alpen-Hauptkamm und erlaubte mir einen Endanflug nach Bern (Bild 7, Stockhorn).

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Das geht noch besser Mit diesem ersten Flug war ich schon recht glücklich, wusste aber, dass es hier noch viel Potential nach oben gibt. Deshalb war ich sehr froh zu sehen, dass SkySight schon einige Tage später die nächste Wellen-Lage vorhergesagte. Bereits am 30. Januar konnte ich zu meinem zweiten Experiment starten. Der Start ab Bern war wieder spannend. Anstelle des hohen Wolken-Deckels gab es nun tiefe Bewölkung mit etwas Niederschlag (Bild 8). Nur dank aktueller Webcam-Bilder (welche ebenfalls in SkySight integriert sind) und aktueller Niederschlags-Informationen konnte ich eine tiefe Wolken- und Regenzelle umfliegen (Bild 9) und einen sicheren Weg von Bern in die Welle im Wallis finden (Bild 10). Malen nach Zahlen Ab dem Wallis war es absolut wolkenlos und blau. Im Gegensatz zum letzten Flug gab es somit keine Markierungen, wo Wellen sein könnte. Deshalb hatte ich die Karte von SkySight bereits im Voraus heruntergeladen und das Handy mit der geöffneten App auf mein Bein gelegt. Dank einer großen Power-Bank konnte ich den ganzen Tag den roten Linien in SkySight nachfliegen (Bild 11). Das war verblüffend einfach.

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Dem Motto „Malen nach Zahlen“ folgend erreichte ich wiederum ziemlich schnell das Tal von Bozen. An diesem Tag war der Wind am Boden zu fest westlich ausgerichtet, was die Hänge auf der Ost-Seite der Bozen-Ebene sehr unattraktiv machte. Deshalb wendete ich wieder fast am selben Ort wie beim ersten Flug und begann meinen Gegenwind-Schenkel. Gegenwind Beim Tonale-Pass wurde der Gegenwind zu stark für die DG400 und ich musste auf eine andere Route ausweichen als diejenige, welche beim Hinflug gut funktioniert hatte. Glücklicherweise fand ich sofort 6 m/s Steigen und konnte wieder im guten Wellensystem durchs Tessin fliegen. Bei Domodossola war ich wieder etwas tief, fand aber sofort einen Wellen-Einstiegspunkt, welchen SkySight in einer tieferen Höhe anzeigte. Dank diesem Einstiegspunkt konnte ich direkt in die starke Welle von Monte Rosa fliegen. Die Offenbarung Als ich in der Welle bei Monte Rosa war, sah ich auf der Skysight-Karte eine rote Linie, welche mir bis da nicht aufgefallen war. Dank der West-Komponente im Wind gab es über

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Zermatt eine Welle, welche direkt nach Brig, also zu meiner ersten Welle im Wallis führte. In meinem Kopf waren diese beiden Gebiete bis jetzt immer getrennt. Aber das muss nicht so sein. Das war die Lösung für das Rückweg-Problem Um die guten Wellenkonditionen im Aosta-Tal zu nutzen, flog ich auf 6000 m zum Mont Blanc und dann zurück zum Matterhorn (Bild 1 erste Seite). Beim Matterhorn bog ich links ab und nahm Kurs Richtung Wallis. Tatsächlich gab es eine Welle von Zermatt bis Brigg. Leider erlaubte mir die Flugsicherung nicht, auf den angenehmen 6000 m zu bleiben. Somit stieg ich auf 4500 m ab. Weil ich gut in meinem Zeitplan lag, erkundete ich noch einmal die Wellensysteme im Wallis, bevor ich den Endanflug nach Bern Belp in Angriff nahm. Auf die Frage, ob ich Bern erreichen könnte, war mein Endanflugrechner zu Beginn eher skeptisch, weil der Gegenwind zu Gleitzahlen von 12 bis 16 führte. Jedoch wurde der Wind zunehmend schwächer und der Rechner zunehmend optimistischer. Unterhalb von 3000 m erreichte ich eine

Gleitzahl von über 30, was genügte, um Bern zu erreichen. (Bild 12) Obwohl dies eher ein experimenteller Flug war, erreichte ich Platz 1 im OLC, sogar noch vor Klaus Ohlmann, welcher von Serres aus in seiner Antares über 900 km bis Sondrio und zurück geflogen ist. Fazit: SkySight hat diese Flüge sehr einfach gemacht. In einem komplett neuen Gebiet ohne Wolken auf Anhieb die Wellen oder Konvergenzen zu finden, war vor SkySight nicht möglich. Meine Aufgabe beschränkte sich hauptsächlich darauf, den blauen Punkt auf meinem Smartphone in den roten Bereichen halten. Aus meiner Sicht bringen diese neuen Tools die Segelfliegerei auf ein komplett neues Level (Bild 13). Beide Flüge waren für mich eine Art proof of concept. Die Arbeit hier hat erst begonnen. Die Wellenfliegerei in der Schweiz hat ein enormes Potential. Als Ziel-Flug könnte ich mir Flüge in die Slovakei oder in die Pyrenäen vorstellen. Dies war für mich bis vor kurzem noch undenkbar. t

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FWTY: Flying with the Youngsters Jung, erfolgreich, gutaussehend und SooBock! Die meisten ambitionierten Nachwuchspiloten bringen diese Eigenschaften mit. Finanziell sieht es oft jedoch anders aus. Um es den Youngsters zu ermöglichen, sich dennoch die Welt zu erfliegen, gibt es in Deutschland glücklicherweise eine Vielzahl von Sponsorings. Autor: Florian Heilmann, Bilder: Bitterwasser Lodge, Kilian Biechele, Arne Röpling, Gerhard Marzinzik

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Traumhaftes Flugerlebnis: Die Dünen der Kalahari und Wolkenstraßen zum Genießen

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ur wenige junge Piloten haben Zugriff auf ein eigenes Segelflugzeug oder besitzen die finanziellen Mittel, um große Fliegerreisen nach Frankreich oder gar auf andere Kontinente zu unternehmen. Einige werden sich die Frage stellen, ob es überhaupt notwendig ist, dass sich junge Segelflieger die ganze Welt erfliegen, bevor sie überhaupt ihren ersten richtigen Job hatten. Meiner Meinung nach spricht nichts dagegen, denn sie tragen die Werte unseres Sportes in die breite Gesellschaft. Sie sind die zukünftigen Botschafter unseres Sports. Deshalb fördert z. B. Wilfried Großkinsky seit vielen Jahren junge, talentierte und vor allem erfolgreiche Nachwuchsstreckenflieger. Er lädt sie regelmäßig nach Namibia auf die Bitterwasser Lodge ein, unterstützt sie finanziell oder überlässt ihnen einen Discus 2ct für 12 Monate. „Flying with the Youngsters“ (FWTY ) entwickelte sich aus diesen Sponsorings und wird durch die Youngsters organisiert.

Die Idee FWTY ist eine Vermittlung junger Flieger, die ein gutes Knowhow im Streckensegelflug besitzen und bestenfalls schon in Namibia geflogen sind. Das sind dann die Youngsters. Sie werden mit unerfahrenen oder interessierten Fliegern in Kontakt gebracht, die in Namibia die besondere 1000-km- Marke knacken oder das Erlebnis, dort zu fliegen, maximal genießen wollen und einen Guide suchen. Ziel ist es, dass die Youngsters so wenig Kosten wie möglich selbst tragen. Beispielsweise zahlen sie die An- und Abreise sowie die Unterkunft. Der Trainee hingegen übernimmt die Charter- und Fluggebühren, welche den Großteil der Gesamtkosten einer solchen Reise darstellen. Unterstützt wird dieses Projekt durch die Bitterwasser Lodge, welche jungen Fliegern schon seit Längerem vergünstigte Übernachtungskonditionen anbietet. Zudem werden durch zahlreiche Unterstützer extra für dieses Projekt Flugzeuge zur Verfügung gestellt.

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Links: „Youngster-Perspektive“ Oben: Simon Briel und Jeffrey Banks

Junge Piloten mit Erfahrung Derzeit besetzen wir die Trainerpositionen mit den Youngsters, die durch Wilfrieds Sponsorings schon einmal in Namibia geflogen sind. Das soll jedoch nicht ausschließen, dass man auch ohne Teil eines vorherigen Sponsorings als Trainer teilnehmen darf. Junge Piloten mit Erfahrung in dem Fluggebiet und dem entsprechenden Know-How dürfen sich jederzeit bei uns melden. Sollten wir in einer Saison zu viele Youngsters für die gemeldeten Trainees haben, entscheidet die Wertung der OLC-Juniorchallenge, wer als erstes einen Youngster-Platz bekommt. Es lohnt sich also enorm für junge Streckenflieger, in der Juniorchallenge maximale Punkte zu erfliegen! Von Bitterwasser bis Südfrankreich Vorerst bezieht sich FWTY auf die Fliegerei in Namibia von der Bitterwasser Lodge aus. Es gibt aber auch viele Junioren, die in anderen Fluggebieten ein super Know-How mitbringen, z. B. in Südfrankreich. Damit sie dieses weitergeben können, möchten wir in der Zukunft FWTY auch für andere Fluggebiete organisieren. Das wird jedoch noch eine Weile dauern, da wir FWTY erst in Namibia zu einer festen Größe machen wollen. Erste Saison mit FWTY In der vergangenen Bitterwasser-Saison wurde das erste Mal FWTY durchgeführt und es flogen sieben Youngsters nach Bitterwasser, um ihr Wissen weiterzugeben. Zur Verfügung standen Flugzeuge der Typen Arcus M, Ventus 3M und EB28 edition, die viele wunderschöne Flugerlebnisse ermöglichten. Die 1000-km-Marke wurde dabei regelmäßig geknackt. Neben den aufregenden Flügen verbrachten unsere Youngsters die Zeit mit deren Trainees auch gerne am Pool. Der Urlaub kam also nicht zu kurz! Wie einige unserer Trainees und Youngsters die Zeit erlebt haben, erzählen sie gerne:

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Kilian Biechele (Youngster) Für mich war es diesen Winter die dritte Saison, die ich in Bitterwasser verbringen durfte. In den Jahren 2016 sowie 2017 bin ich in den Genuss der vergünstigten Bitterwasser-Preise gekommen. In diesen beiden Jahren habe ich sehr viel über das neue Fluggebiet und die dort doch extremeren Wetterbedingungen gelernt. Diesen Winter wurde das neue Programm FWTY ins Leben gerufen und ich bekam die Möglichkeit, als Trainer im Team zu sein, um gemeinsam mit Klaus Reinhold und Manfred Dick zu fliegen. Nicht nur die schönen Flugerlebnisse werden mir in Erinnerung bleiben, sondern auch die Menschen und Freunde, die ich in der Zeit kennenlernen durfte. FWTY bietet für Trainer und Trainee unglaubliches Potenzial und ist für mich der Inbegriff für stressfreies, lehrreiches und erlebnisreiches Fliegen in Namibia. Ich freue mich auf die Entwicklung der Plattform und die nächsten Jahre in Namibia. Manfred Dick (Trainee und Unterstützer) In meiner Zeit in Bitterwasser (25.11. bis 18.12.2021) hatte ich das Glück, einige der vielen Youngsters kennenzulernen. Die Tage und Flüge mit Kilian Biechele (25), Johannes Dibbern (24), Niels Fecker (24), Erik Schneider (20) und Simon Schröder (25), dem amtierenden Weltmeister der Standardklasse, waren für mich eine große Bereicherung, sowohl fliegerisch wie auch menschlich. Seit Jahren werden die besten jungen Piloten aus Deutschland nach Bitterwasser eingeladen, womit in einmaliger Weise der deutsche Nachwuchs gefördert wird. Das Konzept ist für Bitterwasser ein großer Erfolg. Oft sind die Youngsters mit ihren großen Flügen in der weltweiten Tageswertung ganz vorne und viele kommen fast jedes Jahr wieder zurück nach Bitterwasser, so auch Tobias Welsch, früher Youngster und heute einer der besten Piloten weltweit.   

Links: Kilian Biechele, Klaus Reinhold und Simon Schröder Rechts: Klaus Reinhold und Eric Schneider

Viele große Flüge bis zu 1200 km und unglaubliche Eindrücke und Erlebnisse werden in meiner Erinnerung bleiben, und die sehr positiven Erfahrungen mit den Youngstern machen Lust auf mehr. Jeffrey Banks (Trainee) It was great. About 10000 km of flying and over 80 hours. I can’t say which flight was the best. We flew a flight about 970 km and I made a pretty silly comment: „Oh, just 970 today”. My best flight before flying here was 500 km. The glider worked nicely. Simon was great. He was always attending the small things to be sure we had timely launches. He is a very talented pilot and a very nice person. I came here to fly with a youngster and wound up flying with a young „star“. Klaus Reinhold (Trainee und Unterstützer) Mit den Youngsters so viele großartige Flüge und einen solch schönen Urlaub erleben zu dürfen, ist etwas ganz Besonderes. Das erlebt man nicht so oft in seinem Fliegerleben. Im Nachhinein kommt es mir vor wie ein Traum. Arne Röpling (Youngster) Wir waren zwar als Trainer vor Ort, aber letztendlich erlebten wir einen gemeinsamen Urlaub, bei dem beide Seiten etwas lernen konnten. Die Trainees fliegerisch und die Trainer etwas für das Leben. Mit einem Youngster nach Namibia Du möchtest bei FWTY einen Youngster buchen, um sicher und mit viel Spaß durch deinen Fliegerurlaub in Namibia zu kommen, oder hast Fragen zum Projekt? Dann besuche uns auf unserer Website: https://fwty.de/ Wir freuen uns über jeden Interessenten und Unterstützer. t

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Hazardous Attitudes Gefährliche Einstellungen in der Luftfahrt

In dem vereinfachten Modell lassen sich vier Persönlichkeitsebenen unterscheiden. Die Persönlichkeit, ein Synonym dafür ist „Charakter“, wird zum Großteil vererbt und in den ersten Lebensmonaten entwickelt und ist nicht veränderbar. Die Eigenschaften sind dabei konstante, überdauernde Arten des Verhaltens, die zur Beschreibung und zur Vorhersage des Verhaltens von Personen verwendet werden. Gewohnheiten und Einstellungen werden später in der Entwicklung erworben und vor allem durch die Umwelt und das soziale Umfeld geprägt

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fly safely

Im Themenbereich „Human Factors” geht es um die Risikofaktoren und das Risikopotential des Menschen. Warum das speziell für die Luftfahrt relevant ist, erfahrt ihr in unserem heutigen „Safety First“-Artikel von Marco Dürbrook, einem der Gründer von Human Factors Training. Menschen machen Fehler – täglich! Wo diese herkommen, wie man sie leichter erkennen und besser mit ihnen umgehen kann, vermittelt ein „Human Factors“-Training.

Autor: Marco Dürbrook

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n einem schon seit längerem im Internet kursierenden Videoclip sieht man einen SZD-9 Bocian beim Kunstflug, gefolgt von einem tiefen Überflug über einen Flugplatz. Das Ganze spielte sich am 30. April 2018 auf dem polnischen Flugplatz Lądowisko Żernica (ca. 190 km südöstlich Krakau) ab. Nach dem sehr tiefen Überflug berührt das Flugzeug bei der anschließen Umkehrkurve mit der linken Tragfläche einen Baum und schlägt danach mit dem Cockpit hart auf dem Boden auf. Der vorne sitzende Passagier wird schwer, der hinten sitzende Pilot und Fluglehrer leicht verletzt (https://www.youtube. com/watch?v=qpUeFw7E1Uk). Sowohl aus luftrechtlicher Sicht als auch nach dem gesunden Menschenverstand lag ein komplett regelwidriges Verhalten vor, das dann leider auch so tragisch endete. Was treibt Menschen an, derart unvernünftig zu handeln? Kennt das nicht jeder von uns? Ab und an handeln wir einfach irrational, suchen vielleicht den „Kick“. Und wenn man sich diverse Videos auf Youtube oder das „normale“ Verhalten in

diversen Vereinen ansieht, scheint der tiefe Überflug zum guten Ton zu gehören. Um diese Verhaltensweisen zu erklären, müssen wir uns kurz mit der Persönlichkeit des Menschen beschäftigen. Umfeld prägt den Menschen Das Verhalten ist für andere beobachtbar, während das Innere für andere zunächst verborgen bleibt. Ein Individuum kann sein Verhalten generell frei wählen, aber es ist schwierig, innewohnende Persönlichkeitscharakteristika zu ändern. Für die Luftfahrt relevant ist, dass bestimmte Einstellungen existieren, die als sicherheitsrelevant angesehen werden und Gefahren in sich bergen. Piloten müssen sich dieser Einstellungen bewusstwerden, die ihr Urteilsvermögen und ihre Entscheidungsfindung beeinflussen. Jeder Mensch trägt Persönlichkeitsmerkmale in sich, die individuell unterschiedlich stark ausgeprägt sind, aber auch innerhalb eines Individuums zeitlich variieren können. Ab einer gewissen Ausgeprägtheit lassen sie den Einsatz eines Piloten als

Entscheidungsträger in der Luftfahrt nicht mehr zu. Airlines versuchen, mit psychologischen Einstellungstests Menschen mit diesen zu stark ausgeprägten Merkmalen von vornherein auszusieben. In der Privatfliegerei gibt es aber dieses Korrektiv (außer vielleicht das Gespräch beim Fliegerarzt) nicht. Umso wichtiger ist es, sich damit auseinanderzusetzen. Sechs gefährliche Einstellungen In der Literatur haben sich sechs gefährliche Einstellungen herauskristallisiert, die eine Bedrohung für sicheres Fliegen darstellen: l Da wäre zunächst die Antiautorität. Diese entstammt einem Unmutgefühl oder einem Unverständnis gegenüber Regeln und Standard Operating Procedures, gepaart mit einer zu ausgeprägten Selbstwirksamkeitsüberzeugung. Auch bloße Ignoranz kann zu der Einstellung führen: „Vorschriften sind für andere da, nicht für mich!“ l „Jetzt aber schnell!“ Mit Impulsivität wird der Drang beschrieben, vorschnell zu handeln, ohne vorhe-

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fly safe ly

rige Situationsanalyse und Nichtbetrachtung von Alternativen, obwohl Zeit und Überlegungen notwendig wären, eine korrekte Entscheidung zu treffen. l „Das kann mir nicht passieren“, beschreibt den Glauben an die eigene Unverwundbarkeit. Unfälle und Zwischenfälle passieren demnach nur anderen. Besonders ausgeprägt ist diese Einstellung bei jungen Piloten mit wenig Erfahrung und bei sehr erfahrenen, älteren Piloten. l Resignation bezeichnet die Tendenz, sich bedenkenlos unterzuordnen und schwierige Entscheidungen oder die Übernahme von Verantwortung zu meiden. Personen, die sich mit dem scheinbar Unvermeidbaren abfinden, sehen keine große Möglichkeit der Einflussnahme, getreu dem Motto: „Was bringt das schon?“. l Die Selbstüberschätzung bedeutet hier, eine exzessiv hohe Meinung von sich selbst zu haben, und äußert sich durch die Demonstration von Arroganz und Ignoranz. Personen, die diese Einstellung an den Tag legen, zeigen oft ein Verhalten, das darauf aus ist, anderen zu beweisen, dass sie etwas Besonderes leisten können oder besser sind als andere. „Ich kann das (besser)“, zeichnet also diese gefährliche Einstellung aus. l Und schließlich wäre noch die Selbstzufriedenheit oder neudeutsch Complacency zu nennen. „Das passt schon“, ist häufiger von erfahreneren Piloten zu hören und zeigt sich im Nachlassen des Wunsches, in Übung zu bleiben. Preflight Checks und Checklisten werden unvollständiger abgearbeitet, mögliche Eventualitäten werden nicht mehr vorausgeplant.

Keiner von uns ist vor diesen Einstellungen gefeit. Jedoch sollten wir uns täglich beim Fliegen selbst überprüfen, ob unsere Einstellung nicht gerade in

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Die „Human Factors“-Grundlagen zum schnellen Nachschlagen, Kapitel für Kapitel aufbereitet, als Basis für ein fundiertes Training mit Fragenkatalog zur persönlichen Lernkontrolle in der „Easy Memory Item“-App

eine gefährliche Richtung tendiert. Das Wissen um die Einstellungen ist das eine, das bewusste Anwenden von Gegengedanken (Antidotes), durch die eine zu ausgeprägte Grundhaltung entschärft werden kann, ist das andere. Wenn mir z. B. beim Segelfliegen oder beim Schulen gerade besonders gut gefällt, wie ich den Flug manage, gehen mittlerweile bei mir die Alarmglocken an, und ich mache mir bewusst, dass ich dabei bin, mich selbst zu überschätzen oder zu selbstzufrieden zu werden. Dies schärft dann wieder den Blick für die Gefahren der Fliegerei. Mögliche Gegengedanken wären: l Antiautorität: „Folge den Vorschriften und Gesetzen (diese sind meist mit Blut geschrieben)!“ l Impulsivität: „Nicht so schnell – erstmal nachdenken!“ l Unverwundbarkeit: „Es könnte mir auch passieren!“

l Resignation: „Das lässt sich ändern,

ich bin dafür wichtig!“ l Selbstüberschätzung: „Kein Risiko eingehen!“ l Selbstzufriedenheit: „Es ist wichtig, immer wachsam, aufmerksam und kritisch zu bleiben!“ Fehlerkultur stärken Wenn wir zum Abschluss auf den Bocian-Unfall zurückkommen, können wir davon ausgehen, dass der Fluglehrer auf dem hinteren Sitz einigen der gefährlichen Einstellungen unterlag. Als erstes wäre hier die Antitautorität zu nennen: Dieser Bocian war nicht für den Kunstflug zugelassen und in der Höhe von 300 m ist Kunstflug schon gar nicht erlaubt. Sehr wahrscheinlich unterlag der Lehrer auch einer Selbstüberschätzung und ist nicht davon ausgegangen, dass auch ihm ein Unfall zustoßen könne (Unverwundbarkeit).

Ist also der Fluglehrer alleine schuld an diesem Unglück? Keineswegs. Auf dem Video sieht man eine Rückholmannschaft am Rande des Platzes laufen. Es ist davon auszugehen, dass dieses Manöver nicht zum ersten Mal geschah. Alle Vereinsmitglieder hätten auf das Fehlverhalten hinweisen können. Wir sollten uns selbst fragen, wie häufig wir schon Zeuge eines regelwidrigen und/oder potenziell gefährlichen Verhaltens beim Fliegen wurden. Sind wir eingeschritten?

Diese Fehlerkultur im Verein ist ein anderes großes Thema, das für die Sicherheit maßgeblich ist, jetzt aber den Rahmen sprengen würde. Diese Themen sind unter anderem Grundlagen von Single Pilot Ressource Management Training (SRM). Nicht nur in der kommerziellen Fliegerei sollte Crew Ressource Management verpflichtend sein. Auch in der Privatfliegerei führt dieses Training zu einem sichereren und effizienteren Fliegen. t

Unser Autor: Marco Dürbrook ist Verkehrspilot, Fluglehrer und Flugprüfer. Mit seinen Partnern von Human Factors Training bietet er unter anderem SRM-Seminare an: www.humanfactorstraining.de

Bevor wir euch in einer der nächsten Ausgaben noch mehr konkrete Tipps geben, welche Maßnahmen erfolgsvorsprechend sind, möchten wir zuerst eure Meinung wissen: Wie handhabt ihr das Thema „Flight Safety“ bei euch im Verein? Share your experience – erzählt uns, wie es bei euch läuft: [email protected]

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Risiko: Hangflug

Den Vögeln kann man als Pilot nur bewundernd zuschauen, wie sie durch Gebüsche und Zäune fliegen oder zusammen in wilden Luftkämpfen hunderte Meter abstürzen. Abgesehen vom Verlust einiger Federn werden diese Kunststücke meistens schadlos überstanden. Unsere Flugzeuge sind diesbezüglich viel heikler, jegliche Berührung mit anderen Flugzeugen oder dem Gelände führt schnell zur Katastrophe. Im Gebirge wird häufig in Bodennähe geflogen; folgende Auszüge aus Unfall- und Erlebnisberichten beweisen, wie anspruchsvoll diese Fliegerei ist. Autor: Roland Bieri, Bilder: Roland Bieri, Alexander Späth

SUST-Bericht Nr. 2328, Gesamterfahrung 2985 h, Training während der letzten 90 Tage 25:58 h Bei diesem Flug stoppte der Pilot das Triebwerk seiner DG400 auf gut 2000 m Höhe und sank danach bei der Suche nach Aufwind langsam auf etwa 1200 m. Auf dieser Höhe flog er 17 Minuten lang viele Kreise und Achten am Hang auf ca. 70 m über den Bäumen, bis das Segelflugzeug die Baumwipfel eines Waldes streifte, wodurch die Kontrolle über das Segelflugzeug verloren ging und es in der Folge auf den Waldboden aufschlug. Folgende Faktoren haben zum Unfall beigetragen: geländenahes Fliegen am Hang mit geringer Sicherheitsreserve; möglicherweise eine gesundheitsbedingte, plötzliche Handlungsunfähigkeit. SUST-Bericht Nr. 2338, Gesamterfahrung 3216 h, Training während der letzten 90 Tage 30:40 h Der erfahrene Pilot flog an diesem Oktobertag bei schwachen Bedingungen über zwei Stunden nahe am Hang, bis er mit dem Gelände kollidierte. Die Ursache des Unfalls, bei dem das Segelflugzeug wahrscheinlich im gesteuerten Flug mit dem Gelände kollidierte, konnte nicht abschließend geklärt werden.

SUST-Bericht Nr. 2376, Gesamterfahrung 469 h, Training während der letzten 90 Tage 46:15 h Nach dem Ausklinken flog der Pilot etwa eine Stunde zwischen 2100 m und 2300 m am Hang der Creta Besse nördlich von Sion. Um seine Höhe zu behalten bzw. zu steigen, musste der Pilot nahe am Hang Achten fliegen. Knapp zwei Stunden nach dem Start kam es bei der letzten Umkehrkurve zur Geländeberührung und Absturz. Als Ursache ermittelte die SUST folgende Gründe: Der Unfall war auf eine riskante Flugtaktik zurückzuführen, bei welcher das Segelflugzeug dauernd zu tief und zu nahe am Gelände geflogen wurde, was die Kollision mit einer Felswand verursachte. Der Ehrgeiz des Piloten, unter ungünstigen Bedingungen am Hang Höhe gewinnen zu wollen, spielte wahrscheinlich eine Rolle bei der Entstehung des Unfalls. Vittorio Colombo, Europameisterschaften Vinon 1984 (Auszug aus dem Buch „Dancing with the Wind“ von J.-M. Clement) „ ... nach einer Reihe von Achten am Hang hoben plötzlich starke Turbulenzen den rechten Flügel an, die Vertikalgeschwindigkeit ging auf 2,5 und dann auf 3,5 m/s. Ein schneller Ruder-

und Querruderausschlag nach rechts in Richtung Tal – ich sagte mir, den lasse ich mir nicht entgehen. Mit maximaler Querlage, den Klappenhebel in Thermikposition geschoben – aber der Aufwind verwandelt sich unerwartet in ein Sinken, der Schwanz hebt sich und der innere Flügel fällt herunter, der Abwind drückt mich in die Bäume. Der Segler ist unkontrollierbar, der rechte Flügel berührt die Spitze einer Kiefer und augenblicklich liege ich im Wald. Als ich zum Himmel schaute, sah ich Georgio Galettos Flugzeug über mir und war erleichtert, denn seine Anwesenheit gab mir die Zuversicht, dass ich schnell gerettet werden würde“. Giorgio Galetto, Frühjahr 2012, Gesamterfahrung: 6400 Std, Training während der letzten 90 Tage 79 Std. „ ...Nach über drei Stunden Flug, in denen die Hälfte unter der Hangkante geflogen wurden, fliege ich an den Hang bei St. Crepin. Hier sehe ich andere Flugzeuge Achten fliegen und hoffe auf Steigen. Doch das kommt nicht und das Sinken kostet mich schnell die ganze Sicherheitshöhe. Jetzt übernimmt der rationale Teil meines Bewusstseins das Kommando, der sich um die Sicherheit kümmert: Mir wird bewusst, dass eine Geländeberührung unvermeidlich ist

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Zu langsam und zu wenig Sicherheitsabstand zum Hang

und so konzentriere ich mich voll darauf, die Folgen des Aufpralls so gering wie möglich zu gestalten: Ich fliege parallel zu den Bäumen am Hang und versuche, das Flugzeug etwas unter den Baumwipfeln zu „landen“, um so möglichst viel Energie zu vernichten, ähnlich wie dies durch das quergespannte Bremsseil auf einem Flugzeugträger passiert. Meine Gedanken sind völlig klar: Ich überziehe das Flugzeug nicht, um nicht senkrecht abzustürzen, mit allen bekannten Folgen eines solchen Sturzes. Ich versuche auch nicht mehr, das Flugzeug durch einen beherzten Seitenruderausschlag vom Hang wegzudrehen, da ich fürchte, mit einer Fläche an einem Baum hängenzubleiben und einen folgenschweren Ringelpiez zu riskieren. Die Flugbahn, die ich beibehalten will, soll so sein, dass ich nach dem Kontakt mit den Bäumen parallel zum Hang falle, der Aufschlagwinkel soll möglichst flach sein. Es gelingt mir, die Bäume sehr gut zu erwischen, sie bremsen mich komplett ab. Der Flieger überschlägt sich nicht

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und behält seine Bahn bei. Zum Schluss dreht er sich um etwa 100 bis 120 Grad nach links und fällt etwas nach rückwärts unten. 15 bis 20 Meter nach dem ersten Kontakt mit den Bäumen bleibt er liegen. Die Struktur des Flugzeugs hat die komplette Energie absorbiert, Äste und Stämme bis etwa 20 Zentimeter Durchmesser sind abgebrochen, und ich habe einen Baum mit einem Stammdurchmesser von etwa 30 bis 35 Zentimetern gefällt. Das Cockpit ist ganz geblieben, die verstärkte Struktur um den Piloten herum hat gut gehalten. Ich sitze auf einem Styroform-Kissen und auch hinter dem Fallschirm habe ich ein etwa acht bis zehn Zentimeter dickes Kissen.“ Alexander Späth 2012, Gesamterfahrung: 1920 Std, Training während der letzten 90 Tage 155 Std. Ich fliege den Höhenzug der Belldonne entlang, der ungefähr in Nord-SüdRichtung verläuft und mehrere Quergräten besitzt, die nach Westen ins Tal abfallen. Da ich für den Hauptkamm bereits viel zu tief bin, versuche ich, die

Quergräten abzufliegen. Als ich merke, dass meine Taktik keinen Höhengewinn bringt, überlege ich vor dem Skigebiet bei Allevard, ob es nicht sinnvoller ist, Direktkurs auf Grenoble zu nehmen. Intuitiv entscheide ich mich jedoch dazu, die Gräte bei Allevard noch zu versuchen. Jetzt geht alles ziemlich schnell. Ich merke noch, dass ich zu langsam fliege, ein wenig durchsacke (80 km/h) und das Flugzeug ganz weich wird. Gleichzeitig kommen hohe Tannen auf mich zu. Ohne eine Chance zum Nachdenken zu haben, merke ich, dass ich gleich in die Bäume fallen werde, nicht seitlich, sondern frontal. Von diesem Punkt an habe ich kaum noch Erinnerungen bis zum Aufschlag auf den Waldboden. Ich weiß nur noch, dass es mich extrem heftig herumgewirbelt hat. Aus einem fliegerisch harmlosen Manöver ist innerhalb weniger Sekunden eine lebensbedrohliche Situation entstanden.“ Unfall trotz Konzentration Alle Unfälle haben vergleichbare Ausgangslagen. Meistens waren es Tage mit schwachen, anspruchsvollen Flugbedingungen. Es war sehr schwierig bis unmöglich, über den Kreten zu fliegen. Im Weiteren fällt auf, dass durchwegs erfahrene und gut trainierte Piloten betroffen waren. Es handelte sich um anspruchsvolle Situationen, welche die volle Konzentration verlangen: geländenahes Fliegen, unberechenbare Windströmungen; es besteht eine Tendenz zum langsamen Fliegen (mit dem geringsten Sinken...). Diese Piloten wussten, dass sie konzentriert fliegen müssen. Wieso kam es trotzdem zum Unfall? Eine kurze Unaufmerksamkeit oder Ablenkung, Selbstüberschätzung, Müdigkeit...? Alex Späth hat seinen Unfall messerscharf analysiert: „Der Unfall ereignete sich ganz eindeutig aufgrund eines Pilotenfehlers. Meine Flug-Geschwindigkeit am Hang

war nicht ausreichend, ich war deutlich zu langsam. Als weitere Ursache kam der geringe Abstand zum Hang hinzu. Diese beiden „Sicherheitspuffer“ haben mir gefehlt, um die Situation zu entschärfen. Wäre ich 20 oder 30 km/h schneller geflogen, hätte ich ein wenig Höhe wegziehen können. Mit mehr Sicherheitsabstand zum Hang und damit mehr Luft unter den Flügeln hätte ein kurzes Durchsacken trotz zu geringer Geschwindigkeit nicht zum Aufschlag geführt. Folgende Ereignisse haben zusätzlich letztendlich zum Unfall beigetragen: l Extreme Anstrengung über 8,5 Stunden, die zu Müdigkeit und Unkonzentriertheit geführt haben. Wie man dem Flugbericht entnehmen kann, war der gesamte Flug extrem anstrengend: schwache Bedingungen, langer Flug, neues Fluggebiet, viel Flugzeit unter Hang. Wie schwach der Tag war, belegt der bis zum Absturz erflogene Schnitt von 57 km/h – um mit einem 18Meter-Flugzeug so langsam unterwegs zu sein, muss ganz schön viel schieflaufen. l Veränderung des Schwerpunkts durch Ablassen des Wassers. Problematisch ist für mich bei vielen Flugzeugen mein geringes Pilotengewicht. Mit 63 Kilogramm brauchte ich im OLC-Discus drei Bleiplatten, um mit Schirm die Mindestzuladung von 80 Kilogramm zu erreichen. Da ich den Discus aber nicht gerne so schwanzlastig geflogen bin, habe ich den Wasserballast nicht im Verhältnis 1:25 gemäß Handbuch, sondern 1:35 getankt – damit war das Flugzeug perfekt für mich. Bis etwa 20 Minuten vor dem Absturz hatte ich 100 Liter Wasser in den Flügeln. Da ich auch zuvor quasi nie ohne Wasser unterwegs war, war ich das Flugzeug kopflastiger gewohnt als zum Zeitpunkt des Unfalls. Ich hatte also nach dem Ablassen plötzlich einen nach

hinten verschobenen Schwerpunkt und damit ein anderes Fluggefühl als die acht vorangegangenen Stunden. l Wenig Schlaf in der Nacht zuvor. Durch Vorfreude und Anspannung vor dem Trip habe ich nicht mehr als fünfeinhalb Stunden geschlafen. Normal brauche ich zwischen sieben und neun Stunden, um richtig fit zu sein. Diese Tatsache hat die Müdigkeit gegen Ende des Fluges sicher verstärkt. l Spannungsabfall, da ich mit dem Flug schon abgeschlossen hatte. Ich war froh, dass ich mit nur zehn Minuten Motorlaufzeit bis nach Grenoble gekommen war. Dadurch wich meine Anspannung einer wohl gefährlichen Lockerheit. Gedanklich war ich schon in Puimoisson und habe mir vorgestellt, wie ich das WM-Viertelfinale Deutschland gegen Griechenland anschaue.“ Zusammenfassung Fliegen am Hang ist anspruchsvoll, besonders bei schwachen Bedingungen. Wenn noch andere Flugzeuge dazu kommen und alle fliegen im gleichen Höhenband hin und her, dann steigen die Anforderungen an die Piloten exponentiell. Die vorliegenden Berichte beweisen, dass es jeden treffen kann – unabhängig von der Erfahrung! Als Piloten müssen wir deshalb jedesmal, wenn am Hang geflogen wird, eine Risikoanalyse machen: l Bin ich fit genug, um - meine Fluglage jederzeit sauber steuern zu können und damit genügend Geschwindigkeitsreserve zu haben? - jederzeit einen sicheren Mindestabstand zum Hang einhalten zu können? l Habe ich die anderen Flugzeuge unter Kontrolle? l Wenn ich schon lange unterwegs bin, müde werde und die Konzentration nachlässt: - Baue ich eine zusätzliche „Reserve“ ein?

- Merke ich, dass die Spannung nachlässt, dass es kritisch wird? - Merke ich, wann es Zeit ist, abzubrechen? Das Fliegen an einem Hang, der am Morgen in der ersten Flugstunde sicher poliert wurde, kann nach acht anstrengenden Flugstunden zu einem (zu) großen Risiko werden. Der geneigte Leser ahnt es schon: ich kenne auch kein Patentrezept für diese Situationen. Das Risiko muss laufend neu beurteilt werden; was wir am Morgen – wenn wir noch frisch und munter sind – im Griff haben, kann nach zehn Flugstunden auch für einen erfahrenen, trainierten Piloten zu viel werden. Auch ich gehöre mit meiner Flugerfahrung zur Risikogruppe. Ein Spiegel im Cockpit kann helfen (Hermann Trimmel nannte dieses Instrument „Persiflexi“): Der Pilot schaut sich an und fragt sein Spiegelbild: „Sieht so ein Pilot aus, der noch fit ist? Bist du noch konzentriert genug, häufen sich kleine Fehler oder fehlende Konzentration? Gibt es da nicht einen ungesunden Drang nach Hause?“ Diese Fragen müssen dem Spiegelbild ehrlich beantwortet und entsprechend gehandelt werden. Von Frank Bormann, dem Kommandanten von Apollo 8, stammt folgender Satz: „A superior pilot uses his superior judgment to avoid situations which require the use of his superior skill“ („Ein überragender Pilot nutzt sein überragendes Urteilsvermögen, um Situationen zu vermeiden, die den Einsatz seiner überragenden Fähigkeiten erfordern“). t Literatur: segelfliegen magazin 5/2012: Giorgio Galetto, „Im Abwind gefangen“ segelfliegen magazin 6/2012: Alexander Späth, „Müde, sorglos und zu langsam“ SUST-Berichte Nr. 2328, 2338 und 2376

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Steuern, bremsen, sicher landen Ein zeitgemäßes Notfallschirmkonzept findet zunehmend Beachtung Autor: Thomas Jupp

Advertorial

Mit dem Einsatz steuer- und bremsbarer Fallschirmkappen als Personenfallschirm zur Rettung aus Luftnot wird ein neues Kapitel bezüglich der Sicherheit bei Notabsprüngen („Bailout“) aufgeschlagen.

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m Fallschirmsport hatte diese technische Umstellung bereits in den 1980er Jahren begonnen, zunächst bei den lizensierten Sportspringern dann sehr schnell auch in der Ausbildung von Sprungschülern. Hauptargumente für die Verwendung von Flächenfallschirmen anstelle der traditionellen Rundkappen waren und sind: l Höhere Öffnungssicherheit durch gesteuerte Sequenz der Fallschirmöffnung. Beim WINGMAN befindet sich die Fallschirmkappe in einer inneren Verpackung und wird im Öffnungsverlauf erst freigegeben, nachdem alle Leinen gestreckt sind. Diese innere Verpackung ist mit dem für die Öffnung verantwortlichen Federhilfsschirm, jedoch nicht mit der Fallschirmkappe verbunden (sog. Freebag). Sollte sich der Pilot beim Bailout in der Luft überschlagen und mit dem sich öffnenden Fallschirm während der Öffnung verheddern, wird dadurch der weitere Öffnungsverlauf nicht behindert. Vermeidung von l Steuerbarkeit: Verletzungen durch Ausweichen vor Hindernissen (Wasser, Strom, Wald,

Schiene, Straße, Dach u.  v.  m.) bei der Landung l Größerer Aktionsradius des Fallschirms – auch gegen den Wind – durch höhere Eigengeschwindigkeit l Bremsbarkeit: Rückgang von Landeverletzungen durch Abbremsen des Fallschirms bei der Landung l In der Sprungausbildung werden für Erstspringer besonders große Fallschirme mit geringer Flächenbelastung und entsprechend geringem Sinken eingesetzt (diese Fallschirmgrößen werden im WINGMAN Personenfallschirm verwendet). Zu Beginn war die Verwendung der neuen Technik auf die Hauptfallschirme beschränkt. Sehr schnell wurde das Konzept wegen der immer offensichtlicher werdenden erheblichen Vorteile gegenüber der Rundkappentechnologie auch auf die Reservefallschirme ausgeweitet. Bei der Verwendung von Flächenfallschirmen als Reservefallschirm kommt noch ein weiteres, sehr wichtiges Argument zu den oben genannten hinzu: Flächenfallschirme werden aus Gründen der Öffnungssteuerung in 50  %

gebremstem Zustand gepackt (kommt gesetzten Landeklappen bei Flugzeugen gleich). Die Bremse betrifft Vorwärtsund Sinkgeschwindigkeit. Die Vorbremsung des Fallschirmes muss vorsätzlich gelöst werden, um dem Fallschirm volle Fahrt zu geben. Das bedeutet, jeder Nutzer kann von der Öffnung bis zur Landung diesen gebremsten Zustand unverändert beibehalten. Richtungsänderungen lassen sich dabei einfach mit den Gurten durchführen, indem diese ein Stück heruntergezogen werden. Rechter Gurt für rechts, linker Gurt für links. Also auch bei einer bewusstlosen Person unter dem Rettungsfallschirm finden daher Sinkflug und Landung mit der halben Geschwindigkeit statt. Nur wer den Rettungsfallschirm aktiv Steuern und zur Landung dynamisch bremsen möchte, wird die Bremsen öffnen wollen. Dies ist optional möglich. Es bedarf daher für die Nutzung der Flächenfallschirme nicht zwingend einer speziellen Ausbildung. Eine Nutzungsanleitung gibt es sowohl in Form des Handbuchs als auch über Videos auf der Webseite www.paratec.aero mit vielen

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weiteren nützlichen Infos. Dennoch ist es von großem Vorteil, sich mit der Technik seines Notschirms zu beschäftigen. Dies gilt nicht ausschließlich für Flug und Landung, sondern insbesondere auch für die gesamte Bedienung, automatische und manuelle Öffnungsvariante, Pflege, Wartung, Inspektionsund Packzyklen. Für Piloten mit weitergehendem Interesse an ihrem Notfallschirm wird von der Flugschule „Flying Bones“ am Flugplatz Tannheim in Deutschland in jährlichem Zyklus ein Bailout-Training angeboten. Einem intensiven Bodentraining folgt für die Teilnehmer ein Absprung mit zwangsausgelöster Öffnung. Info: www.flyingbones.de. t segelfliegen hat Thomas Jupp von PARARTEC dazu einige Fragen gestellt: Sind Flächenschirme größer und schwerer als herkömmliche Rundkappen? Diese Frage kann ich so nicht beantworten, sie bietet aber Gelegenheit für eine kurze Erklärung der aerodynamischen und konstruktiven Unterschiede. Ein direkter Vergleich ist wegen der völlig unterschiedlichen Aerodynamik der beiden Fallschirmtypen nicht möglich. Der aus Stoffbahnen und -feldern genähte Rundkappenfallschirm bremst die Sinkgeschwindigkeit nach dem Muster von Da Vincis bespanntem Rahmen. Einige Modelle verfügen sogar über Vorschub, der durch Fehlbahnen, die als Luftaustritte fungieren, erzeugt wird. Die Sinkgeschwindigkeit wird durch die Größe der Fläche, das Gewicht der angehängten Last und die Durchlässigkeit des Stoffes bestimmt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass einige Rundkappensysteme noch zu Zeiten deutlich geringerer durchschnittlicher Pilotengewichte entwickelt wurden. Flächenfallschirme bestehen – vereinfacht erklärt – aus zwei Lagen Stoff, die wie bei einer Tragfläche durch Spanten miteinander verbunden sind. Die

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vordere Eintrittskante ist offen, damit Luft einströmen kann. Die hintere Flügelkante ist zugenäht. Die so gestaute Luft bildet das Tragflächenprofil aus. Der Flächenfallschirm generiert dadurch Auftrieb und Vorschub nach dem Prinzip von Bernoulli. Gesteuert und gebremst wird über Steuerleinen, die an der Hinterkante des Flügels befestigt sind und wie Klappen an einer Tragfläche funktionieren. Die Steuerleinen des WINGMAN sind grundsätzlich in der 50 % Bremse für Sink- und Vorwärtsgeschwindigkeit und müssen aktiv gelöst werden. Soll der WINGMAN nicht aktiv geflogen werden, wird er bei gesetzten Bremsen mit den hinteren Gurten gesteuert. Ist das Packmaß vergleichbar mit einer Rundkappe? Durch die Verwendung moderner und hochwertiger Materialien aus dem Sportfallschirmbau erreichen wir geringere Packvolumina. Es stehen verschiedene Formen der äußeren Verpackung und auch dem Pilotengewicht anpassbare Fallschirmgrößen zur Auswahl. Dies ermöglicht stark individualisierbare Lösungen. Es gibt aber physikalisch gesetzte Grenzen. Aus technischer Sicht könnten sehr viel kleinere Fallschirmkappen verwendet werden, als wir es beim WINGMAN tun. Wir verwenden jedoch aus Sicherheitsgründen ausschließlich große Fallschirmkappen, wie sie auch bei der Ausbildung von Erstspringern in der Fallschirmsportausbildung benutzt werden. Wie hoch ist die Mindestabsprunghöhe, respektiv wie schnell öffnet der Fallschirm? Das Handbuch nennt 225 m Mindestabsprunghöhe als Wert. Dies berücksichtigt die Reaktionszeit des Piloten vom Verlassen des Luftfahrzeugs bis zum Herausziehen des Griffes. Die vertikale Öffnungsstrecke beträgt etwa 75 m.

Wie hoch sind die Geschwindigkeiten im gebremsten und im offenen Flug? Auch diese Frage kann man nicht pauschal, sondern nur differenziert beantworten. Die Werte sind abhängig von der Größe der Kappe und dem Gewicht der angehängten Last. Nehmen wir zur Vereinfachung die für den WINGMAN empfohlenen Maximalgewichte für die drei unterschiedlichen Fallschirmgrößen 190/88 kg, 220/105 kg und 250/115  kg als Grundlage. Die Werte sind ca. 9  m/s Vorwärtsfahrt ungebremst und 5  m/s gebremst. Für die Sinkgeschwindigkeit lauten die Werte 5,5 m/s bei gelösten Bremsen, 3,5 m/s bei gesetzten Bremsen. Kann man beim Steuern etwas falsch machen? Falsch wäre, nicht zu steuern, wenn es notwendig ist, Hindernissen auszuweichen. Mit gesetzten Bremsen sind nur flache Kurven im Sinne von „Richtungsänderung“ möglich. Dies geschieht, um Hindernissen möglichst rechtzeitig und großräumig auszuweichen, oder vielleicht um – im Idealfall – gegen den Wind zu landen. Sollte die Landung quer zum oder mit dem Wind stattfinden, ist nicht die Landegeschwindigkeit die Gefahr, sondern ein potenzielles Hindernis (Landungen bewusstloser Fallschirmspringer haben diese Erfahrungen geliefert). Die Fläche hat den Rundkappenfallschirmen gegenüber den Vorteil der deutlich besseren Manövrierbarkeit. So ist es viel leichter, Hindernissen auszuweichen. Wie läuft eine Landung mit aktiver Steuerung und Abbremsen ab? Völlig anders als die Landung nach einem Bailout. An dieser Stelle sollten wir zwischen der Landung eines Sportfallschirmspringers und der Landung nach einem Bailout unterscheiden. Beiden ist lediglich das oberste Ziel gemein: zu Fuß und möglichst unverletzt den Landort zu verlassen.

Der Sportspringer erhält in seiner Ausbildung umfangreiche Schulungen zu Luftraumbeobachtung, Kollisionsvermeidung, Ausweichregeln, Höhenabbau in sog. Wartezonen, Anflugeinteilung und zum eigentlichen Landemanöver. Er lernt mit Hilfe von Funkbetreuung den richtigen Zeitpunkt für das Brems- oder Flaremanöver mit seinem Schulungsfallschirm, um im Idealfall eine sanfte, nach ein paar Auslaufschritten stehende Landung zu absolvieren. Der Ablauf dieses Manövers muss geübt und natürlich bei jeder Landung den aktuellen Windverhältnissen angepasst werden. Das Landeverhalten eines Piloten nach dem Bailout sollte dem Notverfahren für Sprungschüler entsprechen, das dieser z. B. bei Orientierungsverlust und/oder Funkausfall durchführt. Diese lauten für die sog. Sicherheitslandung kurz und prägnant: l freies Gelände ansteuern l wenn möglich, gegen den Wind stellen l halbe Bremsposition l Füße zusammen, abrollen Das Verfahren dient der Vermeidung von Verletzungen, die durch individuelle Landefehler und Fehleinschätzungen verursacht werden können. Welches Packintervall haben die Fallschirme und wie lange ist die Lebensdauer? Das Packintervall ist jährlich. Vor einer Neupackung wird das gesamte System vom Packer inspiziert und mind. für 24 Stunden aufgehängt/gelüftet. Paratec gibt keine maximale Lebensdauer/ Nutzungsdauer vor. Bei der jährlichen Inspektion wird „on condition“ entschieden, ob das Gerät für ein weiteres Jahr einsatzfähig ist. Grund für den Verzicht auf die Angabe einer max. Lebensdauer: Handling und Pflege beeinflussen den Zustand eines Fallschirmes deutlich mehr als der zeitliche Alterungsprozess. Dies gilt insbesondere für Notfallschirme. Diese

Die rote Leine im Bild ist die automatische Auslösung. Es gibt aber auch einen Griff für die manuelle Auslösung. Als wichtiges Sicherheitsfeature wird der WINGMAN immer mit beiden Optionen (ohne Aufpreis) ausgeliefert

Kenntnis fußt auf den umfangreichen Erfahrungswerten aus unserem Fallschirmsportbereich. Für Notfallschirme/Personenfallschirme zur Rettung aus Luftnot liegt die Erhaltung der Einsatzbereitschaft in der Verantwortung der Halter. Die Rahmenbedingungen dafür legt jeweils der Hersteller dieser Fallschirme fest. Das betrifft die Art und Weise der Wartung, deren Zyklen sowie die Definition des berechtigten Personals und z. B. technische Voraussetzungen. Wo werden die Fallschirme hergestellt? PARATEC ist eine in Deutschland (Wallerfangen, Saarland) direkt am Flugplatz Saarlouis Düren ansässige Firma, gegründet im Jahr 1985. Hier fertigen inzwischen über 40 Mitarbeiter Sportfallschirme sowie Fallschirme und Accessoires für Sicherheits- und Streitkräfte. Unsere Produkte entstammen der eigenen Entwicklungsabteilung und sind JAA und FAA zugelassen. Seit 2005 verfügen wir über eine Zulassung des Deutschen Verteidigungsministeriums. Inzwischen vertrauen die Streitkräfte von insgesamt 18 Nationen auf Fall-

schirmausrüstung von PARATEC. Aus der für die Ausbildung von Sprungschülern entwickelten, seit über 20 Jahren bewährten Technik stammen die großen Reservefallschirmkappen, die seit 2015, dem Jahr der Serienreife des Projektes im WINGMAN verbaut werden. Die Idee, moderne Flächenfallschirme für die Rettung aus Luftnot einzusetzen, setzt sich durch. Dabei hat Qualität, Verwendung hochwertiger Materialien aus verschiedenen Ländern Europas und eine Produktion in Deutschland ihren Preis (ab 3833,59 EUR, www. paratec.de/next-wingman/). Doch verstehen mehr und mehr Piloten, dass sich diese Investition für diesen einen Moment, in dem dieser Fallschirm die letzte Möglichkeit darstellt, lohnt. t

Und hier geht es zu PARATEC: Webseite: www.paratec.de Mail: [email protected] Händlerverzeichnis auf der Webseite. Nach Absprache ist auch eine persönliche Beratung m Werk möglich.

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Quer geht auch Im vergangenen Sommer ist mir einer meiner Traumflüge geglückt: aus Landau in der Pfalz zur Zugspitze und zurück im reinen Segelflug mit meinem Arcus; meines Wissens der erste Flug dieser Art von der linken Rheinseite. Es war ein Sechs-Stunden-Flug quer zu den bekannten Thermikrennstrecken Schwarzwald und Alb – interessant und anspruchsvoll! Autor: Martin Theisinger

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Blick auf die Westwand der Zugspitze. Der Gipfel ist in Wolken gehüllt

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ar das ein grandioses Streckenflug-Wochenende, der 29. und 30. Mai 2021! Am Freitag tuckerte Albrecht, mein Studienkollege und Copilot, mit seinem Sinus von seiner Wahlheimat Nizza nach Landau-Ebenberg, während ich meinen Arcus für den Samstag präparierte: aufbauen, Wasserballast einfüllen und die Cockpitinstallationen vornehmen. Schlepppilot Max sagte mir den Schlepp für Samstag 10:00 Uhr zu. Ein 1000-km-FAI-Dreieck mit den Wenden im Sauerland, dem Bayrischen Wald und dem Südschwarzwald sollte es sein. Nach neuneinhalb Stunden war es vollbracht, wobei wir zweimal an Wettergrenzen stießen. Es war der Samstag, an dem Matthias Schunk und seine Freunde von der Alb zu den Steilküsten des Ärmelkanals unterwegs waren. An diesem Abend war klar, dass der Sonntag wohl auch wieder gut werden wird, doch Albrecht wollte partout nicht nochmal über neun Stunden im Arcus verbringen. Also schlug ich vor, etwas Kleines, so fünf bis sechs Stunden, zu fliegen. Schon einige Jahre träumte ich von einem Flug von Landau/Pfalz in die Alpen und wieder zurück. Quer zu allen Wetterautobahnen, quer durch total verschiedene Landschaftstypen, maximale Inhomogenität. Start bei lausiger Blauthermik Sonntagmorgens gebe ich Reutte/Tirol ein (im Kopf die Zugspitze...) und mir wird klar, dass uns ein echtes Abenteuer bevorsteht! Um halb elf zieren schöne Cumuli den Ostrand des Pfälzerwaldes, doch die Rheinebene, der Kraichgau und der Nordschwarzwald sind bei mäßigem Nordostwind noch diesig blau. Ich starte entgegen aller Streckenflieger-Reflexe nicht in den bereits gut entwickelten Westen, sondern in den zunächst schwachen Osten in der Hoffnung, später belohnt zu werden. Das Schwierigste liegt direkt am Anfang – wenn das was werden soll, sollten wir bald los, denk ich mir. Kurz vor 11:00 Uhr geht es aus 600 m in der beginnenden Blauthermik nach Osten. Erste kleine, noch völlig unstrukturierte Fetzchen bil-

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den sich über dem Herxheimer Wald im Osten; der erste „Hotspot“ südlich Rülzheim bringt 0,7 m/s. Geduldig schrauben wir uns mit unseren 800 kg auf 1000 m, bevor wir die Rheinquerung wagen. Erst westlich Bruchsal geht es aus 400 m mit einem guten Meter wieder auf 1100 m. Im kleinsten Gang durch den Kraichgau Vorsichtig tasten wir uns entlang der ICE-Trasse in den hügeligen Kraichgau (heute „Kriechgau“) nördlich Bretten. Unter vielen kleinen Fetzen können wir zwar nicht kurbeln, jedoch unseren Gleitflug erstaunlich gut strecken. Wir hören im Platzfunk des Hangensteiner Hofs, dass es dort wohl schon auf 1400 m geht. Plötzlich erkennen wir auch im Osten die ersten richtigen Cumuli, unter denen wir schließlich tief ankommen, aber mit versöhnlichen 2,4 m/s an die Basis gehoben werden. Da südlich von Stuttgart und im

Nordschwarzwald nur spärliche Cu-Bewölkung zu erkennen ist, entscheiden wir uns, den Luftraum C von Stuttgart nördlich zu umfliegen. Ab Flugplatz Löchgau, wo uns das erste Segelflugzeug des Tages begegnet, geht es unter schönen, 30 Grad links zum Kurs ausgerichteten Wolkenstraßen gut voran. Immer wieder folgen wir diesen schönen Aufreihungen und springen in einem sich gut anfühlenden Rhythmus jeweils nach rechts zum nächsten Aufwindband. Im Flow geht es mit nur seltenen Kreisen zwischen 1200 m und 1600 m bis kurz vor die Alb. Eigentlich weiß ich von den Hahnweidewettbewerben, dass man bei Ostlage hoch in die Alb einsteigen muss. Eigentlich! Ich müsste mit 2 m/s ganz hoch kommen, denke allerdings, dass es ja auch aus dem mittleren Niveau klappen könnte. Abschmettern beim Alb-Einstieg Der Ostwind hat zugenommen, das Lee ist ausgeprägter, als ich vermutet habe. Würde ich durchziehen, kämen wir in ca. 200 m unter der guten Albbewölkung auf dem Hochplateau an. Dieses Risiko erscheint mir jedoch zu groß. Bekäme ich hier keinen Anschluss, wäre der ganze Flug futsch. Ich drehe mit einer 180°-Kurve reumütig zurück vor die Alb, werde regelrecht abgeschmettert und erwische glücklicherweise einen wilden 1,8 m/s Leebart, der mir endlich das begehrte Ticket für die höhere Alb beschert. Unter der längs zur Alb verlaufenden Hauptwolkenstraße herrscht in beiden Richtungen ein immenser Segelflugverkehr. Diese „Thermik-Autobahn“ gilt es nur zu queren, wobei

wir einmal bis auf 2000 m ins Getümmel der hin- und herschießenden Segelflugzeuge reinsteigen müssen, um sicher den Anschluss bei Ulm zu bekommen. Eine Ehrenrunde über dem sagenhaften Ulmer Münster muss sein. Wir sind ja heute nicht im Wettbewerb. Sprung ins Allgäu Über dem Illertal sinkt die Basis um 300 m ab, die Wolken sind noch einigermaßen gutaussehend, aber irgendwie wird das Steigen unzuverlässiger. Eine thermisch hoffnungsvolle Stelle liegt leider in der Parazone von Illertissen, für die wir über Funk keine Einfluggenehmigung bekommen. Wir müssen uns mit Bärten um die 2 m/s begnügen und tiefer abgleiten. Der Untergrund wird zusehends grüner (Bild links). Ganz in der Ferne winken endlich die schneebedeckten Alpenkämme, die wie ein Motivationschub wirken! Einstieg in die Allgäuer Alpen Wie lange wir wohl brauchen werden, bis wir dahin kommen? Für weitere Spannung sorgt auch die TMZ Memmingen. Wir sind froh, als diese endlich hinter uns liegt. Der Grenzbereich zwischen den beiden meteorologischen Systemen Alpen und Allgäu ist nicht gut entwickelt. Um beim Einstieg nicht zu tief ins Alpenrelief eintauchen zu müssen, versuche ich, alles an Höhe auszuquetschen, was die letzten Allgäu-Bärte hergeben. Das zahlt sich aus, denn wir kommen knapp über der ersten Gebirgskette an und können dann gut bis zur Basis in nun 2400 m wegsteigen. Wir queren, immer möglichst hoch bleibend, das Lechtal bei

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Reutte, südlich von Hopfensee und Forggensee (Bild oben). Über den wunderschön gefärbten Plansee (Bild links) geht es danach ins höhere Relief bis kurz vor den Fernpass. Da hinten liegt sie: die Zugspitze! Ihr Gipfel leider in Wolken eingehüllt. Da die Basis nun bei 2500 m liegt, ist es uns möglich, noch ein Stückchen in Richtung Westwand dieses zauberhaften Gebirgsstockes zu gleiten. Wir saugen dieses tolle Panorama in uns auf und wenden, denn nun sind drei Stunden rum und schließlich wollen wir auch heute wieder in die Pfalz zurück! Rückweg über Reutte bis zur „Bodenseeluft“ Vor der Querung des Lechtals, in welchem sich mittlerweile eine steife Taleinwindbrise etabliert hat, sollten wir nochmal auf Maximalhöhe steigen. Der Plan ist es, möglichst lange auf Westkurs den Alpen zu folgen (Bild rechts) und bei geeigneter Wolkenkonfiguration nach Nordwesten in Richtung Schwäbische Alb zu springen. Wir wollen nicht noch Probleme mit der CTR Memmingen bekommen und, weil es einfach spannend ist, einen anderen Rückweg wählen. Recht bald kann ich ein vollkommen abgetrocknetes Gebiet zwischen Bodensee und Oberschwaben erkennen, das es zu umfliegen gilt. Diese Abtrocknung von Südwesten war auch in Skysight vorhergesagt. Aus 2400 m gleiten wir nach einem

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Rechts-Haken in nördliche Richtung, vorbei an der Südwestflanke der CTR Memmingen bis zur zweiten Wolkenreihe. Mit zwei langen Wolkenstraßen vom Allgäu auf die Alb Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass man nie der ersten Wolkenreihe am Rande eines Abtrocknungsgebietes trauen sollte! Nach einer Drehung nach links in die zweite Wolkenreihe sieht man die stetig zunehmende Qualität der Cumuli. Lange geht es in tragender Linie zwischen 0 und 1 m/s geradeaus. Mein Co, der während der letzten halben Stunde sehr still war, beginnt mit sanftem verbalem Druck von hinten: „Jedzt muschd aber mal kreise!“ Einen Augenblick später kommen die rettenden 3 m/s an einer besonders dunklen Stelle auf der Südseite der sehr breiten Wolkenstraße. Optimistisch steigen wir aus südöstlicher Richtung auf die Alb hinauf, die zwischen Donau und Schlechtenfeld nicht wirklich etwas thermisch Brauchbares zu bieten hat. Die immer schärfer konturierten Wolken auf der hohen Alb ziehen magnetisch an. Diese tollen Wolken fliegen mit 150 km/h auf uns zu, der Boden kommt näher und näher. Endlich in 350 m über Grund gelingt der Einstieg in die hervorragende Albthermik, die uns auf 2100 m regelrecht hinaufschleudert.

Absprung von der hohen Alb in Richtung Schwarzwald Mit Peilung auf die Südostecke vom Luftraum Stuttgart verlassen wir die Alb mit Maximalhöhe ins fast Blaue. Ein paar kleine flache Wolkenfetzen weisen uns den Weg unter dem „äußeren Balkon“ vom Luftraum Stuttgart. Pianissimo geht es haarscharf am Südrand des Beschränkungsgebiets nach Westen. Deutlich nordöstlich des fast immer zuverlässigen Untermusbacher Segelfluggeländes finden wir den guten 2,5 m/s-Bart, der uns auf minus 400 m zum Gleitpfad für Landau bringt. Um direkt fliegen zu können, nimmt Albrecht mit Strasbourg Approach Kontakt auf und ist wie fast immer erfolgreich! Noch drei kleine flache Cumuli stehen auf unserer rechts vom Murgtal verlaufenden Kurslinie. Danach ist alles blau. Kreislos ziehen wir unter jedem dieser Wölkchen gut 100 m raus und sind schließlich mit Null im Gleitpfad. Dank Strasbourg dürfen wir die Nordostecke Frankreichs südwestlich von Karlsruhe tangieren. Im Gegenlicht sehr gut erkennbare Dunstkuppen ermöglichen einen immer schnelleren und sicheren Endanflug nach Landau-Ebenberg, wo wir gegen 17:00 Uhr überglücklich ausrollen. Das nächste Mal, bei etwas höherer Basis, wird die Zugspitze komplett umrundet. t

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Windenstart mit

elastischen Seilen

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Über das Thema Elastizität des Seils beim Windenstart ist mir bisher keine wissenschaftliche Untersuchung bekannt. Man könnte auch deshalb zu der Einschätzung gelangen, dass der Einfluss auf den Start wohl nicht so gravierend ist. Damit liegt man aber ziemlich daneben. Dasselbe gilt für die Annahme, dass eine hohe Elastizität wie beispielsweise beim Kunststoffseil einen ruhigeren Start hervorbringt. Autor: K arl Höck

Bild: R ainer Massalski, Grafiken: K arl Höck

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m der Sache auf den Grund zu gehen, kommen wir um eine Simulation des gesamten Starts nicht herum, und zwar den Start mit sämtlichen mechanischen und aerodynamischen Parametern von Winde, Seil und Flugzeug. Man könnte natürlich auch praktische Messreihen veranstalten, bekäme dann aber eventuell nur wenige Ergebnisse und Interpretationsmöglichkeiten. Der Weg der Simulation Hierbei stellen wir uns den Startprozess als ein Zweimassensystem von Flugzeug und Trommelmasse vor, das mit einem elastischen Seil (Feder) verbunden ist. Die Flugzeugmasse nehmen wir im Startverlauf als weitgehend konstant an, was auch für die rotierenden Massen bezogen auf die Seiltrommel gilt. Masse und Steifigkeit des Seils hingegen ändern sich laufend mit der Seillänge. Dyneema etwa halb so steif wie Stahlseil Die Ausführung der Seile soll den handelsüblichen, geflochtenen Quali-

täten aus Federstahldraht bzw. aus gerecktem PE (Handelsbezeichnung Dyneema) mit ähnlichen Durchmessern (4,6/4,5  mm) entsprechen. An dieser Stelle sei vermerkt, dass entgegen vielfachen Meinungsäußerungen, das Stahlseil etwa die doppelte Steifigkeit besitzt. Das Gewicht des Dyneema-Seils liegt für vergleichbare Arbeitslasten dagegen nur etwa bei 13  % dessen von Stahl. Dies führt zu gravierenden Auswirkungen für die Anfangsbeschleunigung und die Ausklinkhöhe beim Start. Das Rechenprogramm der Simulation ist mit den Bedingungen des dynamischen Gleichgewichts der Kräfte und Momente an Flugzeug, Seil, und Winde erstellt worden. Hierbei werden von Anfang an alle Kräfte und Momente in Bezug zum Schwerpunkt der Maschine errechnet und in entsprechende Translations- und Rotationsbewegungen übersetzt. Die Berechnungen führen zuletzt auch zum Verlauf der Anstellwinkel über den gesamten Prozess. Zur Veranschaulichung auch der Winkelfunktionen können dazu die Schemata in den Bildern 1-3 herangezogen

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1 Kraft- und Momentschema Windenstart 2 Kraftpolygon Windenstart 68

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werden. Bild 3 zeigt hierbei explizit die Entwicklung der Anstellwinkel und Flugweggrößen mit den entscheidenden Hebelarmgrößen der Seilkraft für verschiede Flächenbelastungen. Simulation mit 300 PS Wandler-Winde und drei 1000 m langen Seilen Wir simulieren nun drei Starts mit unterschiedlichen Seilen bei 1000 m Länge und zeigen das Ergebnis in Bild 4. Bei diesen Vergleichsstarts wird ein 525 kg schwerer Flieger mit anfangs voller Primärleistung der WandlerWinde gestartet, der Fahrhebel mit einer Rampe von 2,5 s auf Volllast gestellt. Zwecks Seilkraftbegrenzung im letzten Drittel der Starts muss der Fahrhebel dort langsam auf 75 % zurückgenommen werden. Die Bewegung des Steuerknüppels ist ebenfalls bei allen Starts gleich, das anfangs halb gedrückte Höhenruder wird nach dem Abheben langsam voll durchgezogen (minus 25 Grad). Die rotierende Masse am Abtrieb der Winde wurde mit 150 kg, bezogen auf den wirksamen Trommel-Durchmesser angenommen.

3 3 Entwicklung Seilkrafthebelarm 4 Seilkräfte mit elastischem Seil 5 Vergleich Seil starr/elastisch

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5

Überlagerte periodische SeilkraftSchwingung Betrachten wir nun die ersten Ergebnisse dieser Simulationen mit den gewonnenen Seilkräften und den Flugweglinien, so fallen vor allem die großen Unterschiede im Verlauf der Seilkräfte auf. Im Vergleich zum theoretischen Verlauf der Seilkraft ohne Elastizität (grün) ergeben sich überlagerte Schwingungen im Frequenzbereich von 28 (1/min) für das Stahlseil und etwa der halben Frequenz für das Kunststoffseil. Allerdings ist die Amplitude bei Kunststoff im anfänglichen Beschleunigungsbereich etwa doppelt so groß. Dort wirkten Seilelastizität und Trommelmasse wie ein Energiespeicher, welche die Seilkraft um 30 % verstärken. Diese Verstärkung kann bei längeren Seilen weiter anwachsen. Wie erwartet erreicht der Flugweg mit Stahlseil die geringste Höhe. Dies ist bedingt durch den wesentlich größeren Seildurchhang und die Erhöhung der Masse des Flugzeugs mit einen Teil der Seilmasse. Interessant ist das Ergebnis mit dem elastischen Kunststoffseil, hier liegt die Höhenkurve zuletzt 20 m über der theoretischen Kurve ohne Elastizität. Woher kommt nun dieser Höhengewinn beim elastischen Kunststoffseil? Verstärkung der Seilkraft durch Energiespeicherung des elastischen Seils Wir haben beim Dyneema-Seil eine Arbeitsdehnung von etwa 1 %, also 10 m bei Seillänge 1000 m und Seilkraft 7500N, was beim Beschleunigungsvorgang zur Speicherung von Energie und zu mehr oder weniger Verstärkung der Seilkraft im gesamten Prozess führt. Dies ist in Bild 5 ohne weiteres zu

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erkennen. Man kann den Effekt als Schleuderwirkung des Seils betrachten, das sich wie der Gummi einer Schleuder aufzieht und im Verlauf des Starts zu periodischen Seilkraft-Schwankungen führt. Diese bewirken am Flieger Fahrtschwankungen und Nickbewegungen (Pumpen). Besonders gravierend ist der Schwingungs-Effekt mit Stahlseil im oberen Bereich des Schlepps, wobei das System offenbar nahe an die Eigenfrequenz kommt. Dort wirkt auch der größte Hebel der Seilkraft mit dem entsprechende Gegenmoment des Leitwerks verstärkend. In der Simulation mit Stahlseil musste deshalb im oberen Startbereich die Dämpfung des Leitwerks auf das Doppelte erhöht werden, damit sich das System nicht zu sehr aufschaukelt. Wir haben es mit einem klassischen Schwingungssystem zu tun, wobei die von der Seilkraft induzierten Nickbewegungen um den Schwerpunkt nur wenig von Leitwerk und Rumpf aerodynamisch gedämpft werden. Der Seildurchhang kann nicht zur Dämpfung beitragen, da die Eigenfrequenz der Querschwingung des Seils sehr langwellig ist. Die einzigen Möglichkeiten, das Schwingungssystem zu beruhigen, wären größere Leitwerke sowie die Reduzierung der Seilkraft im oberen Bereich des Schlepps. Aber auch die Verschiebung des Schwerpunktes in den vorderen Bereich bringt Beruhigung, wie aus den Vergleichsstarts in Bild 6 ersehen werden kann. Allerdings leidet hierbei weiter die Ausklinkhöhe, auch wegen der durchwegs kleineren Anstellwinkel. Fokus auf den Abhebebereich Aber wenden wir uns nochmals dem Beschleunigungsbereich am Anfang des Starts zu: Wir sehen die hohe Verstärkung der Seilkraft bei Verwendung des Kunststoffseils. Diese ist abhängig von

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6 Vergleichstarts mit Stahlseil 7 Abheben / Dyneema 3000 m/Pendelruder 7

der Seillänge, aber auch stark von der Lastrampe. Das bedeutet, wie schnell der Windenfahrer Gas gibt. Hierzu sehen wir uns in Bild 7 nur den Beschleunigungsbereich an, mit sonst gleichen Parametern, jedoch bei Verwendung von 3000 m Dyneema Seil

und Pendelruder: Zunächst fällt der gänzlich verschobene Verlauf der Trommelgeschwindigkeit zur Fahrt und Seilgeschwindigkeit am Flugzeug ins Auge. Erstere steigt in der Dehnungsphase des Seils früher an, zeigt aber bei Anschlag des Fahrhebels einen Wendepunkt. Bei

voll gedehntem Seil und maximaler Seilkraft sind beide Geschwindigkeiten gleich, das ist kurz vor dem Abheben. Die maximale Seilkraft liegt dort bei 158 % des Fluggewichts und damit erheblich über der Antriebskraft der Winde bei 90 km/h Abhebe-Geschwindigkeit (120%). Interessant ist auch der Fakt, dass die Maschine beim unteren Wendepunkt der Trommel-Geschwindigkeit (67 km/h) abhebt. Der Windenfahrer kann sich also nicht auf die Anzeige der Trommelgeschwindigkeit verlassen. Die Seilkraftverstärkungen können bei kürzeren Anfahrrampen noch höher ausfallen. Die Seilkraft zum Zeitpunkt des Abhebens liegt entsprechend Bild 7 bei 150 % und ist für den Piloten und die Maschine viel zu hoch. Dies führt für eine halbe Sekunde zu einem überzogenen Anstellwinkel am Flügel über

10 Grad. Allerdings bleibt der Anstellwinkel am Pendelruder noch im sicheren Bereich unter 17 Grad (wegen der geringeren Streckung des Höhenruders ist dieser größer als am Flügel, allerdings ist auch der Zuwachs wegen der Rotation höher). Kurz nach dem Abheben erreicht die Maschine bereits einen Neigungswinkel von 22 Grad in sechs Metern Höhe, was wie ein Kavalierstart aussieht. Der Pilot hat das Pendelruder jedoch von Anfang an halb durchgedrückt. Eine Sekunde nach dem Abheben ist die Gefahr schon wieder vorbei, da mit dem rasanten Fahrtzuwachs und mit dem steigenden Neigungswinkel ein negatives Gesamtmoment um den Schwerpunkt des Fliegers entstanden ist. Außerdem drückt die hohe Vertikalgeschwindigkeit den Anstellwinkel zusätzlich.

Fazit Mit der Verwendung der modernen Kunststoffseile werden Handling und Höhenausbeute besonders bei langen Seilen wesentlich verbessert. Durch den Schleudereffekt des Seils kann es jedoch vermehrt zu einer Überlastung des Seils im Beschleunigungsbereich kommen, wodurch das Thema „Sollbruchstelle und Seilriss“ weiter verschlechtert wird. Auch wird im Abhebebereich ein Stall des Flugzeugs begünstigt. Seilkraftschwingungen im oberen Bereich des Starts und nachfolgendem Pumpen sind mit Stahlseilen wahrscheinlicher und können nur durch Reduzierung der Seilkraft und vordere Schwerpunktlage am Flieger gedämpft werden. Der Einsatz von Elektromoren mit direktem Antrieb der Trommel wirkt wegen des größeren Trägheitsmoments schwingungsverstärkend. t

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Vorseilsuche bis zum Sonnenuntergang...

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er Seilriss wird ja bekanntermaßen in der Segelflugausbildung ausgiebig geübt. Idealerweise ist ein wirklicher Seilriss dann nicht mehr gefährlich, sondern nur nur noch ärgerlich, unter anderem wegen der Suche nach dem Vorseil. Im Verein des Autors hat das Thema eine besondere Brisanz, da die Segelflieger auf einem Sonderflughafen geduldet werden und ein Fremdkörperschaden durch ein nicht wiedergefun-

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denes Vorseil das Potenzial hätte, diese Duldung schnell zu beenden. Konsequenterweise wird das Vorseil bis Sonnenuntergang gesucht... Frühere Versuche mit Peilsendern, wie sie etwa zur Ortung von Haustieren angeboten werden, waren nicht von Erfolg gekrönt. Die Reichweite war unzureichend, so dass das weitläufige Gelände zeitaufwändig in schmalen Streifen abgesucht werden musste. Der einzige Empfänger war meist im Lepo unterwegs, so dass sich der Suchbeginn

verzögerte. Und nicht zuletzt war die Ausdauer der Batterien eher enttäuschend, so dass regelmäßig die Sender wegen leerer Batterien nicht funktionierten – unnötig zu sagen, dass so etwas immer erst nach dem Seilriss auffällt. Bluetooth-Tracker – die Lösung? Eine Vielzahl von Anbietern hat in den den letzten Jahren kompakte BluetoothTracker auf den Markt gebracht und wirbt mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten. Die technische Weiter-

Ja...

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isses denn?! Nach einem Seilriss im Windenstart wird in der Regel das Vorseil gesucht, bis man guten Gewissens behaupten kann, dass es nicht aufzufinden ist. Das unterbricht den Flugbetrieb über längere Zeit. Eine technische Lösung in Form eines Peilsenders ist damit naheliegend. Autor: Thomas Heuer, Bilder: Stephan Erl, Thomas Heuer

entwicklung in den letzten Jahren war rasant, insbesondere in Richtung Miniaturisierung und fortschrittlichem Energie-Management. Unter den zahlreichen mittlerweile verfügbaren Geräten fiel die Wahl auf das Tile Mate, das für etwa 25 Euro sowohl direkt beim Hersteller Tile als auch im Versandhandel erhältlich ist. Die technischen Daten lesen sich recht gut, ausschlaggebend sind eine Masse unter 10 Gramm, Reichweiten von 50 Meter und mehr und Batterielaufzeiten

von wenigstens einem Jahr. Diesen Herstellerangaben wurde mit einem gesunden Maß Skepsis begegnet, da sie typischerweise unter Idealbedingungen bestimmt werden und nicht immer auf die Praxis zu übertragen sind. Mittlerweile wurde auch ein Nachfolgermodell vorgestellt, das eine größere Reichweite und eine auf drei Jahre verlängerte Batterielaufzeit bietet, allerdings zum Preis einer fest verbauten Batterie und damit eines Neukaufs bei verbrauchter Batterie.

Natürlich ist ein Einsatz in der Luftfahrt vom Hersteller nicht vorgesehen. Die Diskussion mit dem technischen Kundendienst des Anbieters lief darauf hinaus, dass keine Erfahrungen mit einem Sturz aus größerer Höhe vorliegen, aber bei geeigneter Umhüllung keine Schäden erwartet werden – ohne jede Gewähr natürlich. Lediglich bei einem Aufprall auf Beton oder Asphalt war man sich da nicht so sicher. Aufgrund des überschaubaren Preises für die Tracker wurde dieses Risiko

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Links: Bluetooth-Tracker in gedruckter Halterung Rechts: Am Seil befestigt

jedoch als akzeptabel erachtet. Somit wurde entschieden, derartige Peilsender über eine Saison zu erproben. Ausschlaggebend war hier auch die Tatsache, dass über eine App jedes Smartphone als Empfänger dienen kann. Auch eine parallele Suche mit mehreren Handys wäre möglich, was das Auffinden des Vorseils wesentlich beschleunigen könnte. Kreativität war gefragt Zunächst stellte sich die Frage, wie der Bluetooth-Tracker sicher am Vorseil befestigt und gegen einen Aufprall geschützt werden kann. Die Befestigung muss auch dem Schleifen über die Startstrecke beim Anrollen widerstehen und darf selbstverständlich nicht die normale Funktion des Vorseils beeinträchtigen. Der gewählte Bluetooth-Tracker ist mit IP55 strahlwasserfest, so dass auf einen zusätzlichen Schutz gegen Regenwasser verzichtet werden kann. Die dazu angefertigte Umhüllung besteht aus drei Komponenten: Ein auf dem 3D-Drucker hergestelltes Kunststoffteil nimmt den Bluetooth-Tracker auf und wird seinerseits mit Kabelbindern am Seil befestigt, wozu die Schlauchhülle in entsprechender Länge entfernt wurde. Als Material wurde

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HIPS (High-Impact Polystyrene) verwendet, denkbar wäre auch ABS (Acrylnitril-Butadien-Styrol), das eine vergleichbare Schlagfestigkeit aufweist. Als Polsterung dient eine Lage Moosgummi, der wiederum mit einem Kabelbinder befestigt wird. Den Abschluss bildet ein Stück dickwandiger Schrumpfschlauch, wie er etwa bei Erdkabeln in der Telekommunikation zum Einsatz kommt. Praxis-Einsatz Die Vorseilsucher kamen über eine gesamte Saison zum Einsatz und wurden auch an einem weiteren Flugplatz im Rahmen eines Fluglagers verwendet. Neben mehreren hundert normalen Starts überstanden die wie oben beschrieben verpackten BluetoothTracker auch mehrere Seilrisse. Die Vorseile wurden dabei in Höhen zwischen 100 und 250 Meter ausgeklinkt und schlugen somit ungebremst auf. Bei der Überarbeitung nach Saisonende wurden keinerlei Schäden an Trackern, Befestigung oder Umhüllung festgestellt. Allerdings traf auch keines der Vorseile eine Rollbahn oder sonst eine harte Oberfläche, der ultimative Test steht also noch aus. Die Batterien hielten problemlos eine gesamte Saison, einschließlich einiger

Tests, Vorführungen und mehrerer Suchaktionen. Auch etwa elf Monate nach Inbetriebnahme war noch keine der Batterien vollständig entladen, das beworbene Jahr Batterielaufzeit erscheint somit durchaus realistisch. Kommen wir zur Hauptsache: Wie gestaltet sich die Suche? Grundsätzlich wurden durchaus Reichweiten von 50 Metern oder mehr erreicht, wobei die genaue Lage des Seils einen beträchtlichen Einfluss auf die Empfangsbedingungen hat. Da Bluetooth grundsätzlich keine Richtungsempfindlichkeit besitzt, gibt nur die Änderung der Empfangsstärke Aufschluss über die Richtung zum Vorseil. Das funktioniert in etwa nach dem wohl noch aus Kinderzeiten bekannten „Wärmer – Kälter“ Prinzip, wobei die Abstufungen der angezeigten Empfangsstärke feiner sein dürften. Die Suche mit mehreren Smartphones parallel funktioniert problemlos. Aus Fahrzeugen heraus kann mit Einschränkungen gesucht werden. Der Empfang wird nicht wesentlich behindert, allerdings reagiert das System etwas träge, so dass man unter Umständen erst eine Anzeige bekommt, wenn man schon am Seil vorbeigefahren ist. Durch die fehlende Richtungsanzeige und die grob abgestufte Empfangsanzeige erfordert die Interpretation der App ein

Links: Moosgummi zur Polsterung Rechts: Widerstandsfähige Umhüllung mit Schrumpfschlauch

wenig Übung. Insgesamt aber konnte die Suche nach den Vorseilen spürbar beschleunigt werden. Es ist in dieser Saison kein Vorseil verloren gegangen. Ein Seil konnte, nachdem es am äußersten Rand des ursprünglichen Suchgebiets einen sporadischen Kontakt gab, etwa 100 Meter entfernt in einer Buschreihe gefunden werden. Es ist durchaus vorstellbar, dass dieses Seil ohne Hilfsmittel nicht gefunden worden wäre.

Die Kostenfrage Geeignete Bluetooth-Tracker sind ab ca. 20 Euro erhältlich, wobei es auch immer wieder deutlich günstigere Angebote gibt. Bei dem gewählten Anbieter fallen monatlich 3,50 Euro für einen Premium-Account an; dieser wird benötigt, um die Tracker mit mehr als einer weiteren Person teilen zu können. Hinzu kommen ein paar Euro für Verbrauchsmaterialien, vor

allem für die beim Batteriewechsel zu erneuernden Schrumpfschläuche. Insgesamt liegen die Kosten auf jeden Fall unter dem Preis eines neu anzufertigenden Vorseils. Betrachtet man die möglichen Folgeschäden durch ein nicht wiedergefundenes Vorseil, und sei es nur am Mähwerk des Rasentraktors, so sind die Bluetooth-basierten Vorseilsucher in jedem Fall die günstigere Alternative. t

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Wo Ideen fliegen lernen 100 Jahre Akaflieg Darmstadt

Im Jahr 1920 wurde die Akaflieg Darmstadt von einigen flugbegeisterten Studenten mit dem Ziel und Motto „forschen, bauen, fliegen“ gegründet. Diesem Ziel ist man bis heute treu geblieben und blickt so nun auf 100 Jahre Geschichte zurück. Autor: Moritz Heinrich, Bilder: Akaflieg Darmstadt

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or über 100 Jahren schloss sich in Darmstadt eine Gruppe von Gymnasiasten zusammen, die alle der Ehrgeiz gepackt hatte, eigene Fluggeräte zu bauen. Den Anstoß dafür gab die erste Internationale Luftschifffahrt-Ausstellung (ILA), die 1909 in Frankfurt am Main stattfand und viele der Anwesenden in den Bann zog. Dominiert wurde die erste ILA noch von Ballonen und Luftschiffen, aber auch Flugapparate und Drachen wurden gezeigt. Vom Gesehenen inspiriert, wurde die Flug-Sport-Vereinigung Darmstadt (FSV ) gegründet. Zunächst wurden noch Papierflieger gebaut und deren Eigenschaften studiert, doch schon bald wagte man sich an Gleitflugzeuge heran. Über die Zeit wurden einige Prototypen fertiggestellt, von FSV I bis FSV X, die jeweils noch zusätzlich etlichen Änderungen und Verbesserungen erfuhren. 1912 schaffte Hans Gutermuth mit der FSV X eine Flugdauer von 112 Sekunden und eine Strecke von 838 Metern. Dies stellte einen neuen Weltrekord im Strecken- und Dauerflug dar, auch wenn dieser nur inoffiziell war. Jedoch war diese Episode in der Geschichte der

Akaflieg nur von kurzer Dauer. Zwei Jahre später, mit Beginn des Ersten Weltkriegs, mussten die Arbeiten der FSV niedergelegt werden. Alle früheren Mitglieder meldeten sich freiwillig zum Kriegseinsatz – einige kehrten nicht wieder zurück. Akademische Fliegergruppe Darmstadt Nach Kriegsende fanden sich viele der ehemaligen Flieger in den Vorlesungssälen der TH Darmstadt wieder. Sie hatten die Freiheit des Fliegens erlebt und wollten auch nun nicht mehr am Boden bleiben müssen. So taten sie sich zusammen mit dem großen Ziel, wieder Flugzeuge zu bauen und zu fliegen. Durch das Verbot des Motorflugs wich man auf den Segelflug aus und trat damit das Erbe der ehemaligen FSV an. Im November 1920 wurde auf Initiative von Geheimrat Professor Max Gutermuth, dem Vater des im Krieg verstorbenen Max Gutermuth, ein Vorstand gewählt und damit die Akademische Fliegergruppe Darmstadt gegründet. Das erste Flugzeug der neuen Gruppe war ein von Eugen von Loessl begonnener „Parasol“-Eindecker, welchen einige Mitglieder in der Reitbahn des

Die D-37 im Landeanflug

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Barons von Waldhausen in Gersfeld vollendeten. Er bekam als erster Prototyp die Bezeichnung D-1 und begründete damit die Flugzeugbaureihe der Akaflieg Darmstadt, die bis heute fortgeführt wird. In den folgenden Jahren kamen weitere Eigenentwicklungen hinzu, unter anderem die D-9 „Konsul“. Mit dem Entwurf von Botsch und Spies gelang es der Akaflieg Darmstadt, einen Flieger zu bauen, dessen Flugleistungen anderen weit überlegen war. Der „Konsul“ gewann auf dem Röhn-Wettbewerb 1923 den Konstruktionspreis der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt als das beste richtungsweisende Flugzeug des Jahres. Das sollte sich auch noch am Ende des Wettbewerbs bewahrheiten, denn Botsch gelang es, eine Strecke von 18,7 Kilometern zu überwinden. Ein neuer Weltrekord! Auch danach konnte der „Konsul“ noch viele Preise gewinnen und überzeugte immer wieder durch seine Leistungen. Er wird auch wegen des fortschrittlichen Designs als „Urvater des modernen Segelflugzeuges“ bezeichnet. 1933 war der Erstflug der D-28 „Windspiel“, welcher ein weiterer Meilenstein

in der Entwicklung des Segelflugzeugs in Darmstadt darstellte. Mit einem Leergewicht von etwa 54 Kilogramm und einer Spannweite von 12 Metern erreichte das „Windspiel“ überragende Flugeigenschaften. Hans „Sony“ Fischer gelang 1934 ein neuer Streckenweltrekord von 240 Kilometern. Bedauerlicherweise wurde das „Windspiel“ 1935 von einer landenden Motormaschine gerammt und beinahe vollständig zerstört. Auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gingen die Arbeiten in der Akaflieg in eingeschränkter Form weiter, bis 1944 große Teile der Darmstädter Innenstadt zerstört wurden, darunter auch die Werkstatt der Akaflieg sowie das Konstruktionsbüro mit sämtlichen Unterlagen. Einige Mitglieder zogen daraufhin mit den verbleibenden Maschinen nach Prien, wo sie zusammen mit den Münchner Akafliegern an der D-33, jetzt unter dem Namen DM  1, weiterarbeiteten. Die DM  1 war ein Versuchsflugzeug mit Deltaflügeln zur Untersuchung der Flugeigenschaften und Aerodynamik im Überschallbereich. Jedoch sollte die DM  1 keinen Antrieb bekommen, sondern huckepack mit

einem sogenannten Mistelschlepp auf Höhe gebracht werden und von dort im Sturzflug die geplante Höchstgeschwindigkeit erreichen. Bevor das Flugzeug fertiggestellt werden konnte, ging der Krieg zu Ende und die Amerikaner beschlagnahmten die DM 1, um sie in den USA im Windkanal zu untersuchen. Die Akaflieg wurde während dieser Zeit vorläufig aufgelöst. Neugründung der Akaflieg In den Jahren von 1945 bis 1951 gab es in Prien und Darmstadt immer wieder zwanglose Treffen der ehemaligen Mitglieder der Akaflieg Darmstadt, zunächst ohne feste Pläne, die Akaflieg neu zu gründen. An der TH regte sich

jedoch immer stärker der Wunsch, wieder eigene Segelflugzeuge zu entwickeln und die Akaflieg neu aufzubauen. So kam es dann am 09. Mai 1951 zur Neugründung durch einige wenige eifrige Studenten der TH. Am 01. Juni 1951 wurde die Gruppe vom Präsidenten der Technischen Hochschule als studentische Vereinigung anerkannt. Aufbauend auf der Tradition der alten Akaflieg sollte bei der akademischen Jugend das Interesse für die Technik des Fliegens und des Flugzeugbaus angeregt und gefördert werden. Die in früheren Jahren erreichte Leistungen sollten das Vorbild der neuen Akaflieg sein. Wuden auch nicht gleich Vögel wie das „Windspiel“ und die „Cirrus“ gebaut

Das „Windspiel“ wog grade einmal 54 kg D-9 „Konsul“ auf der Wasserkuppe

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Die D-36 wird für den Erstflug vorbereitet

oder ging man nicht als Sieger aus Wettbewerben hervor, so wusste man doch, dass man ein Erbe antrat, das hohe Verpflichtungen auferlegte. Es war das Ziel, durch zähe Arbeit für die Akaflieg Darmstadt wieder den Platz zu erringen, den sie in der deutschen Fliegerei innehatte. Und so begannen die Darmstädter, ein neues Flugzeug zu entwickeln und zu bauen. Das erste Flugzeug sollte ein Serienflugzeug sein, damit die Gruppe praktische Erfahrungen sammeln konnte. Die vorhandenen Typen wurden sehr genau angesehen und darauf bei Egon Scheibe die Pläne für eine Mü 13 E zum Akaflieg-Sonderpreis von 120 DM bestellt. Die Akaflieg baut wieder Prototypen Nachdem mit der Mü 13 E die ersten Erfahrungen gesammelt werden konnten, wollte man sich nun an einen eigenen Prototypen wagen. Die Gruppe wollte sich nicht übernehmen und achtete zunächst besonders auf eine einfache Herstellbarkeit, gutmütige Flugleistungen und einfache Bedienbarkeit. Das Ergebnis war die D-34, ein Flugzeug mit

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relativ guten Flugleistungen, welches günstig gebaut werden konnte. Jedoch war es nur geübten Piloten möglich, das Flugzeug sicher zu fliegen. In dieser Zeit trat ein neuer Werkstoff immer mehr in den Vordergrund und bot auch für den Flugzeugbau ein enormes Potential: Glasfaser-Verbundwerkstoff. Die Gruppe entschloss sich daher, diesen Werkstoff genauer zu untersuchen. Es entstanden zunächst theoretische Arbeiten, die bald durch den Bau der Flügel der D-34d in die Praxis umgesetzt wurden. Ein Höhepunkt in den Entwicklungen der Nachkriegszeit stellt die D-36 dar. Nachdem man ausführliche Untersuchungen der GFK-Bauweise unternommen hatte, sowohl theoretisch als auch praktisch, flossen nun alle gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse in die D-36 ein. Beim Entwurf wurde zusätzlich auf ein hohes maximales Fluggewicht geachtet, da geplant war, das Flugzeug als Plattform für Messgeräte zu nutzen, um Versuchsflüge durchzuführen. Im März 1964 konnte die D-36 zum Erstflug in Gelnhausen mit

Gerhard Waibel als Pilot starten. Der Flug erwies sich als Erfolg und lies die sehr guten Flugeigenschaften der D-36 erahnen. Wie gut das Flugzeug tatsächlich war, zeigte sich kurz darauf, als Die D-36 mit Gerhard Waibel an der Deutschen Meisterschaft teilnahm und den ersten Platz belegte. Motiviert von dem Erfolg war der nächste Schritt, die D-36 auf der Weltmeisterschaft in England vorzustellen. Da Gerhard Waibel die nötige Punktzahl für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft fehlten, stellte man das Flugzeug Rolf Spänig zur Verfügung, welcher auf der Deutschen Meisterschaft Zweitplatzierter hinter Waibel gewesen war. Auch dort konnte die D-36 überzeugen und zog viele neugierige Blicke auf sich. Am Ende des Wettbewerbs konnte die D-36 den zweiten Platz in der Gesamtwertung erzielen, ein großer Erfolg, sowohl für Spänig als auch für die Akaflieg Darmstadt. Über die Jahre wurden die Flugzeuge immer weiterentwickelt und auch die Verbundbauweise stetig verbessert. In der Akaflieg Darmstadt versuchte man

Die D-43 am Start

sich derweil auch an neuen Konzepten und innovativen Ideen. So entstanden zum Beispiel ein ausklappbarer Eigenstartmotor bei der D-37, ein „Taschenmesserflügel“ bei der D-40 und eine Side-by-Side-Anordnung bei der D-41 sowie bei der D-43. Das Konzept für die D-41 entstand Ende der 80er Jahre und beruhte auf der Idee, eine bessere Kommunikation zwischen Flugschüler und Fluglehrer oder auch Pilot und Copilot zu ermöglichen. Leider erlitt die D-41 ein tragisches Schicksal: Während der Erprobungsphase stürzte das Flugzeug ab und kostete beide Piloten das Leben. Da die Side-by-Side-Konfiguration immer große Begeisterung geweckt hatte, gab es schon vor dem Absturz Bestrebungen, das Konzept weitezuentwickeln. Es entstand der Entwurf für die D-43 mit einer ähnlichen Rumpfform wie die D-41, allerdings ohne Wölbklappen und mit gutmütigen Flugeigenschaften. Außerdem sollte es möglich sein, das gesamte Schulungsprogramm mit dem Prototypen durchzuführen. Zudem gab es Überlegungen, das

Rettungssystem D-44 „Soteira“ in die D-43 zu integrieren. Dabei handelte es sich um ein Rettungssystem, welches den Piloten mithilfe einer Rakete einige Meter aus dem Flugzeug herauszieht. Damit sollte auch bei Unfällen in Bodennähe, beispielsweise nach einem Seilriss, sichergestellt werden, dass der Pilot die nötige Höhe für eine Rettung mit dem konventionellen Fallschirm erreicht. Leider konnte die Entwicklung von Soteira nie abgeschlossen werden, weshalb auch ein Einbau in die D-43 nicht umgesetzt werden konnte. Forschen, bauen, fliegen In den letzten Jahren rückte ein altbekanntes Thema wieder neu in den Vordergrund: der Werkstoff. Über die Jahre hatten sich die Fertigungsweisen immer weiterentwickelt und es wurden zunehmend mehr Stimmen laut, anstelle des herkömmlichen Handlaminats auch im Segelflug auf Prepreg umzusteigen. Auch die Akaflieg Darmstadt interessierte sich für die Entwicklung und Zulassung eines Prepreg-Flugzeuges und beschloss, mit der D-45 ein Hoch-

leistungsflugzeug in Prepreg-Bauweise zu entwerfen. Leider beendeten während des Projekts einige maßgeblich beteiligten Akaflieger ihr Studium und neue, unerfahrene kamen nach. Wie es mit dem Projekt weitergeht, ist daher aktuell nicht abzusehen. Klar ist aber, dass die Akaflieg in ihren über 100 Jahren schon größeren Herausforderungen gegenübergestanden hat und es immer Wege gab, mit neuen Ideen und Entwicklungen über sich selbst hinauszuwachsen. t

Anlässlich des 100jährigen Jubiläums erschien 2021 eine neue Chronik der Akaflieg, mit der man diese ereignisreiche Zeit auch für andere erlebbar machen will

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VORSCHAU Das nächste segelfliegen magazin erscheint Ende Juni 2022 und ist im Zeitschriftenhandel erhältlich sowie unter segelfliegen-magazin.de/bestellungjahresabo/ IMPRESSUM Geplant sind unter anderem diese Beiträge:

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Familie, Arbeit – und trotzdem Lust auf Streckenfliegen? Segelflugzeuge mit Heimkehrhilfe bieten eine große Freiheit. Erfahrungsbericht eines Piloten, der dank Turbo den Durchbruch schaffte. Plus Übersicht der Systeme und Marktanalyse.

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[email protected] Chefredaktion: Brigitte Gabler

[email protected] Fachlicher Berater/Testpilot: Ernst Willi Lektorat: www.luftfahrtjournalismus.de Freie Autoren: Henry Blum, Gisela Benoist, Roland Bieri, Ludwig Haslbeck, Michail

Hengstenberg, David Richter-Trummer, Sabrina Schels, Mathias Schunk, Stefan Selke, Helge Zembold

Anzeigen: Holger Back, [email protected] Druck: Druckerei Wagner, D-87719 Mindelheim Bezugspreise:

Einzelheft: CH 11,50 CHF, D/EU 9,50 EUR

Jahresabo: CH 68,00 CHF, D/EU 56,00 EUR, Übersee 75,00 USD

Jahresabo digital: 49,00 EUR/CHF

Kombiabo: CH 81,00 CHF, D 67,00 EUR Übersetzung, Nachdruck sowie

fotomechanische, elektronische oder digitale Wiedergabe von Teilen der

Zeitschrift oder im Ganzen sind nur mit schriftlicher Erlaubnis des Verlages

gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos Zeichnungen und

Datenträger wird keine Haftung übernommen.

(ISSN 1612-1740)

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Achtsamkeits-Übung Autorin: Gisela Benoist

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ir werden als Frauen ja täglich mit vielen Tricks eingewickelt, wenn es um unser Kaufverhalten geht. Einer davon ist das Wort „Wellness“, das nun fast niemand mehr hören mag, vor allem seit es auch auf der Wurstverpackung den Inhalt an die Frau bringen möchte. Das andere Wort – alle Frauen kennen es, wenn man in den letzten zwei Jahren auch nur eine Frauenzeitschrift in der Hand hatte – ist Achtsamkeit. Heißt zu Deutsch: Pass gut auf dich auf und kümmere dich mehr um dich selbst. Total witzig, wenn man nicht nur einen Mann hat, der ständig in der Luft ist, sondern sich auch noch das einzige Kind dazugesellt! Das Zentrum, um das die Gedanken kreisen, sind die in der Luft und sicher nicht das eigene Wohlergehen! Heuer hat es mich ja besonders schlimm erwischt, die Saison begann für unseren Junior als Sposo schon im Februar. Wie schrecklich! Fühlt sich für mich an, als donnern die in Zwergenhöhe wie die Wahnsinnigen über die Porta, ich durfte wirklich kaum hinsehen, ein Wetter, bei dem einem bestimmt nicht Segelfliegen als Sport einfällt! Ich bekam einmal ein Bild vor dem Start im strömenden Regen! 130 km/h als Durchschnitt im Februar waren bisher außerhalb meines (ich lerne heuer: begrenzten) Horizonts. Irgendwie gibt es dort ja eigene Gesetze und vielleicht sollte ich schon mal vorbereitet werden auf den Rest des Jahres. Im Anschluss zog mein Kind darf ich ihn bitte einfach nochmal von der Schule abholen? Nur einmal noch spüren, dass man ihn selbst vor allem beschützen kann?) seinen Hänger im vollgepackten Auto von morgens um drei bis abends um sechs nach Vinon. Wenigstens konnte ich ihn da telefonisch erreichen, um mich von seiner körperlichen Unversehrtheit zu überzeugen! Dann kam der Tag, an dem Max mich gefragt hat, was so nachmittags in der Praxis los war. Ich sah ihn an und meinte: Oh, ich kann dir sofort sagen, wann unser Kind wo tief war!

Die Arbeit hat sich etwas länger hingezogen. Soviel zur Achtsamkeit! Ich bin nur noch achtsam, ob es dem Kind gut geht! Das darf man echt niemandem erzählen! Am Abend guck ich mir dann in den Portalen die schönen Bilder an und lese die Kommentare. Da hab ich viel gelernt, zum Beispiel, dass blau schlau macht. Konnte Max dann gleich mal hier zuhause ausprobieren! Eine Welle ist schon mal ein inneres Blumenpflücken, eine Aufgabe kann man auch „lasern“ und die Sposos sind die Lümmel im Verkehrsgetümmel. Beruhigend. Und es gibt bei den Eichhörnchenbergen eine Rakete mit 4 bis 5 Meter Steigen; wenn man die verpasst, fliegt man da unten so tief rum, dass die Helikoptersegelfliegermutter das Kind auf keiner aller Flarm-Tracking-Seiten mehr finden kann! Panik und Sicherheit, dass das Kind im besten Fall trotz Motor irgendwo am Acker steht! Gleich mal Papa informieren. Ja, das passiert in den hohen Bergen leider ziemlich oft. Ich lese auch gerne die poetischen Kommentare einiger jungen Piloten, auch wenn man da etwas Zeit braucht. Oder die Kommentare meines Sohnes natürlich. Als Mama denkt man vielleicht, da steht bestimmt was drin, was man sonst nie von ihm erfahren würde. Der unendliche Dank an die sich aufopfernden Eltern vielleicht – okay, das nicht so oft. Aber manchmal kommt dann die Mama des Schulkinds durch, dem man nochmal über die Hausaufgabe lesen muss! Deutsch war noch nie seine Stärke, erstaunlich, dass er trotzdem ein passables Abi hinbekommen hat! Englisch ist eher seine Sprache, die schreiben nämlich alles klein. Macht er auch gerne. So entdeckte ich in seinem Kommentar kürzlich dass er von seinen „rädchen“ am 18-m-Flügel erzählt hat. Ich schreib natürlich sofort, bevor das womöglich jemand sieht: Rädchen schreibt man groß! Und prompt kommt zurück: Neeeee Mama, das sind wirklich kleine rädchen! Na, dann sehen wir mal, was für Kleinigkeiten dieses Jahr noch so bringt. Ich bleibe achtsam!

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Te Araroa: Neuseeland von Süd nach Nord Streckenflug Eine neue Wellen-Ära 2022

Nr. 3 - Mai | Juni

B 62493

Sicherheit Risiko: Hangflug |

ISSN 1612-1740 | Schweiz CHF 11.50 | Deutschland € 9.50 | EU-Länder € 9.50

EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser, in den kommenden Tagen öffnet die Aero in Friedrichshafen für die Besucher nach zweijähriger Corona-Pause wieder die Hallentore und versucht, in eine Art wirtschaftliche Messe-Normalität zurückzufinden. Obwohl die Ausstellung 1977 ihre Erfolgsgeschichte mit einer Handvoll Segelflugzeuge und Motorsegler startete, sind dieses Jahr zahlreiche Hersteller unserer geliebten Hightech-Sportgeräte oder des dazu passenden Zubehörs in Friedrichshafen unter den ca. 500 Ausstellern nicht vertreten. Ernst Willi Fluglehrer, Flugplatz Schänis

Wer sich im ersten Augenblick denkt, dass sich die Segelflug-Hersteller dank voller Auftragsbücher eine finanziell und organisatorisch aufwändige Ausstellung zur Akquisition von Kunden sparen will, die sie ohnehin nur mit mehrjährigen Wartefristen bedienen kann, liegt nicht ganz richtig. Die Geschichte ist komplizierter. Da ist einerseits der Termin Ende April, der schon in der für die Hersteller wichtigen Wettbewerbs-Saison liegt. Manche Ausstellungs-Maschine kann deswegen ihrem Produzenten nicht auf dem Siegerpodest Ruhm und Ehre verschaffen und gleichzeitig in der Messehalle „bella figura“ machen. Anderseits spielt auch die (Welt-)Politik mit. Die hat wegen der rasant wachsenden Flüchtlingsströme aus der Ukraine eine der Messehallen als mögliches Aufnahme-Zentrum reklamiert, worauf die Segelflug-Hersteller von der Messeleitung, die ihren Teil zur Linderung der humanitären Krise beitragen will, umquartiert wurden. Das kam nicht bei allen gleich gut an. Ob die vorsorglich reservierte Halle A1 nun aber tatsächlich als Aufnahmezentrum für Flüchtlinge benötigt wird oder einfach leer steht, war bei Redaktions-Schluss noch nicht sicher. Nun ist die Vorstellung, dass man nahe am bedrückenden Flüchtlings-Elend bei Weisswein-Apéro und Bratwurst-Duft fachsimpelt, ob das Interieur seines neuen Spielzeuges im Bereich eines sechsstelligen Kaufpreises (bei Motorfliegern deutlich teurer) mit hellem Leder oder Stoffbezügen ausstaffiert werden soll, für viele kaum akzeptabel. So wie viele Bereiche unseres Alltags heute anders sind als vor dem 24. Februar 2022, ist eben auch dieses wichtige Branchen-Event vom Überfall der Ukraine betroffen. Sicher diskutieren wir mit der Abwesenheit unserer Branche in Friedrichshafen ein Luxus-Problem. Aber wenn die ganze Wirtschaft mit schlechtem Gewissen in depressives Nichtstun verfällt, fehlt am Ende auch die finanzielle Power, um den Betroffenen bei einem Wiederaufbau oder einem Start in einer neuen Heimat solidarisch beistehen zu können. Genießen Sie also in den nächsten Tagen die Aero in Friedrichshafen, auch wenn diesmal nicht alle gewohnten Segelflug-Hersteller anwesend sein werden. Das soll Sie ja nicht von einer großzügigen Spende für die Flüchtlinge aus der Ukraine abhalten. Ihr Ernst Willi

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Inhalt

Foto: Lothar Schwark

Titel: Georgia Schofield, Skyline Auckland, Neuseeland

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DMSt reloaded geht ins zweite Jahr Vereinswertung jetzt mit einer ersten und zweiten Bundesliga sowie fünf Regionalligen

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Nur weil der Motor grad nicht läuft? Die IGC entschied 1997: Motorsegler sind Segelflugzeugen gleichzustellen, solange das Triebwerk nachweislich nicht läuft. Unser Autor meint: no-go, nicht nur bei dezentralen Wettbewerben!

Te Araroa Neuseeland von Süd nach Nord Terry Delore fliegt entlang des Te Ararora Trails die gesamte Länge Neuseelands ab, vorbei an der Skyline Aucklands, über Seen, Vulkane und Sandstrände

22 Die Thermik sichtbar gemacht

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ie S er Fly safely: Hazardous Attitudes Menschen machen Fehler – deshalb ist „Human Factors Training“ wichtig, auch für Segelflug-Piloten

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Risiko: Hangflug Im Gebirge wird häufig in Bodennähe geflogen, doch diese Fliegerei ist sehr anspruchsvoll

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Quer geht auch Ein Sechs-Stunden-Flug quer zu den bekannten Thermikrennstrecken Schwarzwald und Alb

Steuern, bremsen, sicher landen

Die Idee, moderne Flächenfallschirme für die Rettung aus Luftnot einzusetzen, setzt sich durch



Thermikauslösung in der bodennahen Schicht – wird dabei die Rechnung ohne den Wind gemacht? Dazu ein Einblick in die Wind-Messung mittels Lidar

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Windenstart mit elastischen Seilen Die Elastizität des Seils hat wenig Einfluss auf den Start? Mit der Einschätzung liegt man ziemlich daneben

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Eine neue Wellen-Ära

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Ja ... wo isses denn? Bluetooth-basierte Vorseilsucher sparen Zeit und Geld

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Wo Ideen fliegen lernen Die Akaflieg Darmstadt blickt auf 100 Jahre Geschichte zurück



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Auch Nordföhn-Lagen erlauben von der AlpenNordseite Wellenflüge. Dazu bringen die neuen Tools von SkySight die Segelfliegerei auf ein komplett neues Level

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Flying with the Youngsters Junge Flieger mit gutem Knowhow im Streckensegelflug fungieren als Guide und ermöglichen so unerfahrenen Piloten in Namibia einzigartige Flugerlebnisse

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Editorial Leserpost Impressum/Vorschau Kolumne

Lese-Spaß Das Magazin zeichnet sich dadurch aus, dass die Dinge umfassend beleuchtet werden und die enthaltenen Aussagen Hand und Fuß haben. Bestückt mit wirklich faszinierenden Bildern, kritischem Blick und einem Schuss Humor macht das Ganze wirklich Spaß zu lesen. Und hat mich bewogen, so weit wie möglich in die Vergangenheit zu schauen, um möglichst viele Ausgaben lesen zu können. Stephan Mettke, Sachsenheim Ausgabe 02-2022 Hexenwerk 1) Henry Blum bringt unter Praxistipp leider die Stabilität von Schichtungen  (eine lokale Eigenschaft) und die von Luftmassen oder  -schichten durcheinander und trägt damit zur Verwirrung bei. In einer adiabatischen Schicht ist die Schichtung als lokale Eigenschaft in der Tat indifferent. Die Stabilität einer Schicht ist jedoch keine lokale Eigenschaft: Die überadiabatische Schicht unter der adiabatischen schickt überhitzte Luftpakete nach oben, die dann durch sie hindurch Richtung Inversion steigen. Konvektive Schichten sind also sehr wohl labil! Lenschow und Stephens untersuchten die Konvektion nach Kaltluftadvektion über warmem Meer. Meteorologen machen das gerne, weil „Laborbedingungen“ vorliegen mit einer großflächig homogenen, gleichmäßigen Heizung der Atmosphäre von unten. Allerdings wird in dieser Situation viel mehr Wasserdampf in die Atmosphäre eingetragen als selbst über feuchtem Ackerland, die Übertragung auf Strahlungsverhältnisse über Land erscheint mir problematisch. Jedenfalls aber ist die Bezugshöhe z_i der Grenzschicht in Grafik 3 nicht die der Basis, sondern die der Inversion, der  Obergrenze der konvektiven Wolken. Somit wurden viele der Messwerte des blau eingefärbten Bereichs in Wolken ermittelt

(„for the most part, cloud base was > 0.7 z_i“), wo verdunstende Wolkentröpfchen kühlen. Henry Blums Interpretation ist also zweifelhaft bis falsch. Die Messungen von Oliver Predelli und Ronald Niederhagen hat Albert Kiessling bereits einen Leserbrief kommentiert. Anhand von Messungen im Lüftungskanal zuverlässige Aussagen über die Temperatur der Umgebungsluft auf wenige Zehntel Grad genau zu treffen, halte auch ich nicht für machbar nach Studium des Originalaufsatzes in TS, wegen des Staueffekts, der gekennzeichneten Hysterese der Rohdaten von bis zu drei(!) Grad, und mangels jeglicher Kalibrierungsmessung an einem Nasenmast oder in einem Windkanal. An den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen? Bei Feuchte/Wassergehalt mag das anders sein, obwohl auch dort korrigiert werden musste.  Dr. Ulrich Wölfel, Edemissen 2) Wie schon Dr. Wölfel in seinem Leserbrief geschrieben hat, trifft der von Henry Blum angestellte Vergleich zwischen Caisson und Thermikblase nicht zu, und zwar aus dem folgenden Grund: Es gibt bei einer Thermikblase keine feste Begrenzung wie bei einem Caisson, egal ob man nun einen offenen Caisson betrachtet, wie im Artikel dargestellt, oder einen Caisson mit Überdruck, wie von Dr. Wölfel gemeint. In der Atmosphäre ist ein Ausgleich von Druckunterschieden möglich. Und tatsächlich ist es so, dass unter einer sich entwickelnden Thermikblase der Druck sogar geringer ist als seitlich davon, was dazu führt, dass von den Seiten Warmluft zur entstehenden Blase hinströmt und ihre Entwicklung verstärkt. Keinesfalls ist unter der Blase höherer Druck erforderlich, als seitlich davon, damit sie aufsteigen kann. Man muss nun nicht, wie für wissenschaftliche Publikationen üblich, ein peer review einführen. Aber vielleicht nimmt sich Henry Blum mal ein

Beispiel an Roland Bieri (Anm. d. Red.: „Fliegen mit dem EDS“) und diskutiert seine Thesen mit dem einen oder anderen Fachmann, bevor er sie zum Besten gibt. Detlev Schilling, Fürstenzell Ausgabe 02-2022 „Elektrische Startwinde“ Ich fand den Artikel sehr informativ, allerdings bezüglich der Eigenschaften dieser Winde etwas zu optimistisch dargestellt. Wenn hier schon in der Überschrift von Schienen gesprochen wird, finde ich das übertrieben. Mir sind im Gegenteil Beschreibungen und Kommentare zu dieser Winde bekannt geworden, welche von übermäßigen Beschleunigungen sowie von sogenannten „Löchern“ im Abhebebereich berichten.  In diesem Zusammenhang muss ich auch auf die spärliche und ungenügende Informationspolitik des Herstellers verweisen, der keinerlei Angaben zur detaillierten Steuerung der Winde herausgibt. Besonders qualitative Angaben zur Dosierung und Reichweite der Anfangsbeschleunigung werden nicht gemacht und finden sich auch nicht im Betriebshandbuch. Da diese wesentliche Sicherheitsfaktoren für einen harmonischen Start darstellen, müsste auch der Bediener der Winde diese Charakteristik kennen. Bei einer reinen Seilkraftsteuerung, wie im Bericht vermerkt, müsste eigentlich eine Einstellung des Leistungsschiebers während des ganzen Schlepps genügen. Warum also muss der Schieber gemäß Betriebshandbuch anfangs auf Volllast bzw. einen anderen Wert als die gewünschte Seilkraft eingestellt werden?  Ferner fehlen Angaben über die Ursache der Getriebedefekte in der Winde und wie dies genau in der Serie verhindert bzw. verbessert wird. Auch über andere Verbesserungen steht nichts geschrieben. Über diese Punkte sollen künftige Interessenten der Winde aber doch

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informiert sein. Im übrigen besteht kein Zweifel an der Zukunftsfähigkeit elektrischer Antriebe auch bei Startwinden, wobei aber detailierte Anpassungen und Beschreibungen der Steuerungstechnik zu beachten sind. Karl Höck, Friedberg Ausgabe 02-2022 „Fliegen mit dem EDS“ Im Artikel „Fliegen mit dem EDS“ beschreibt Roland Bieri sehr kompetent die Funktionsweise, Vorteile, aber auch die Grenzen des Sauerstoffsystems EDS. Es handelt sich dabei um einen exzellent geschrieben Artikel zum Thema Sauerstoff und sollte von jedem Segelflieger und jeder Segelfliegerin aufmerksam gelesen und verinnerlicht werden. Trotzdem möchte ich hier einen Punkt des Artikels aufgreifen und richtigstellen. Bei der Beschreibung der schwersten Symptome von Sauerstoffmangel (Hypoxie) werden Hyperventi-

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lation und Muskelkrämpfe aufgeführt. Diese beiden Symptome sind aber nicht die Folge von Sauerstoffmangel und es wäre fatal, diese mit zusätzlichem Sauerstoff zu bekämpfen. Bei Hyperventilation herrscht kein Sauerstoff-, sondern CO2-Mangel. Um den Unterschied zur Hypoxie zu beschreiben, ist es wichtig, die Atemregulation zu kennen: Die Regulation der Atmung erfolgt im Wesentlichen über die Messung des CO2-Gehalts im Blut mittels spezieller Rezeptoren. Bei einem Anstieg der CO2-Konzentration wird die Atmungsintensität erhöht (z. B. beim Treppensteigen). Dieser Regelkreis kann durch verschiedene Faktoren, insbesondere durch Stress oder Angst, gestört werden und eine Hyperventilation auslösen. Dabei wird durch die schnelle und tiefe Atmung die Sauerstoffsättigung im Blut zwar maximal gehalten, aber gleichzeitig zu viel CO2 ausgeatmet. Da CO2 im Blut als Kohlensäure gelöst ist, führt

dies wiederum zu einer Störung des Säure-Basen-Gleichgewichtes im Blut zu Ungunsten der Säure (Alkalose). In der Folge wird dadurch der Kalziumgehalt im Blut gesenkt, was zu Muskelkrämpfen führt. Typische Zeichen dafür sind Verkrampfung der Hände (Pfötchenstellung) und der Lippen (Karpfenmaul). Weiter kommt es bei tiefem CO2-Gehalt im Blut zu einer Verengung der blutversorgenden Hirngefässe, was sich in Schwindel, Benommenheit und Sehstörungen manifestiert. Es ist also enorm wichtig, Hyperventilation zu erkennen und von Sauerstoffmangel zu unterscheiden. Die Hyperventilation kann beendet werden, indem man die CO2-Konzentration im Blut erhöht. Dies erreicht man, indem man eine Plastik- oder Papiertüte über Mund und Nase legt und die eigene ausgeatmete Luft wieder einatmet, bis sich die Atmung normalisiert. Peter Allegrini, PhD, Münchenstein

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NACHRUF Ingo Renner

(01. Juni 1940 – 26. Februar 2022)

Von Brad Edwards Übersetzung: Helge Z embold

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ngo Renner leistete einen enormen Beitrag zur Entwicklung des australischen Segelflugs. Seiner Vorbildfunktion und seiner idealistischen Einstellung zum Segelflug eifern bis heute viele Piloten nach. Als kleiner Junge beobachtete ich ihn und träumte davon, fliegen zu können wie er. In den späten 1970er und 80er Jahren war Ingo auf dem Höhepunkt seines fliegerischen Erfolges. Wenn ich ihn in der Luft traf, konnte ich kaum nicht fassen, wie schnell er allen anderen davonstieg und in der Ferne verschwand. Ich beobachtete ihn und lernte von ihm. Ich erinnere mich noch seine knappen Worte: „Du musst jeden Tag fliegen, auch an den schlechten Tagen. Du musst alle Wendepunkte erkunden, bevor der Wettbewerb beginnt.“ Am letzten Tag bei den Weltmeisterschaften in Uvalde sagte er nur zu mir: „Ändere nichts, Brad.“ Ingo war der beste Wettbewerbspilot aller Zeiten. Er flog im Wettbewerb immer allein und ließ sich nie auf Pulks und Pokerspielchen an der Startlinie ein. Er flog nur mit den einfachsten Instrumenten und verließ sich auf seine Fähigkeiten und sein unglaubliches Gedächtnis, um die Aufgabe als Schnellster zu beenden. Ingo Renner wurde am 01. Juni 1940 in Hude bei Bremen geboren. Schon als kleiner Junge war er fasziniert von Modellen und lernte bald, seine eigenen Segelflugmodelle zu bauen. Im Alter von 15 Jahren begann er mit der Segelflugausbildung. Nach dem Erwerb seines Segelflug-

Ingo und Judy Renner im Southern Riverina Gliding Club im Februar 2021

scheins wurde er von seinem Verein zum Fluglehrer ernannt. Nach dem Abschluss seiner Ausbildung arbeitete Ingo Renner als Schiffsbauer, aber er wollte die Welt sehen. Im Juli 1967 ging er als Facharbeiter zur Evans-Deakin-Werft nach Brisbane in Australien. Kurz nach seiner Ankunft in Queensland überredete er seinen Vorgesetzten, ihn zum Darling Downs Soaring Club zu fahren. Er absolvierte einen Probeflug und hinterließ einen so guten Eindruck, dass er in der folgenden Woche die volle Lehrberechtigung erhielt. So verbrachte er drei Jahre als Fluglehrer im Darling Downs Club. Im Jahr 1970 zog er nach Tocumwal und begann seine Arbeit im neu gegründeten Sportavia Soaring Centre. In den nächsten 36 Jahren schulte Ingo Renner in den australischen Sommermonaten bei Sportavia und arbeitete im europäischen Sommer als Ausbilder für die Segelflugschule Oerlinghausen in Deutschland. 2006 ging er mit 65 Jahren offiziell in den Ruhestand. Während seiner Segelflugkarriere sammelte Ingo rund 37.000 Flugstunden, davon rund 32.000 als Fluglehrer. Durch seine Professionalität und sein Engagement in der Segelflugszene hat er einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung des Luftsports geleistet. Im Jahr 1971 nahm Ingo Renner die australische Staatsbürgerschaft an und vertrat sein neues Land bei mehreren

Weltmeisterschaften. Sein erster Sieg war der in der Standardklasse bei der Weltmeisterschaft in Räyskälä (Finnland) 1976. Es folgten drei weitere Siege in der Offenen Klasse bei den Weltmeisterschaften 1983 in Hobbs (New Mexico), 1985 in Rieti (Italien) und 1987 in Benalla (Australien). Er siegte bei 19 nationalen australischen Segelflugmeisterschaften sowie zahlreichen internationalen WettbewerbenZu seinen weiteren Erfolgen zählen ein doppelsitziger Distanzweltrekord vom 27. Januar 1975, sowie ein Geschwindigkeitsweltrekord im Einsitzer, den er am 14. Dezember 1982 auf einem 100-Kilometer-Dreieck mit 195,3 km/h aufstellte. Letzterer brachte ihm einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde ein. Er bereitete das australische Team auf Weltmeisterschaften vor, unterstützte die Japaner bei der Organisation und Durchführung ihres allerersten internationalen Segelflugwettbewerbs in Hokkaido und trainierte etliche Piloten für nationale und internationale Wettbewerbe. Seine Frau Judy hat ihn bei vielen Wettbewerben auf der ganzen Welt als Crew begleitet. 1988 wurde Ingo Renner mit der Medal of the Order of Australia (OAM) für seine Verdienste um den Segelflug ausgezeichnet, im Jahr 2000 erhielt er die Australische Sportmedaille für „große und langjährige Erfolge im internationalen Wettbewerbs-Segelflug“.

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Meine Meinung

Nur weil der Motor grad nicht läuft? Autor: Daviid Richter-trummer

Bilder: Manfred Münch, Archiv

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Lautlos dahingleiten, getragen von den Kräften der Natur allein. Segelfliegen gehört für Viele von uns zu den schönsten und reinsten Formen der Fortbewegung. Weil sie geschaffen sind, den natürlichen Gesetzen der strömenden Luft möglichst gut zu entsprechen, wirkt bereits der Anblick unserer Sportgeräte zutiefst ästhetisch. Doch was genau ist eigentlich ein Segelflugzeug?

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ie Frage, was denn nun eigentlich ein Segelflugzeug ist, lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Oder anders ausgedrückt: Die Antwort auf diese Frage kann sehr unterschiedlich ausfallen. Für frische Flugschüler ist es so wie auch für viele langgediente Segelflieger klar und einleuchtend, dass ein Segelflugzeug gerade eben durch den fehlenden Motor zu definieren wäre. Macht es nicht den Segelflug aus, eben keinen Motor zur Verfügung zu haben? Unterscheidet sich nicht ein Motorflugzeug von einem Segelflugzeug gerade durch diesen Punkt? Nein, nicht nach den Wettbewerbsregeln, denn sportlich betrachtet wird nicht differenziert, ob das Sportgerät denn nun einen Motor hat oder nicht. An diese Tatsache haben wir uns bereits gewöhnt, und doch führt gerade dieser Punkt nicht nur bei der Vorstellung unseres Sportes bei unbefangenen Zeitgenossen oft zu ungläubigen Rückfragen. Dazu kam es, weil im zentralen Gremium der IGC 1997 entschieden wurde, dass Motorsegler Segelflugzeugen ohne weiteres gleichzustellen sind, solange das Triebwerk nachweislich nicht läuft. Man muss dazu aber wissen, dass die IGC-Regeln in allererster Linie für zentrale First-Class-Wettbewerbe, also im Grunde für Weltmeisterschaften und Europameisterschaften ausgehandelt werden. Diesem Gremium erschien nun also der Vorteil, den ein Teilnehmer aufgrund seines Triebwerkes hat, der am selben Tag, am selben Ort und zur selben Zeit wie alle anderen Teilnehmer geschleppt wurde, um dieselbe relativ kurze und schaffbare Aufgabe zu fliegen wie alle anderen, als vernachlässigbar klein. Diese Einschätzung teile ich absolut; ob ich bei einer WM einen Motor dabei habe oder nicht, ist nahezu irrelevant. Ich fliege sowieso die Aufgabe, bis ich das Ziel erreiche oder „das Rad mitläuft“, und die Start-Prozedur ist dermaßen definiert, dass dem Motorsegler keine Vorteile entstehen dürfen. Außerdem hab ich einen Helfer dabei, der insgeheim nur darauf wartet, mich im Fall wieder vom Acker zu holen, denn das gehört eben zu seinen vereinbarten Kernaufgaben. Viele nationale und regionale Wettbewerbe, aber auch insbesondere dezentrale Wertungsformen übernehmen nun aber sehr gerne Teile der internationalen Regeln und Definitionen für ihre eigenen Anwendungen. Es ist halt einfach praktikabel und wenig aufwändig, das Rad nicht neu erfinden zu müssen und auf diese erprobten und international akzeptierten Grundlagen zurückzugreifen. Gerade im Dezentralen bestehen nun aber aus meiner Sicht sehr wohl erhebliche sportliche Unterschiede zwischen Segelflugzeugen und Motorseglern.

Der Start: Ihr kennt das wohl alle: Man steht in der Startschlange, weil man heute Glück und Durchsetzungsvermö-

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gen gehabt hat, an der idealen zweiten Position, muss also nicht lange warten, bis man geschleppt wird und hat bereits einen Schnüffler vor sich. Natürlich geht es einem hier nicht schnell genug und man baut Druck auf den Erststartenden auf. Wer als Erster startet, mag lieber etwas warten, denn wenn er absäuft, kommt er wohl erst knapp vor Mittag wieder an die Reihe, der Tag (die Chance auf einen wirklich großen Flug) ist für ihn jedenfalls gelaufen. Selbst wenn er sofort wieder geschleppt werden würde, verliert er mindestens eine Dreiviertelstunde und sehr viel von seiner Kampfmoral. Jeder Andere in der Schlange kommt in die Luft, wenn er eben dran ist. Hoffentlich wird das heute vor der Mittagspause oder vor dem ersten Tankstopp der Schleppmaschine sein. Der Kollege mit Motor kommt nach ausgedehntem Frühstück eine Stunde später auf den Flugplatz, er muss sich nicht um die Startreihenfolge kümmern und seine Position verteidigen. Er startet auch sehr viel entspannter. Wenn es noch nicht geht, verliert er vielleicht zehn Minuten und zwei Liter Sprit, nicht Stunden und damit den Flugtag. Beim Zweiten Versuch kann er ja auch ein Stück in Richtung der besseren Bedingungen voraus ratteln. Natürlich lädt das ein, es heute ein wenig früher zu probieren als vielleicht üblich. Seine Chancen, dadurch den Tag früher beginnen zu können, als wenn er keinen Motor hätte, sind erheblich. Auf Strecke: Anfangs geht es schwach, und die Gleitetappen zwischen den Bärten sind gefühlt recht lang, weil die Basis noch ist nicht berauschend hoch ist. Die Außenlandung ist ein ständiger gedanklicher Begleiter und das Wasser mag man nicht schmeißen, um später ordentlich voran kommen zu können. Der Kollege mit Motor hat ebenfalls mit seinem schweren Flieger zu arbeiten. Die Option, die Flächenbelastung zu reduzieren, hat er aber nicht im selben Maße. Dafür beruhigt die Aussicht, im Fall der Fälle keine Hilfe von Vereins-Kameraden in Anspruch nehmen zu müssen und auch nicht den gesamten Flugtag zu verlieren, falls er absäuft. Die beiden Vorteile mögen sich in etwa die Waage halten, es gibt hier keinen eindeutigen Vorteil für den Segelflieger oder den Motorsegler. Absaufer: Bei fast jedem Flug gibt es irgendwo eine Situation, in der es mal schwieriger wird, die Bedingungen schwächer werden, etwas nicht so funktioniert wie erhofft und ich ganz einfach unsicher werde. Das kann planmäßig durch die Streckenführung bedingt sein (Querung eines breiten Beckens, Alpenausstieg) zufällig aufgrund der Wetterlage, Unachtsamkeit oder schlicht durch Unglück passieren. Nicht selten verliere ich hier den Rhythmus und die Kampfmoral. Wenn ich mich wieder aus niederen Gefilden (knapp vor der Außenlandung) hochgebastelt habe, ist für mich persönlich die Versuchung meist groß, hier eine Wende einzubauen und

mich wieder zurück in die Heimat zu orientieren. Ich kann die Gedanken an die Außenlandung und all ihrer Konsequenzen, die ich gerade eben doch noch verhindern konnte, dann einfach schwer aus meinen Gedanken wegwischen. Mit einem schlummernden Motor im Rücken ist das erheblich leichter. Die Wende: Wir alle wenden viel zu früh. Wissentlich, vorsätzlich und planmäßig. Die Aussicht, heute durch ein Missgeschick, Pech oder ein unvorhergesehenes Ereignis auf dem Heimweg nicht so flott voran zu kommen, dass sich die Strecke in der restlichen Thermikzeit überbrücken lässt, zwingt ganz einfach zum Einplanen von Sicherheit. Zudem ist die Prognose, wann denn nun die Thermik zum Erliegen kommen wird, fast immer mit einer sehr großen Unsicherheit verbunden. Es ist schlicht nicht vorhersagbar, ob man heute bereits um 18:00 Uhr kaum mehr Steigen antreffen wird oder ob es wie so oft selbst noch nach 19:30 Uhr problemlos gehen wird. Um nennenswerte Strecken zu bewältigen, muss man aber gerade in Hinsicht später letzter Wenden frech werden. Mit Motor ist es sehr viel einfacher, den letzten Wendepunkt auszureizen, also wirklich nach den zu erwartenden meteorologischen Bedingungen zu optimieren. Denn der Einsatz, mit dem man dieses Spiel betreibt, ist jetzt nicht, einen Kameraden abends für viele Stunden zu einer Rückhol-Tour zu nötigen, sondern fünf Liter Sprit und wenn überhaupt ein leicht angekratztes Ego. Für die Wertung bringen weit entfernte Wendepunkte zurecht sehr viel. Will ich mit einem Segelflugzeug heute noch konkurrieren, so muss ich meine Strecke so planen, dass ich nicht ernsthaft (also mit hoher Eintreffwahrscheinlichkeit) erwarten kann, heute auf dem Heimatplatz zu landen. Der Entschluss zu so einer Planung ist hart; noch härter ist es, sich dann in der Luft auch an seinen Plan zu halten. Bei uns auf der Alpennordseite gibt es bei mäßigem Nordwind oft Flugtage, die bei uns eine sehr tiefe Basis mit hohem Bedeckungsgrad und schwachen Steigwerten bringen (Nordstau). Nur wenige Kilometer nach Süden hinter dem Alpenhauptkamm herrschen nun aber durch den Föhn-Effekt fantastische Bedingungen. Es ist auch relativ leicht möglich dort einfach hinzufliegen, sich über den Hauptkamm spülen zu lassen und einen super Tag zu genießen. Die Frage ist dann immer nur, wie man abends wieder zurück gegen den Wind über den windgestörten Hauptkamm kommt. Das kann sehr anspruchsvoll, ja an einigen Tagen im Segelflug schlicht unmöglich sein. Bei dem Versuch, abends den Hauptkamm gegen den Nordwind zu queren, bin ich schon einige Male im Acker gesessen. Diese Erfahrung sitzt mir jedes Mal im Nacken, wenn es an die Hauptkamm-Querung bei Nordstau-

Lagen geht. Und das führt ganz einfach dazu, dass ich es im Zweifelsfall bleiben lasse. Mit Motor ist das Setting umgekehrt, im Zweifelsfall probiere ich es halt, ist ja eh wurscht. Wie oft hat denn bei dir etwas im Segelflug schon problemlos funktioniert, obwohl du nicht damit rechnen konntest? Die Liste der Beispiele könnte beliebig fortgesetzt werden. Jeder einzelne hat seine persönlichen Erfahrungen dazu. Unter dem Strich erkennt man zahlreiche und zum Teil sehr deutliche sportliche Unterschiede, ob für eine Streckenaufgabe ein Segelflugzeug oder ein Motorsegler eingesetzt wird. Ob nun der Motor tatsächlich genutzt wird oder nicht, ist gar nicht so relevant – die Option ihn nutzen zu können macht den Unterschied. Segelfliegen ist ein Mentalsport. Die Konsequenzen unserer Handlungen erfahren wir dabei meist sehr rasch und schonungslos. Die sportlich letzte Konsequenz für einen Segelflieger ist in unserem Sport immer die Außenlandung. Besitzt mein Flugzeug nun aber einen Motor, so ist diese letzte Konsequenz aber dermaßen selten und unwahrscheinlich, dass sie gedanklich gerne völlig verdrängt wird („es wird nicht dazu kommen“). Einen sehr schönen Vergleich zum Sportklettern hat ein gut bergsteigender Segelflieger Kollege einmal angestellt. Er sagte: „Im Nachstieg klettere ich den siebenten Schwierigkeitsgrad. Ja, ich habe dieselben Schuhe, dieselbe Route und dasselbe Gewicht zu tragen, doch nur die Gewissheit, dass sich im Falle eines Sturzes über mir nur das Seil spannt, sodass ich im schlimmsten Fall bloß sanft ein, zwei Meter absacke, gibt mir die nötige Zuversicht und Ruhe, diese schwierige Route ohne Probleme zu klettern. Im Vorstieg könnte ich diese Route nie klettern, denn die Konsequenz wäre bei einem Sturz, dass ich sechs Meter ins Freie falle, ehe mich das Seil zu bremsen beginnt. Die Angst vor diesem Sturz klettert immer mit. Im Vorstieg klettere ich daher höchstens eine 5+“. Für mich ist das die schönste Analogie. Ja, physikalisch haben ein Segelflugzeug und ein Motorsegler dieselben Voraussetzungen, solange der Motor nicht angelassen wurde. Doch wir fliegen nicht nur physikalisch, wir fliegen im hohen Maße mental. Ja, wir spielen dasselbe Spiel, doch der Einsatz, mit dem wir es spielen, unterscheidet sich gewaltig. Aus diesem Grund gibt es Kameraden, die sagen, es ist nicht nur eine andere Liga, ob ich nun irgendwo auf Strecke 280 km entfernt von daheim einen Motor dabeihabe, „nein, es ist ein anderer Sport. Und wer glaubt, in ein Segelflugzeug einen Motor einbauen zu müssen, hat nicht verstanden, worum es in diesem Sport eigentlich geht“. Einer so extremen Ansicht bin ich bei weitem nicht, denn mir persönlich fällt es nicht so schwer, mich mit der letzten Konsequenz der Außenlandung abzufinden. Für mich gehört das

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zu dem Sport dazu und ich sitze einfach im Schnitt seit nunmehr bald Jahrzehnten drei Mal im Jahr draußen. Es gibt aber einige Kameraden, die das weniger entspannt sehen, ja beinahe schon eine Angst vor dem Außenlanden aufgebaut haben. Der relative Vorteil ist also individuell sehr verschieden. Dass ein Motor mehr Vorteile als Nachteile beim dezentralen Streckensegelflug bringt, bezweifelt eigentlich niemand ernsthaft. Auch ein Blick in die dezentralen Wertungslisten dieser Welt legt diese Vermutung nahe, denn hier finden sich seit geraumer Zeit an den Spitzenpositionen praktisch keine Segelflugzeuge mehr. Man müsste konsequenterweise seit Jahren von einer dezentralen Meisterschaft im Streckenmotorsegeln sprechen. Fest steht auch, dass dort immer häufiger Namen erscheinen, die man schlicht vor wenigen Jahren noch nie gelesen hat – dass sich einige Piloten also geradezu unglaublich schnell weiterentwickelt haben, wenn man die Wertung als Maßstab dafür heranziehen will. Natürlich könnte das alles daran liegen, dass sich heute auf einmal alle exzellenten Piloten diese unheimlich teuren Sportgeräte leisten können und wollen, sodass die Auffälligkeit schlicht eine Koinzidenz darstellt. So recht glaubwürdig erscheint mir als normalem, unselbstständigen Angestellter dieses Szenario aber nicht. Gelegentlich hört man den Vorwurf, das Festhalten am Segelflug verhindere die Innovation. Ach so? Ist die Änderung der Rahmenbedingungen jetzt eine Innovation? Nach dieser Logik wäre es innovativ bei Bob-Rennen Gewichte zuzulassen, beim Sportklettern in die Schlaufen zu greifen, beim Bergsteigen die Seilbahn zu nutzen und bei Schwimmern Flossen zu erlauben. Innovativ oder? Alles in Allem möchte ich diesen Text aber nicht als Hetzschrift gegen Motorsegler verstanden wissen. Es gibt jedes Jahr ein paar herrlich schöne, kreative und fordernde Flüge zu bewundern, bei denen Motorsegler artgerecht bewegt wurden, also die Möglichkeiten, die sie bieten, ausgenutzt wurden. Es ist einfach nur schön zu sehen, wenn exzellente Piloten zeigen, was alles mit solchen Flugzeugen möglich ist. Welche Kreativität, Ausdauer und Wetterverständnis sie zeigen, ist höchst bewundernswert. Es gibt aus meiner Sicht also in den Wertungen keine unverdienten Gewinner. Soll doch jeder fliegen, womit und wie er will! Ich habe nichts gegen Motorsegler, zumindest nichts Wirksames. Ich habe nur etwas gegen strahlende Sieger, denen ich applaudieren soll, weil sie um 04:42 Uhr in der Morgendämmerung mit ihren 820 kg Eigenstartern direkt in die Welle in 3000 m hinauf motort sind, während Segelflugzeuge einfach frühestens um 07:00 geschleppt werden können. Ich habe etwas gegen eine Wertung, die den antriebslosen Fluganteil auf die Sekun-

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de genau zwischen dem letzten Motor abstellen morgens und der ersten Wiederinbetriebnahme am Abend heraus optimiert, wobei der Pilot dann noch 120 Kilometer abends heimgeflogen ist. Ich habe etwas gegen eine absolute Gleichbewertung von Segelflugzeugen und Motorseglern, die dazu führt, dass es zur Grundvoraussetzung wird, um eine ernsthafte Chance auf einen Staatsmeistertitel zu haben, an den vier besten Tagen des Jahres ein Gerät zur alleinigen Verfügung zu haben, dass mindestens meinem siebenfachen Jahresgehalt entspricht und damit bedeutend teurer ist als die Wohnung, in der ich eingemietet bin. Für mich sind diese Welten ganz einfach so weit auseinander und finanziell dermaßen unerreichbar, dass für mich persönlich die Grundlage, ab wann man von einer Staatsmeisterschaft reden kann, nicht mehr erfüllt ist. Denn nach meinem Verständnis muss es für eine Staatsmeisterschaft der Mehrzahl aller ambitionierten Teilnehmer real möglich sein, mit dem zur Verfügung stehenden (in diesem Fall eh schon verdammt teuren) Gerät eine reale Chance auf den Titel zu bekommen. Dieser Umstand ist heute aus meiner Sicht im dezentralen Wettbewerb weitgehend nicht mehr gegeben beziehungsweise stark verzerrt. Diese Verzerrung über irgendwelche Regeln wieder gerade biegen zu wollen kann nur fehlschlagen, denn zu unvergleichbar sind die beiden Welten voneinander. Aus diesem einfachen Grund darf man aus meiner Sicht keinen Misch- Staatsmeistertitel, der über alle „Antriebsarten“ drüberfährt, vergeben. Das ist einfach unglaubwürdig, frustriert und schafft zusätzliche Anreize den Motorisierungsgrad weiter zu erhöhen. Zudem wird es für Vereine zunehmend unmöglich, „wettbewerbsfähiges Gerät“ zu stellen. Interessanterweise ist es noch nicht einmal auf allen geläufigen – ach so innovativen – Portalen einfach möglich mittels Filter zwischen Motorseglern und Segelflugzeugen zu differenzieren (in der sis.at geht das wenigstens mit einem einzigen Klick, so die Piloten richtig melden). Natürlich kann man der begründeten Meinung sein, dass jegliche dezentrale Wertung sowieso geringe Aussagekraft hat. Und um eine repräsentative Rückmeldung über die eigene Leistungsfähigkeit bekommen zu können, führe an zentralen Meisterschaften mit klaren Klassenabgrenzungen kein Weg vorbei. Nur wenn alle am selben Tag vom selben Ort mit vergleichbarem Gerät dieselbe Aufgabe gestellt bekommen, ließe sich eine echte Aussage über die segelfliegerische Leistungsfähigkeit des Piloten treffen. Dieser Auffassung kann ich nur sehr bedingt zustimmen, denn beim zentralen Wettbewerb schleppt man sehr viel mehr zusätzlichen Ballast mit sich herum als beim „richtigen Segelfliegen“. Denn taktieren, der Einsatz von Spionagetechnologie, der

höchstmögliche Abflug, Pulk fliegen, psychische Robustheit und der furchtlose Endanflug haben hier für die Erfolgsaussichten ein überdimensional großes Gewicht. Ich persönlich genieße keinen einzigen dieser Punkte und empfinde sie nur bedingt als echte segelfliegerische Qualifikationen. Sehr viele auch sehr sportliche und ehrgeizige Kameraden interessiert es schlicht nicht, sich fliegerisch in diesen Punkten zu verbessern und dem erheblichen substanziellen Zusatzrisiko, das zentralen Wettbewerben noch immer eigen ist, auszusetzen. Für sie ist Segelfliegen nun mal etwas, dass man allein und ohne ein großes Rudel macht, um es genießen zu können. Sie wollen ihre Entscheidungen selbst und unbeeinflusst durch andere treffen. Sie wollen ihre Aufgabe selbst wählen. Sie wollen ihre Thermik selbst und ohne Flarm-Radar und OGN finden, selbst zentrieren und allein auskurbeln, ohne dabei ständig mit sechs weiteren Piloten im gleichen Aufwind herumzurühren. Einige von ihnen stehen vom segelfliegerischen Können her absolut auf Augenhöhe mit Weltmeisterschafts-Teilnehmern

und haben sehr oft zudem bessere meteorologische, geografische, taktische und sportphysiologische Fähigkeiten, die ich mehr als die oben genannten den segelfliegerischen Qualifikationen zuschreibe. Aus diesem Grund sehe ich auch nur sehr bedingt eine sportliche Hierarchie zwischen zentralen und dezentralen Wertungsformen. Oder anders gesagt: Man kann auch zu Hause mit der Vereins-LS4 sehr ambitioniert und sportlich hochwertig fliegen. Daher ist es nicht mehr und nicht weniger lächerlich, die Wertungstabelle auf einer Deutschen Meisterschaft oder dem OLC auf die eigene momentane Position hin zu untersuchen. Wenn wir schon eine Wertungs-Tabelle veröffentlichen, dann sollten die zugrundeliegenden Regeln und Wertungsformeln keine wissentlichen, systematischen Verzerrungen beinhalten. Und für sehr viele von uns ist im dezentralen Wettbewerb ein Motorsegler, bei dem der Motor gerade nicht läuft, eben kein Segelflugzeug, sondern ein Motorsegler, bei dem der Motor gerade nicht läuft. t

WAS FLIEGE ICH DENN HEUTE? ARCUS, DUO DISCUS, DISCUS 2 ODER DOCH ASG 29?

Ein Entscheid, den du in Schänis an jedem fliegbaren Tag treffen musst. Auch an einem Hammertag ist bei 20 Pilotenplätzen immer ein Platz für dich in einem der neusten Segelflugzeuge mit up-to-date Avionik. Wenn du bisher im Flachland unterwegs warst, bilden dich unsere Fluglehrer zum Föhn- und Alpenpiloten weiter und Streckenfüchse zeigen dir gerne neue Fluggebiete. Clubmeisterschaften, gemeinsame Höhenflüge im Föhn oder im Teamflug in der Welle auf Strecke gehen, sind Flugerlebnisse die uns zusammenbringen und unsere freundschaftliche Atmosphäre prägen. Schänis bietet dir den idealen Einstieg in die Alpen. Wir schleppen jeden Tag von März bis Oktober. Im Winter fliegst du eines unserer Flugzeuge in Chile, Namibia oder Südafrika. Unter 26 profitierst du von unserer Juniorenförderung. Jetzt Mitglied in der SG Lägern auf dem Flugplatz Schänis werden: • •

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„DMSt reloaded“ geht ins zweite Jahr Vereinswertung jetzt mit einer ersten und zweiten Bundesliga sowie fünf Regionalligen Autor: Mathias Schunk

Punkteschema in der ersten und zweiten Bundesliga, je nachdem, wie viele Vereine in einer Runde eine gültige Wertung schaffen

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Teilnehmer 2. Bundesliga

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ur letzten Saison gab es neben dem Umzug auf das WeGlide-Portal auch diverse Anpassungen der DMSt-Regeln, wie z. B. einen Bonus auch für Zielrückkehrflüge, die Einführung einer Sprintwertung und damit verbunden eines DMSt-Sprintmeisters, sowie die neuartige DMSt-Vereinswertung in Form einer Ligawertung. In diesem Jahr gibt es bzgl. der Flugregeln keinerlei Veränderungen, allerdings haben die Piloten die Möglichkeit innerhalb der Saison für zwei verschiedene Vereine zu melden, der zweite Verein muss lediglich bis zum 30.03. in der Pilotenanmeldung benannt werden. Zur Bewertung der Flüge wird die neue DMSt Index Liste herangezogen: www.daec.de/fileadmin/user_upload/ files/2021/Sportarten/Segelflug/DMSt_ Indexliste_2022.pdf Die DMSt-Saison hat bereits begonnen, denn der Wertungszeitraum geht ab sofort nicht mehr nur über den Sommer, sondern beginnt jetzt immer bereits am 01.10., so dass auch die ganzen Wellenflüge im Winterhalbjahr in die DMSt-Wertung eingehen. Die größte Änderung betrifft die Vereinswertung bzw. die DMSt-Bundesliga. Die erste Runde wird am Wochenende 30.04./01.05. ausgeflogen, die Ligasaison endet am 21.08. Wie bereits im letzten Jahr angekündigt, war die letztjährige erste Saison gleichzeitig die Qualifikation für die erste und zweite Bundesliga 2022. Die ersten 25 der 2021er Saison fliegen dieses Jahr in der ersten Bundesliga, die Vereine auf den Plätzen 26-50 in der zweiten Bundesliga (siehe Tabelle links). Die restlichen Vereine fliegen je nach Zugehörigkeit in ihrer jeweiligen Regionalliga. Es gibt fünf Regionalligen: Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Mitte (Rheinland-Pfalz, Hessen,

Thüringen, Sachsen und Saarland) und Nord (Berlin, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern). Die letztplatzierten Fünf aus der ersten und zweiten Liga steigen am Saisonende jeweils ab, während die ersten Fünf der zweiten Liga in die erste Bundesliga für die 2023er-Saison aufsteigen. Die jeweils erstplatzierten der fünf Regionalligen steigen direkt in die zweite Bundesliga auf. Zusätzlich gibt es einen Relegationsplatz, der aus dem direkten Vergleich des Sechstletzten der 2. Liga und dem besten Zweitplatzierten der Regional-Liga ermittelt wird. Das Punkteschema für die Rundenwertungen bleibt ebenfalls unverändert, es bleibt bei der Kombination einer Geschwindigkeits- und Streckenwertung, wobei bei der Streckenwertung, wie bisher 10 % der DMSt-Punktzahl eingehen. Neu hingegen ist, dass in der ersten und zweiten Liga die Rohpunkte über die Saison nicht mehr einfach

aufaddiert werden, sondern dass es Rundenpunkte nach einer Formel-1Wertung gibt. Jeder Verein mit einer gültigen Wertung erhält mindestens einen Punkt. Der erste bekommt drei Wertungspunkte mehr als der zweite, maximal jedoch 20 Wertungspunkte. Die Plätze 2 bis 4 bekommen jeweils zwei Wertungspunkte mehr als der Verein hinter ihnen und die Plätze 5 bis 14 bekommen jeweils einen Wertungspunkt mehr als der Verein hinter ihnen. Dies führt zu einer Gewichtung der vorderen Plätze; wenn es aber bei schlechtem Wetter nur wenige Vereine gibt, die eine Wertung schaffen, gibt es dementsprechend nicht die volle Punktzahl (siehe Beispiele links, wobei in der Titelzeile jeweils die Anzahl der teilnehmenden Teams in der jeweiligen Runde entspricht). Die Wertungspunkte der DMSt-RundenWertungen der Regional-Liga ergeben sich direkt aus den Punkte-Ergebnissen der Runden, analog zu der ersten LigaSaison 2021.

Die detaillierten DMSt-Regeln findet man unter: www.daec.de/fileadmin/user_upload/files/2021/Sportarten/Segelflug/DMStWO_2022_final_011021_.pdf

Todesfalle Auto !

17° 16° 15° 14° 13°

Hitze im parkierten Auto ist für Tiere lebensgefährlich! Bereits bei 15 Grad Aussentemperatur kann der Innenraum sich bei Sonnen bestrahlung bis über 50 Grad aufheizen. Auch geöffnete Fensterspalten können ein Fahrzeug nicht genügend kühlen. Innerhalb von wenigen Minuten kann ein Hund in einem überhitzten Fahrzeug einen tödlichen Hitzschlag erleiden. Helfen Sie mit, platzieren Sie Tierschutz-Poster! Kostenlos zu bestellen über www.susyutzinger.ch/Shop www.susyutzinger.ch Spendenkonto: PC 84 - 666 666 - 9

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Te Araroa

Neuseeland von Süd nach Nord Tausende Weitwanderer haben bereits die gesamte Länge Neuseelands auf dem Te Araroa Trail von Cape Reinga nach Bluff zu Fuß zurückgelegt. Segelflieger-Ass Terry Delore aus Christchurch wollte nun als erster die Strecke in umgekehrter Richtung im Segelflugzeug bewältigen... Autor: Sabrina Scheels

Bilder: Abbey Delore, Georgia Schofield

Oben: Flugroute vom 20.12.2021 – Omarama – Bluff - Drury Rechts: Flugroute vom 11.01.2022 – Drury – Cape Reinga – Drury

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Startvorbereitung im Mondlicht und dann Start hinein in den Sonnenaufgang über Omarama

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er mehrfache Weltrekordhalter Terry Delore erzielte bereits in seiner Jugend als Drachenflieger große Erfolge. 1983 gab Terry dann diese Branche des Luftsports auf und wechselte in die Segelfliegerei zurück, wo er schon nach kurzer Zeit an Weltmeisterschaften teilnahm. In den vergangenen Jahrzehnten hat er sich voll und ganz auf die Jagd nach internationalen Rekorden konzentriert. Am 13.12.2009 legte der Neuseeländer über seinem Heimatland 2500 km im Segelflug zurück – ein Weltrekord, der jedoch noch am selben Tag von Klaus Ohlmann in Argentinien gebrochen wurde.

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Bei seiner neuen Herausforderung, dem 1600-km-Flug von Bluff nach Cape Reinga, wird er von seiner Tochter Abbey unterstützt, die selbst seit ihrem 16. Lebensjahr fliegt. Als Copilotin übernimmt sie die Navigation und Kommunikation mit den Controllern. Das für ihr Abenteuer ausgewählte Flugzeug, ZK-GZF, ist eine selbststartfähige ASH25Mi, mit der Steve Fossett und Terry Delore bereits gemeinsam auf Rekordjagd gegangen sind. Als Startplatz ist Omarama logistisch am Besten geeignet, auch wenn das die Flugdistanz um ca. 270 km erhöht. Von Bluff aus, dem südlichsten Ort Neuseelands, soll es dann soweit wie möglich Richtung Norden gehen. Ebenso wie die Weitwanderer werden auch Terry und Abbey die beeindruckenden diversen Landschaften Neuseelands während ihres Fluges bestaunen können. Auf der wilden Südinsel stehen die rotbraunen Berge und die Hochlandschaft mit ihren blauen Seen im direkten Kontrast zu den in Schnee und Gletscher gehüllten Giganten aus Granit auf der einen Seite und den grünen, flachen Feldern in Küstennähe. Auf der grünen Nordinsel überfliegen sie deutlich höher besiedelte Gebiete und Großstädte, sowie weite Waldzüge und Ackerland. Sogar Vulkane und Sandstrände liegen auf ihrer Flugroute.

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Um den Flug überhaupt möglich zu machen, muss sich über der gesamten Südinsel im Lee des Alpenhauptkamms ein verlässliches Wellensystem ausbilden. Dazu ist ein starker Wind aus Nordwesten erforderlich. Während die laminare Strömung nicht durch Thermik gestört werden soll, darf die Luftmasse auf der Nordinsel hingegen nicht zu feucht sein. Passende Voraussetzungen treten deswegen nur alle paar Jahre auf und oft muss man es einfach „auf gut Glück“ versuchen, erzählt Abbey. „Wir beobachten das Wetter bereits 14 Tage im Voraus. 24 Stunden vor Abflug gibt es dann kein Zurück mehr“, berichtet Abbey. Der Wetterbericht für den 20.12.2021 ist vielversprechend, um nach zehn Jahren Vorbereitung den vierten Anlauf zu wagen. Durch die vorangegangenen Versuche wissen sie bereits, was sie für den Flug vorbereiten müssen: Kleidung, Überführung des Flugzeuges nach Omarama und die Controller über ihr Vorhaben informieren. Am 20. Dezember 2021 um 05.18 Uhr steigt die ASH mit dem Vater-Tochter-Duo an Bord dem Sonnenaufgang entgegen. Über 100 kt Wind in Flughöhe und brechende Wellen sorgen für schwierige Bedingungen auf dem Weg nach Süden. Auf halber Strecke über Waikaia treffen die beiden endlich auf gutes laminares Steigen, wodurch sie die erforderliche Höhe zum Umrunden des ersten Wendepunkts gewinnen. Drei Stunden nach ZFs Abflug erreichen Terry und Abbey um 08:27 Uhr Bluff. Anders als erwartet befindet sich das beste Steigen weiter östlich. Dem North-West Arch folgend arbeiten sich die beiden nach Norden vor. Dabei erreichen sie in einer Flughöhe von FL 220 durchschnittlich 250 km/h. Draußen sind es -30 °C. Die Piloten sind eingepackt wie für eine Expedition zum Südpol. Doch die Kälte macht den Batterien zu schaffen, weswegen sie den Flug in geringerer Höhe fortsetzen müssen. Um Strom zu sparen, bleiben zusätzlich die meisten elektrischen Verbraucher für den restlichen Flug ausgeschaltet.

1 Terry und Abbey Delore 2 Endlich in Bluff 3 So weit das Auge

reicht erstreckt sich die North-West-Arch über die Südinsel 4 Abbey und Terry lassen die Südinsel hinter sich, vor ihnen liegt unter der Wolkendecke die Nordinsel 5 Ankunft in der Welle über der Nordinsel 6 Im Gleitflug über Vulkanlandschaft nach Taupo vorbei an Mt Ruhapehu

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7 7 Gutes Segelflugwetter

auf der Flugroute von Auckland City nach Norden 8 Am sagenumwobenen Kap mit dem berühmten Leuchtturm (unterhalb der Flügelspitze) trifft die Tasmansee auf den Pazifik

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Die Überquerung der Cook Strait, einer 22 km breiten Wasserpassage zwischen Süd- und Nordinsel beginnt die ASH um 13:00 Uhr in FL240, nachdem sie die Marlborough Sounds erreicht hatte. Auf der anderen Seite werden sie nahe Masterton mit Aufwinden begrüßt, die laut Abbey der „absolute Knaller“ sind. Das Steigen im Lee der Tararuas und der Ruahine Range erlaubt es dem Team, weiter nach Norden vorzudringen. Sie lassen Taupo um 16:00 Uhr hinter sich und gleiten nach Tokoroa, wo sie kurz vor 17:00 Uhr die erste Thermik des Tages zentrieren. Diese ist das Sprungbrett zur Kaimai Range, der ZF im Hangaufwind in 3000 ft folgt. Die überschüssige Höhe reicht für den Endanflug nach Drury, einem Segelflugplatz am südlichen Stadtrand von Auckland. Nach 13,5 Stunden Flugzeit haben Terry und Abbey dort endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Nach einem gescheiterten Versuch am darauffolgenden Tag bleibt ZF über Weihnachten in Auckland. Vater und Tochter kehren im neuen Jahr zurück, um am 11.01.22 endlich ihre Mission zu beenden.

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Nach dem Start um 11:40 Uhr von Drury müssen sie für ihren letzten Flugabschnitt zunächst zur anderen Seite der Großstadt gelangen. Eine Mischung aus Thermik und Konvergenz erlaubt es ihnen, Auckland City in 4500 ft unter andauernder Verbindung mit Air Traffic Control ohne Motorkraft zu überfliegen. Nach stressigen 30 Minuten können sie die Großstadt endlich hinter sich lassen und der Konvergenz entlang des engen Landstreifens zum finalen Wendepunkt folgen. Sie umrunden den berühmten Leuchtturm auf Cape Reinga um 16:00 Uhr. Die intensive Recherche zu diesem Flugabschnitt hat sich gelohnt. Nun ist auch Auckland und Northland für die beiden kein fliegerisches Neuland mehr. Nach ihrem insgesamt 760 km langen Flug sind Abbey und Terry um 19:10 Uhr wieder zurück in Drury. Cape Reinga im Segelflug zu erreichen „erforderte jedes Gramm meines Wissens, meiner Fähigkeiten und Erfahrung“, gesteht Terry. Da die Rückholung mit dem Anhänger für den Top-Piloten absolut keine Option ist, steigen Vater und Tochter am nächs-

ten Tag erneut ins Cockpit. In einer Mischung aus Thermik und Hangaufwind erreicht ZF die Südinsel und landet am Flugplatz Omaka (Blenheim). Von dort aus ist es am 14.01. verhältnismäßig nur noch ein Katzensprung nach Springfield, ihrem Heimatflugplatz nahe Christchurch. Über die vielseitige Unterstützung während ihres Abenteuers ist das Duo sehr dankbar. Auf ihrer Facebook-Seite „Delore Soaring“ hatten Freunde beispielsweise örtliche Wetterbilder aus

ganz Neuseeland hochgeladen. Auch bezüglich einer Übernachtungsmöglichkeit konnten sich die beiden ganz auf die Segelfluggemeinschaft verlassen. Sogar international hatten die Delores viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Insgesamt 244 Personen fieberten auf Flight Radar mit, was ZF am 20.12. zum meist verfolgten Flugzeug weltweit machte. Konkrete Pläne für weitere Abenteuer haben Abbey und Terry derzeit noch keine. In Zukunft möchten sie aber mehr auf der Nordinsel segelfliegen. t

FLUGDATEN Strecke Oma-Bluff-Drury Drury-Cape R.-Drury Drury-Omaka Distanz ca. 1600 km 435 km 509 km Flugzeit 13 h 51 min 7 h 30 min 5 h 49 min ∅ Geschw. ca. 115 km/h 99 km/h 105 km/h Links: Strecke 1: Strecke 2: Strecke 3:

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Die THERMIK SICHTBAR gemacht Neue Einsichten in die Struktur der Aufwinde

In den letzten 20 Jahren gelang es in der Meteorologie, durch neue Messtechniken eine Reihe neuer Erkenntnisse zu gewinnen. Leider ist festzustellen, dass der Wissenstransfer aus der Forschung in die Breite des Segelflugs nicht so richtig passiert ist. So entstand die Idee, Neues zur Thermik aus Forschungsarbeiten herauszuarbeiten und in loser Folge im magazin segelfliegen darzustellen. Die Artikelserie behandelt die Vorgänge in der sogenannten konvektiven Grenzschicht, in der sich das motorlose Fliegen meistens abspielt. Autoren: Christoph Kottmeier und Detlef Müller, Bild: Jan Georgi

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Fliegen im gleichen Aufwind beim Wettbewerb Wetzlarer Woche

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hermikauslösung in der bodennahen Schicht – wird dabei die Rechnung ohne den Wind gemacht? Die Ursache für Thermik, also ausfliegbare Aufwinde, liegt bekanntlich im Auftrieb, den „Luftpakete“ erfahren. Wichtig ist dabei – nach dem Archimedischen Prinzip –, dass sie eine geringere Dichte als die seitlich umgebende Luft haben. Neben Temperaturunterschieden sind auch Wasserdampf-Unterschiede mit Dichteunterschieden verbunden. Am Boden ist es an Strahlungstagen in

der Regel eine höhere Temperatur, die die Dichteunterschiede verursacht. Mit der Höhe nimmt – aufgrund des abnehmenden Luftdrucks – grundsätzlich die Dichte ab. Nur bei einer sehr starken Temperaturabnahme mit der Höhe von mehr als 3,4  Grad  Celsius/100  m befindet sich leichtere Luft unter schwererer. Dass dieses gelegentlich auftreten kann, ist an Luftspiegelungen, etwa über überhitzten Asphaltflächen, zu beobachten. Bei dieser sehr instabilen Schichtung genügen sehr kleine Störungen, um einen Austausch der leichteren bodennahen Luft mit der

schwereren darüber auszulösen. Das können, wie manchmal berichtet wird, bewegende Fahrzeuge oder auch ein Windenstart selbst sein. Auch rein thermische Auslösung ist möglich, wenn in Bodennähe eine trockenlabile Schichtung vorliegt, d. h. die Umgebungstemperatur um 1 Grad Celsius/100 m oder mehr mit der Höhe abnimmt. Ein stärker erwärmtes Luftpaket, das durch seinen Auftrieb etwas angehoben wurde, erfährt durch seine trockenadiabatische Abkühlung zunächst weiteren Auftrieb. Leichtere Luft neben schwererer entsteht vor allem durch eine

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räumlich unterschiedliche Erwärmung des Bodens, und damit der bodennahen Luft Da die Luft von der Erdoberfläche – mit Unterschieden in Bewuchs, Bodenfeuchtigkeit, mit Wasserflächen und Bebauung – sehr unterschiedlich mit Wärme und Wasser versorgt wird, werden sich kleinräumig auch im Flachland immer unterschiedlich warme und feuchte Luftmassen nebeneinander entwickeln. Die leichteren werden nach oben beschleunigt, solange sie nicht in eine Umgebung mit Luft gleicher Dichte vorstoßen. Ab dann trägt sie ihr Schwung noch etwas höher, aber bei stabiler Schichtung – spätestens an Inversionen – werden sie aktiv gebremst. Durch Feuchtezufuhr vom Boden oder Wasserflächen in die Luft durch Verdunstung wird Strahlungsenergie umgewandelt und weggeführt, die Erwärmung der Erdoberfläche und der bodennahen Luft fällt geringer aus. Dies dämpft die Thermikauslösung über feuchten Flächen. Der Auftriebsbeitrag des höheren Wasserdampfgehalts kann das nicht verhindern. Die Bedeutung dieser Aussage wird klar, wenn man die Dichteänderung durch Erwärmung bzw. Feuchtezufuhr grob vergleicht: Bei Normaldruck am Boden (1013 hPa) entspricht die Dichteabnahme bei einer Erhöhung der relativen Feuchte um 40 % der bei einer Temperaturerhöhung um 1 Grad Celsius. Messungen an meteorologischen Masten über Landflächen zeigen, dass horizontale Lufttemperaturunterschiede am Boden von mehr als einem Grad Celsius eher angetroffen werden als Feuchteunterschiede von mehr als 40 %. Für die Aufwindbildung am Boden ist in der Regel die Temperatur also der entscheidende Faktor. Eine Hebung kann auch durch Hindernisüberströmung oder durch Konvergenz des horizontalen Windes verursacht werden. Da die aufsteigenden Luftpakete aus der überhitzten bodennahen Luftschicht („überadiabatischen Schicht“) stammen, haben sie im Falle

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1 Vertikalgeschwindigkeiten, gemessen mit einem dritten Lidar am Standort 0 (Bild 2). Auf Basis der bekannten horizontalen Windgeschwindigkeit wurde aus der zeitlichen Abfolge zwischen 08:16 Uhr bis 08:41 Uhr GMT die räumliche Verteilung bestimmt. Messungen oberhalb von 1,3 km sind durch zu geringes Rückstreusignal nicht auswertbar

der trockenlabilen Schichtung zunächst gute Chancen aufzusteigen. Gleichzeitig muss benachbart kältere/trockenere Luft absinken, da die Gesamtmasse erhalten bleibt. Die aufsteigenden und absinkenden „Luftpakete“ können als Bestandteile von Wirbeln verstanden werden. Diese Wirbel sind räumlich und zeitlich nicht konstant, sondern überlagert und ständigem Zerfall unterworfen, was auch als Turbulenz bezeichnet wird. Insgesamt entwickelt sich auf diese Weise bodennah ein buntes Turbulenztreiben mit vielen kleinen Wirbeln verschiedener Größe. Diese Wirbel werden in ihrer Größe vor allem auch durch die nahe Erdoberfläche begrenzt, mit Wirbeldurchmessern nicht größer als der Abstand zum Boden. Da die kleinen Wirbel besonders durch Einmischung von Umgebungsluft in ihrem Randbereich beeinflusst werden, können viele nicht „überleben“. Jeder Thermikflieger weiß, dass ausfliegbare Aufwinde eine gewisse Mindestgröße von einigen hundert Metern

Durchmesser besitzen müssen. Für die thermische Auslösung von Aufwinden ist deshalb am Boden ein Nebeneinander von größeren Flächen, die sich homogen aufheizen oder abkühlen – also z. B. Wasserflächen, trockene Äcker oder Wälder – förderlich. Außer dieser Heterogenität der Erdoberfläche ist auch das Zusammenwachsen kleinerer Aufwinde zu wenigen größeren ein entscheidender Prozess, der auch noch Gegenstand aktueller Forschung ist. Jetzt wollen wir aber auf die abseits der Forschung weniger bekannten besonderen Windstrukturen in Bodennähe eingehen, also auf „geordnete Turbulenzstrukturen“, die bei mäßigem und stärkerem Wind ähnlich wichtig wie die Dichteunterschiede für die Thermikauslösung sein können. Kohärente Strukturen im Windfeld, mit Lidar sichtbar gemacht Mit Messungen eines Windlidars senkrecht nach oben an einem festen Ort lassen sich zeitgleich in allen Höhen die

2 Beispiel für Streifenstrukturen im bodennahen Wind, bestimmt aus zwei Windlidargeräten mit überlappendem Messgebiet. Dargestellt sind Windvektoren (als Abweichung vom mittleren Wind, Referenzpfeil rechts unten) in ca. 20 m Höhe am 08. April 2013 in einem etwa 4,5 x 4,5 km2 großen Gebiet bei Jülich. Die Farben geben die Geschwindigkeitsabweichungen, die Pfeile ihren Betrag und Richtung an

Vertikalwinde messen. Die Daten (als Beispiel Bild 1) machen die Auf- und Abwinde sichtbar, die mit dem Wind über den Messort geführt werden. Sie reichen bei diesen Messungen am Vormittag bis ca. 1200 m Höhe, in schwacher Form bis über 1500 m Höhe. Die Aufwinde erreichen bis zu +1,5 m/s und Abwinde bis zu -1,5 m/s. Ihre Form ist sehr variabel und unterschiedlich. Ebenfalls durch Windlidarmessungen, aber auch numerische Strömungssimulationen wurden in den letzten Jahrzehnten neue Einsichten in „kohärente“ Turbulenz-Strukturen im bodennahen Wind gewonnen. Man nennt sie kohärent, wenn sich die Luft nicht nur ganz zufällig turbulent bewegt, sondern in einer gewissen Ordnung und mit wiederkehrenden ähnlichen Mustern der drei Windkomponenten (Vertikalwind und die zwei horizontalen Komponenten in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung). In der Vergangenheit wurden mit mehreren Messmasten bereits solche kohärenten Windstrukturen festgestellt. Instrumentierte Masten liefern aller-

dings immer nur Daten an einem Ort, allenfalls noch Unterschiede in der aktuellen Richtung des Windes, da die Luft ja „vorbeischwimmt“. Frühere Messungen zeigten bereits, dass das Lösen der Aufwinde aus der überadiabatischen Schicht häufig in sogenannten „Auswürfen“ (englisch „ejections“) erfolgt: in einer besonderen Wirbelstruktur mit Haarnadel- oder Hufeisen-ähnlichen Wirbeln („hairpin“ oder „horse-shoe“), mit einem Kopfbereich, der mit dem Wind nach vorn geneigt ist. Stromauf davon wird in einem Mitnahme- oder Wischeffekt („sweeps“) Luft von oberhalb in Bodennähe geführt. Jüngere umfangreiche Messungen konnten auch alternierende Streifen (englisch „streaks“) höherer und geringerer Windgeschwindigkeit belegen. Träumner und Damian führten mit drei Windlidargeräten Messungen zu Streifenstrukturen in der Nähe von Jülich durch. Hierbei deckten die Lidarstrahlen in den untersten 20  m ein gemeinsames Überlappungsgebiet ab. Aus den Daten konnten beide horizon-

tale Komponenten des Windes mit einem Messpunktabstand von 80  m kontinuierlich über 12 komplette Tage im April 2013 aufgenommen werden. Deutlich erkennbar sind die abwechselnden Streifen höherer und geringer Windgeschwindigkeit (Bild 2). Aneinandergrenzende Windstreifen dieser Art sind in Verbindung mit rollenähnlichen Zirkulationen zu erklären, wobei die Rollen in Windrichtung ausgerichtet und die Zirkulationen quer zum Wind. Durch die – allerdings schwachen – Abwinde wird Luft höherer Geschwindigkeit in Bodennähe geführt und führt dort zu einem Streifen mit vergrößerter Windgeschwindigkeit. Die Streifen geringerer Geschwindigkeit liegen dagegen im Bereich der Aufwinde der Rollen. In solchen Situationen würden dann die größeren Konvektionsrollen der thermisch durchmischten Schicht oberhalb – die bei Cumulusbewölkung als Wolkenstraßen sichtbar werden – bereits in der bodennahen Schicht angestoßen. Die Streifen mit geringerer Windgeschwin-

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l Bei

3 Konzeptionelles Bild zu den im Artikel dargestellten kohärenten Strukturen im bodennahen Windfeld, Entwurf aus einer Reihe von Publikationen zu Hufeisen- und Haarnadelwirbeln, „ejections“ und „sweeps“ sowie den in Windrichtung nebeneinander liegenden Streifen („streaks“) im Horizontalwind

digkeit stehen offensichtlich in Verbindung mit den genannten Hufeisenwirbeln, von denen die stärksten direkt mit dem Ablösen eines Aufwindes („ejections“) aus der überhitzten Schicht verbunden sind (Bild 3). Ein plausibles, vereinfachtes Bild all dieser Windstrukturen ist in Bild 3 skizziert. Es verdeutlicht, wie die mit Lidar beobachteten Streifenstruktur im Wind durch die schwache Rollenstruktur erklärt werden kann und wie sich in dem Streifen geringerer Geschwindigkeit hufeisenförmige Wirbel aufbauen, die zu den Ablösungen („ejections“ bzw. „bursts“) der Aufwinde führen. Die Häufigkeit der Streifen im Windfeld wurde mit Hilfe der Lidar-Daten ausgezählt (Bild 4). Demnach treten sie auch nachts bei stabiler und bei indifferenter Schicht auf, sind aber bei labiler Schichtung in der bodennahen Luftschicht am häufigsten. Das deutet darauf hin, dass sie dynamisch durch den Wind, seine Reibung an der Erdoberfläche und Scherung – also über eine dynamische Instabilität – verursacht werden. Wenn vorhanden, beeinflussen sie dann ihrer-

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seits die Aufwindauslösung. Durch die in Windrichtung langgezogene Struktur wird dann viel Luft aus dem Nachlauf und der Umgebung einbezogen, was die Thermikauslösung verstärken oder abschwächen kann. Obwohl die Bewegungsvorgänge in den untersten 20  m äußerst komplex und keineswegs ganz verstanden sind, können dennoch auch praktische Aussagen für das thermische Segelfliegen abgeleitet werden:

schwachem Wind sind die bekannten Erwärmungsunterschiede am Boden und die Kontraste unterschiedlicher warmer Flächen ent scheidend. Störungen von „außen“ können die Auslösung beeinflussen. l Im Flachland bilden sich unter Windeinfluss oft bodennah die genannten kohärenten Strukturen aus und beeinflussen auch Ort und Zeitpunkt der Auslösung der Thermik. Hierbei werden die lokalen Erwärmungsunterschiede überdeckt. In Windrichtung orientierte Windleitbahnen und wärmere Flächen dürften die Lage der Strukturen beeinflussen. l Die bekannten Strömungshindernisse wie Waldkanten, Siedlungen und Hügel bleiben für beide Arten von Thermikauslösung wichtig. Mit den neuen bodennahen Lidardaten lässt sich aber noch nicht die Frage beantworten, wie genau sich die größeren Aufwinde oberhalb der bodennahen überadiabatischen Schicht entwickeln. Die beschriebenen Thermikauslösungen in den untersten 20 bis 30 m sind häufig zu schwach, dass weitere Vorgänge benötigt werden, um ihr Zusammenwachsen mit der Höhe zu starken nutzbaren Aufwinden zu erklären. Auf diese Frage wird in einem folgenden Artikel eingegangen. t

4 Mittlerer Tagesgang der Häufigkeit beobachteter (graue Balken) und fehlender (schwarze Balken) kohärenter Strukturen. Daten vom 04 April bis 23. Mai 2013

Hintergrund der Wind-Lidarmessung Autor: Christoph Kottmeier

1 Schema der Windmessung mit Lidar.

Das Lidar sendet einen Laserpuls der Länge Dp aus, welcher an Aerosolen entlang des Strahls teilweise zurückgestreut wird. Die zeitabhängige Analyse der Frequenzverschiebung zwischen aus- und eingehendem Signal liefert eine räumliche aufgelöste Windmessung entlang des Strahls (nur Windkomponente in Strahlrichtung)

D

ie Messung des Winds mittels Wind-Lidar beruht auf Fortschritten in der Entwicklung von LASER-Geräten und Detektoren. Beim Wind-Lidar (LIDAR = Light Detection And Ranging) werden von einem Festkörper-Laser winzige intensive „Lichtblitze“, sogenannte Pulse, erzeugt. Die für diesen Artikel verwendeten Lidare haben Wellenlängen von 1,5 oder 2 Mikrometern und sind somit etwas langwelliger als sichtbares Licht und für das menschliche Auge ungefährlich. Diese Pulse elektromagnetischer Strahlung haben eine Dauer von ca. 300 Nanosekunden, was bei ihrer Ausbreitung mit Lichtgeschwindigkeit einer Länge von ca. 80 m entspricht. Der gepulste Lichtstrahl ist stark fokussiert und wird über ein schwenkbares Spiegelsystem (Scanner), auf ca. 15 cm Strahlbreite aufgeweitet. Im Unterschied zum „normalen“ Licht

einer Taschenlampe vergrößert sich die Breite des Laserstrahls mit steigender Entfernung nur sehr wenig. In die Atmosphäre ausgestrahlt trifft die Laserstrahlung auf unsichtbare Schwebteilchen (Aerosole) in der Luft (Bild 1). An diesen Aerosolen wird das Laserlicht in alle Richtungen gestreut, ein kleiner Teil auch zurück zum Sender. Dieses schwache zurückgestreute Licht wird über den Spiegel wieder zurück ins Gerät geführt, dort detektiert und hinsichtlich der Amplitude und Frequenz analysiert. Von den inzwischen sehr vielen unterschiedlichen Größen, die mit Lidar gemessen werden, interessiert bei Doppler-Lidaren die Windmessung. Sie erfolgt wie bei der Geschwindigkeitskontrolle mit Radar: Die Bewegung des Aerosols in Richtung des Lidars oder von dem Gerät weg bewirkt eine sehr kleine Frequenzverschiebung zwischen

ausgesendeter und rückgestreuter Strahlung. Eine Auswertung dieser sehr kleinen Frequenzverschiebung erlaubt somit eine Messung der Windgeschwindigkeit, da das Aerosol mit dem Wind transportiert wird. Das Streulicht kommt selbst aus 10 km Entfernung innerhalb von 66 Mikrosekunden zurück. Der Ort der Streuung (Abstand vom Lidar) ist durch die gemessene Laufzeit des Lichts über die Lichtgeschwindigkeit berechenbar. Durch eine zeitliche Abtastung des Messsignals erhält man somit eine räumlich aufgelöste Windmessung entlang des Lidarstrahls. Typischerweise werden Messwerte für ca. 80 m lange und 15 cm breite Luftzylinder längs des Strahls bis zur maximalen Reichweite von ca. 10 km aufgenommen. Da immer nur die Bewegungskomponente des Windes (der Aerosole) in Richtung des Lidar-

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2

3

2 Ein vertikal abstrahlendes Lidar zur Messung des Vertikalwindes (der Auf- und Abwinde) in verschiedenen Höhen. Es wird jeweils der im Beispiel gezeigte blaue bzw. rote Anteil an Auf-/Aufwind des Windvektors gemessen. 3 Ein Lidar schwenkt den Strahl auf

einem Kreiskegel und misst dabei in verschiedenen Blickrichtungen die Komponente des Horizontalwindes in Strahlrichtung (gestrichelte Abschnitte). Bei schnellem Scan und konstantem Wind ergibt sich daraus der horizontale Windvektor in verschiedenen Höhen

strahls gemessen werden kann, ist es mit nur einem Lidargerät nicht möglich, den ganzen Windvektor mit seinen drei Komponenten zu messen. Es handelt sich also bei einem Lidargerät um eine eindimensionale Messung entlang einer vorgegebenen Raumrichtung, im Gegensatz zu einer nulldimensionalen (Punkt-)Messung mit einem klassischen Anemometer. Zur Ausrichtung des Laserstrahls in der Atmosphäre sind Lidarsysteme üblicherweise mit einem Scanner, einem System von Umlenkspiegeln, ausgestattet. Der Scanner lässt sich horizontal und vertikal schwenken, so dass in etwa 10 Minuten der ganze Halbraum über dem Gerät abgescannt werden kann. Innerhalb der ersten 100 bis 400 m (je nach Gerätetyp) können keine Winddaten gewonnen werden. Die erreichbaren Entfernungen für verwertbare Messungen liegen horizontal bei einigen bis zu 10 km, vertikal nur 1 bis 3 km, da

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oft die Aerosole als Rückstreuer oberhalb davon fehlen. Wolken dämpfen die Strahlung bereits innerhalb von 100 m bis 200 m Eindringtiefe und verhindern tiefergehende Messungen im Inneren und „hinter“ Wolken. Messgeometrien Am Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK-TRO) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) wurden in den letzten Jahren vielseitige Kombinationen von Lidargeräten mit aufwändiger synchroner Steuerung der Scannerbewegungen, Zusammenführung der Daten und Berechnungen des Windes realisiert. Damit können sehr unterschiedliche Fragestellungen der Grenzschichtmeteorologie untersucht werden, für die vorher keine Messmöglichkeit bestand, z. B. Hindernisüberströmungen, Berg-Talwind-Zirkulationen, Böenuntersuchungen bei Starkwind, Wind in Stadtgebieten und

andere. Für die Untersuchung der Konvektion (Thermik) sind die im folgenden vorgestellten Scanmuster besonders wichtig. Vertikalprofil der Auf- und Abwinde an einem Ort Hierbei werden die Pulse senkrecht nach oben abgestrahlt, somit liefert das zurückgestreute Signal eine Messung des Vertikalwindes (Auf- und Abwinde) direkt über dem Lidar. Typischerweise kann der Vertikalwind mit einer räumlichen Auflösung von 80 m entlang des Strahls und einer zeitlichen Auflösung von 0,1 s bis einigen Sekunden gemessen werden. Durch Wiederholung der Messungen in kurzen Abständen wird die Vertikalstruktur der Thermik so erfasst, wie sie mit dem mittleren Wind über das Gerät getragen wird (Bild 2). Eine Modifikation davon ist die Messung mit einem Lidar aus einem Flugzeug senkrecht nach unten. Hierbei

4 4 Zwei Lidare messen mit horizontaler Abstrahlrichtung die beiden strahlenparallelen Windkomponenten (dicke rote und blaue Abschnitte im Beispiel) in einem horizontalen räumlichen Überlappungsgebiet. Aus den Messwerten lässt sich der Horizontalwind an den Schnittpunkten berechnen

werden in Flugrichtung aufeinanderfolgende Vertikalprofile gemessen. Vertikales Profil des Horizontalwindes an einem Ort Durch Schwenken des Strahls auf einem Kreiskegel-Mantel lässt sich aus allen Messpunkten in der gleichen Höhenschicht der horizontale Wind berechnen, und dann aus allen Höhenschichten ein Vertikalprofil des horizontalen Winds. Dieses Scanmuster benötigt einige Minuten, da für die Auswertung ein horizontal gleichmäßiges Windfeld ohne Turbulenz angenommen werden muss, was nur bei langen Mittelungsdauern ausreichend erfüllt ist (Bild 3). Räumlich aufgelöster Horizontalwind auf einer Fläche Durch zwei Lidargeräte in einem Abstand von einigen Kilometern können in einem Überlappungsbiet

zwei Komponenten des jeweiligen Windvektors aus zwei Richtungen gleichzeitig gemessen werden. Daraus können die Komponenten in Ost-Westsowie Nord-Süd-Richtung berechnet werden. Hierbei schauen die synchronisierten Lidare im Idealfall horizontal und können bis zu ca. 50 km2 abdecken (Bild 4).

Vertikale Profile des Horizontal- und Vertikalwindes an beliebigen Orten (virtuelle Masten) Zwei oder mehr Lidare an verschiedenen Orten können so betrieben werden, dass sich die Laserstrahle an vorgegebenen Orten und Höhen in einem Überlappungsgebiet kreuzen. Durch mathematische Berechnungen

können dann alle drei Komponenten des Windes an diesem Ort berechnet werden. Dann ist durch Kombination aller drei Messungen der Wind in allen drei Komponenten an diesem Ort bekannt. Schwenken die Scanner in einem gemeinsamen Schnittpunkt herauf und herunter, so liegen für diesen Ort vollständige Windvektoren für alle anvisierten Punkte vor (Bild 5). Über diese Grundmuster hinaus wurden viele weitere Scanmuster entwickelt und erprobt. Von Interesse sind nicht nur Messungen am Boden, Lidarmessungen mit ähnlichen Scanmustern können auch vom Flugzeug aus durchgeführt werden. Beispiele dafür werden in einem späteren Artikel gegeben. Die Entwicklung der Ansteuerungs- und Auswerte-Software, die Auswertung mit Fehleranalysen sowie die Messungen sind sehr anspruchsvoll und konnten in der Vergangenheit nur in Forschungsprojekten der Meteorologie durchgeführt werden. Inzwischen gibt es besonders für die Messungen des vertikalen Profils des Horizontalwinds an einem Ort zahlreiche einfach zu betreibende Systeme, da diese Messungen z. B. für Fragestellungen in der Windenergie von großer Bedeutung sind. Zusammengefasst Mit einem vertikal-blickenden Lidar kann die mittlere Vertikalbewegung über dem Lidar in 80 m Höhenintervallen im Abstand einiger Sekunden gemessen werden. Zahlreiche andere Verfahren erlauben auch die Messung des horizontalen Windes, wobei jeweils Einschränkungen bezüglich der räumlichen Abdeckung und zeitlichen Wiederholrate der Messung existieren. Gegenüber konventionellen Windmessungen mit Anemometern ist der Informationsgewinnen trotz dieser Beschränkungen jedoch sehr groß, da sowohl vertikal als auch horizontal aufgelöste Messungen erhalten werden. t

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5 5 Virtuelle Masten. Zwei Lidare messen am Ort und in der Höhe der Schnittpunkte

ihrer auf- und abwärts schwenkenden Strahlen die beiden strahlenparallelen Windkomponenten (rot und blau gepunktet im Beispiel). Bei flachem Strahl oder ohne Vertikalwind errechnet sich daraus der Horizontalwind. Eine Erweiterung auf drei Lidare ermöglicht die Messung aller drei Komponenten

Unsere Autoren

Vor 40 Jahren haben wir, Detlef Müller und Christoph Kottmeier, das Büchlein „Thermik von A-Z – Meteorologische Grundlagen des Streckensegelflugs“ verfasst (Müller und Kottmeier, 1985), das zu unserer Freude immer noch gelesen und zitiert wird. Jetzt sind wir als Ruheständler nach dem Berufsleben in einem deutschen Großkonzern (D. Müller) und als Professor für Meteorologie am Karlsruher Institut für Technologie KIT (Ch. Kottmeier) wieder zum Stand der Segelflugmeteorologie und aktuellen Forschung ins Gespräch gekommen. Viele Grundlagen stammen aus Messprogrammen und Doktorarbeiten des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung (IMK, Bereich Troposphäre) des KIT, oft in Kooperation mit anderen Einrichtungen wie dem Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) und Universitäten in Europa. Sie beruhen meistens auf Messungen mit der Messtechnologie der Windmessung mittels Lidar.

Literatur Müller, D., Kottmeier, Ch. (1985). Meteorologische Aspekte des Streckensegelflugs. Thermik von A-Z. Selbstverlag. www.imk-tro.kit.edu/download/Thermik_von_A_ bis_Z.pdf Träumner, K., Damian, T., Stawiarski, C., and Wieser, A. (2015). Turbulent structures and coherence in the atmospheric surface layer. Bound.Lay. Meteorol., 154(1):1–25. Damian, T. (2016). Coherent Structures in the Atmospheric Boundary Layer Measured by Dual Doppler Lidar. Dissertation, KIT, KIT Publishing, 164 S Müller, D., Etling, D., Kottmeier, C., and Roth, R. (1985). On the occurrence of cloud streets over northern Germany. Q. J. R. Meteorol. Soc., 111(469):761– 772 Raasch, S. and Schröter, M. (2001). PALM–a large-eddy simulation model performing on massively parallel computers. Meteor. Z., 10(5):363–372 Träumner, K., Damian, T., Stawiarski, C., and Wieser, A. (2015). Turbulent structures and coherence in the atmospheric surface layer. Bound.-Lay. Meteorol., 154(1):1–25. Young, G.S., Kristovich, D.A.R., Hjelmfeld, M.R., and Foster, R.C. (2002). Rolls, Streets, Waves, and more. A Review of Quasi-Two-Dimensional Structures in the Atmospheric Boundary Layer, Bull. Am. Met. Soc., ES 54-ES69

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Nach erfolgreichem Welleneinstieg: Blick auf den Aletsch-Gletscher

Eine neue Wellen-Ära Dank der Wellenvorhersage von SkySight habe ich entdeckt, dass es viel öfters Wellenlagen gibt, als ich bis vor Kurzem angenommen habe. Gerne nehme ich euch auf zwei sehr spezielle Wellenflüge bei Nordföhn mit. Zuerst machen wir jedoch Flugvorbereitung. Autor: Yves Gerster

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Gute Daten Seit einiger Zeit nutze ich SkySight. Zu Beginn habe ich lediglich die 3D-Wellen angeschaut, weil mir die Darstellung gefällt (Bild 2). Für die Flugplanung verwende ich mittlerweile am liebsten die „Vertical Velocity“ auf 4 km oder 5 km Höhe. SkySight zeigt sogar sechs Tage im Voraus die Wellen an, was ein großer Vorteil gegenüber den anderen Prognose-Tools ist. Sechs Tage gibt einem genug Zeit, um sich das Material für einen Wellenflug zusammen zu suchen; sogar im Winter (Bild 3).

ie Alpen bieten eine ideale Spielwiese für Wellenflüge. Leider gibt es immer noch sehr wenig Streckenflüge in Welle. Das liegt vermutlich an den Vorurteilen, welche sich im Laufe der Zeit etabliert haben. Beispiele davon sind: „Es gibt nur wenige Wellenflugtage“ oder „Um von der Alpen-Nordseite her gute Wellenflüge zu machen, braucht es Süd-Föhn“. Wetter-Vorbereitung Um gute Wellenflugtage in den Alpen zu erkennen, habe ich ursprünglich immer die Druckdifferenz zwischen Zürich und Lugano angeschaut. Mit diesem einfachen Diagramm kann man Föhnlagen und Wellen vier bis fünf Tage im Voraus erkennen. Diese Methode hat zwei Schwächen. Zum einen gibt das Diagramm lediglich den Boden-Wind an. Wenn die Luftschicht darüber eine zu große Richtungsänderung aufweist oder zu schwach ist, gibt es keine guten Wellen. Zum anderen können gute Wellen entstehen ohne große Druckdifferenz, wenn der Wind in der Höhe genug stark bläst und richtig geschichtet ist.

Nordföhn-Lage Als sich Ende Januar eine klassische Nordföhn-Lage eingestellt hatte, begann ich wie üblich mit der Suche nach Möglichkeiten für einen coolen Flug. Für Nordföhn-Flüge kommen für mich normalerweise Aosta, Ambri oder Locarno in Frage. Alle drei Plätze erfordern einige Autostunden für einen einzigen Flug, was nicht ganz bequem ist. Ambri hat Winterpause und Locarno lässt einem nicht früh starten. Bei genauerer Betrachtung der Wellen-Vorhersage von SkySight (Bild 4) hatte ich entdeckt, dass es im Wallis Wellen gab, welchen ich

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bis da noch keine Beachtung geschenkt habe. Somit kamen zusätzlich noch Sion, Bex und Raron in Frage als Startplatz. Die Suche geht weiter Als nächstes schaute ich mir die Feuchtigkeit an. Gibt es geschlossene Wolkendecken oder Niederschlag? SkySight verriet mir, dass sich die Bewölkung auf der Alpen-Nordseite im Verlauf des Tages auflöst. Nur am Morgen gab es eine hohe Wolkenschicht mit einer Untergrenze von 3000 m MSL. Das bedeutete, dass ich theoretisch direkt vom Norden her mit Rückenwind in die Welle einsteigen könnte. Ich glaubte zwar noch nicht richtig an das Konzept, war aber motiviert, einen Versuch zu starten. Ich wusste, dass der Flugplatz Bern-Belp nicht viel Verkehr hat im Moment. Weil ich in Bern wohne, war das der ideale Startplatz für dieses Projekt. Somit begann ich die Flugplanung für den 22. Januar. Dank des Nordwinds sollte es kein Problem sein mit dem Motor bis ins Wallis in die Welle zu fliegen. Mit dem Rückenwind und den Wellenvorhersage wurde der Flug bis ins Wellensystem bei Locarno nicht sehr kompliziert sein. Für den Rückweg hatte ich noch keine gute Idee. Meine scheinbar beste Option war, mich in der Region Ambri gegen den Wind durch die Wellenbänder wieder in den Norden vorzuarbeiten. Erster Flug Der Flughafen Bern war äußerst kooperativ und erlaubte mir, bereits um 07:00 Uhr direkt auf dem Vorfeld neben der Embraer von Helvetic aufzubauen. Das sieht man auch nicht alle Tage. (Bild 5). Nach dem Start erwartete mich wie vorhergesagt ein Wolken-Deckel auf 3000 m MSL. Das war genügend hoch, um über den Ravil-Pass zu fliegen. Durch das Satellitenbild wusste ich, dass das Wallis ziemlich sonnig war. Trotz der Wetter-Informationen war ich sehr gespannt, was mich im Wallis erwarten würde. Im Grunde war ich sehr früh aufgestanden, habe im Dunkeln ein Flugzeug zusammengebaut und 25 Minuten den Motor laufen lassen, nur um einen roten Fleck auf einer computergenerierten Karte zu erreichen. Irgendwie verrückt. Es klappt Sobald ich über den Pass ins Wallis kam, erreichten mich die ersten Sonnenstrahlen und das Vario zeigte nach oben. Genau da, wo SkySight seit sechs Tagen eine Welle angekündigt hatte,

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stand sie auch. An dieser Stelle war für mich der Tag bereits ein Erfolg, egal ob ich den Rückweg nach Bern schaffte oder nicht. Nach dem erfolgreichen Welleneinstieg nahm ich mir einen kurzen Moment, um die Aussicht zu genießen (Bild 6). So hoch war ich da noch nie. Nun galt es Wellen zu fliegen. Das hieß, Sauerstoff rein, Höhenfreigabe holen und langsam das System auskundschaften. Westlich des Aletsch-Gletschers konnte ich auf 5500 m MSL steigen und ließ mich dann vom Rückenwind durchs Tessin bis ins Valtellina-Tal treiben. Ich folgte den Prognosen von SkySight. Das war ziemlich einfach, weil mein Handy meine Position sowie die Position der Wellen kannte. Somit musste ich einfach den blauen Punkt in den roten Bereichen halten. Kurz vor dem Tal von Bozen wendete ich, weil mich der Sprung nach Österreich sehr viel Zeit gekostet hätte, welche ich an diesem kurzen Winter-Tag nicht hatte. In Welle konstant auf über 4000 m flog ich in den Westen und wendete kurz vor Monte Rosa. Mein Plan war nun, die Welle bei Ambri zu erreichen, um dann nach Bern zurückzufliegen. An dieser Stelle wurde ich zu ungeduldig und verlor die Konzentration, so dass ich nördlich Locarno, anstelle in einer schwächeren Welle zu steigen, mein Glück bei Biasca versuchte. Leider war ich da bereits zu tief, um Glück zu haben. Motor Nach 40 Minuten voller Turbulenzen ohne gutes Steigen entschloss ich, den Motor zu zünden, um noch eine Chance zu haben, bei Tageslicht in Bern zu sein. 20 Motor-Minuten später war ich wieder in der Welle, welche mir erlaubte über den Albrun-Pass ins Wallis zu fliegen. Ein letzter Motor-Einsatz brachte mich über den Alpen-Hauptkamm und erlaubte mir einen Endanflug nach Bern (Bild 7, Stockhorn).

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Das geht noch besser Mit diesem ersten Flug war ich schon recht glücklich, wusste aber, dass es hier noch viel Potential nach oben gibt. Deshalb war ich sehr froh zu sehen, dass SkySight schon einige Tage später die nächste Wellen-Lage vorhergesagte. Bereits am 30. Januar konnte ich zu meinem zweiten Experiment starten. Der Start ab Bern war wieder spannend. Anstelle des hohen Wolken-Deckels gab es nun tiefe Bewölkung mit etwas Niederschlag (Bild 8). Nur dank aktueller Webcam-Bilder (welche ebenfalls in SkySight integriert sind) und aktueller Niederschlags-Informationen konnte ich eine tiefe Wolken- und Regenzelle umfliegen (Bild 9) und einen sicheren Weg von Bern in die Welle im Wallis finden (Bild 10). Malen nach Zahlen Ab dem Wallis war es absolut wolkenlos und blau. Im Gegensatz zum letzten Flug gab es somit keine Markierungen, wo Wellen sein könnte. Deshalb hatte ich die Karte von SkySight bereits im Voraus heruntergeladen und das Handy mit der geöffneten App auf mein Bein gelegt. Dank einer großen Power-Bank konnte ich den ganzen Tag den roten Linien in SkySight nachfliegen (Bild 11). Das war verblüffend einfach.

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Dem Motto „Malen nach Zahlen“ folgend erreichte ich wiederum ziemlich schnell das Tal von Bozen. An diesem Tag war der Wind am Boden zu fest westlich ausgerichtet, was die Hänge auf der Ost-Seite der Bozen-Ebene sehr unattraktiv machte. Deshalb wendete ich wieder fast am selben Ort wie beim ersten Flug und begann meinen Gegenwind-Schenkel. Gegenwind Beim Tonale-Pass wurde der Gegenwind zu stark für die DG400 und ich musste auf eine andere Route ausweichen als diejenige, welche beim Hinflug gut funktioniert hatte. Glücklicherweise fand ich sofort 6 m/s Steigen und konnte wieder im guten Wellensystem durchs Tessin fliegen. Bei Domodossola war ich wieder etwas tief, fand aber sofort einen Wellen-Einstiegspunkt, welchen SkySight in einer tieferen Höhe anzeigte. Dank diesem Einstiegspunkt konnte ich direkt in die starke Welle von Monte Rosa fliegen. Die Offenbarung Als ich in der Welle bei Monte Rosa war, sah ich auf der Skysight-Karte eine rote Linie, welche mir bis da nicht aufgefallen war. Dank der West-Komponente im Wind gab es über

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Zermatt eine Welle, welche direkt nach Brig, also zu meiner ersten Welle im Wallis führte. In meinem Kopf waren diese beiden Gebiete bis jetzt immer getrennt. Aber das muss nicht so sein. Das war die Lösung für das Rückweg-Problem Um die guten Wellenkonditionen im Aosta-Tal zu nutzen, flog ich auf 6000 m zum Mont Blanc und dann zurück zum Matterhorn (Bild 1 erste Seite). Beim Matterhorn bog ich links ab und nahm Kurs Richtung Wallis. Tatsächlich gab es eine Welle von Zermatt bis Brigg. Leider erlaubte mir die Flugsicherung nicht, auf den angenehmen 6000 m zu bleiben. Somit stieg ich auf 4500 m ab. Weil ich gut in meinem Zeitplan lag, erkundete ich noch einmal die Wellensysteme im Wallis, bevor ich den Endanflug nach Bern Belp in Angriff nahm. Auf die Frage, ob ich Bern erreichen könnte, war mein Endanflugrechner zu Beginn eher skeptisch, weil der Gegenwind zu Gleitzahlen von 12 bis 16 führte. Jedoch wurde der Wind zunehmend schwächer und der Rechner zunehmend optimistischer. Unterhalb von 3000 m erreichte ich eine

Gleitzahl von über 30, was genügte, um Bern zu erreichen. (Bild 12) Obwohl dies eher ein experimenteller Flug war, erreichte ich Platz 1 im OLC, sogar noch vor Klaus Ohlmann, welcher von Serres aus in seiner Antares über 900 km bis Sondrio und zurück geflogen ist. Fazit: SkySight hat diese Flüge sehr einfach gemacht. In einem komplett neuen Gebiet ohne Wolken auf Anhieb die Wellen oder Konvergenzen zu finden, war vor SkySight nicht möglich. Meine Aufgabe beschränkte sich hauptsächlich darauf, den blauen Punkt auf meinem Smartphone in den roten Bereichen halten. Aus meiner Sicht bringen diese neuen Tools die Segelfliegerei auf ein komplett neues Level (Bild 13). Beide Flüge waren für mich eine Art proof of concept. Die Arbeit hier hat erst begonnen. Die Wellenfliegerei in der Schweiz hat ein enormes Potential. Als Ziel-Flug könnte ich mir Flüge in die Slovakei oder in die Pyrenäen vorstellen. Dies war für mich bis vor kurzem noch undenkbar. t

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FWTY: Flying with the Youngsters Jung, erfolgreich, gutaussehend und SooBock! Die meisten ambitionierten Nachwuchspiloten bringen diese Eigenschaften mit. Finanziell sieht es oft jedoch anders aus. Um es den Youngsters zu ermöglichen, sich dennoch die Welt zu erfliegen, gibt es in Deutschland glücklicherweise eine Vielzahl von Sponsorings. Autor: Florian Heilmann, Bilder: Bitterwasser Lodge, Kilian Biechele, Arne Röpling, Gerhard Marzinzik

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Traumhaftes Flugerlebnis: Die Dünen der Kalahari und Wolkenstraßen zum Genießen

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ur wenige junge Piloten haben Zugriff auf ein eigenes Segelflugzeug oder besitzen die finanziellen Mittel, um große Fliegerreisen nach Frankreich oder gar auf andere Kontinente zu unternehmen. Einige werden sich die Frage stellen, ob es überhaupt notwendig ist, dass sich junge Segelflieger die ganze Welt erfliegen, bevor sie überhaupt ihren ersten richtigen Job hatten. Meiner Meinung nach spricht nichts dagegen, denn sie tragen die Werte unseres Sportes in die breite Gesellschaft. Sie sind die zukünftigen Botschafter unseres Sports. Deshalb fördert z. B. Wilfried Großkinsky seit vielen Jahren junge, talentierte und vor allem erfolgreiche Nachwuchsstreckenflieger. Er lädt sie regelmäßig nach Namibia auf die Bitterwasser Lodge ein, unterstützt sie finanziell oder überlässt ihnen einen Discus 2ct für 12 Monate. „Flying with the Youngsters“ (FWTY ) entwickelte sich aus diesen Sponsorings und wird durch die Youngsters organisiert.

Die Idee FWTY ist eine Vermittlung junger Flieger, die ein gutes Knowhow im Streckensegelflug besitzen und bestenfalls schon in Namibia geflogen sind. Das sind dann die Youngsters. Sie werden mit unerfahrenen oder interessierten Fliegern in Kontakt gebracht, die in Namibia die besondere 1000-km- Marke knacken oder das Erlebnis, dort zu fliegen, maximal genießen wollen und einen Guide suchen. Ziel ist es, dass die Youngsters so wenig Kosten wie möglich selbst tragen. Beispielsweise zahlen sie die An- und Abreise sowie die Unterkunft. Der Trainee hingegen übernimmt die Charter- und Fluggebühren, welche den Großteil der Gesamtkosten einer solchen Reise darstellen. Unterstützt wird dieses Projekt durch die Bitterwasser Lodge, welche jungen Fliegern schon seit Längerem vergünstigte Übernachtungskonditionen anbietet. Zudem werden durch zahlreiche Unterstützer extra für dieses Projekt Flugzeuge zur Verfügung gestellt.

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Links: „Youngster-Perspektive“ Oben: Simon Briel und Jeffrey Banks

Junge Piloten mit Erfahrung Derzeit besetzen wir die Trainerpositionen mit den Youngsters, die durch Wilfrieds Sponsorings schon einmal in Namibia geflogen sind. Das soll jedoch nicht ausschließen, dass man auch ohne Teil eines vorherigen Sponsorings als Trainer teilnehmen darf. Junge Piloten mit Erfahrung in dem Fluggebiet und dem entsprechenden Know-How dürfen sich jederzeit bei uns melden. Sollten wir in einer Saison zu viele Youngsters für die gemeldeten Trainees haben, entscheidet die Wertung der OLC-Juniorchallenge, wer als erstes einen Youngster-Platz bekommt. Es lohnt sich also enorm für junge Streckenflieger, in der Juniorchallenge maximale Punkte zu erfliegen! Von Bitterwasser bis Südfrankreich Vorerst bezieht sich FWTY auf die Fliegerei in Namibia von der Bitterwasser Lodge aus. Es gibt aber auch viele Junioren, die in anderen Fluggebieten ein super Know-How mitbringen, z. B. in Südfrankreich. Damit sie dieses weitergeben können, möchten wir in der Zukunft FWTY auch für andere Fluggebiete organisieren. Das wird jedoch noch eine Weile dauern, da wir FWTY erst in Namibia zu einer festen Größe machen wollen. Erste Saison mit FWTY In der vergangenen Bitterwasser-Saison wurde das erste Mal FWTY durchgeführt und es flogen sieben Youngsters nach Bitterwasser, um ihr Wissen weiterzugeben. Zur Verfügung standen Flugzeuge der Typen Arcus M, Ventus 3M und EB28 edition, die viele wunderschöne Flugerlebnisse ermöglichten. Die 1000-km-Marke wurde dabei regelmäßig geknackt. Neben den aufregenden Flügen verbrachten unsere Youngsters die Zeit mit deren Trainees auch gerne am Pool. Der Urlaub kam also nicht zu kurz! Wie einige unserer Trainees und Youngsters die Zeit erlebt haben, erzählen sie gerne:

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Kilian Biechele (Youngster) Für mich war es diesen Winter die dritte Saison, die ich in Bitterwasser verbringen durfte. In den Jahren 2016 sowie 2017 bin ich in den Genuss der vergünstigten Bitterwasser-Preise gekommen. In diesen beiden Jahren habe ich sehr viel über das neue Fluggebiet und die dort doch extremeren Wetterbedingungen gelernt. Diesen Winter wurde das neue Programm FWTY ins Leben gerufen und ich bekam die Möglichkeit, als Trainer im Team zu sein, um gemeinsam mit Klaus Reinhold und Manfred Dick zu fliegen. Nicht nur die schönen Flugerlebnisse werden mir in Erinnerung bleiben, sondern auch die Menschen und Freunde, die ich in der Zeit kennenlernen durfte. FWTY bietet für Trainer und Trainee unglaubliches Potenzial und ist für mich der Inbegriff für stressfreies, lehrreiches und erlebnisreiches Fliegen in Namibia. Ich freue mich auf die Entwicklung der Plattform und die nächsten Jahre in Namibia. Manfred Dick (Trainee und Unterstützer) In meiner Zeit in Bitterwasser (25.11. bis 18.12.2021) hatte ich das Glück, einige der vielen Youngsters kennenzulernen. Die Tage und Flüge mit Kilian Biechele (25), Johannes Dibbern (24), Niels Fecker (24), Erik Schneider (20) und Simon Schröder (25), dem amtierenden Weltmeister der Standardklasse, waren für mich eine große Bereicherung, sowohl fliegerisch wie auch menschlich. Seit Jahren werden die besten jungen Piloten aus Deutschland nach Bitterwasser eingeladen, womit in einmaliger Weise der deutsche Nachwuchs gefördert wird. Das Konzept ist für Bitterwasser ein großer Erfolg. Oft sind die Youngsters mit ihren großen Flügen in der weltweiten Tageswertung ganz vorne und viele kommen fast jedes Jahr wieder zurück nach Bitterwasser, so auch Tobias Welsch, früher Youngster und heute einer der besten Piloten weltweit.   

Links: Kilian Biechele, Klaus Reinhold und Simon Schröder Rechts: Klaus Reinhold und Eric Schneider

Viele große Flüge bis zu 1200 km und unglaubliche Eindrücke und Erlebnisse werden in meiner Erinnerung bleiben, und die sehr positiven Erfahrungen mit den Youngstern machen Lust auf mehr. Jeffrey Banks (Trainee) It was great. About 10000 km of flying and over 80 hours. I can’t say which flight was the best. We flew a flight about 970 km and I made a pretty silly comment: „Oh, just 970 today”. My best flight before flying here was 500 km. The glider worked nicely. Simon was great. He was always attending the small things to be sure we had timely launches. He is a very talented pilot and a very nice person. I came here to fly with a youngster and wound up flying with a young „star“. Klaus Reinhold (Trainee und Unterstützer) Mit den Youngsters so viele großartige Flüge und einen solch schönen Urlaub erleben zu dürfen, ist etwas ganz Besonderes. Das erlebt man nicht so oft in seinem Fliegerleben. Im Nachhinein kommt es mir vor wie ein Traum. Arne Röpling (Youngster) Wir waren zwar als Trainer vor Ort, aber letztendlich erlebten wir einen gemeinsamen Urlaub, bei dem beide Seiten etwas lernen konnten. Die Trainees fliegerisch und die Trainer etwas für das Leben. Mit einem Youngster nach Namibia Du möchtest bei FWTY einen Youngster buchen, um sicher und mit viel Spaß durch deinen Fliegerurlaub in Namibia zu kommen, oder hast Fragen zum Projekt? Dann besuche uns auf unserer Website: https://fwty.de/ Wir freuen uns über jeden Interessenten und Unterstützer. t

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Hazardous Attitudes Gefährliche Einstellungen in der Luftfahrt

In dem vereinfachten Modell lassen sich vier Persönlichkeitsebenen unterscheiden. Die Persönlichkeit, ein Synonym dafür ist „Charakter“, wird zum Großteil vererbt und in den ersten Lebensmonaten entwickelt und ist nicht veränderbar. Die Eigenschaften sind dabei konstante, überdauernde Arten des Verhaltens, die zur Beschreibung und zur Vorhersage des Verhaltens von Personen verwendet werden. Gewohnheiten und Einstellungen werden später in der Entwicklung erworben und vor allem durch die Umwelt und das soziale Umfeld geprägt

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fly safely

Im Themenbereich „Human Factors” geht es um die Risikofaktoren und das Risikopotential des Menschen. Warum das speziell für die Luftfahrt relevant ist, erfahrt ihr in unserem heutigen „Safety First“-Artikel von Marco Dürbrook, einem der Gründer von Human Factors Training. Menschen machen Fehler – täglich! Wo diese herkommen, wie man sie leichter erkennen und besser mit ihnen umgehen kann, vermittelt ein „Human Factors“-Training.

Autor: Marco Dürbrook

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n einem schon seit längerem im Internet kursierenden Videoclip sieht man einen SZD-9 Bocian beim Kunstflug, gefolgt von einem tiefen Überflug über einen Flugplatz. Das Ganze spielte sich am 30. April 2018 auf dem polnischen Flugplatz Lądowisko Żernica (ca. 190 km südöstlich Krakau) ab. Nach dem sehr tiefen Überflug berührt das Flugzeug bei der anschließen Umkehrkurve mit der linken Tragfläche einen Baum und schlägt danach mit dem Cockpit hart auf dem Boden auf. Der vorne sitzende Passagier wird schwer, der hinten sitzende Pilot und Fluglehrer leicht verletzt (https://www.youtube. com/watch?v=qpUeFw7E1Uk). Sowohl aus luftrechtlicher Sicht als auch nach dem gesunden Menschenverstand lag ein komplett regelwidriges Verhalten vor, das dann leider auch so tragisch endete. Was treibt Menschen an, derart unvernünftig zu handeln? Kennt das nicht jeder von uns? Ab und an handeln wir einfach irrational, suchen vielleicht den „Kick“. Und wenn man sich diverse Videos auf Youtube oder das „normale“ Verhalten in

diversen Vereinen ansieht, scheint der tiefe Überflug zum guten Ton zu gehören. Um diese Verhaltensweisen zu erklären, müssen wir uns kurz mit der Persönlichkeit des Menschen beschäftigen. Umfeld prägt den Menschen Das Verhalten ist für andere beobachtbar, während das Innere für andere zunächst verborgen bleibt. Ein Individuum kann sein Verhalten generell frei wählen, aber es ist schwierig, innewohnende Persönlichkeitscharakteristika zu ändern. Für die Luftfahrt relevant ist, dass bestimmte Einstellungen existieren, die als sicherheitsrelevant angesehen werden und Gefahren in sich bergen. Piloten müssen sich dieser Einstellungen bewusstwerden, die ihr Urteilsvermögen und ihre Entscheidungsfindung beeinflussen. Jeder Mensch trägt Persönlichkeitsmerkmale in sich, die individuell unterschiedlich stark ausgeprägt sind, aber auch innerhalb eines Individuums zeitlich variieren können. Ab einer gewissen Ausgeprägtheit lassen sie den Einsatz eines Piloten als

Entscheidungsträger in der Luftfahrt nicht mehr zu. Airlines versuchen, mit psychologischen Einstellungstests Menschen mit diesen zu stark ausgeprägten Merkmalen von vornherein auszusieben. In der Privatfliegerei gibt es aber dieses Korrektiv (außer vielleicht das Gespräch beim Fliegerarzt) nicht. Umso wichtiger ist es, sich damit auseinanderzusetzen. Sechs gefährliche Einstellungen In der Literatur haben sich sechs gefährliche Einstellungen herauskristallisiert, die eine Bedrohung für sicheres Fliegen darstellen: l Da wäre zunächst die Antiautorität. Diese entstammt einem Unmutgefühl oder einem Unverständnis gegenüber Regeln und Standard Operating Procedures, gepaart mit einer zu ausgeprägten Selbstwirksamkeitsüberzeugung. Auch bloße Ignoranz kann zu der Einstellung führen: „Vorschriften sind für andere da, nicht für mich!“ l „Jetzt aber schnell!“ Mit Impulsivität wird der Drang beschrieben, vorschnell zu handeln, ohne vorhe-

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fly safe ly

rige Situationsanalyse und Nichtbetrachtung von Alternativen, obwohl Zeit und Überlegungen notwendig wären, eine korrekte Entscheidung zu treffen. l „Das kann mir nicht passieren“, beschreibt den Glauben an die eigene Unverwundbarkeit. Unfälle und Zwischenfälle passieren demnach nur anderen. Besonders ausgeprägt ist diese Einstellung bei jungen Piloten mit wenig Erfahrung und bei sehr erfahrenen, älteren Piloten. l Resignation bezeichnet die Tendenz, sich bedenkenlos unterzuordnen und schwierige Entscheidungen oder die Übernahme von Verantwortung zu meiden. Personen, die sich mit dem scheinbar Unvermeidbaren abfinden, sehen keine große Möglichkeit der Einflussnahme, getreu dem Motto: „Was bringt das schon?“. l Die Selbstüberschätzung bedeutet hier, eine exzessiv hohe Meinung von sich selbst zu haben, und äußert sich durch die Demonstration von Arroganz und Ignoranz. Personen, die diese Einstellung an den Tag legen, zeigen oft ein Verhalten, das darauf aus ist, anderen zu beweisen, dass sie etwas Besonderes leisten können oder besser sind als andere. „Ich kann das (besser)“, zeichnet also diese gefährliche Einstellung aus. l Und schließlich wäre noch die Selbstzufriedenheit oder neudeutsch Complacency zu nennen. „Das passt schon“, ist häufiger von erfahreneren Piloten zu hören und zeigt sich im Nachlassen des Wunsches, in Übung zu bleiben. Preflight Checks und Checklisten werden unvollständiger abgearbeitet, mögliche Eventualitäten werden nicht mehr vorausgeplant.

Keiner von uns ist vor diesen Einstellungen gefeit. Jedoch sollten wir uns täglich beim Fliegen selbst überprüfen, ob unsere Einstellung nicht gerade in

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Die „Human Factors“-Grundlagen zum schnellen Nachschlagen, Kapitel für Kapitel aufbereitet, als Basis für ein fundiertes Training mit Fragenkatalog zur persönlichen Lernkontrolle in der „Easy Memory Item“-App

eine gefährliche Richtung tendiert. Das Wissen um die Einstellungen ist das eine, das bewusste Anwenden von Gegengedanken (Antidotes), durch die eine zu ausgeprägte Grundhaltung entschärft werden kann, ist das andere. Wenn mir z. B. beim Segelfliegen oder beim Schulen gerade besonders gut gefällt, wie ich den Flug manage, gehen mittlerweile bei mir die Alarmglocken an, und ich mache mir bewusst, dass ich dabei bin, mich selbst zu überschätzen oder zu selbstzufrieden zu werden. Dies schärft dann wieder den Blick für die Gefahren der Fliegerei. Mögliche Gegengedanken wären: l Antiautorität: „Folge den Vorschriften und Gesetzen (diese sind meist mit Blut geschrieben)!“ l Impulsivität: „Nicht so schnell – erstmal nachdenken!“ l Unverwundbarkeit: „Es könnte mir auch passieren!“

l Resignation: „Das lässt sich ändern,

ich bin dafür wichtig!“ l Selbstüberschätzung: „Kein Risiko eingehen!“ l Selbstzufriedenheit: „Es ist wichtig, immer wachsam, aufmerksam und kritisch zu bleiben!“ Fehlerkultur stärken Wenn wir zum Abschluss auf den Bocian-Unfall zurückkommen, können wir davon ausgehen, dass der Fluglehrer auf dem hinteren Sitz einigen der gefährlichen Einstellungen unterlag. Als erstes wäre hier die Antitautorität zu nennen: Dieser Bocian war nicht für den Kunstflug zugelassen und in der Höhe von 300 m ist Kunstflug schon gar nicht erlaubt. Sehr wahrscheinlich unterlag der Lehrer auch einer Selbstüberschätzung und ist nicht davon ausgegangen, dass auch ihm ein Unfall zustoßen könne (Unverwundbarkeit).

Ist also der Fluglehrer alleine schuld an diesem Unglück? Keineswegs. Auf dem Video sieht man eine Rückholmannschaft am Rande des Platzes laufen. Es ist davon auszugehen, dass dieses Manöver nicht zum ersten Mal geschah. Alle Vereinsmitglieder hätten auf das Fehlverhalten hinweisen können. Wir sollten uns selbst fragen, wie häufig wir schon Zeuge eines regelwidrigen und/oder potenziell gefährlichen Verhaltens beim Fliegen wurden. Sind wir eingeschritten?

Diese Fehlerkultur im Verein ist ein anderes großes Thema, das für die Sicherheit maßgeblich ist, jetzt aber den Rahmen sprengen würde. Diese Themen sind unter anderem Grundlagen von Single Pilot Ressource Management Training (SRM). Nicht nur in der kommerziellen Fliegerei sollte Crew Ressource Management verpflichtend sein. Auch in der Privatfliegerei führt dieses Training zu einem sichereren und effizienteren Fliegen. t

Unser Autor: Marco Dürbrook ist Verkehrspilot, Fluglehrer und Flugprüfer. Mit seinen Partnern von Human Factors Training bietet er unter anderem SRM-Seminare an: www.humanfactorstraining.de

Bevor wir euch in einer der nächsten Ausgaben noch mehr konkrete Tipps geben, welche Maßnahmen erfolgsvorsprechend sind, möchten wir zuerst eure Meinung wissen: Wie handhabt ihr das Thema „Flight Safety“ bei euch im Verein? Share your experience – erzählt uns, wie es bei euch läuft: [email protected]

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Risiko: Hangflug

Den Vögeln kann man als Pilot nur bewundernd zuschauen, wie sie durch Gebüsche und Zäune fliegen oder zusammen in wilden Luftkämpfen hunderte Meter abstürzen. Abgesehen vom Verlust einiger Federn werden diese Kunststücke meistens schadlos überstanden. Unsere Flugzeuge sind diesbezüglich viel heikler, jegliche Berührung mit anderen Flugzeugen oder dem Gelände führt schnell zur Katastrophe. Im Gebirge wird häufig in Bodennähe geflogen; folgende Auszüge aus Unfall- und Erlebnisberichten beweisen, wie anspruchsvoll diese Fliegerei ist. Autor: Roland Bieri, Bilder: Roland Bieri, Alexander Späth

SUST-Bericht Nr. 2328, Gesamterfahrung 2985 h, Training während der letzten 90 Tage 25:58 h Bei diesem Flug stoppte der Pilot das Triebwerk seiner DG400 auf gut 2000 m Höhe und sank danach bei der Suche nach Aufwind langsam auf etwa 1200 m. Auf dieser Höhe flog er 17 Minuten lang viele Kreise und Achten am Hang auf ca. 70 m über den Bäumen, bis das Segelflugzeug die Baumwipfel eines Waldes streifte, wodurch die Kontrolle über das Segelflugzeug verloren ging und es in der Folge auf den Waldboden aufschlug. Folgende Faktoren haben zum Unfall beigetragen: geländenahes Fliegen am Hang mit geringer Sicherheitsreserve; möglicherweise eine gesundheitsbedingte, plötzliche Handlungsunfähigkeit. SUST-Bericht Nr. 2338, Gesamterfahrung 3216 h, Training während der letzten 90 Tage 30:40 h Der erfahrene Pilot flog an diesem Oktobertag bei schwachen Bedingungen über zwei Stunden nahe am Hang, bis er mit dem Gelände kollidierte. Die Ursache des Unfalls, bei dem das Segelflugzeug wahrscheinlich im gesteuerten Flug mit dem Gelände kollidierte, konnte nicht abschließend geklärt werden.

SUST-Bericht Nr. 2376, Gesamterfahrung 469 h, Training während der letzten 90 Tage 46:15 h Nach dem Ausklinken flog der Pilot etwa eine Stunde zwischen 2100 m und 2300 m am Hang der Creta Besse nördlich von Sion. Um seine Höhe zu behalten bzw. zu steigen, musste der Pilot nahe am Hang Achten fliegen. Knapp zwei Stunden nach dem Start kam es bei der letzten Umkehrkurve zur Geländeberührung und Absturz. Als Ursache ermittelte die SUST folgende Gründe: Der Unfall war auf eine riskante Flugtaktik zurückzuführen, bei welcher das Segelflugzeug dauernd zu tief und zu nahe am Gelände geflogen wurde, was die Kollision mit einer Felswand verursachte. Der Ehrgeiz des Piloten, unter ungünstigen Bedingungen am Hang Höhe gewinnen zu wollen, spielte wahrscheinlich eine Rolle bei der Entstehung des Unfalls. Vittorio Colombo, Europameisterschaften Vinon 1984 (Auszug aus dem Buch „Dancing with the Wind“ von J.-M. Clement) „ ... nach einer Reihe von Achten am Hang hoben plötzlich starke Turbulenzen den rechten Flügel an, die Vertikalgeschwindigkeit ging auf 2,5 und dann auf 3,5 m/s. Ein schneller Ruder-

und Querruderausschlag nach rechts in Richtung Tal – ich sagte mir, den lasse ich mir nicht entgehen. Mit maximaler Querlage, den Klappenhebel in Thermikposition geschoben – aber der Aufwind verwandelt sich unerwartet in ein Sinken, der Schwanz hebt sich und der innere Flügel fällt herunter, der Abwind drückt mich in die Bäume. Der Segler ist unkontrollierbar, der rechte Flügel berührt die Spitze einer Kiefer und augenblicklich liege ich im Wald. Als ich zum Himmel schaute, sah ich Georgio Galettos Flugzeug über mir und war erleichtert, denn seine Anwesenheit gab mir die Zuversicht, dass ich schnell gerettet werden würde“. Giorgio Galetto, Frühjahr 2012, Gesamterfahrung: 6400 Std, Training während der letzten 90 Tage 79 Std. „ ...Nach über drei Stunden Flug, in denen die Hälfte unter der Hangkante geflogen wurden, fliege ich an den Hang bei St. Crepin. Hier sehe ich andere Flugzeuge Achten fliegen und hoffe auf Steigen. Doch das kommt nicht und das Sinken kostet mich schnell die ganze Sicherheitshöhe. Jetzt übernimmt der rationale Teil meines Bewusstseins das Kommando, der sich um die Sicherheit kümmert: Mir wird bewusst, dass eine Geländeberührung unvermeidlich ist

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Zu langsam und zu wenig Sicherheitsabstand zum Hang

und so konzentriere ich mich voll darauf, die Folgen des Aufpralls so gering wie möglich zu gestalten: Ich fliege parallel zu den Bäumen am Hang und versuche, das Flugzeug etwas unter den Baumwipfeln zu „landen“, um so möglichst viel Energie zu vernichten, ähnlich wie dies durch das quergespannte Bremsseil auf einem Flugzeugträger passiert. Meine Gedanken sind völlig klar: Ich überziehe das Flugzeug nicht, um nicht senkrecht abzustürzen, mit allen bekannten Folgen eines solchen Sturzes. Ich versuche auch nicht mehr, das Flugzeug durch einen beherzten Seitenruderausschlag vom Hang wegzudrehen, da ich fürchte, mit einer Fläche an einem Baum hängenzubleiben und einen folgenschweren Ringelpiez zu riskieren. Die Flugbahn, die ich beibehalten will, soll so sein, dass ich nach dem Kontakt mit den Bäumen parallel zum Hang falle, der Aufschlagwinkel soll möglichst flach sein. Es gelingt mir, die Bäume sehr gut zu erwischen, sie bremsen mich komplett ab. Der Flieger überschlägt sich nicht

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und behält seine Bahn bei. Zum Schluss dreht er sich um etwa 100 bis 120 Grad nach links und fällt etwas nach rückwärts unten. 15 bis 20 Meter nach dem ersten Kontakt mit den Bäumen bleibt er liegen. Die Struktur des Flugzeugs hat die komplette Energie absorbiert, Äste und Stämme bis etwa 20 Zentimeter Durchmesser sind abgebrochen, und ich habe einen Baum mit einem Stammdurchmesser von etwa 30 bis 35 Zentimetern gefällt. Das Cockpit ist ganz geblieben, die verstärkte Struktur um den Piloten herum hat gut gehalten. Ich sitze auf einem Styroform-Kissen und auch hinter dem Fallschirm habe ich ein etwa acht bis zehn Zentimeter dickes Kissen.“ Alexander Späth 2012, Gesamterfahrung: 1920 Std, Training während der letzten 90 Tage 155 Std. Ich fliege den Höhenzug der Belldonne entlang, der ungefähr in Nord-SüdRichtung verläuft und mehrere Quergräten besitzt, die nach Westen ins Tal abfallen. Da ich für den Hauptkamm bereits viel zu tief bin, versuche ich, die

Quergräten abzufliegen. Als ich merke, dass meine Taktik keinen Höhengewinn bringt, überlege ich vor dem Skigebiet bei Allevard, ob es nicht sinnvoller ist, Direktkurs auf Grenoble zu nehmen. Intuitiv entscheide ich mich jedoch dazu, die Gräte bei Allevard noch zu versuchen. Jetzt geht alles ziemlich schnell. Ich merke noch, dass ich zu langsam fliege, ein wenig durchsacke (80 km/h) und das Flugzeug ganz weich wird. Gleichzeitig kommen hohe Tannen auf mich zu. Ohne eine Chance zum Nachdenken zu haben, merke ich, dass ich gleich in die Bäume fallen werde, nicht seitlich, sondern frontal. Von diesem Punkt an habe ich kaum noch Erinnerungen bis zum Aufschlag auf den Waldboden. Ich weiß nur noch, dass es mich extrem heftig herumgewirbelt hat. Aus einem fliegerisch harmlosen Manöver ist innerhalb weniger Sekunden eine lebensbedrohliche Situation entstanden.“ Unfall trotz Konzentration Alle Unfälle haben vergleichbare Ausgangslagen. Meistens waren es Tage mit schwachen, anspruchsvollen Flugbedingungen. Es war sehr schwierig bis unmöglich, über den Kreten zu fliegen. Im Weiteren fällt auf, dass durchwegs erfahrene und gut trainierte Piloten betroffen waren. Es handelte sich um anspruchsvolle Situationen, welche die volle Konzentration verlangen: geländenahes Fliegen, unberechenbare Windströmungen; es besteht eine Tendenz zum langsamen Fliegen (mit dem geringsten Sinken...). Diese Piloten wussten, dass sie konzentriert fliegen müssen. Wieso kam es trotzdem zum Unfall? Eine kurze Unaufmerksamkeit oder Ablenkung, Selbstüberschätzung, Müdigkeit...? Alex Späth hat seinen Unfall messerscharf analysiert: „Der Unfall ereignete sich ganz eindeutig aufgrund eines Pilotenfehlers. Meine Flug-Geschwindigkeit am Hang

war nicht ausreichend, ich war deutlich zu langsam. Als weitere Ursache kam der geringe Abstand zum Hang hinzu. Diese beiden „Sicherheitspuffer“ haben mir gefehlt, um die Situation zu entschärfen. Wäre ich 20 oder 30 km/h schneller geflogen, hätte ich ein wenig Höhe wegziehen können. Mit mehr Sicherheitsabstand zum Hang und damit mehr Luft unter den Flügeln hätte ein kurzes Durchsacken trotz zu geringer Geschwindigkeit nicht zum Aufschlag geführt. Folgende Ereignisse haben zusätzlich letztendlich zum Unfall beigetragen: l Extreme Anstrengung über 8,5 Stunden, die zu Müdigkeit und Unkonzentriertheit geführt haben. Wie man dem Flugbericht entnehmen kann, war der gesamte Flug extrem anstrengend: schwache Bedingungen, langer Flug, neues Fluggebiet, viel Flugzeit unter Hang. Wie schwach der Tag war, belegt der bis zum Absturz erflogene Schnitt von 57 km/h – um mit einem 18Meter-Flugzeug so langsam unterwegs zu sein, muss ganz schön viel schieflaufen. l Veränderung des Schwerpunkts durch Ablassen des Wassers. Problematisch ist für mich bei vielen Flugzeugen mein geringes Pilotengewicht. Mit 63 Kilogramm brauchte ich im OLC-Discus drei Bleiplatten, um mit Schirm die Mindestzuladung von 80 Kilogramm zu erreichen. Da ich den Discus aber nicht gerne so schwanzlastig geflogen bin, habe ich den Wasserballast nicht im Verhältnis 1:25 gemäß Handbuch, sondern 1:35 getankt – damit war das Flugzeug perfekt für mich. Bis etwa 20 Minuten vor dem Absturz hatte ich 100 Liter Wasser in den Flügeln. Da ich auch zuvor quasi nie ohne Wasser unterwegs war, war ich das Flugzeug kopflastiger gewohnt als zum Zeitpunkt des Unfalls. Ich hatte also nach dem Ablassen plötzlich einen nach

hinten verschobenen Schwerpunkt und damit ein anderes Fluggefühl als die acht vorangegangenen Stunden. l Wenig Schlaf in der Nacht zuvor. Durch Vorfreude und Anspannung vor dem Trip habe ich nicht mehr als fünfeinhalb Stunden geschlafen. Normal brauche ich zwischen sieben und neun Stunden, um richtig fit zu sein. Diese Tatsache hat die Müdigkeit gegen Ende des Fluges sicher verstärkt. l Spannungsabfall, da ich mit dem Flug schon abgeschlossen hatte. Ich war froh, dass ich mit nur zehn Minuten Motorlaufzeit bis nach Grenoble gekommen war. Dadurch wich meine Anspannung einer wohl gefährlichen Lockerheit. Gedanklich war ich schon in Puimoisson und habe mir vorgestellt, wie ich das WM-Viertelfinale Deutschland gegen Griechenland anschaue.“ Zusammenfassung Fliegen am Hang ist anspruchsvoll, besonders bei schwachen Bedingungen. Wenn noch andere Flugzeuge dazu kommen und alle fliegen im gleichen Höhenband hin und her, dann steigen die Anforderungen an die Piloten exponentiell. Die vorliegenden Berichte beweisen, dass es jeden treffen kann – unabhängig von der Erfahrung! Als Piloten müssen wir deshalb jedesmal, wenn am Hang geflogen wird, eine Risikoanalyse machen: l Bin ich fit genug, um - meine Fluglage jederzeit sauber steuern zu können und damit genügend Geschwindigkeitsreserve zu haben? - jederzeit einen sicheren Mindestabstand zum Hang einhalten zu können? l Habe ich die anderen Flugzeuge unter Kontrolle? l Wenn ich schon lange unterwegs bin, müde werde und die Konzentration nachlässt: - Baue ich eine zusätzliche „Reserve“ ein?

- Merke ich, dass die Spannung nachlässt, dass es kritisch wird? - Merke ich, wann es Zeit ist, abzubrechen? Das Fliegen an einem Hang, der am Morgen in der ersten Flugstunde sicher poliert wurde, kann nach acht anstrengenden Flugstunden zu einem (zu) großen Risiko werden. Der geneigte Leser ahnt es schon: ich kenne auch kein Patentrezept für diese Situationen. Das Risiko muss laufend neu beurteilt werden; was wir am Morgen – wenn wir noch frisch und munter sind – im Griff haben, kann nach zehn Flugstunden auch für einen erfahrenen, trainierten Piloten zu viel werden. Auch ich gehöre mit meiner Flugerfahrung zur Risikogruppe. Ein Spiegel im Cockpit kann helfen (Hermann Trimmel nannte dieses Instrument „Persiflexi“): Der Pilot schaut sich an und fragt sein Spiegelbild: „Sieht so ein Pilot aus, der noch fit ist? Bist du noch konzentriert genug, häufen sich kleine Fehler oder fehlende Konzentration? Gibt es da nicht einen ungesunden Drang nach Hause?“ Diese Fragen müssen dem Spiegelbild ehrlich beantwortet und entsprechend gehandelt werden. Von Frank Bormann, dem Kommandanten von Apollo 8, stammt folgender Satz: „A superior pilot uses his superior judgment to avoid situations which require the use of his superior skill“ („Ein überragender Pilot nutzt sein überragendes Urteilsvermögen, um Situationen zu vermeiden, die den Einsatz seiner überragenden Fähigkeiten erfordern“). t Literatur: segelfliegen magazin 5/2012: Giorgio Galetto, „Im Abwind gefangen“ segelfliegen magazin 6/2012: Alexander Späth, „Müde, sorglos und zu langsam“ SUST-Berichte Nr. 2328, 2338 und 2376

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Steuern, bremsen, sicher landen Ein zeitgemäßes Notfallschirmkonzept findet zunehmend Beachtung Autor: Thomas Jupp

Advertorial

Mit dem Einsatz steuer- und bremsbarer Fallschirmkappen als Personenfallschirm zur Rettung aus Luftnot wird ein neues Kapitel bezüglich der Sicherheit bei Notabsprüngen („Bailout“) aufgeschlagen.

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m Fallschirmsport hatte diese technische Umstellung bereits in den 1980er Jahren begonnen, zunächst bei den lizensierten Sportspringern dann sehr schnell auch in der Ausbildung von Sprungschülern. Hauptargumente für die Verwendung von Flächenfallschirmen anstelle der traditionellen Rundkappen waren und sind: l Höhere Öffnungssicherheit durch gesteuerte Sequenz der Fallschirmöffnung. Beim WINGMAN befindet sich die Fallschirmkappe in einer inneren Verpackung und wird im Öffnungsverlauf erst freigegeben, nachdem alle Leinen gestreckt sind. Diese innere Verpackung ist mit dem für die Öffnung verantwortlichen Federhilfsschirm, jedoch nicht mit der Fallschirmkappe verbunden (sog. Freebag). Sollte sich der Pilot beim Bailout in der Luft überschlagen und mit dem sich öffnenden Fallschirm während der Öffnung verheddern, wird dadurch der weitere Öffnungsverlauf nicht behindert. Vermeidung von l Steuerbarkeit: Verletzungen durch Ausweichen vor Hindernissen (Wasser, Strom, Wald,

Schiene, Straße, Dach u.  v.  m.) bei der Landung l Größerer Aktionsradius des Fallschirms – auch gegen den Wind – durch höhere Eigengeschwindigkeit l Bremsbarkeit: Rückgang von Landeverletzungen durch Abbremsen des Fallschirms bei der Landung l In der Sprungausbildung werden für Erstspringer besonders große Fallschirme mit geringer Flächenbelastung und entsprechend geringem Sinken eingesetzt (diese Fallschirmgrößen werden im WINGMAN Personenfallschirm verwendet). Zu Beginn war die Verwendung der neuen Technik auf die Hauptfallschirme beschränkt. Sehr schnell wurde das Konzept wegen der immer offensichtlicher werdenden erheblichen Vorteile gegenüber der Rundkappentechnologie auch auf die Reservefallschirme ausgeweitet. Bei der Verwendung von Flächenfallschirmen als Reservefallschirm kommt noch ein weiteres, sehr wichtiges Argument zu den oben genannten hinzu: Flächenfallschirme werden aus Gründen der Öffnungssteuerung in 50  %

gebremstem Zustand gepackt (kommt gesetzten Landeklappen bei Flugzeugen gleich). Die Bremse betrifft Vorwärtsund Sinkgeschwindigkeit. Die Vorbremsung des Fallschirmes muss vorsätzlich gelöst werden, um dem Fallschirm volle Fahrt zu geben. Das bedeutet, jeder Nutzer kann von der Öffnung bis zur Landung diesen gebremsten Zustand unverändert beibehalten. Richtungsänderungen lassen sich dabei einfach mit den Gurten durchführen, indem diese ein Stück heruntergezogen werden. Rechter Gurt für rechts, linker Gurt für links. Also auch bei einer bewusstlosen Person unter dem Rettungsfallschirm finden daher Sinkflug und Landung mit der halben Geschwindigkeit statt. Nur wer den Rettungsfallschirm aktiv Steuern und zur Landung dynamisch bremsen möchte, wird die Bremsen öffnen wollen. Dies ist optional möglich. Es bedarf daher für die Nutzung der Flächenfallschirme nicht zwingend einer speziellen Ausbildung. Eine Nutzungsanleitung gibt es sowohl in Form des Handbuchs als auch über Videos auf der Webseite www.paratec.aero mit vielen

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weiteren nützlichen Infos. Dennoch ist es von großem Vorteil, sich mit der Technik seines Notschirms zu beschäftigen. Dies gilt nicht ausschließlich für Flug und Landung, sondern insbesondere auch für die gesamte Bedienung, automatische und manuelle Öffnungsvariante, Pflege, Wartung, Inspektionsund Packzyklen. Für Piloten mit weitergehendem Interesse an ihrem Notfallschirm wird von der Flugschule „Flying Bones“ am Flugplatz Tannheim in Deutschland in jährlichem Zyklus ein Bailout-Training angeboten. Einem intensiven Bodentraining folgt für die Teilnehmer ein Absprung mit zwangsausgelöster Öffnung. Info: www.flyingbones.de. t segelfliegen hat Thomas Jupp von PARARTEC dazu einige Fragen gestellt: Sind Flächenschirme größer und schwerer als herkömmliche Rundkappen? Diese Frage kann ich so nicht beantworten, sie bietet aber Gelegenheit für eine kurze Erklärung der aerodynamischen und konstruktiven Unterschiede. Ein direkter Vergleich ist wegen der völlig unterschiedlichen Aerodynamik der beiden Fallschirmtypen nicht möglich. Der aus Stoffbahnen und -feldern genähte Rundkappenfallschirm bremst die Sinkgeschwindigkeit nach dem Muster von Da Vincis bespanntem Rahmen. Einige Modelle verfügen sogar über Vorschub, der durch Fehlbahnen, die als Luftaustritte fungieren, erzeugt wird. Die Sinkgeschwindigkeit wird durch die Größe der Fläche, das Gewicht der angehängten Last und die Durchlässigkeit des Stoffes bestimmt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass einige Rundkappensysteme noch zu Zeiten deutlich geringerer durchschnittlicher Pilotengewichte entwickelt wurden. Flächenfallschirme bestehen – vereinfacht erklärt – aus zwei Lagen Stoff, die wie bei einer Tragfläche durch Spanten miteinander verbunden sind. Die

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vordere Eintrittskante ist offen, damit Luft einströmen kann. Die hintere Flügelkante ist zugenäht. Die so gestaute Luft bildet das Tragflächenprofil aus. Der Flächenfallschirm generiert dadurch Auftrieb und Vorschub nach dem Prinzip von Bernoulli. Gesteuert und gebremst wird über Steuerleinen, die an der Hinterkante des Flügels befestigt sind und wie Klappen an einer Tragfläche funktionieren. Die Steuerleinen des WINGMAN sind grundsätzlich in der 50 % Bremse für Sink- und Vorwärtsgeschwindigkeit und müssen aktiv gelöst werden. Soll der WINGMAN nicht aktiv geflogen werden, wird er bei gesetzten Bremsen mit den hinteren Gurten gesteuert. Ist das Packmaß vergleichbar mit einer Rundkappe? Durch die Verwendung moderner und hochwertiger Materialien aus dem Sportfallschirmbau erreichen wir geringere Packvolumina. Es stehen verschiedene Formen der äußeren Verpackung und auch dem Pilotengewicht anpassbare Fallschirmgrößen zur Auswahl. Dies ermöglicht stark individualisierbare Lösungen. Es gibt aber physikalisch gesetzte Grenzen. Aus technischer Sicht könnten sehr viel kleinere Fallschirmkappen verwendet werden, als wir es beim WINGMAN tun. Wir verwenden jedoch aus Sicherheitsgründen ausschließlich große Fallschirmkappen, wie sie auch bei der Ausbildung von Erstspringern in der Fallschirmsportausbildung benutzt werden. Wie hoch ist die Mindestabsprunghöhe, respektiv wie schnell öffnet der Fallschirm? Das Handbuch nennt 225 m Mindestabsprunghöhe als Wert. Dies berücksichtigt die Reaktionszeit des Piloten vom Verlassen des Luftfahrzeugs bis zum Herausziehen des Griffes. Die vertikale Öffnungsstrecke beträgt etwa 75 m.

Wie hoch sind die Geschwindigkeiten im gebremsten und im offenen Flug? Auch diese Frage kann man nicht pauschal, sondern nur differenziert beantworten. Die Werte sind abhängig von der Größe der Kappe und dem Gewicht der angehängten Last. Nehmen wir zur Vereinfachung die für den WINGMAN empfohlenen Maximalgewichte für die drei unterschiedlichen Fallschirmgrößen 190/88 kg, 220/105 kg und 250/115  kg als Grundlage. Die Werte sind ca. 9  m/s Vorwärtsfahrt ungebremst und 5  m/s gebremst. Für die Sinkgeschwindigkeit lauten die Werte 5,5 m/s bei gelösten Bremsen, 3,5 m/s bei gesetzten Bremsen. Kann man beim Steuern etwas falsch machen? Falsch wäre, nicht zu steuern, wenn es notwendig ist, Hindernissen auszuweichen. Mit gesetzten Bremsen sind nur flache Kurven im Sinne von „Richtungsänderung“ möglich. Dies geschieht, um Hindernissen möglichst rechtzeitig und großräumig auszuweichen, oder vielleicht um – im Idealfall – gegen den Wind zu landen. Sollte die Landung quer zum oder mit dem Wind stattfinden, ist nicht die Landegeschwindigkeit die Gefahr, sondern ein potenzielles Hindernis (Landungen bewusstloser Fallschirmspringer haben diese Erfahrungen geliefert). Die Fläche hat den Rundkappenfallschirmen gegenüber den Vorteil der deutlich besseren Manövrierbarkeit. So ist es viel leichter, Hindernissen auszuweichen. Wie läuft eine Landung mit aktiver Steuerung und Abbremsen ab? Völlig anders als die Landung nach einem Bailout. An dieser Stelle sollten wir zwischen der Landung eines Sportfallschirmspringers und der Landung nach einem Bailout unterscheiden. Beiden ist lediglich das oberste Ziel gemein: zu Fuß und möglichst unverletzt den Landort zu verlassen.

Der Sportspringer erhält in seiner Ausbildung umfangreiche Schulungen zu Luftraumbeobachtung, Kollisionsvermeidung, Ausweichregeln, Höhenabbau in sog. Wartezonen, Anflugeinteilung und zum eigentlichen Landemanöver. Er lernt mit Hilfe von Funkbetreuung den richtigen Zeitpunkt für das Brems- oder Flaremanöver mit seinem Schulungsfallschirm, um im Idealfall eine sanfte, nach ein paar Auslaufschritten stehende Landung zu absolvieren. Der Ablauf dieses Manövers muss geübt und natürlich bei jeder Landung den aktuellen Windverhältnissen angepasst werden. Das Landeverhalten eines Piloten nach dem Bailout sollte dem Notverfahren für Sprungschüler entsprechen, das dieser z. B. bei Orientierungsverlust und/oder Funkausfall durchführt. Diese lauten für die sog. Sicherheitslandung kurz und prägnant: l freies Gelände ansteuern l wenn möglich, gegen den Wind stellen l halbe Bremsposition l Füße zusammen, abrollen Das Verfahren dient der Vermeidung von Verletzungen, die durch individuelle Landefehler und Fehleinschätzungen verursacht werden können. Welches Packintervall haben die Fallschirme und wie lange ist die Lebensdauer? Das Packintervall ist jährlich. Vor einer Neupackung wird das gesamte System vom Packer inspiziert und mind. für 24 Stunden aufgehängt/gelüftet. Paratec gibt keine maximale Lebensdauer/ Nutzungsdauer vor. Bei der jährlichen Inspektion wird „on condition“ entschieden, ob das Gerät für ein weiteres Jahr einsatzfähig ist. Grund für den Verzicht auf die Angabe einer max. Lebensdauer: Handling und Pflege beeinflussen den Zustand eines Fallschirmes deutlich mehr als der zeitliche Alterungsprozess. Dies gilt insbesondere für Notfallschirme. Diese

Die rote Leine im Bild ist die automatische Auslösung. Es gibt aber auch einen Griff für die manuelle Auslösung. Als wichtiges Sicherheitsfeature wird der WINGMAN immer mit beiden Optionen (ohne Aufpreis) ausgeliefert

Kenntnis fußt auf den umfangreichen Erfahrungswerten aus unserem Fallschirmsportbereich. Für Notfallschirme/Personenfallschirme zur Rettung aus Luftnot liegt die Erhaltung der Einsatzbereitschaft in der Verantwortung der Halter. Die Rahmenbedingungen dafür legt jeweils der Hersteller dieser Fallschirme fest. Das betrifft die Art und Weise der Wartung, deren Zyklen sowie die Definition des berechtigten Personals und z. B. technische Voraussetzungen. Wo werden die Fallschirme hergestellt? PARATEC ist eine in Deutschland (Wallerfangen, Saarland) direkt am Flugplatz Saarlouis Düren ansässige Firma, gegründet im Jahr 1985. Hier fertigen inzwischen über 40 Mitarbeiter Sportfallschirme sowie Fallschirme und Accessoires für Sicherheits- und Streitkräfte. Unsere Produkte entstammen der eigenen Entwicklungsabteilung und sind JAA und FAA zugelassen. Seit 2005 verfügen wir über eine Zulassung des Deutschen Verteidigungsministeriums. Inzwischen vertrauen die Streitkräfte von insgesamt 18 Nationen auf Fall-

schirmausrüstung von PARATEC. Aus der für die Ausbildung von Sprungschülern entwickelten, seit über 20 Jahren bewährten Technik stammen die großen Reservefallschirmkappen, die seit 2015, dem Jahr der Serienreife des Projektes im WINGMAN verbaut werden. Die Idee, moderne Flächenfallschirme für die Rettung aus Luftnot einzusetzen, setzt sich durch. Dabei hat Qualität, Verwendung hochwertiger Materialien aus verschiedenen Ländern Europas und eine Produktion in Deutschland ihren Preis (ab 3833,59 EUR, www. paratec.de/next-wingman/). Doch verstehen mehr und mehr Piloten, dass sich diese Investition für diesen einen Moment, in dem dieser Fallschirm die letzte Möglichkeit darstellt, lohnt. t

Und hier geht es zu PARATEC: Webseite: www.paratec.de Mail: [email protected] Händlerverzeichnis auf der Webseite. Nach Absprache ist auch eine persönliche Beratung m Werk möglich.

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Quer geht auch Im vergangenen Sommer ist mir einer meiner Traumflüge geglückt: aus Landau in der Pfalz zur Zugspitze und zurück im reinen Segelflug mit meinem Arcus; meines Wissens der erste Flug dieser Art von der linken Rheinseite. Es war ein Sechs-Stunden-Flug quer zu den bekannten Thermikrennstrecken Schwarzwald und Alb – interessant und anspruchsvoll! Autor: Martin Theisinger

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Blick auf die Westwand der Zugspitze. Der Gipfel ist in Wolken gehüllt

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ar das ein grandioses Streckenflug-Wochenende, der 29. und 30. Mai 2021! Am Freitag tuckerte Albrecht, mein Studienkollege und Copilot, mit seinem Sinus von seiner Wahlheimat Nizza nach Landau-Ebenberg, während ich meinen Arcus für den Samstag präparierte: aufbauen, Wasserballast einfüllen und die Cockpitinstallationen vornehmen. Schlepppilot Max sagte mir den Schlepp für Samstag 10:00 Uhr zu. Ein 1000-km-FAI-Dreieck mit den Wenden im Sauerland, dem Bayrischen Wald und dem Südschwarzwald sollte es sein. Nach neuneinhalb Stunden war es vollbracht, wobei wir zweimal an Wettergrenzen stießen. Es war der Samstag, an dem Matthias Schunk und seine Freunde von der Alb zu den Steilküsten des Ärmelkanals unterwegs waren. An diesem Abend war klar, dass der Sonntag wohl auch wieder gut werden wird, doch Albrecht wollte partout nicht nochmal über neun Stunden im Arcus verbringen. Also schlug ich vor, etwas Kleines, so fünf bis sechs Stunden, zu fliegen. Schon einige Jahre träumte ich von einem Flug von Landau/Pfalz in die Alpen und wieder zurück. Quer zu allen Wetterautobahnen, quer durch total verschiedene Landschaftstypen, maximale Inhomogenität. Start bei lausiger Blauthermik Sonntagmorgens gebe ich Reutte/Tirol ein (im Kopf die Zugspitze...) und mir wird klar, dass uns ein echtes Abenteuer bevorsteht! Um halb elf zieren schöne Cumuli den Ostrand des Pfälzerwaldes, doch die Rheinebene, der Kraichgau und der Nordschwarzwald sind bei mäßigem Nordostwind noch diesig blau. Ich starte entgegen aller Streckenflieger-Reflexe nicht in den bereits gut entwickelten Westen, sondern in den zunächst schwachen Osten in der Hoffnung, später belohnt zu werden. Das Schwierigste liegt direkt am Anfang – wenn das was werden soll, sollten wir bald los, denk ich mir. Kurz vor 11:00 Uhr geht es aus 600 m in der beginnenden Blauthermik nach Osten. Erste kleine, noch völlig unstrukturierte Fetzchen bil-

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den sich über dem Herxheimer Wald im Osten; der erste „Hotspot“ südlich Rülzheim bringt 0,7 m/s. Geduldig schrauben wir uns mit unseren 800 kg auf 1000 m, bevor wir die Rheinquerung wagen. Erst westlich Bruchsal geht es aus 400 m mit einem guten Meter wieder auf 1100 m. Im kleinsten Gang durch den Kraichgau Vorsichtig tasten wir uns entlang der ICE-Trasse in den hügeligen Kraichgau (heute „Kriechgau“) nördlich Bretten. Unter vielen kleinen Fetzen können wir zwar nicht kurbeln, jedoch unseren Gleitflug erstaunlich gut strecken. Wir hören im Platzfunk des Hangensteiner Hofs, dass es dort wohl schon auf 1400 m geht. Plötzlich erkennen wir auch im Osten die ersten richtigen Cumuli, unter denen wir schließlich tief ankommen, aber mit versöhnlichen 2,4 m/s an die Basis gehoben werden. Da südlich von Stuttgart und im

Nordschwarzwald nur spärliche Cu-Bewölkung zu erkennen ist, entscheiden wir uns, den Luftraum C von Stuttgart nördlich zu umfliegen. Ab Flugplatz Löchgau, wo uns das erste Segelflugzeug des Tages begegnet, geht es unter schönen, 30 Grad links zum Kurs ausgerichteten Wolkenstraßen gut voran. Immer wieder folgen wir diesen schönen Aufreihungen und springen in einem sich gut anfühlenden Rhythmus jeweils nach rechts zum nächsten Aufwindband. Im Flow geht es mit nur seltenen Kreisen zwischen 1200 m und 1600 m bis kurz vor die Alb. Eigentlich weiß ich von den Hahnweidewettbewerben, dass man bei Ostlage hoch in die Alb einsteigen muss. Eigentlich! Ich müsste mit 2 m/s ganz hoch kommen, denke allerdings, dass es ja auch aus dem mittleren Niveau klappen könnte. Abschmettern beim Alb-Einstieg Der Ostwind hat zugenommen, das Lee ist ausgeprägter, als ich vermutet habe. Würde ich durchziehen, kämen wir in ca. 200 m unter der guten Albbewölkung auf dem Hochplateau an. Dieses Risiko erscheint mir jedoch zu groß. Bekäme ich hier keinen Anschluss, wäre der ganze Flug futsch. Ich drehe mit einer 180°-Kurve reumütig zurück vor die Alb, werde regelrecht abgeschmettert und erwische glücklicherweise einen wilden 1,8 m/s Leebart, der mir endlich das begehrte Ticket für die höhere Alb beschert. Unter der längs zur Alb verlaufenden Hauptwolkenstraße herrscht in beiden Richtungen ein immenser Segelflugverkehr. Diese „Thermik-Autobahn“ gilt es nur zu queren, wobei

wir einmal bis auf 2000 m ins Getümmel der hin- und herschießenden Segelflugzeuge reinsteigen müssen, um sicher den Anschluss bei Ulm zu bekommen. Eine Ehrenrunde über dem sagenhaften Ulmer Münster muss sein. Wir sind ja heute nicht im Wettbewerb. Sprung ins Allgäu Über dem Illertal sinkt die Basis um 300 m ab, die Wolken sind noch einigermaßen gutaussehend, aber irgendwie wird das Steigen unzuverlässiger. Eine thermisch hoffnungsvolle Stelle liegt leider in der Parazone von Illertissen, für die wir über Funk keine Einfluggenehmigung bekommen. Wir müssen uns mit Bärten um die 2 m/s begnügen und tiefer abgleiten. Der Untergrund wird zusehends grüner (Bild links). Ganz in der Ferne winken endlich die schneebedeckten Alpenkämme, die wie ein Motivationschub wirken! Einstieg in die Allgäuer Alpen Wie lange wir wohl brauchen werden, bis wir dahin kommen? Für weitere Spannung sorgt auch die TMZ Memmingen. Wir sind froh, als diese endlich hinter uns liegt. Der Grenzbereich zwischen den beiden meteorologischen Systemen Alpen und Allgäu ist nicht gut entwickelt. Um beim Einstieg nicht zu tief ins Alpenrelief eintauchen zu müssen, versuche ich, alles an Höhe auszuquetschen, was die letzten Allgäu-Bärte hergeben. Das zahlt sich aus, denn wir kommen knapp über der ersten Gebirgskette an und können dann gut bis zur Basis in nun 2400 m wegsteigen. Wir queren, immer möglichst hoch bleibend, das Lechtal bei

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Reutte, südlich von Hopfensee und Forggensee (Bild oben). Über den wunderschön gefärbten Plansee (Bild links) geht es danach ins höhere Relief bis kurz vor den Fernpass. Da hinten liegt sie: die Zugspitze! Ihr Gipfel leider in Wolken eingehüllt. Da die Basis nun bei 2500 m liegt, ist es uns möglich, noch ein Stückchen in Richtung Westwand dieses zauberhaften Gebirgsstockes zu gleiten. Wir saugen dieses tolle Panorama in uns auf und wenden, denn nun sind drei Stunden rum und schließlich wollen wir auch heute wieder in die Pfalz zurück! Rückweg über Reutte bis zur „Bodenseeluft“ Vor der Querung des Lechtals, in welchem sich mittlerweile eine steife Taleinwindbrise etabliert hat, sollten wir nochmal auf Maximalhöhe steigen. Der Plan ist es, möglichst lange auf Westkurs den Alpen zu folgen (Bild rechts) und bei geeigneter Wolkenkonfiguration nach Nordwesten in Richtung Schwäbische Alb zu springen. Wir wollen nicht noch Probleme mit der CTR Memmingen bekommen und, weil es einfach spannend ist, einen anderen Rückweg wählen. Recht bald kann ich ein vollkommen abgetrocknetes Gebiet zwischen Bodensee und Oberschwaben erkennen, das es zu umfliegen gilt. Diese Abtrocknung von Südwesten war auch in Skysight vorhergesagt. Aus 2400 m gleiten wir nach einem

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Rechts-Haken in nördliche Richtung, vorbei an der Südwestflanke der CTR Memmingen bis zur zweiten Wolkenreihe. Mit zwei langen Wolkenstraßen vom Allgäu auf die Alb Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass man nie der ersten Wolkenreihe am Rande eines Abtrocknungsgebietes trauen sollte! Nach einer Drehung nach links in die zweite Wolkenreihe sieht man die stetig zunehmende Qualität der Cumuli. Lange geht es in tragender Linie zwischen 0 und 1 m/s geradeaus. Mein Co, der während der letzten halben Stunde sehr still war, beginnt mit sanftem verbalem Druck von hinten: „Jedzt muschd aber mal kreise!“ Einen Augenblick später kommen die rettenden 3 m/s an einer besonders dunklen Stelle auf der Südseite der sehr breiten Wolkenstraße. Optimistisch steigen wir aus südöstlicher Richtung auf die Alb hinauf, die zwischen Donau und Schlechtenfeld nicht wirklich etwas thermisch Brauchbares zu bieten hat. Die immer schärfer konturierten Wolken auf der hohen Alb ziehen magnetisch an. Diese tollen Wolken fliegen mit 150 km/h auf uns zu, der Boden kommt näher und näher. Endlich in 350 m über Grund gelingt der Einstieg in die hervorragende Albthermik, die uns auf 2100 m regelrecht hinaufschleudert.

Absprung von der hohen Alb in Richtung Schwarzwald Mit Peilung auf die Südostecke vom Luftraum Stuttgart verlassen wir die Alb mit Maximalhöhe ins fast Blaue. Ein paar kleine flache Wolkenfetzen weisen uns den Weg unter dem „äußeren Balkon“ vom Luftraum Stuttgart. Pianissimo geht es haarscharf am Südrand des Beschränkungsgebiets nach Westen. Deutlich nordöstlich des fast immer zuverlässigen Untermusbacher Segelfluggeländes finden wir den guten 2,5 m/s-Bart, der uns auf minus 400 m zum Gleitpfad für Landau bringt. Um direkt fliegen zu können, nimmt Albrecht mit Strasbourg Approach Kontakt auf und ist wie fast immer erfolgreich! Noch drei kleine flache Cumuli stehen auf unserer rechts vom Murgtal verlaufenden Kurslinie. Danach ist alles blau. Kreislos ziehen wir unter jedem dieser Wölkchen gut 100 m raus und sind schließlich mit Null im Gleitpfad. Dank Strasbourg dürfen wir die Nordostecke Frankreichs südwestlich von Karlsruhe tangieren. Im Gegenlicht sehr gut erkennbare Dunstkuppen ermöglichen einen immer schnelleren und sicheren Endanflug nach Landau-Ebenberg, wo wir gegen 17:00 Uhr überglücklich ausrollen. Das nächste Mal, bei etwas höherer Basis, wird die Zugspitze komplett umrundet. t

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Windenstart mit

elastischen Seilen

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Über das Thema Elastizität des Seils beim Windenstart ist mir bisher keine wissenschaftliche Untersuchung bekannt. Man könnte auch deshalb zu der Einschätzung gelangen, dass der Einfluss auf den Start wohl nicht so gravierend ist. Damit liegt man aber ziemlich daneben. Dasselbe gilt für die Annahme, dass eine hohe Elastizität wie beispielsweise beim Kunststoffseil einen ruhigeren Start hervorbringt. Autor: K arl Höck

Bild: R ainer Massalski, Grafiken: K arl Höck

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m der Sache auf den Grund zu gehen, kommen wir um eine Simulation des gesamten Starts nicht herum, und zwar den Start mit sämtlichen mechanischen und aerodynamischen Parametern von Winde, Seil und Flugzeug. Man könnte natürlich auch praktische Messreihen veranstalten, bekäme dann aber eventuell nur wenige Ergebnisse und Interpretationsmöglichkeiten. Der Weg der Simulation Hierbei stellen wir uns den Startprozess als ein Zweimassensystem von Flugzeug und Trommelmasse vor, das mit einem elastischen Seil (Feder) verbunden ist. Die Flugzeugmasse nehmen wir im Startverlauf als weitgehend konstant an, was auch für die rotierenden Massen bezogen auf die Seiltrommel gilt. Masse und Steifigkeit des Seils hingegen ändern sich laufend mit der Seillänge. Dyneema etwa halb so steif wie Stahlseil Die Ausführung der Seile soll den handelsüblichen, geflochtenen Quali-

täten aus Federstahldraht bzw. aus gerecktem PE (Handelsbezeichnung Dyneema) mit ähnlichen Durchmessern (4,6/4,5  mm) entsprechen. An dieser Stelle sei vermerkt, dass entgegen vielfachen Meinungsäußerungen, das Stahlseil etwa die doppelte Steifigkeit besitzt. Das Gewicht des Dyneema-Seils liegt für vergleichbare Arbeitslasten dagegen nur etwa bei 13  % dessen von Stahl. Dies führt zu gravierenden Auswirkungen für die Anfangsbeschleunigung und die Ausklinkhöhe beim Start. Das Rechenprogramm der Simulation ist mit den Bedingungen des dynamischen Gleichgewichts der Kräfte und Momente an Flugzeug, Seil, und Winde erstellt worden. Hierbei werden von Anfang an alle Kräfte und Momente in Bezug zum Schwerpunkt der Maschine errechnet und in entsprechende Translations- und Rotationsbewegungen übersetzt. Die Berechnungen führen zuletzt auch zum Verlauf der Anstellwinkel über den gesamten Prozess. Zur Veranschaulichung auch der Winkelfunktionen können dazu die Schemata in den Bildern 1-3 herangezogen

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1 Kraft- und Momentschema Windenstart 2 Kraftpolygon Windenstart 68

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werden. Bild 3 zeigt hierbei explizit die Entwicklung der Anstellwinkel und Flugweggrößen mit den entscheidenden Hebelarmgrößen der Seilkraft für verschiede Flächenbelastungen. Simulation mit 300 PS Wandler-Winde und drei 1000 m langen Seilen Wir simulieren nun drei Starts mit unterschiedlichen Seilen bei 1000 m Länge und zeigen das Ergebnis in Bild 4. Bei diesen Vergleichsstarts wird ein 525 kg schwerer Flieger mit anfangs voller Primärleistung der WandlerWinde gestartet, der Fahrhebel mit einer Rampe von 2,5 s auf Volllast gestellt. Zwecks Seilkraftbegrenzung im letzten Drittel der Starts muss der Fahrhebel dort langsam auf 75 % zurückgenommen werden. Die Bewegung des Steuerknüppels ist ebenfalls bei allen Starts gleich, das anfangs halb gedrückte Höhenruder wird nach dem Abheben langsam voll durchgezogen (minus 25 Grad). Die rotierende Masse am Abtrieb der Winde wurde mit 150 kg, bezogen auf den wirksamen Trommel-Durchmesser angenommen.

3 3 Entwicklung Seilkrafthebelarm 4 Seilkräfte mit elastischem Seil 5 Vergleich Seil starr/elastisch

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Überlagerte periodische SeilkraftSchwingung Betrachten wir nun die ersten Ergebnisse dieser Simulationen mit den gewonnenen Seilkräften und den Flugweglinien, so fallen vor allem die großen Unterschiede im Verlauf der Seilkräfte auf. Im Vergleich zum theoretischen Verlauf der Seilkraft ohne Elastizität (grün) ergeben sich überlagerte Schwingungen im Frequenzbereich von 28 (1/min) für das Stahlseil und etwa der halben Frequenz für das Kunststoffseil. Allerdings ist die Amplitude bei Kunststoff im anfänglichen Beschleunigungsbereich etwa doppelt so groß. Dort wirkten Seilelastizität und Trommelmasse wie ein Energiespeicher, welche die Seilkraft um 30 % verstärken. Diese Verstärkung kann bei längeren Seilen weiter anwachsen. Wie erwartet erreicht der Flugweg mit Stahlseil die geringste Höhe. Dies ist bedingt durch den wesentlich größeren Seildurchhang und die Erhöhung der Masse des Flugzeugs mit einen Teil der Seilmasse. Interessant ist das Ergebnis mit dem elastischen Kunststoffseil, hier liegt die Höhenkurve zuletzt 20 m über der theoretischen Kurve ohne Elastizität. Woher kommt nun dieser Höhengewinn beim elastischen Kunststoffseil? Verstärkung der Seilkraft durch Energiespeicherung des elastischen Seils Wir haben beim Dyneema-Seil eine Arbeitsdehnung von etwa 1 %, also 10 m bei Seillänge 1000 m und Seilkraft 7500N, was beim Beschleunigungsvorgang zur Speicherung von Energie und zu mehr oder weniger Verstärkung der Seilkraft im gesamten Prozess führt. Dies ist in Bild 5 ohne weiteres zu

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erkennen. Man kann den Effekt als Schleuderwirkung des Seils betrachten, das sich wie der Gummi einer Schleuder aufzieht und im Verlauf des Starts zu periodischen Seilkraft-Schwankungen führt. Diese bewirken am Flieger Fahrtschwankungen und Nickbewegungen (Pumpen). Besonders gravierend ist der Schwingungs-Effekt mit Stahlseil im oberen Bereich des Schlepps, wobei das System offenbar nahe an die Eigenfrequenz kommt. Dort wirkt auch der größte Hebel der Seilkraft mit dem entsprechende Gegenmoment des Leitwerks verstärkend. In der Simulation mit Stahlseil musste deshalb im oberen Startbereich die Dämpfung des Leitwerks auf das Doppelte erhöht werden, damit sich das System nicht zu sehr aufschaukelt. Wir haben es mit einem klassischen Schwingungssystem zu tun, wobei die von der Seilkraft induzierten Nickbewegungen um den Schwerpunkt nur wenig von Leitwerk und Rumpf aerodynamisch gedämpft werden. Der Seildurchhang kann nicht zur Dämpfung beitragen, da die Eigenfrequenz der Querschwingung des Seils sehr langwellig ist. Die einzigen Möglichkeiten, das Schwingungssystem zu beruhigen, wären größere Leitwerke sowie die Reduzierung der Seilkraft im oberen Bereich des Schlepps. Aber auch die Verschiebung des Schwerpunktes in den vorderen Bereich bringt Beruhigung, wie aus den Vergleichsstarts in Bild 6 ersehen werden kann. Allerdings leidet hierbei weiter die Ausklinkhöhe, auch wegen der durchwegs kleineren Anstellwinkel. Fokus auf den Abhebebereich Aber wenden wir uns nochmals dem Beschleunigungsbereich am Anfang des Starts zu: Wir sehen die hohe Verstärkung der Seilkraft bei Verwendung des Kunststoffseils. Diese ist abhängig von

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6 Vergleichstarts mit Stahlseil 7 Abheben / Dyneema 3000 m/Pendelruder 7

der Seillänge, aber auch stark von der Lastrampe. Das bedeutet, wie schnell der Windenfahrer Gas gibt. Hierzu sehen wir uns in Bild 7 nur den Beschleunigungsbereich an, mit sonst gleichen Parametern, jedoch bei Verwendung von 3000 m Dyneema Seil

und Pendelruder: Zunächst fällt der gänzlich verschobene Verlauf der Trommelgeschwindigkeit zur Fahrt und Seilgeschwindigkeit am Flugzeug ins Auge. Erstere steigt in der Dehnungsphase des Seils früher an, zeigt aber bei Anschlag des Fahrhebels einen Wendepunkt. Bei

voll gedehntem Seil und maximaler Seilkraft sind beide Geschwindigkeiten gleich, das ist kurz vor dem Abheben. Die maximale Seilkraft liegt dort bei 158 % des Fluggewichts und damit erheblich über der Antriebskraft der Winde bei 90 km/h Abhebe-Geschwindigkeit (120%). Interessant ist auch der Fakt, dass die Maschine beim unteren Wendepunkt der Trommel-Geschwindigkeit (67 km/h) abhebt. Der Windenfahrer kann sich also nicht auf die Anzeige der Trommelgeschwindigkeit verlassen. Die Seilkraftverstärkungen können bei kürzeren Anfahrrampen noch höher ausfallen. Die Seilkraft zum Zeitpunkt des Abhebens liegt entsprechend Bild 7 bei 150 % und ist für den Piloten und die Maschine viel zu hoch. Dies führt für eine halbe Sekunde zu einem überzogenen Anstellwinkel am Flügel über

10 Grad. Allerdings bleibt der Anstellwinkel am Pendelruder noch im sicheren Bereich unter 17 Grad (wegen der geringeren Streckung des Höhenruders ist dieser größer als am Flügel, allerdings ist auch der Zuwachs wegen der Rotation höher). Kurz nach dem Abheben erreicht die Maschine bereits einen Neigungswinkel von 22 Grad in sechs Metern Höhe, was wie ein Kavalierstart aussieht. Der Pilot hat das Pendelruder jedoch von Anfang an halb durchgedrückt. Eine Sekunde nach dem Abheben ist die Gefahr schon wieder vorbei, da mit dem rasanten Fahrtzuwachs und mit dem steigenden Neigungswinkel ein negatives Gesamtmoment um den Schwerpunkt des Fliegers entstanden ist. Außerdem drückt die hohe Vertikalgeschwindigkeit den Anstellwinkel zusätzlich.

Fazit Mit der Verwendung der modernen Kunststoffseile werden Handling und Höhenausbeute besonders bei langen Seilen wesentlich verbessert. Durch den Schleudereffekt des Seils kann es jedoch vermehrt zu einer Überlastung des Seils im Beschleunigungsbereich kommen, wodurch das Thema „Sollbruchstelle und Seilriss“ weiter verschlechtert wird. Auch wird im Abhebebereich ein Stall des Flugzeugs begünstigt. Seilkraftschwingungen im oberen Bereich des Starts und nachfolgendem Pumpen sind mit Stahlseilen wahrscheinlicher und können nur durch Reduzierung der Seilkraft und vordere Schwerpunktlage am Flieger gedämpft werden. Der Einsatz von Elektromoren mit direktem Antrieb der Trommel wirkt wegen des größeren Trägheitsmoments schwingungsverstärkend. t

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Vorseilsuche bis zum Sonnenuntergang...

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er Seilriss wird ja bekanntermaßen in der Segelflugausbildung ausgiebig geübt. Idealerweise ist ein wirklicher Seilriss dann nicht mehr gefährlich, sondern nur nur noch ärgerlich, unter anderem wegen der Suche nach dem Vorseil. Im Verein des Autors hat das Thema eine besondere Brisanz, da die Segelflieger auf einem Sonderflughafen geduldet werden und ein Fremdkörperschaden durch ein nicht wiedergefun-

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denes Vorseil das Potenzial hätte, diese Duldung schnell zu beenden. Konsequenterweise wird das Vorseil bis Sonnenuntergang gesucht... Frühere Versuche mit Peilsendern, wie sie etwa zur Ortung von Haustieren angeboten werden, waren nicht von Erfolg gekrönt. Die Reichweite war unzureichend, so dass das weitläufige Gelände zeitaufwändig in schmalen Streifen abgesucht werden musste. Der einzige Empfänger war meist im Lepo unterwegs, so dass sich der Suchbeginn

verzögerte. Und nicht zuletzt war die Ausdauer der Batterien eher enttäuschend, so dass regelmäßig die Sender wegen leerer Batterien nicht funktionierten – unnötig zu sagen, dass so etwas immer erst nach dem Seilriss auffällt. Bluetooth-Tracker – die Lösung? Eine Vielzahl von Anbietern hat in den den letzten Jahren kompakte BluetoothTracker auf den Markt gebracht und wirbt mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten. Die technische Weiter-

Ja...

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isses denn?! Nach einem Seilriss im Windenstart wird in der Regel das Vorseil gesucht, bis man guten Gewissens behaupten kann, dass es nicht aufzufinden ist. Das unterbricht den Flugbetrieb über längere Zeit. Eine technische Lösung in Form eines Peilsenders ist damit naheliegend. Autor: Thomas Heuer, Bilder: Stephan Erl, Thomas Heuer

entwicklung in den letzten Jahren war rasant, insbesondere in Richtung Miniaturisierung und fortschrittlichem Energie-Management. Unter den zahlreichen mittlerweile verfügbaren Geräten fiel die Wahl auf das Tile Mate, das für etwa 25 Euro sowohl direkt beim Hersteller Tile als auch im Versandhandel erhältlich ist. Die technischen Daten lesen sich recht gut, ausschlaggebend sind eine Masse unter 10 Gramm, Reichweiten von 50 Meter und mehr und Batterielaufzeiten

von wenigstens einem Jahr. Diesen Herstellerangaben wurde mit einem gesunden Maß Skepsis begegnet, da sie typischerweise unter Idealbedingungen bestimmt werden und nicht immer auf die Praxis zu übertragen sind. Mittlerweile wurde auch ein Nachfolgermodell vorgestellt, das eine größere Reichweite und eine auf drei Jahre verlängerte Batterielaufzeit bietet, allerdings zum Preis einer fest verbauten Batterie und damit eines Neukaufs bei verbrauchter Batterie.

Natürlich ist ein Einsatz in der Luftfahrt vom Hersteller nicht vorgesehen. Die Diskussion mit dem technischen Kundendienst des Anbieters lief darauf hinaus, dass keine Erfahrungen mit einem Sturz aus größerer Höhe vorliegen, aber bei geeigneter Umhüllung keine Schäden erwartet werden – ohne jede Gewähr natürlich. Lediglich bei einem Aufprall auf Beton oder Asphalt war man sich da nicht so sicher. Aufgrund des überschaubaren Preises für die Tracker wurde dieses Risiko

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Links: Bluetooth-Tracker in gedruckter Halterung Rechts: Am Seil befestigt

jedoch als akzeptabel erachtet. Somit wurde entschieden, derartige Peilsender über eine Saison zu erproben. Ausschlaggebend war hier auch die Tatsache, dass über eine App jedes Smartphone als Empfänger dienen kann. Auch eine parallele Suche mit mehreren Handys wäre möglich, was das Auffinden des Vorseils wesentlich beschleunigen könnte. Kreativität war gefragt Zunächst stellte sich die Frage, wie der Bluetooth-Tracker sicher am Vorseil befestigt und gegen einen Aufprall geschützt werden kann. Die Befestigung muss auch dem Schleifen über die Startstrecke beim Anrollen widerstehen und darf selbstverständlich nicht die normale Funktion des Vorseils beeinträchtigen. Der gewählte Bluetooth-Tracker ist mit IP55 strahlwasserfest, so dass auf einen zusätzlichen Schutz gegen Regenwasser verzichtet werden kann. Die dazu angefertigte Umhüllung besteht aus drei Komponenten: Ein auf dem 3D-Drucker hergestelltes Kunststoffteil nimmt den Bluetooth-Tracker auf und wird seinerseits mit Kabelbindern am Seil befestigt, wozu die Schlauchhülle in entsprechender Länge entfernt wurde. Als Material wurde

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HIPS (High-Impact Polystyrene) verwendet, denkbar wäre auch ABS (Acrylnitril-Butadien-Styrol), das eine vergleichbare Schlagfestigkeit aufweist. Als Polsterung dient eine Lage Moosgummi, der wiederum mit einem Kabelbinder befestigt wird. Den Abschluss bildet ein Stück dickwandiger Schrumpfschlauch, wie er etwa bei Erdkabeln in der Telekommunikation zum Einsatz kommt. Praxis-Einsatz Die Vorseilsucher kamen über eine gesamte Saison zum Einsatz und wurden auch an einem weiteren Flugplatz im Rahmen eines Fluglagers verwendet. Neben mehreren hundert normalen Starts überstanden die wie oben beschrieben verpackten BluetoothTracker auch mehrere Seilrisse. Die Vorseile wurden dabei in Höhen zwischen 100 und 250 Meter ausgeklinkt und schlugen somit ungebremst auf. Bei der Überarbeitung nach Saisonende wurden keinerlei Schäden an Trackern, Befestigung oder Umhüllung festgestellt. Allerdings traf auch keines der Vorseile eine Rollbahn oder sonst eine harte Oberfläche, der ultimative Test steht also noch aus. Die Batterien hielten problemlos eine gesamte Saison, einschließlich einiger

Tests, Vorführungen und mehrerer Suchaktionen. Auch etwa elf Monate nach Inbetriebnahme war noch keine der Batterien vollständig entladen, das beworbene Jahr Batterielaufzeit erscheint somit durchaus realistisch. Kommen wir zur Hauptsache: Wie gestaltet sich die Suche? Grundsätzlich wurden durchaus Reichweiten von 50 Metern oder mehr erreicht, wobei die genaue Lage des Seils einen beträchtlichen Einfluss auf die Empfangsbedingungen hat. Da Bluetooth grundsätzlich keine Richtungsempfindlichkeit besitzt, gibt nur die Änderung der Empfangsstärke Aufschluss über die Richtung zum Vorseil. Das funktioniert in etwa nach dem wohl noch aus Kinderzeiten bekannten „Wärmer – Kälter“ Prinzip, wobei die Abstufungen der angezeigten Empfangsstärke feiner sein dürften. Die Suche mit mehreren Smartphones parallel funktioniert problemlos. Aus Fahrzeugen heraus kann mit Einschränkungen gesucht werden. Der Empfang wird nicht wesentlich behindert, allerdings reagiert das System etwas träge, so dass man unter Umständen erst eine Anzeige bekommt, wenn man schon am Seil vorbeigefahren ist. Durch die fehlende Richtungsanzeige und die grob abgestufte Empfangsanzeige erfordert die Interpretation der App ein

Links: Moosgummi zur Polsterung Rechts: Widerstandsfähige Umhüllung mit Schrumpfschlauch

wenig Übung. Insgesamt aber konnte die Suche nach den Vorseilen spürbar beschleunigt werden. Es ist in dieser Saison kein Vorseil verloren gegangen. Ein Seil konnte, nachdem es am äußersten Rand des ursprünglichen Suchgebiets einen sporadischen Kontakt gab, etwa 100 Meter entfernt in einer Buschreihe gefunden werden. Es ist durchaus vorstellbar, dass dieses Seil ohne Hilfsmittel nicht gefunden worden wäre.

Die Kostenfrage Geeignete Bluetooth-Tracker sind ab ca. 20 Euro erhältlich, wobei es auch immer wieder deutlich günstigere Angebote gibt. Bei dem gewählten Anbieter fallen monatlich 3,50 Euro für einen Premium-Account an; dieser wird benötigt, um die Tracker mit mehr als einer weiteren Person teilen zu können. Hinzu kommen ein paar Euro für Verbrauchsmaterialien, vor

allem für die beim Batteriewechsel zu erneuernden Schrumpfschläuche. Insgesamt liegen die Kosten auf jeden Fall unter dem Preis eines neu anzufertigenden Vorseils. Betrachtet man die möglichen Folgeschäden durch ein nicht wiedergefundenes Vorseil, und sei es nur am Mähwerk des Rasentraktors, so sind die Bluetooth-basierten Vorseilsucher in jedem Fall die günstigere Alternative. t

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Wo Ideen fliegen lernen 100 Jahre Akaflieg Darmstadt

Im Jahr 1920 wurde die Akaflieg Darmstadt von einigen flugbegeisterten Studenten mit dem Ziel und Motto „forschen, bauen, fliegen“ gegründet. Diesem Ziel ist man bis heute treu geblieben und blickt so nun auf 100 Jahre Geschichte zurück. Autor: Moritz Heinrich, Bilder: Akaflieg Darmstadt

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or über 100 Jahren schloss sich in Darmstadt eine Gruppe von Gymnasiasten zusammen, die alle der Ehrgeiz gepackt hatte, eigene Fluggeräte zu bauen. Den Anstoß dafür gab die erste Internationale Luftschifffahrt-Ausstellung (ILA), die 1909 in Frankfurt am Main stattfand und viele der Anwesenden in den Bann zog. Dominiert wurde die erste ILA noch von Ballonen und Luftschiffen, aber auch Flugapparate und Drachen wurden gezeigt. Vom Gesehenen inspiriert, wurde die Flug-Sport-Vereinigung Darmstadt (FSV ) gegründet. Zunächst wurden noch Papierflieger gebaut und deren Eigenschaften studiert, doch schon bald wagte man sich an Gleitflugzeuge heran. Über die Zeit wurden einige Prototypen fertiggestellt, von FSV I bis FSV X, die jeweils noch zusätzlich etlichen Änderungen und Verbesserungen erfuhren. 1912 schaffte Hans Gutermuth mit der FSV X eine Flugdauer von 112 Sekunden und eine Strecke von 838 Metern. Dies stellte einen neuen Weltrekord im Strecken- und Dauerflug dar, auch wenn dieser nur inoffiziell war. Jedoch war diese Episode in der Geschichte der

Akaflieg nur von kurzer Dauer. Zwei Jahre später, mit Beginn des Ersten Weltkriegs, mussten die Arbeiten der FSV niedergelegt werden. Alle früheren Mitglieder meldeten sich freiwillig zum Kriegseinsatz – einige kehrten nicht wieder zurück. Akademische Fliegergruppe Darmstadt Nach Kriegsende fanden sich viele der ehemaligen Flieger in den Vorlesungssälen der TH Darmstadt wieder. Sie hatten die Freiheit des Fliegens erlebt und wollten auch nun nicht mehr am Boden bleiben müssen. So taten sie sich zusammen mit dem großen Ziel, wieder Flugzeuge zu bauen und zu fliegen. Durch das Verbot des Motorflugs wich man auf den Segelflug aus und trat damit das Erbe der ehemaligen FSV an. Im November 1920 wurde auf Initiative von Geheimrat Professor Max Gutermuth, dem Vater des im Krieg verstorbenen Max Gutermuth, ein Vorstand gewählt und damit die Akademische Fliegergruppe Darmstadt gegründet. Das erste Flugzeug der neuen Gruppe war ein von Eugen von Loessl begonnener „Parasol“-Eindecker, welchen einige Mitglieder in der Reitbahn des

Die D-37 im Landeanflug

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Barons von Waldhausen in Gersfeld vollendeten. Er bekam als erster Prototyp die Bezeichnung D-1 und begründete damit die Flugzeugbaureihe der Akaflieg Darmstadt, die bis heute fortgeführt wird. In den folgenden Jahren kamen weitere Eigenentwicklungen hinzu, unter anderem die D-9 „Konsul“. Mit dem Entwurf von Botsch und Spies gelang es der Akaflieg Darmstadt, einen Flieger zu bauen, dessen Flugleistungen anderen weit überlegen war. Der „Konsul“ gewann auf dem Röhn-Wettbewerb 1923 den Konstruktionspreis der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt als das beste richtungsweisende Flugzeug des Jahres. Das sollte sich auch noch am Ende des Wettbewerbs bewahrheiten, denn Botsch gelang es, eine Strecke von 18,7 Kilometern zu überwinden. Ein neuer Weltrekord! Auch danach konnte der „Konsul“ noch viele Preise gewinnen und überzeugte immer wieder durch seine Leistungen. Er wird auch wegen des fortschrittlichen Designs als „Urvater des modernen Segelflugzeuges“ bezeichnet. 1933 war der Erstflug der D-28 „Windspiel“, welcher ein weiterer Meilenstein

in der Entwicklung des Segelflugzeugs in Darmstadt darstellte. Mit einem Leergewicht von etwa 54 Kilogramm und einer Spannweite von 12 Metern erreichte das „Windspiel“ überragende Flugeigenschaften. Hans „Sony“ Fischer gelang 1934 ein neuer Streckenweltrekord von 240 Kilometern. Bedauerlicherweise wurde das „Windspiel“ 1935 von einer landenden Motormaschine gerammt und beinahe vollständig zerstört. Auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gingen die Arbeiten in der Akaflieg in eingeschränkter Form weiter, bis 1944 große Teile der Darmstädter Innenstadt zerstört wurden, darunter auch die Werkstatt der Akaflieg sowie das Konstruktionsbüro mit sämtlichen Unterlagen. Einige Mitglieder zogen daraufhin mit den verbleibenden Maschinen nach Prien, wo sie zusammen mit den Münchner Akafliegern an der D-33, jetzt unter dem Namen DM  1, weiterarbeiteten. Die DM  1 war ein Versuchsflugzeug mit Deltaflügeln zur Untersuchung der Flugeigenschaften und Aerodynamik im Überschallbereich. Jedoch sollte die DM  1 keinen Antrieb bekommen, sondern huckepack mit

einem sogenannten Mistelschlepp auf Höhe gebracht werden und von dort im Sturzflug die geplante Höchstgeschwindigkeit erreichen. Bevor das Flugzeug fertiggestellt werden konnte, ging der Krieg zu Ende und die Amerikaner beschlagnahmten die DM 1, um sie in den USA im Windkanal zu untersuchen. Die Akaflieg wurde während dieser Zeit vorläufig aufgelöst. Neugründung der Akaflieg In den Jahren von 1945 bis 1951 gab es in Prien und Darmstadt immer wieder zwanglose Treffen der ehemaligen Mitglieder der Akaflieg Darmstadt, zunächst ohne feste Pläne, die Akaflieg neu zu gründen. An der TH regte sich

jedoch immer stärker der Wunsch, wieder eigene Segelflugzeuge zu entwickeln und die Akaflieg neu aufzubauen. So kam es dann am 09. Mai 1951 zur Neugründung durch einige wenige eifrige Studenten der TH. Am 01. Juni 1951 wurde die Gruppe vom Präsidenten der Technischen Hochschule als studentische Vereinigung anerkannt. Aufbauend auf der Tradition der alten Akaflieg sollte bei der akademischen Jugend das Interesse für die Technik des Fliegens und des Flugzeugbaus angeregt und gefördert werden. Die in früheren Jahren erreichte Leistungen sollten das Vorbild der neuen Akaflieg sein. Wuden auch nicht gleich Vögel wie das „Windspiel“ und die „Cirrus“ gebaut

Das „Windspiel“ wog grade einmal 54 kg D-9 „Konsul“ auf der Wasserkuppe

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Die D-36 wird für den Erstflug vorbereitet

oder ging man nicht als Sieger aus Wettbewerben hervor, so wusste man doch, dass man ein Erbe antrat, das hohe Verpflichtungen auferlegte. Es war das Ziel, durch zähe Arbeit für die Akaflieg Darmstadt wieder den Platz zu erringen, den sie in der deutschen Fliegerei innehatte. Und so begannen die Darmstädter, ein neues Flugzeug zu entwickeln und zu bauen. Das erste Flugzeug sollte ein Serienflugzeug sein, damit die Gruppe praktische Erfahrungen sammeln konnte. Die vorhandenen Typen wurden sehr genau angesehen und darauf bei Egon Scheibe die Pläne für eine Mü 13 E zum Akaflieg-Sonderpreis von 120 DM bestellt. Die Akaflieg baut wieder Prototypen Nachdem mit der Mü 13 E die ersten Erfahrungen gesammelt werden konnten, wollte man sich nun an einen eigenen Prototypen wagen. Die Gruppe wollte sich nicht übernehmen und achtete zunächst besonders auf eine einfache Herstellbarkeit, gutmütige Flugleistungen und einfache Bedienbarkeit. Das Ergebnis war die D-34, ein Flugzeug mit

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relativ guten Flugleistungen, welches günstig gebaut werden konnte. Jedoch war es nur geübten Piloten möglich, das Flugzeug sicher zu fliegen. In dieser Zeit trat ein neuer Werkstoff immer mehr in den Vordergrund und bot auch für den Flugzeugbau ein enormes Potential: Glasfaser-Verbundwerkstoff. Die Gruppe entschloss sich daher, diesen Werkstoff genauer zu untersuchen. Es entstanden zunächst theoretische Arbeiten, die bald durch den Bau der Flügel der D-34d in die Praxis umgesetzt wurden. Ein Höhepunkt in den Entwicklungen der Nachkriegszeit stellt die D-36 dar. Nachdem man ausführliche Untersuchungen der GFK-Bauweise unternommen hatte, sowohl theoretisch als auch praktisch, flossen nun alle gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse in die D-36 ein. Beim Entwurf wurde zusätzlich auf ein hohes maximales Fluggewicht geachtet, da geplant war, das Flugzeug als Plattform für Messgeräte zu nutzen, um Versuchsflüge durchzuführen. Im März 1964 konnte die D-36 zum Erstflug in Gelnhausen mit

Gerhard Waibel als Pilot starten. Der Flug erwies sich als Erfolg und lies die sehr guten Flugeigenschaften der D-36 erahnen. Wie gut das Flugzeug tatsächlich war, zeigte sich kurz darauf, als Die D-36 mit Gerhard Waibel an der Deutschen Meisterschaft teilnahm und den ersten Platz belegte. Motiviert von dem Erfolg war der nächste Schritt, die D-36 auf der Weltmeisterschaft in England vorzustellen. Da Gerhard Waibel die nötige Punktzahl für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft fehlten, stellte man das Flugzeug Rolf Spänig zur Verfügung, welcher auf der Deutschen Meisterschaft Zweitplatzierter hinter Waibel gewesen war. Auch dort konnte die D-36 überzeugen und zog viele neugierige Blicke auf sich. Am Ende des Wettbewerbs konnte die D-36 den zweiten Platz in der Gesamtwertung erzielen, ein großer Erfolg, sowohl für Spänig als auch für die Akaflieg Darmstadt. Über die Jahre wurden die Flugzeuge immer weiterentwickelt und auch die Verbundbauweise stetig verbessert. In der Akaflieg Darmstadt versuchte man

Die D-43 am Start

sich derweil auch an neuen Konzepten und innovativen Ideen. So entstanden zum Beispiel ein ausklappbarer Eigenstartmotor bei der D-37, ein „Taschenmesserflügel“ bei der D-40 und eine Side-by-Side-Anordnung bei der D-41 sowie bei der D-43. Das Konzept für die D-41 entstand Ende der 80er Jahre und beruhte auf der Idee, eine bessere Kommunikation zwischen Flugschüler und Fluglehrer oder auch Pilot und Copilot zu ermöglichen. Leider erlitt die D-41 ein tragisches Schicksal: Während der Erprobungsphase stürzte das Flugzeug ab und kostete beide Piloten das Leben. Da die Side-by-Side-Konfiguration immer große Begeisterung geweckt hatte, gab es schon vor dem Absturz Bestrebungen, das Konzept weitezuentwickeln. Es entstand der Entwurf für die D-43 mit einer ähnlichen Rumpfform wie die D-41, allerdings ohne Wölbklappen und mit gutmütigen Flugeigenschaften. Außerdem sollte es möglich sein, das gesamte Schulungsprogramm mit dem Prototypen durchzuführen. Zudem gab es Überlegungen, das

Rettungssystem D-44 „Soteira“ in die D-43 zu integrieren. Dabei handelte es sich um ein Rettungssystem, welches den Piloten mithilfe einer Rakete einige Meter aus dem Flugzeug herauszieht. Damit sollte auch bei Unfällen in Bodennähe, beispielsweise nach einem Seilriss, sichergestellt werden, dass der Pilot die nötige Höhe für eine Rettung mit dem konventionellen Fallschirm erreicht. Leider konnte die Entwicklung von Soteira nie abgeschlossen werden, weshalb auch ein Einbau in die D-43 nicht umgesetzt werden konnte. Forschen, bauen, fliegen In den letzten Jahren rückte ein altbekanntes Thema wieder neu in den Vordergrund: der Werkstoff. Über die Jahre hatten sich die Fertigungsweisen immer weiterentwickelt und es wurden zunehmend mehr Stimmen laut, anstelle des herkömmlichen Handlaminats auch im Segelflug auf Prepreg umzusteigen. Auch die Akaflieg Darmstadt interessierte sich für die Entwicklung und Zulassung eines Prepreg-Flugzeuges und beschloss, mit der D-45 ein Hoch-

leistungsflugzeug in Prepreg-Bauweise zu entwerfen. Leider beendeten während des Projekts einige maßgeblich beteiligten Akaflieger ihr Studium und neue, unerfahrene kamen nach. Wie es mit dem Projekt weitergeht, ist daher aktuell nicht abzusehen. Klar ist aber, dass die Akaflieg in ihren über 100 Jahren schon größeren Herausforderungen gegenübergestanden hat und es immer Wege gab, mit neuen Ideen und Entwicklungen über sich selbst hinauszuwachsen. t

Anlässlich des 100jährigen Jubiläums erschien 2021 eine neue Chronik der Akaflieg, mit der man diese ereignisreiche Zeit auch für andere erlebbar machen will

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VORSCHAU Das nächste segelfliegen magazin erscheint Ende Juni 2022 und ist im Zeitschriftenhandel erhältlich sowie unter segelfliegen-magazin.de/bestellungjahresabo/ IMPRESSUM Geplant sind unter anderem diese Beiträge:

Verlag | Grafik | Abo-Service:

Gabler Media, Brigitte Gabler

Horizonterweiterung

Gussstrasse 26, CH-8180 Bülach ZH

Familie, Arbeit – und trotzdem Lust auf Streckenfliegen? Segelflugzeuge mit Heimkehrhilfe bieten eine große Freiheit. Erfahrungsbericht eines Piloten, der dank Turbo den Durchbruch schaffte. Plus Übersicht der Systeme und Marktanalyse.

Dem Wind auf der Spur RS Flight Systems mit Team-Mitglied Benjamin Bachmaier hat mit „Anemoi“ eine Live-Windanzeige entwickelt, die unabhängig von Vario-/Moving Map für Hang- und Wellenflug Echtzeit Windberechnungen liefert. Der Bericht zeigt, ob sich eine Anschaffung lohnt.

Hänger im Schlafrock Der Wohnmobil-Boom macht Winter-Einstellplätze für Segelflugzeuge zur Mangelware. Capa Cover sind eine günstige Alternative. Wir haben sie im vergangenen Winter getestet und Tipps gesammelt, damit die empfindlichen Anhänger auch bei einer Überwinterung draußen keinen Schaden nehmen.

fon +41 (o)43 810 7539

[email protected] Chefredaktion: Brigitte Gabler

[email protected] Fachlicher Berater/Testpilot: Ernst Willi Lektorat: www.luftfahrtjournalismus.de Freie Autoren: Henry Blum, Gisela Benoist, Roland Bieri, Ludwig Haslbeck, Michail

Hengstenberg, David Richter-Trummer, Sabrina Schels, Mathias Schunk, Stefan Selke, Helge Zembold

Anzeigen: Holger Back, [email protected] Druck: Druckerei Wagner, D-87719 Mindelheim Bezugspreise:

Einzelheft: CH 11,50 CHF, D/EU 9,50 EUR

Jahresabo: CH 68,00 CHF, D/EU 56,00 EUR, Übersee 75,00 USD

Jahresabo digital: 49,00 EUR/CHF

Kombiabo: CH 81,00 CHF, D 67,00 EUR Übersetzung, Nachdruck sowie

fotomechanische, elektronische oder digitale Wiedergabe von Teilen der

Zeitschrift oder im Ganzen sind nur mit schriftlicher Erlaubnis des Verlages

gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos Zeichnungen und

Datenträger wird keine Haftung übernommen.

(ISSN 1612-1740)

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Achtsamkeits-Übung Autorin: Gisela Benoist

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ir werden als Frauen ja täglich mit vielen Tricks eingewickelt, wenn es um unser Kaufverhalten geht. Einer davon ist das Wort „Wellness“, das nun fast niemand mehr hören mag, vor allem seit es auch auf der Wurstverpackung den Inhalt an die Frau bringen möchte. Das andere Wort – alle Frauen kennen es, wenn man in den letzten zwei Jahren auch nur eine Frauenzeitschrift in der Hand hatte – ist Achtsamkeit. Heißt zu Deutsch: Pass gut auf dich auf und kümmere dich mehr um dich selbst. Total witzig, wenn man nicht nur einen Mann hat, der ständig in der Luft ist, sondern sich auch noch das einzige Kind dazugesellt! Das Zentrum, um das die Gedanken kreisen, sind die in der Luft und sicher nicht das eigene Wohlergehen! Heuer hat es mich ja besonders schlimm erwischt, die Saison begann für unseren Junior als Sposo schon im Februar. Wie schrecklich! Fühlt sich für mich an, als donnern die in Zwergenhöhe wie die Wahnsinnigen über die Porta, ich durfte wirklich kaum hinsehen, ein Wetter, bei dem einem bestimmt nicht Segelfliegen als Sport einfällt! Ich bekam einmal ein Bild vor dem Start im strömenden Regen! 130 km/h als Durchschnitt im Februar waren bisher außerhalb meines (ich lerne heuer: begrenzten) Horizonts. Irgendwie gibt es dort ja eigene Gesetze und vielleicht sollte ich schon mal vorbereitet werden auf den Rest des Jahres. Im Anschluss zog mein Kind darf ich ihn bitte einfach nochmal von der Schule abholen? Nur einmal noch spüren, dass man ihn selbst vor allem beschützen kann?) seinen Hänger im vollgepackten Auto von morgens um drei bis abends um sechs nach Vinon. Wenigstens konnte ich ihn da telefonisch erreichen, um mich von seiner körperlichen Unversehrtheit zu überzeugen! Dann kam der Tag, an dem Max mich gefragt hat, was so nachmittags in der Praxis los war. Ich sah ihn an und meinte: Oh, ich kann dir sofort sagen, wann unser Kind wo tief war!

Die Arbeit hat sich etwas länger hingezogen. Soviel zur Achtsamkeit! Ich bin nur noch achtsam, ob es dem Kind gut geht! Das darf man echt niemandem erzählen! Am Abend guck ich mir dann in den Portalen die schönen Bilder an und lese die Kommentare. Da hab ich viel gelernt, zum Beispiel, dass blau schlau macht. Konnte Max dann gleich mal hier zuhause ausprobieren! Eine Welle ist schon mal ein inneres Blumenpflücken, eine Aufgabe kann man auch „lasern“ und die Sposos sind die Lümmel im Verkehrsgetümmel. Beruhigend. Und es gibt bei den Eichhörnchenbergen eine Rakete mit 4 bis 5 Meter Steigen; wenn man die verpasst, fliegt man da unten so tief rum, dass die Helikoptersegelfliegermutter das Kind auf keiner aller Flarm-Tracking-Seiten mehr finden kann! Panik und Sicherheit, dass das Kind im besten Fall trotz Motor irgendwo am Acker steht! Gleich mal Papa informieren. Ja, das passiert in den hohen Bergen leider ziemlich oft. Ich lese auch gerne die poetischen Kommentare einiger jungen Piloten, auch wenn man da etwas Zeit braucht. Oder die Kommentare meines Sohnes natürlich. Als Mama denkt man vielleicht, da steht bestimmt was drin, was man sonst nie von ihm erfahren würde. Der unendliche Dank an die sich aufopfernden Eltern vielleicht – okay, das nicht so oft. Aber manchmal kommt dann die Mama des Schulkinds durch, dem man nochmal über die Hausaufgabe lesen muss! Deutsch war noch nie seine Stärke, erstaunlich, dass er trotzdem ein passables Abi hinbekommen hat! Englisch ist eher seine Sprache, die schreiben nämlich alles klein. Macht er auch gerne. So entdeckte ich in seinem Kommentar kürzlich dass er von seinen „rädchen“ am 18-m-Flügel erzählt hat. Ich schreib natürlich sofort, bevor das womöglich jemand sieht: Rädchen schreibt man groß! Und prompt kommt zurück: Neeeee Mama, das sind wirklich kleine rädchen! Na, dann sehen wir mal, was für Kleinigkeiten dieses Jahr noch so bringt. Ich bleibe achtsam!

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