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Story Transcript

DIE ZEITSCHRIFT DER STRASSE Das Bremer Straßenmagazin Ausgabe 88 www.zeitschrift-der-strasse.de

2,80 EURO

1,40 € für die VerkäuferInnen

LEHESTER DEICH UNTER SCHAFEN

DAS KLUBHAUS IM NIRGENDWO

„KOM, LAT DEN KLEEN MAAL HIER“

KNIPP TO GO

Eine Jugendfarm bewahrt bedrohte Nutztierrassen

Im Theater am Deich freut man sich auf „Figaros Hochzeit“

Ein Gespräch über 90 Jahre Leben am Lehester Deich

Auf Hof Stein kommt die Tradition aus dem Automaten

EDITORIAL | 3

Raus aufs Land Liebe Leserinnen und Leser, Sie kennen uns noch nicht, denn wir sind neu hier. Wir, das sind Karolina Meyer-Schilf und Jan-Paul Koopmann, und wir sind die neue Chefredaktion der Zeitschrift der Straße. Wir heißen Sie herzlich willkommen in unserem ersten Heft und hoffen, auch Sie freuen sich über die neue Bekanntschaft! Bei unserem Debüt hatten wir es gefühlt gleich mit einem journalistischen Endgegner zu tun: Der Lehester Deich ist eine stille Straße. Lang, weit draußen, fern vom Trubel der Stadt. Und fast konnte man sich fragen: Füllen wir damit ein ganzes Heft? Aber wie Sie sehen: Es geht, das Heft ist voll. Wir haben Orte kennengelernt wie das Theater am Deich, wo eine Premiere sehnsüchtig auf das Ende der Pandemie wartet (Seite 16). Vor allem sind uns erstaunlich viele Tiere begegnet, ein Schaf des neuen Arche-Parks hat es glatt auf die Titelseite geschafft, aber auch die Pferde von Hof Stein (Seite 24) bekommen ihren großen Auftritt. Nicht bei allen beliebt und trotzdem interessant sind die Nutrias, die den Bremer Deichen (Seite 14) zu schaffen machen. An einer Tankstelle mit Familiengeschichte (Seite 18) tranken wir schließlich Kaffee mit Herrn Marks von gegenüber, der hier seit 90 Jahren lebt und die Straße kennt wie kaum jemand sonst. Und damit wären wir auch gleich mittendrin in dem, was die Zeitschrift der Straße für uns ausmacht: rausgehen, sich umschauen, die kleinen Dinge aufzuspüren und die großen Geschichten dahinter. Wir freuen uns sehr, künftig mit Ihnen zusammen auf Entdeckungsreise zu gehen. Und damit wünschen wir Ihnen nun eine anregende Lektüre!

Karolina Meyer-Schilf, Jan-Paul Koopmann und das Team der Zeitschrift der Straße

Die Zeitschrift der Straße

Titelfoto: Felix Müller Foto Seite 2: Hartmuth Bendig

ist das Bremer Straßenmagazin – ein gemeinsames Projekt von Studierenden, JournalistInnen, sozial Engagierten, StreetworkerInnen, HochschullehrerInnen und von Menschen, die von Wohnungslosigkeit und Armut bedroht oder betroffen sind. Herausgegeben wird sie vom Verein für Innere Mission in Bremen. Die Zeitschrift der Straße wird auf der Straße­verkauft, die Hälfte des Verkaufserlöses geht an die VerkäuferInnen. Jede Ausgabe widmet sich einem anderen Ort in Bremen und erzählt Geschichten von der Straße.

EDITORIAL | 3

Raus aufs Land Liebe Leserinnen und Leser, Sie kennen uns noch nicht, denn wir sind neu hier. Wir, das sind Karolina Meyer-Schilf und Jan-Paul Koopmann, und wir sind die neue Chefredaktion der Zeitschrift der Straße. Wir heißen Sie herzlich willkommen in unserem ersten Heft und hoffen, auch Sie freuen sich über die neue Bekanntschaft! Bei unserem Debüt hatten wir es gefühlt gleich mit einem journalistischen Endgegner zu tun: Der Lehester Deich ist eine stille Straße. Lang, weit draußen, fern vom Trubel der Stadt. Und fast konnte man sich fragen: Füllen wir damit ein ganzes Heft? Aber wie Sie sehen: Es geht, das Heft ist voll. Wir haben Orte kennengelernt wie das Theater am Deich, wo eine Premiere sehnsüchtig auf das Ende der Pandemie wartet (Seite 16). Vor allem sind uns erstaunlich viele Tiere begegnet, ein Schaf des neuen Arche-Parks hat es glatt auf die Titelseite geschafft, aber auch die Pferde von Hof Stein (Seite 24) bekommen ihren großen Auftritt. Nicht bei allen beliebt und trotzdem interessant sind die Nutrias, die den Bremer Deichen (Seite 14) zu schaffen machen. An einer Tankstelle mit Familiengeschichte (Seite 18) tranken wir schließlich Kaffee mit Herrn Marks von gegenüber, der hier seit 90 Jahren lebt und die Straße kennt wie kaum jemand sonst. Und damit wären wir auch gleich mittendrin in dem, was die Zeitschrift der Straße für uns ausmacht: rausgehen, sich umschauen, die kleinen Dinge aufzuspüren und die großen Geschichten dahinter. Wir freuen uns sehr, künftig mit Ihnen zusammen auf Entdeckungsreise zu gehen. Und damit wünschen wir Ihnen nun eine anregende Lektüre!

Karolina Meyer-Schilf, Jan-Paul Koopmann und das Team der Zeitschrift der Straße

Die Zeitschrift der Straße

Titelfoto: Felix Müller Foto Seite 2: Hartmuth Bendig

ist das Bremer Straßenmagazin – ein gemeinsames Projekt von Studierenden, JournalistInnen, sozial Engagierten, StreetworkerInnen, HochschullehrerInnen und von Menschen, die von Wohnungslosigkeit und Armut bedroht oder betroffen sind. Herausgegeben wird sie vom Verein für Innere Mission in Bremen. Die Zeitschrift der Straße wird auf der Straße­verkauft, die Hälfte des Verkaufserlöses geht an die VerkäuferInnen. Jede Ausgabe widmet sich einem anderen Ort in Bremen und erzählt Geschichten von der Straße.

08

Unter Schafen Unser Autor entdeckt die Kinder- und Jugendfarm der Hans-WendtStiftung auf einem fast kontemplativen Spaziergang

14

12

Die Hüter von Bremens grüner Stadtmauer

Nur Selbstbedienung Die Schleuse Kuhsiel war früher wichtiges Etappenziel der geplagten Torfkahnfahrer. Heute müssen die KajakfahrerInnen selber ran

Bereits vor 500 Jahren wurden Deiche gebaut, um die Stadt vor Hochwasser zu schützen. Der Deichverband sorgt dafür, dass das auch weiterhin so bleibt

18

Das Klubhaus im Nirgendwo Das kleine Theater am Deich liegt derzeit wie im Winterschlaf. Doch wenn Corona erst vorbei ist, steht „Figaros Hochzeit“ auf dem Plan

Eine Insel vom Reißbrett

BUCHSTABEN b e a r b e i t e n

Jede Tankstelle hat ihre Geschichten, auch wenn sie heute alle gleich aussehen. Die am Lehester Deich ist ein Familienbetrieb seit über 50 Jahren

BILDER p l a t z i e r e n PAPIER v e r e d e l n WERTIGKEIT v e r m i t t e l n

22

ACHTSAMKEIT e r z e u g e n EXCELLENT d r u c k e n

„Kom, lat den Kleen maal hier!“

Illustration: Söntke Campen

DRUCKEREI AM BREMER KREUZ | BERLINDRUCK | 28832 ACHIM | WWW.BERLINDRUCK.DE

16

24

28

Auf der Pferdepension Hof Stein verläuft die Zeit ein bisschen anders – nicht nur, weil Weihnachten dieses Jahr wohl im Sommer stattfindet

Bommel ist Verkäufer der ersten Stunde. Und wenn es nach ihm geht, ist er die nächsten zehn Jahre auch noch dabei – wenn er gesund bleibt

Knipp to go

Dreimal ist Bremer Recht

Hermann Marks lebt seit 1930 am Lehester Deich und ist doch ein Zugezogener: Seine Eltern haben ihn als Baby hergebracht – und gleich dagelassen

31

Impressum & Vorschau

08

Unter Schafen Unser Autor entdeckt die Kinder- und Jugendfarm der Hans-WendtStiftung auf einem fast kontemplativen Spaziergang

14

12

Die Hüter von Bremens grüner Stadtmauer

Nur Selbstbedienung Die Schleuse Kuhsiel war früher wichtiges Etappenziel der geplagten Torfkahnfahrer. Heute müssen die KajakfahrerInnen selber ran

Bereits vor 500 Jahren wurden Deiche gebaut, um die Stadt vor Hochwasser zu schützen. Der Deichverband sorgt dafür, dass das auch weiterhin so bleibt

18

Das Klubhaus im Nirgendwo Das kleine Theater am Deich liegt derzeit wie im Winterschlaf. Doch wenn Corona erst vorbei ist, steht „Figaros Hochzeit“ auf dem Plan

Eine Insel vom Reißbrett

BUCHSTABEN b e a r b e i t e n

Jede Tankstelle hat ihre Geschichten, auch wenn sie heute alle gleich aussehen. Die am Lehester Deich ist ein Familienbetrieb seit über 50 Jahren

BILDER p l a t z i e r e n PAPIER v e r e d e l n WERTIGKEIT v e r m i t t e l n

22

ACHTSAMKEIT e r z e u g e n EXCELLENT d r u c k e n

„Kom, lat den Kleen maal hier!“

Illustration: Söntke Campen

DRUCKEREI AM BREMER KREUZ | BERLINDRUCK | 28832 ACHIM | WWW.BERLINDRUCK.DE

16

24

28

Auf der Pferdepension Hof Stein verläuft die Zeit ein bisschen anders – nicht nur, weil Weihnachten dieses Jahr wohl im Sommer stattfindet

Bommel ist Verkäufer der ersten Stunde. Und wenn es nach ihm geht, ist er die nächsten zehn Jahre auch noch dabei – wenn er gesund bleibt

Knipp to go

Dreimal ist Bremer Recht

Hermann Marks lebt seit 1930 am Lehester Deich und ist doch ein Zugezogener: Seine Eltern haben ihn als Baby hergebracht – und gleich dagelassen

31

Impressum & Vorschau

6 | ZAHLEN & FAKTEN

Geschichte | 7

LEHESTER DEICH

4.000 Meter lange Straße am Rande Bremens und gemeinsam mit dem Achterdiek der älteste Deich des Hollerlandes

1965

2021

Recherche & Text: Hartmuth Bendig, Jan-Paul Koopmann, Lisa Schwarzien Fotos: Staatsarchiv Bremen (1965), Hartmuth Bendig (2021)

Jahr des Deichbaus durch holländische Siedler, um das Gebiet zu erschließen: um 1200 Jahr, in dem ein Bahnhof der Kleinbahn „Jan Reiners“ die landwirtschaftlich geprägte Straße mit Bremens Zentrum verband: 1900 Jahr, in dem die Landgemeinde Lehesterdeich in die Stadt Bremen eingemeindet wurde: 1921 Jahr, in dem Lehesterdeich schließlich zum Ortsteil Horn-Lehes wurde: 1951 Jahr, in dem die Großstadt mit der als „Hollerstadt“ geplanten Bebauung des Leher Feldes näher an den Deich rücken sollte: um 1960 Jahr, in dem das westliche Hollerland nach Protesten von UmweltschützerInnen zum Naturschutzgebiet erklärt wurde: 1997 Jahr, in dem es als Fauna-Flora-Habitat auch unter europäischen Schutz gestellt wurde: 2004 Anzahl der Querstraßen: 15 Davon in der westlichen Straßenhälfte: 2 Größe des Naturschutzgebiets, in Hektar: 293 Gesamtlänge der Entwässerungsgräben, in Kilometern: 90 Arten verschiedener Unterwasserlebewesen: 250 Davon gefährdet: 60 Davon extrem bedroht: 12 Pflanzen von der Roten Liste: 40

Personalstärke der Freiwilligen Feuerwehr am Lehester Deich laut Landesverband: 50 Dazu in der Jugendfeuerwehr: 20 Und ReservistInnen: 18 Anzahl der Löschfahrzeuge: 3 Durchschnittliche Einsätze pro Jahr: 74 Höhe der Windkraftanlage beim Sitz des Deichverbands, in Metern: 30 Deren durchschnittliche Stromförderung pro Jahr, in Kilowattstunden: 120.000 Durchschnittliche Stromförderung der Photovoltaikanlage nebenan, in Kilowattstunden: 90.000 ... durch eine weitere PV-Anlage des BUND, in Kilowattstunden: 30.000 Sitzplätze im Theater am Deich: 99 In Pandemiezeiten theoretisch belegbar: 29 Ticketpreis in Euro: 14 ... für SchülerInnen: 10 Preis für ein Bier, in Euro: 2,00 Begegnungen am Wegesrand zwischen Schleuse und Stadtrand an einem trüben Montag im Mai: Menschen: 9 Pferde: 3 Hunde: 2 Autos: 0

Der Lehester Deich ist heute ein beliebter Ausgangspunkt für Wanderungen, zum Reiten oder Radfahren. Nicht erst seit Corona lockt die Mischung aus freier Natur und Stadtnähe. Tatsächlich hat der stadtnahe Tourismus am Lehester Deich längst eigene Geschichten geschrieben. Als 1931 die neue Schleuse bei Kuhsiel eröffnete, diente die vor allem dem Wassersport. Denn die große Zeit der Torfkähne war auch damals schon vorbei. Und doch haben sich die Zeiten geändert: Wer der vier Kilometer langen Straße aus der Stadt heraus folgt, fühlt sich lange wie in einer typischen Wohnsiedlung am Stadtrand. Einfamilienhäuser bestimmen das Bild, nur noch hin und wieder steht ein altes Bauernhaus dazwischen, wie sie hier früher nicht nur das Straßenbild, sondern auch das alltägliche Leben prägten. Zu sehen sind sie vor allem auf der rechten Straßenseite zwischen Straße und Holler Fleet, in dem man früher vom Grundstück aus Aal fischen konnte. Wo gegenüber heute neue Häuser stehen, ging es damals raus aufs Feld. Auf dem Weg die Straße runter öffnet sich auch bald das Panorama: Jenseits von Wiesen und Gräben ist die Stadt zu erahnen, vor allem gegen Abend rückt der beleuchtete Fallturm der Uni in den Mittelpunkt. Die Wohnhäuser von heute sind im 20. Jahrhundert entstanden, vor allem ab den 1960er-Jah-

ren, als die Region auch für Straßenbahn und Autoverkehr endgültig erschlossen wurde. In beide Richtungen: So wie man heute zum Spaziergang rausfährt, denken die Älteren hier noch gerne an ihre Fahrten mit der Schmalspurbahn auf den Freimarkt oder zum Bummeln in die Innenstadt. Viel Fantasie braucht es beim Stapfen durch die feuchten Wiesen aber immer noch nicht, um eine Idee davon zu bekommen, wie mühsam dieses Land der Natur einmal abgerungen wurde. Es waren holländische Siedler, die hier im Mittelalter Felder erschlossen, wo bald auch Handel aufkam: Vor allem Vieh und Getreide aus Lilienthal und Borgfeld wurden über den Kuhgraben am heutigen Bürgerpark entlang bis zum Dobben verschifft. Obwohl immer mal wieder aufgelöste Gehöfte ganzen Ensembles neuer Einfamilienhäuser weichen, sind die Grenzen des Wachstums doch gesteckt. Bürgerinitiativen und Umweltverbände haben jahrzehntelang dafür gekämpft, die Landschaft südlich der Straße vor dem Beton zu retten. Zunächst ging es um eine Wohnstadt ähnlich der Vahr, später sollte der Technologiepark der Uni ins Grüne erweitert werden. Hartnäckigkeit und immer neue Funde bedrohter Tier- und Pflanzenarten haben das schließlich verhindert. Heute sind die Wiesen nicht nur ein schönes Bild an der Straße, sondern sie stehen auch unter Naturschutz.

6 | ZAHLEN & FAKTEN

Geschichte | 7

LEHESTER DEICH

4.000 Meter lange Straße am Rande Bremens und gemeinsam mit dem Achterdiek der älteste Deich des Hollerlandes

1965

2021

Recherche & Text: Hartmuth Bendig, Jan-Paul Koopmann, Lisa Schwarzien Fotos: Staatsarchiv Bremen (1965), Hartmuth Bendig (2021)

Jahr des Deichbaus durch holländische Siedler, um das Gebiet zu erschließen: um 1200 Jahr, in dem ein Bahnhof der Kleinbahn „Jan Reiners“ die landwirtschaftlich geprägte Straße mit Bremens Zentrum verband: 1900 Jahr, in dem die Landgemeinde Lehesterdeich in die Stadt Bremen eingemeindet wurde: 1921 Jahr, in dem Lehesterdeich schließlich zum Ortsteil Horn-Lehes wurde: 1951 Jahr, in dem die Großstadt mit der als „Hollerstadt“ geplanten Bebauung des Leher Feldes näher an den Deich rücken sollte: um 1960 Jahr, in dem das westliche Hollerland nach Protesten von UmweltschützerInnen zum Naturschutzgebiet erklärt wurde: 1997 Jahr, in dem es als Fauna-Flora-Habitat auch unter europäischen Schutz gestellt wurde: 2004 Anzahl der Querstraßen: 15 Davon in der westlichen Straßenhälfte: 2 Größe des Naturschutzgebiets, in Hektar: 293 Gesamtlänge der Entwässerungsgräben, in Kilometern: 90 Arten verschiedener Unterwasserlebewesen: 250 Davon gefährdet: 60 Davon extrem bedroht: 12 Pflanzen von der Roten Liste: 40

Personalstärke der Freiwilligen Feuerwehr am Lehester Deich laut Landesverband: 50 Dazu in der Jugendfeuerwehr: 20 Und ReservistInnen: 18 Anzahl der Löschfahrzeuge: 3 Durchschnittliche Einsätze pro Jahr: 74 Höhe der Windkraftanlage beim Sitz des Deichverbands, in Metern: 30 Deren durchschnittliche Stromförderung pro Jahr, in Kilowattstunden: 120.000 Durchschnittliche Stromförderung der Photovoltaikanlage nebenan, in Kilowattstunden: 90.000 ... durch eine weitere PV-Anlage des BUND, in Kilowattstunden: 30.000 Sitzplätze im Theater am Deich: 99 In Pandemiezeiten theoretisch belegbar: 29 Ticketpreis in Euro: 14 ... für SchülerInnen: 10 Preis für ein Bier, in Euro: 2,00 Begegnungen am Wegesrand zwischen Schleuse und Stadtrand an einem trüben Montag im Mai: Menschen: 9 Pferde: 3 Hunde: 2 Autos: 0

Der Lehester Deich ist heute ein beliebter Ausgangspunkt für Wanderungen, zum Reiten oder Radfahren. Nicht erst seit Corona lockt die Mischung aus freier Natur und Stadtnähe. Tatsächlich hat der stadtnahe Tourismus am Lehester Deich längst eigene Geschichten geschrieben. Als 1931 die neue Schleuse bei Kuhsiel eröffnete, diente die vor allem dem Wassersport. Denn die große Zeit der Torfkähne war auch damals schon vorbei. Und doch haben sich die Zeiten geändert: Wer der vier Kilometer langen Straße aus der Stadt heraus folgt, fühlt sich lange wie in einer typischen Wohnsiedlung am Stadtrand. Einfamilienhäuser bestimmen das Bild, nur noch hin und wieder steht ein altes Bauernhaus dazwischen, wie sie hier früher nicht nur das Straßenbild, sondern auch das alltägliche Leben prägten. Zu sehen sind sie vor allem auf der rechten Straßenseite zwischen Straße und Holler Fleet, in dem man früher vom Grundstück aus Aal fischen konnte. Wo gegenüber heute neue Häuser stehen, ging es damals raus aufs Feld. Auf dem Weg die Straße runter öffnet sich auch bald das Panorama: Jenseits von Wiesen und Gräben ist die Stadt zu erahnen, vor allem gegen Abend rückt der beleuchtete Fallturm der Uni in den Mittelpunkt. Die Wohnhäuser von heute sind im 20. Jahrhundert entstanden, vor allem ab den 1960er-Jah-

ren, als die Region auch für Straßenbahn und Autoverkehr endgültig erschlossen wurde. In beide Richtungen: So wie man heute zum Spaziergang rausfährt, denken die Älteren hier noch gerne an ihre Fahrten mit der Schmalspurbahn auf den Freimarkt oder zum Bummeln in die Innenstadt. Viel Fantasie braucht es beim Stapfen durch die feuchten Wiesen aber immer noch nicht, um eine Idee davon zu bekommen, wie mühsam dieses Land der Natur einmal abgerungen wurde. Es waren holländische Siedler, die hier im Mittelalter Felder erschlossen, wo bald auch Handel aufkam: Vor allem Vieh und Getreide aus Lilienthal und Borgfeld wurden über den Kuhgraben am heutigen Bürgerpark entlang bis zum Dobben verschifft. Obwohl immer mal wieder aufgelöste Gehöfte ganzen Ensembles neuer Einfamilienhäuser weichen, sind die Grenzen des Wachstums doch gesteckt. Bürgerinitiativen und Umweltverbände haben jahrzehntelang dafür gekämpft, die Landschaft südlich der Straße vor dem Beton zu retten. Zunächst ging es um eine Wohnstadt ähnlich der Vahr, später sollte der Technologiepark der Uni ins Grüne erweitert werden. Hartnäckigkeit und immer neue Funde bedrohter Tier- und Pflanzenarten haben das schließlich verhindert. Heute sind die Wiesen nicht nur ein schönes Bild an der Straße, sondern sie stehen auch unter Naturschutz.

8 | f e at u r e

Text: Henry Schwampe Fotos: Felix Müller

Unter Schafen Die Kinder- und Jugendfarm der Hans-Wendt-Stiftung ist seit letztem Jahr ein Arche-Park. Unser Autor entdeckt auf seinem Streifzug seltene Nutztierrassen und friedliche Biotope „Wir sind hier sozusagen mitten im Dreiländereck zwischen Borgfeld, Horn-Lehe und Oberneuland“, sagt Friederike Reinsch mit einem Augenzwinkern während unseres Spaziergangs über das Gelände der Kinder- und Jugendfarm der HansWendt-Stiftung. Reinsch empfängt mich an einem stürmischen, kalten und regnerischen Dienstag Anfang April, in wetterfester Outdoor-Kleidung auf dem Farmgelände im hinteren Teil des Grundstücks. Sie ist seit drei Jahren Teamleiterin und Projektkoordinatorin der Kinder- und Jugendfarm der Hans-Wendt-Stiftung und arbeitet seitdem vor allem an der Vernetzung der anderen Tätigkeitsbereiche der Stiftung mit dem Farmprojekt. Wegen der Farm bin ich heute hier: Als ich selbst noch ein Kind war, war ich öfter auf einer städtischen Kinder- und Jugendfarm und trage die schönen Erinnerungen daran nach wie vor in mir. Die Farm der Hans-Wendt-Stiftung ist etwas Besonderes: Sie ist mittlerweile ein Arche-Park für Nutztiere und befindet sich auf einem geschichtsträchtigen Grundstück. Die Stiftung selbst ist ein anerkannter freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Bremen, besteht schon seit über hundert Jahren und kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Die Hans-Wendt-Stiftung wurde im Jahr 1919 durch den erfolgreichen Bremer Zigarrenhändler Hermann Otto Wendt „[…] zur Erhaltung der Erholungsstätte zur Pflege erholungsbedürftiger, aber nicht kranker Kinder, ohne Unterschied des

Religionsbekenntnisses“ (Auszug aus der ersten Satzung) gegründet. Wendt benannte die Stiftung nach seinem früh verstorbenen Sohn Hans. Wie in allen Großstädten des damaligen Deutschen Reiches hatten der Krieg und die darauffolgenden Entbehrungen ihren Tribut von der Bevölkerung – vor allem von den Kindern – gefordert. Durch einen Ort der Entspannung und Ruhe in den „Licht- und Luftbädern“ wollte man den Kriegsgenerationen gesundheitliche Erholung und ein Gefühl von Harmonie und Sicherheit vermitteln. Die „Stadtkinder“ reisten unter anderem für die „Landpflege“, also Erholungskuren, oder für den Aufenthalt in Lichtund Luftbädern aus allen Teilen Bremens an. Die Kinder, die die Landpflege in Anspruch nahmen, lebten oftmals in armen und ungünstigen familiären Verhältnissen und kamen, oft auf schulärztliche Empfehlung, auf das Gelände der Stiftung. Wendt verfolgte mit der Gründung aber auch das Ziel, den nach seiner Frau Marianne benannten „Mariannenhof“ zu erhalten: Der Stiftungsgründer hatte den Hof im Jahr 1908 erworben und nutzte ihn als Sommersitz mit landwirtschaftlichem Betrieb. Hermann Otto Wendt verstarb bereits ein Jahr nach der Gründung der Stiftung im Alter von 72 Jahren. Der Betrieb wurde dennoch im Sommer 1922 aufgenommen. Während des Zweiten Weltkrieges konnte die Kindererholung nur im begrenzten Maße auf-

Alte und bedrohte Nutztierrassen finden hier ein Zuhause.

rechterhalten werden. Der Stiftungsvorstand verfügte zudem, dass sie nur „[…] deutschen Volksgenossen“ zuteilwerden solle. Die Stiftung musste ihre Pforten während der Nazi-Zeit also teilweise schließen und entging trotz ihrer Rolle als Unterkunft des „Reichsarbeitsdienstes“ während der Eroberung durch die Alliierten knapp der kompletten Zerstörung. Nach dem Krieg versuchte die Stiftung wiederum, in Not geratenen Kindern zu helfen. So kam es Anfang der 1950er-Jahre zur Errichtung zweier „Pflegenester“, in denen sich Eheleute um bis zu zehn Pflegekinder mit erheblichen Verhaltensauffälligkeiten und schwierigen familiären Hintergründen kümmerten. Diese Form der Betreuung war allerdings Ende der 1950er-Jahre zwei Eheleuten allein nicht mehr zuzumuten und die „Pflegenester“ wurden nach und nach aufgegeben. Die Stiftung wurde zur Tageserholungsstätte.

Nach einigen finanziellen Krisen entstand im Jahr 1973 das Therapiezentrum, das damals von den Medien als „einmalig in der Bundesrepublik“ bezeichnet wurde. Aus den Gebäuden der Pflegenester wurden Kindertagesstätten, in welchen verhaltensauffällige Kinder und ihre Eltern Hilfe und Unterstützung in Form von Behandlung und Beratung, Sport-, Bildungs- und Freizeitaktivitäten erhalten konnten. Zu dieser Zeit erschien es dem Vorstand geboten, den Gründerbegriff der „Erholung“ auf „Förderung und Wiederherstellung der physischen und psychischen Tüchtigkeit junger Menschen“ zu erweitern. Während dieses Wandels zog auch die Integrierte heilpädagogische Tageserziehung (IHTE) als ein neues Konzept in die Stiftung ein. Schon durch das Therapiezentrum wollte man die Grundlagen für eine ganzheitliche, integrative Förderung von sozial benachteiligten und psychisch auffälligen sowie geistig behin-

8 | f e at u r e

Text: Henry Schwampe Fotos: Felix Müller

Unter Schafen Die Kinder- und Jugendfarm der Hans-Wendt-Stiftung ist seit letztem Jahr ein Arche-Park. Unser Autor entdeckt auf seinem Streifzug seltene Nutztierrassen und friedliche Biotope „Wir sind hier sozusagen mitten im Dreiländereck zwischen Borgfeld, Horn-Lehe und Oberneuland“, sagt Friederike Reinsch mit einem Augenzwinkern während unseres Spaziergangs über das Gelände der Kinder- und Jugendfarm der HansWendt-Stiftung. Reinsch empfängt mich an einem stürmischen, kalten und regnerischen Dienstag Anfang April, in wetterfester Outdoor-Kleidung auf dem Farmgelände im hinteren Teil des Grundstücks. Sie ist seit drei Jahren Teamleiterin und Projektkoordinatorin der Kinder- und Jugendfarm der Hans-Wendt-Stiftung und arbeitet seitdem vor allem an der Vernetzung der anderen Tätigkeitsbereiche der Stiftung mit dem Farmprojekt. Wegen der Farm bin ich heute hier: Als ich selbst noch ein Kind war, war ich öfter auf einer städtischen Kinder- und Jugendfarm und trage die schönen Erinnerungen daran nach wie vor in mir. Die Farm der Hans-Wendt-Stiftung ist etwas Besonderes: Sie ist mittlerweile ein Arche-Park für Nutztiere und befindet sich auf einem geschichtsträchtigen Grundstück. Die Stiftung selbst ist ein anerkannter freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Bremen, besteht schon seit über hundert Jahren und kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Die Hans-Wendt-Stiftung wurde im Jahr 1919 durch den erfolgreichen Bremer Zigarrenhändler Hermann Otto Wendt „[…] zur Erhaltung der Erholungsstätte zur Pflege erholungsbedürftiger, aber nicht kranker Kinder, ohne Unterschied des

Religionsbekenntnisses“ (Auszug aus der ersten Satzung) gegründet. Wendt benannte die Stiftung nach seinem früh verstorbenen Sohn Hans. Wie in allen Großstädten des damaligen Deutschen Reiches hatten der Krieg und die darauffolgenden Entbehrungen ihren Tribut von der Bevölkerung – vor allem von den Kindern – gefordert. Durch einen Ort der Entspannung und Ruhe in den „Licht- und Luftbädern“ wollte man den Kriegsgenerationen gesundheitliche Erholung und ein Gefühl von Harmonie und Sicherheit vermitteln. Die „Stadtkinder“ reisten unter anderem für die „Landpflege“, also Erholungskuren, oder für den Aufenthalt in Lichtund Luftbädern aus allen Teilen Bremens an. Die Kinder, die die Landpflege in Anspruch nahmen, lebten oftmals in armen und ungünstigen familiären Verhältnissen und kamen, oft auf schulärztliche Empfehlung, auf das Gelände der Stiftung. Wendt verfolgte mit der Gründung aber auch das Ziel, den nach seiner Frau Marianne benannten „Mariannenhof“ zu erhalten: Der Stiftungsgründer hatte den Hof im Jahr 1908 erworben und nutzte ihn als Sommersitz mit landwirtschaftlichem Betrieb. Hermann Otto Wendt verstarb bereits ein Jahr nach der Gründung der Stiftung im Alter von 72 Jahren. Der Betrieb wurde dennoch im Sommer 1922 aufgenommen. Während des Zweiten Weltkrieges konnte die Kindererholung nur im begrenzten Maße auf-

Alte und bedrohte Nutztierrassen finden hier ein Zuhause.

rechterhalten werden. Der Stiftungsvorstand verfügte zudem, dass sie nur „[…] deutschen Volksgenossen“ zuteilwerden solle. Die Stiftung musste ihre Pforten während der Nazi-Zeit also teilweise schließen und entging trotz ihrer Rolle als Unterkunft des „Reichsarbeitsdienstes“ während der Eroberung durch die Alliierten knapp der kompletten Zerstörung. Nach dem Krieg versuchte die Stiftung wiederum, in Not geratenen Kindern zu helfen. So kam es Anfang der 1950er-Jahre zur Errichtung zweier „Pflegenester“, in denen sich Eheleute um bis zu zehn Pflegekinder mit erheblichen Verhaltensauffälligkeiten und schwierigen familiären Hintergründen kümmerten. Diese Form der Betreuung war allerdings Ende der 1950er-Jahre zwei Eheleuten allein nicht mehr zuzumuten und die „Pflegenester“ wurden nach und nach aufgegeben. Die Stiftung wurde zur Tageserholungsstätte.

Nach einigen finanziellen Krisen entstand im Jahr 1973 das Therapiezentrum, das damals von den Medien als „einmalig in der Bundesrepublik“ bezeichnet wurde. Aus den Gebäuden der Pflegenester wurden Kindertagesstätten, in welchen verhaltensauffällige Kinder und ihre Eltern Hilfe und Unterstützung in Form von Behandlung und Beratung, Sport-, Bildungs- und Freizeitaktivitäten erhalten konnten. Zu dieser Zeit erschien es dem Vorstand geboten, den Gründerbegriff der „Erholung“ auf „Förderung und Wiederherstellung der physischen und psychischen Tüchtigkeit junger Menschen“ zu erweitern. Während dieses Wandels zog auch die Integrierte heilpädagogische Tageserziehung (IHTE) als ein neues Konzept in die Stiftung ein. Schon durch das Therapiezentrum wollte man die Grundlagen für eine ganzheitliche, integrative Förderung von sozial benachteiligten und psychisch auffälligen sowie geistig behin-

1 0 | f e at u r e derten Kindern schaffen. IHTE ist eine Hilfe zur umfassenden Entwicklungsförderung und Erziehung von Kindern im Grundschulalter und soll den Kindern eine inklusive Förderung im Gruppenkontext ermöglichen. Begleitet wird dies durch eine regelmäßige Beratung der Erziehungs- und Sorgeberechtigten. Das neue Konzept der Stiftung beinhaltete auch eine Dezentralisierung am Lehester Deich. Man bildete dort in den 1980er-Jahren noch interdisziplinäre Teams aus TherapeutInnen und PsychologInnen aus, die dann im Sinne der Entinstitutionalisierung in die Stadtteile Bremens, also in Reichweite der betroffenen Kinder, zogen. 1984 wurde das erste IHTE-Projekt im städtischen Kindertagesheim in der Wischmannstraße eröffnet. Es folgten weitere. Im Sinne einer Vernetzung, um eine ganzheitliche Hilfe zu ermöglichen, folgte darauf eine engere Zusammenarbeit mit diesen Diensten vor Ort. Diese großflächige Umorientierung, weg von einer zentralisierten Sondereinrichtung, hin zu dezentralen Kindertagesstätten, war ein Meilenstein in der Entwicklung der Stiftung. Die Hans-Wendt-Stiftung hat im Laufe der Jahre einiges ausprobiert, um den Ansprüchen einer sozialen Gesellschaft gerecht zu werden. Mitte der 1980er-Jahre zogen noch Ausbildungsstätten für Jugendliche auf dem Gelände ein und es ging

eine Ambulante Hilfe für junge Straffällige an den Start. Diese Anläufe setzten sich, unter anderem aus Gründen der Finanzierung, allerdings nicht durch. Das Projekt aber, das sich bis heute durchgesetzt hat, ist das der Kinder- und Jugendfarm. Sie zog im Jahre 1995 am Lehesterdeich ein und befindet sich im hinteren Teil des Geländes. Das Projekt beschäftigt heute insgesamt 16 MitarbeiterInnen, die dort in Festanstellung oder als Ehrenamtliche und mit Unterstützung von PraktikantInnen arbeiten und die fünf Hektar große Farm in Eigenarbeit erhalten. Friederike Reinsch schaut sich auf unserem Spaziergang über die Farm immer wieder zufrieden um, als wir vorbei an großen Gehegen mit Gänsen, Hühnern und Ziegen schlendern. Sie erzählt, dass es bei der Farm vor allem um Spaß, aber auch um Aufklärung und Umweltbildung gehe. Ein niedrigschwelliges Angebot für alle, die kommen wollten, wobei das Hauptaugenmerk natürlich auf Kindern mit besonderen Bedürfnissen liege. Die Farm sei aber „offen für alle“ und biete für Kinder unter anderem auch Freizeiten, Lerngruppen, heilpädagogisches Reiten sowie Spiel und Spaß an. Manche der Leistungen und Förderungen sind über das Jugendamt finanziert. Aber auch für Menschen, die sich nicht mehr im

Das Herzstück: die Kinder- und Jugendfarm

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Spielen mit Schaf: Neben der Umweltbildung kommt auch der Spaß nicht zu kurz.

Kindesalter befinden, kann die Farm von Nutzen sein: So lassen sich hier auch Sozialstunden oder Wiedereingliederungspraktika nach einer Suchterkrankung ableisten. Vor einer alten Fachwerkscheune im Klinker-Stil bleiben wir stehen. Das Tor zur Scheune ist halb geöffnet und in ihr lässt sich ein antik wirkender Traktor erkennen. Eine dicke schwarze Katze kommt uns entgegen und streift um unsere Beine. Seit Oktober 2020 ist die Farm ein zertifizierter, anerkannter „Arche-Park“ – ein Ergebnis langer und harter Arbeit. Die Stiftung verfolgt mit dem „Arche-Park“ das Ziel, der Öffentlichkeit durch erlebnisorientierte Wissensvermittlung die Situation von alten und in ihrem Bestand bedrohten Nutztierrassen näherzubringen. „Fast alle Tiere hier stehen auf der Roten Liste“, erklärt Reinsch, während wir unseren Spaziergang über das Gelände fortsetzen. Durch die industrialisierte Nutztierhaltung seien diese Tiere, die den damaligen BewohnerInnen Norddeutschlands als Nahrung und Hilfstiere nützlich waren und perfekt an die hiesigen Umweltbedingungen angepasst sind, sehr bedroht. Die Tiere werden hier nicht nur erhalten, sondern auch in die pädagogische Arbeit miteinbezogen. „Es müssen also ‚nette‘ Arten sein, die sich dafür eignen.“ Zur Erweiterung des Bestandes werden einzelne Tiere auch an andere Höfe vermittelt. Männliche Tiere werden zum Teil auch zur Schlachtung freigegeben. In diesem eher unschönen Teil von Nutztierhaltung wird dann Aufklärung durch die Farm betrieben, erzählt Reinsch. Wir passieren weitere Gehege mit Schafen und Pferden, die wie übergroße Parzellengrundstücke angeordnet sind. Am Ende unserer Führung stehen wir vor großen, weiten Pferdekoppeln, auf denen Pferde und Esel in aller Ruhe grasen. Im

Hintergrund zwitschern die Vögel und die Äste der Bäume rascheln, die Luft ist kalt und klar und es ist, bis auf die Geräusche der Tiere im Hintergrund, fast still. Friederike Reinsch wirkt mit dem, was sie hier leistet, sehr zufrieden. „Einen coolen Job haben Sie hier“, sage ich spontan – sie lacht. Sie sei in ihrer Tätigkeit hier auch viel am Schreibtisch, aber der Ausgleich sei toll. Sie verweist auf die verschiedenen Biotope, die wir auf unserem Spaziergang durchstreift haben: von kleinen Waldstücken, Streuobstwiesen über Felder bis hin zu Teichanlagen. Die nicht eingezäunte und somit von allen Seiten frei zugängliche Farm bietet vielen Tier- und Pflanzenarten Lebensraum sowie uns Menschen Erholung. Während Reinsch mir erzählt, dass in nächster Zeit auch der Imkerei-Betrieb auf der Farm losgehe, fällt mein Blick auf ein altes Haus in der Ferne mit roter Tonziegelbedachung. „Dort ist das Kaisenhaus-Museum, sehr sehenswert“, sagt Reinsch und erklärt mir abschließend, dass das Grundstück des ehemaligen Bremer Bürgermeisters Wilhelm Kaisen und seiner Familie an das der Stiftung grenzte. Einen Zaun zwischen Farm und Grundstücken gibt es immer noch nicht.

Henry Schwampe mag Esel, dicke Katzen, alte Traktoren und Klinkersteinbauten mit Krüppelwalmdach. All das hat er hier entdeckt und war zufrieden.

Felix Müller ist Freier Fotograf aus Bremen. Große Teile seiner Kindheit hat er auf einem Bauernhof mit vielen Tieren verbracht. Auf der Farm hat er sich gleich wieder etwas jünger gefühlt.

1 0 | f e at u r e derten Kindern schaffen. IHTE ist eine Hilfe zur umfassenden Entwicklungsförderung und Erziehung von Kindern im Grundschulalter und soll den Kindern eine inklusive Förderung im Gruppenkontext ermöglichen. Begleitet wird dies durch eine regelmäßige Beratung der Erziehungs- und Sorgeberechtigten. Das neue Konzept der Stiftung beinhaltete auch eine Dezentralisierung am Lehester Deich. Man bildete dort in den 1980er-Jahren noch interdisziplinäre Teams aus TherapeutInnen und PsychologInnen aus, die dann im Sinne der Entinstitutionalisierung in die Stadtteile Bremens, also in Reichweite der betroffenen Kinder, zogen. 1984 wurde das erste IHTE-Projekt im städtischen Kindertagesheim in der Wischmannstraße eröffnet. Es folgten weitere. Im Sinne einer Vernetzung, um eine ganzheitliche Hilfe zu ermöglichen, folgte darauf eine engere Zusammenarbeit mit diesen Diensten vor Ort. Diese großflächige Umorientierung, weg von einer zentralisierten Sondereinrichtung, hin zu dezentralen Kindertagesstätten, war ein Meilenstein in der Entwicklung der Stiftung. Die Hans-Wendt-Stiftung hat im Laufe der Jahre einiges ausprobiert, um den Ansprüchen einer sozialen Gesellschaft gerecht zu werden. Mitte der 1980er-Jahre zogen noch Ausbildungsstätten für Jugendliche auf dem Gelände ein und es ging

eine Ambulante Hilfe für junge Straffällige an den Start. Diese Anläufe setzten sich, unter anderem aus Gründen der Finanzierung, allerdings nicht durch. Das Projekt aber, das sich bis heute durchgesetzt hat, ist das der Kinder- und Jugendfarm. Sie zog im Jahre 1995 am Lehesterdeich ein und befindet sich im hinteren Teil des Geländes. Das Projekt beschäftigt heute insgesamt 16 MitarbeiterInnen, die dort in Festanstellung oder als Ehrenamtliche und mit Unterstützung von PraktikantInnen arbeiten und die fünf Hektar große Farm in Eigenarbeit erhalten. Friederike Reinsch schaut sich auf unserem Spaziergang über die Farm immer wieder zufrieden um, als wir vorbei an großen Gehegen mit Gänsen, Hühnern und Ziegen schlendern. Sie erzählt, dass es bei der Farm vor allem um Spaß, aber auch um Aufklärung und Umweltbildung gehe. Ein niedrigschwelliges Angebot für alle, die kommen wollten, wobei das Hauptaugenmerk natürlich auf Kindern mit besonderen Bedürfnissen liege. Die Farm sei aber „offen für alle“ und biete für Kinder unter anderem auch Freizeiten, Lerngruppen, heilpädagogisches Reiten sowie Spiel und Spaß an. Manche der Leistungen und Förderungen sind über das Jugendamt finanziert. Aber auch für Menschen, die sich nicht mehr im

Das Herzstück: die Kinder- und Jugendfarm

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Spielen mit Schaf: Neben der Umweltbildung kommt auch der Spaß nicht zu kurz.

Kindesalter befinden, kann die Farm von Nutzen sein: So lassen sich hier auch Sozialstunden oder Wiedereingliederungspraktika nach einer Suchterkrankung ableisten. Vor einer alten Fachwerkscheune im Klinker-Stil bleiben wir stehen. Das Tor zur Scheune ist halb geöffnet und in ihr lässt sich ein antik wirkender Traktor erkennen. Eine dicke schwarze Katze kommt uns entgegen und streift um unsere Beine. Seit Oktober 2020 ist die Farm ein zertifizierter, anerkannter „Arche-Park“ – ein Ergebnis langer und harter Arbeit. Die Stiftung verfolgt mit dem „Arche-Park“ das Ziel, der Öffentlichkeit durch erlebnisorientierte Wissensvermittlung die Situation von alten und in ihrem Bestand bedrohten Nutztierrassen näherzubringen. „Fast alle Tiere hier stehen auf der Roten Liste“, erklärt Reinsch, während wir unseren Spaziergang über das Gelände fortsetzen. Durch die industrialisierte Nutztierhaltung seien diese Tiere, die den damaligen BewohnerInnen Norddeutschlands als Nahrung und Hilfstiere nützlich waren und perfekt an die hiesigen Umweltbedingungen angepasst sind, sehr bedroht. Die Tiere werden hier nicht nur erhalten, sondern auch in die pädagogische Arbeit miteinbezogen. „Es müssen also ‚nette‘ Arten sein, die sich dafür eignen.“ Zur Erweiterung des Bestandes werden einzelne Tiere auch an andere Höfe vermittelt. Männliche Tiere werden zum Teil auch zur Schlachtung freigegeben. In diesem eher unschönen Teil von Nutztierhaltung wird dann Aufklärung durch die Farm betrieben, erzählt Reinsch. Wir passieren weitere Gehege mit Schafen und Pferden, die wie übergroße Parzellengrundstücke angeordnet sind. Am Ende unserer Führung stehen wir vor großen, weiten Pferdekoppeln, auf denen Pferde und Esel in aller Ruhe grasen. Im

Hintergrund zwitschern die Vögel und die Äste der Bäume rascheln, die Luft ist kalt und klar und es ist, bis auf die Geräusche der Tiere im Hintergrund, fast still. Friederike Reinsch wirkt mit dem, was sie hier leistet, sehr zufrieden. „Einen coolen Job haben Sie hier“, sage ich spontan – sie lacht. Sie sei in ihrer Tätigkeit hier auch viel am Schreibtisch, aber der Ausgleich sei toll. Sie verweist auf die verschiedenen Biotope, die wir auf unserem Spaziergang durchstreift haben: von kleinen Waldstücken, Streuobstwiesen über Felder bis hin zu Teichanlagen. Die nicht eingezäunte und somit von allen Seiten frei zugängliche Farm bietet vielen Tier- und Pflanzenarten Lebensraum sowie uns Menschen Erholung. Während Reinsch mir erzählt, dass in nächster Zeit auch der Imkerei-Betrieb auf der Farm losgehe, fällt mein Blick auf ein altes Haus in der Ferne mit roter Tonziegelbedachung. „Dort ist das Kaisenhaus-Museum, sehr sehenswert“, sagt Reinsch und erklärt mir abschließend, dass das Grundstück des ehemaligen Bremer Bürgermeisters Wilhelm Kaisen und seiner Familie an das der Stiftung grenzte. Einen Zaun zwischen Farm und Grundstücken gibt es immer noch nicht.

Henry Schwampe mag Esel, dicke Katzen, alte Traktoren und Klinkersteinbauten mit Krüppelwalmdach. All das hat er hier entdeckt und war zufrieden.

Felix Müller ist Freier Fotograf aus Bremen. Große Teile seiner Kindheit hat er auf einem Bauernhof mit vielen Tieren verbracht. Auf der Farm hat er sich gleich wieder etwas jünger gefühlt.

12 | Bericht

Text: Sarah Ruhase Foto: Volker Busch

Nur Selbstbedienung Für die Torfkahnfahrer vergangener Tage war sie eine Etappe auf dem Weg nach Bremen: die Schleuse Kuhsiel. Heute müssen KajakfahrerInnen hier selbst Hand anlegen

Sie ist das hervorstechende Bauwerk am Lehester Deich und für viele Bremer ein beliebtes Ausflugsziel: die Schleuse Kuhsiel. Besonders im Sommer ist der Kuhsiel voll von Menschen, die im Landhaus ihren Kaffee mit Blick auf die Wümme trinken oder bei einem Spaziergang die schöne Natur genießen. Im Mittelpunk steht allerdings die große Schleuse, die den Booten den Übergang vom Kuhgraben zur Wümme ermöglicht. Fast 3.500 Kanus, Kajaks oder andere Sportboote passieren sie pro Jahr. Und hier ist Eigeninitiative gefragt: An den beiden stählernen Toren der Schleuse befindet sich jeweils ein silberner Kasten mit verschieden Schaltern, die von den SportbootfahrerInnen selbst bedient werden müssen: Mit ihnen können die Schleusentore per Knopfdruck geöffnet und geschlossen werden. Kommt also ein Boot bei der Schleuse an, muss mindestens eine Person beim nahe gelegenen Steg aussteigen und hoch zur Schleuse laufen, um die Tore durch die Betätigung eines Schalters zu öffnen und wieder zu schließen. Ist das erste Tor offen, kann das Boot hineinfahren. Anschließend muss das offene Tor wiederum manuell per Knopfdruck geschlossen werden. Innerhalb der Schleuse wird das Boot auf den Wasserstand der von den Gezeiten beeinflussten Wümme gebracht. Das kann an Bord ziemlich wackelig

werden, denn der Tidenhub der Wümme beträgt teilweise bis zu 1,10 Metern. Nach einem weiteren Knopfdruck ist auch das zweite Tor offen und das Boot kann ausschleusen. Die Knöpfe und Schalter der Schleuse sind – da sie sich an Land befinden – auch ein Magnet für Kinder: Ihnen ist dabei meist egal, ob ein Boot kommt oder nicht. Geschleust wird trotzdem immer wieder. So automatisiert und leicht zu bedienen war die Schleuse allerdings nicht immer. Früher brauchte es dafür Personal. Gebaut wurde die Schleuse im 19. Jahrhundert, als der Torfhandel immer wichtiger wurde. Torf war bis in das 20. Jahrhundert hinein ein wichtiges Heizmittel, das von Torfbäuerinnen und Torfbauern im nahe gelegenen Teufelsmoor gestochen wurde. Sie begannen, ihre Ware nach Bremen zu verschiffen, wo sie unter Bäckereien, Gärtnereien oder auch bei Privatleuten AbnehmerInnen fanden. Dabei wählten sie meistens den Weg über Hamme und Wümme, wobei sie auch die Schleuse am Kuhsiel passieren mussten. Diese Reise dauerte mehrere Tage und war oft sehr beschwerlich und teilweise auch gefährlich. „Die Fahrt nach Bremen hat immer so drei Tage und drei Nächte gedauert. Besonders wenn der Wind ungünstig stand, haben die Torfhändler halt schon mal ein bisschen länger gebraucht“, berich-

Rund 3.500 KajakfahrerInnen passieren die Schleuse im Jahr. Die Knöpfe müssen sie heute selbst drücken.

tet die ehemalige Torfbäuerin Annegret Meyer. Ihr Großvater war einer der Torfkahnfahrer, der den gestochenen Torf nach Bremen verschiffte. Die Schiffe waren meistens mit zwei bis drei Torfkahnfahrern besetzt, die bei mehrtägigen Reisen in der Nacht zwischen dem Torf auf dem Kahn schlafen mussten. Kamen die Kähne dann endlich bei der Schleuse an, so trafen sie auf einen Schleusenwärter, der ihnen die Schleusentore öffnete, damit sie einfahren konnten, um auf das Niveau des Kuhgrabens herab- oder angehoben zu werden – je nachdem wie hoch das Wasser der Wümme gerade stand. Besonders bei Niedrigwasser gab es oft Probleme vor und in der Schleuse, wenn die tiefliegenden Torfkähne dabei auf den Grund der Wümme aufliefen und dann unter Anstrengung wieder herausgezogen werden mussten. „Die haben sich aber auch alle gegenseitig geholfen ‚auf See‘, auch die Leute von anderen Kähnen. Zumindest wenn man Platt konnte. Das musste man schon können. Die Torfkahnfahrer haben nichts anderes geschnackt“, erklärt Meyer schmunzelnd. Heute haben sich die Zeiten geändert: Öl und Gas haben Torf als Heizmittel ersetzt und das Wümme-Bild ist schon lange nicht mehr durch die braunen Segel der Torfkähne geprägt. Auch die Schleuse wurde grundlegend erneuert und vollkommen automatisiert. Trotzdem lohnt sich

die Fahrt auf der Wümme und durch die Schleuse auch heute noch sehr, um sich sportlich zu betätigen und die wunderschöne Landschaft zu erkunden. Platt hört man hier zwar nur noch selten, und auch die Mühsal vergangener Jahrhunderte ist längst vergessen. Sich für einen Augenblick an die abenteuerlichen Fahrten der Torfkahnfahrer zu erinnern, die tagtäglich die Schleuse passierten, um die Menschen in der Stadt mit Torf zu versorgen, lohnt aber allemal.

Sarah Ruhase war fast allein, als sie sich für diese Geschichte an der Schleuse umsah. Sie freut sich auf zukünftige sommerliche Kaffeenachmittage am Kuhsiel und den Trubel der KajakfahrerInnen.

Volker Busch kennt den Lehester Deich wie seine Westentasche: Er ist hier aufgewachsen. Ehrensache, dass er gleich zum Fotoeinsatz zur Schleuse ausrückte.

12 | Bericht

Text: Sarah Ruhase Foto: Volker Busch

Nur Selbstbedienung Für die Torfkahnfahrer vergangener Tage war sie eine Etappe auf dem Weg nach Bremen: die Schleuse Kuhsiel. Heute müssen KajakfahrerInnen hier selbst Hand anlegen

Sie ist das hervorstechende Bauwerk am Lehester Deich und für viele Bremer ein beliebtes Ausflugsziel: die Schleuse Kuhsiel. Besonders im Sommer ist der Kuhsiel voll von Menschen, die im Landhaus ihren Kaffee mit Blick auf die Wümme trinken oder bei einem Spaziergang die schöne Natur genießen. Im Mittelpunk steht allerdings die große Schleuse, die den Booten den Übergang vom Kuhgraben zur Wümme ermöglicht. Fast 3.500 Kanus, Kajaks oder andere Sportboote passieren sie pro Jahr. Und hier ist Eigeninitiative gefragt: An den beiden stählernen Toren der Schleuse befindet sich jeweils ein silberner Kasten mit verschieden Schaltern, die von den SportbootfahrerInnen selbst bedient werden müssen: Mit ihnen können die Schleusentore per Knopfdruck geöffnet und geschlossen werden. Kommt also ein Boot bei der Schleuse an, muss mindestens eine Person beim nahe gelegenen Steg aussteigen und hoch zur Schleuse laufen, um die Tore durch die Betätigung eines Schalters zu öffnen und wieder zu schließen. Ist das erste Tor offen, kann das Boot hineinfahren. Anschließend muss das offene Tor wiederum manuell per Knopfdruck geschlossen werden. Innerhalb der Schleuse wird das Boot auf den Wasserstand der von den Gezeiten beeinflussten Wümme gebracht. Das kann an Bord ziemlich wackelig

werden, denn der Tidenhub der Wümme beträgt teilweise bis zu 1,10 Metern. Nach einem weiteren Knopfdruck ist auch das zweite Tor offen und das Boot kann ausschleusen. Die Knöpfe und Schalter der Schleuse sind – da sie sich an Land befinden – auch ein Magnet für Kinder: Ihnen ist dabei meist egal, ob ein Boot kommt oder nicht. Geschleust wird trotzdem immer wieder. So automatisiert und leicht zu bedienen war die Schleuse allerdings nicht immer. Früher brauchte es dafür Personal. Gebaut wurde die Schleuse im 19. Jahrhundert, als der Torfhandel immer wichtiger wurde. Torf war bis in das 20. Jahrhundert hinein ein wichtiges Heizmittel, das von Torfbäuerinnen und Torfbauern im nahe gelegenen Teufelsmoor gestochen wurde. Sie begannen, ihre Ware nach Bremen zu verschiffen, wo sie unter Bäckereien, Gärtnereien oder auch bei Privatleuten AbnehmerInnen fanden. Dabei wählten sie meistens den Weg über Hamme und Wümme, wobei sie auch die Schleuse am Kuhsiel passieren mussten. Diese Reise dauerte mehrere Tage und war oft sehr beschwerlich und teilweise auch gefährlich. „Die Fahrt nach Bremen hat immer so drei Tage und drei Nächte gedauert. Besonders wenn der Wind ungünstig stand, haben die Torfhändler halt schon mal ein bisschen länger gebraucht“, berich-

Rund 3.500 KajakfahrerInnen passieren die Schleuse im Jahr. Die Knöpfe müssen sie heute selbst drücken.

tet die ehemalige Torfbäuerin Annegret Meyer. Ihr Großvater war einer der Torfkahnfahrer, der den gestochenen Torf nach Bremen verschiffte. Die Schiffe waren meistens mit zwei bis drei Torfkahnfahrern besetzt, die bei mehrtägigen Reisen in der Nacht zwischen dem Torf auf dem Kahn schlafen mussten. Kamen die Kähne dann endlich bei der Schleuse an, so trafen sie auf einen Schleusenwärter, der ihnen die Schleusentore öffnete, damit sie einfahren konnten, um auf das Niveau des Kuhgrabens herab- oder angehoben zu werden – je nachdem wie hoch das Wasser der Wümme gerade stand. Besonders bei Niedrigwasser gab es oft Probleme vor und in der Schleuse, wenn die tiefliegenden Torfkähne dabei auf den Grund der Wümme aufliefen und dann unter Anstrengung wieder herausgezogen werden mussten. „Die haben sich aber auch alle gegenseitig geholfen ‚auf See‘, auch die Leute von anderen Kähnen. Zumindest wenn man Platt konnte. Das musste man schon können. Die Torfkahnfahrer haben nichts anderes geschnackt“, erklärt Meyer schmunzelnd. Heute haben sich die Zeiten geändert: Öl und Gas haben Torf als Heizmittel ersetzt und das Wümme-Bild ist schon lange nicht mehr durch die braunen Segel der Torfkähne geprägt. Auch die Schleuse wurde grundlegend erneuert und vollkommen automatisiert. Trotzdem lohnt sich

die Fahrt auf der Wümme und durch die Schleuse auch heute noch sehr, um sich sportlich zu betätigen und die wunderschöne Landschaft zu erkunden. Platt hört man hier zwar nur noch selten, und auch die Mühsal vergangener Jahrhunderte ist längst vergessen. Sich für einen Augenblick an die abenteuerlichen Fahrten der Torfkahnfahrer zu erinnern, die tagtäglich die Schleuse passierten, um die Menschen in der Stadt mit Torf zu versorgen, lohnt aber allemal.

Sarah Ruhase war fast allein, als sie sich für diese Geschichte an der Schleuse umsah. Sie freut sich auf zukünftige sommerliche Kaffeenachmittage am Kuhsiel und den Trubel der KajakfahrerInnen.

Volker Busch kennt den Lehester Deich wie seine Westentasche: Er ist hier aufgewachsen. Ehrensache, dass er gleich zum Fotoeinsatz zur Schleuse ausrückte.

Text: Lisa Schwarzien Illustrationen: Söntke Campen

Die Hüter von Bremens grüner Stadtmauer Um die Stadt vor Hochwasser zu schützen, wurden bereits vor 500 Jahren Deiche gebaut. Aus vielen kleinen Verbänden gründete sich 1940 der Bremische Deichverband am rechten Weserufer, der für die Stadt Bremen wichtige Aufgaben übernimmt

Rechnet man alle Deiche am rechten Weserufer zusammen, kommt man auf eine Gesamtstrecke von 100 Kilometern. Dazu zählen zum Beispiel der Osterdeich, aber auch kleinere unscheinbare Deiche an der Wümme. Die Deiche haben in der Regel eine Neigung von 1:4, die Breite beträgt von Deichfuß zu Deichfuß bis zu 70 Meter. Durch die Auswirkungen des Klimawandels müssen aktuell viele Deiche von sieben auf knapp acht Meter erhöht werden. Dafür stellen Bund und Ländern 350 Millionen Euro zur Verfügung. Sturmfluten der Nordsee gelangen auch bis Bremen. Ohne Deiche würde mehr als die Hälfte des Stadtgebiets zweimal täglich unter Wasser liegen. Seit dem Weserausbau hat Bremen mit rund vier Metern den höchsten Tidenhub an der Nordseeküste. Neben Deichen dienen auch Sperrwerke dem Hochwasserschutz. Das Lesumsperrwerk beispielsweise, das nach der großen Sturmflut 1962 gebaut wurde, verkürzt die Deichlinie, sodass das Hochwasser eine geringere Angriffsfläche hat. Heute wird das Sperrwerk bei Sturmfluten ab 2,70 Meter über Normalnull geschlossen, um Lesum- und Wümmedeiche zu schützen.

Der Bremische Deichverband am rechten Weserufer hat seinen Sitz am Lehester Deich 149. Mit 55 Angestellten kümmert er sich um die Pflege und Instandhaltung der Deiche rechts der Weser und um die Binnenentwässerung – und das auf einem 22.000 Hektar großen Gebiet zwischen Weser, Wümme und dem Bremer Norden. Mitglieder sind die rund 90.000 GrundstücksbesitzerInnen, die vom Deichschutz profitieren. Sie bilden eine Solidargemeinschaft und tragen die Finanzierung mit.

Von Deichen umgeben gleicht Bremen einer Badewanne. Neben der Deichpflege ist der Deichverband auch dafür zuständig, Niederschlagswasser aus dem Stadtgebiet abzuleiten. Das geschieht über 647 Kilometer Wasserläufe, Gräben und Fleete. Dafür stehen 16 Siele und neun Schöpfwerke mit Pumpen zur Verfügung. Außerdem betreibt der Deichverband das Lesumsperrwerk, um den Wasserstand von Lesum und Wümme zu regulieren, sowie vier Schleusen, damit Boote und Schiffe die Deiche passieren können.

Eine der größten Bedrohungen für die Deiche sind Nutrias. Die südamerikanischen Nagetiere, auch Biberratten genannt, buddeln für ihre Behausungen bis zu sechs Meter tiefe Löcher und unterhöhlen den Deich. Weil sich die Nutrias in den letzten Jahren explosionsartig vermehrt haben, stehen sie auf der EU-Liste invasiver Arten und dürfen seit 2019 in Bremen ganzjährig bejagt werden. Der Deichverband arbeitet hier mit örtlichen JägerInnen zusammen. Bis zu 1.500 Tiere werden pro Jahr erlegt, um die Population auf einem normalen Niveau zu halten.

Die Deiche sind wie eine grüne Stadtmauer und explizit auch zur Naherholung gedacht. Im Frühjahr und Sommer verziert das Wiesenschaumkraut die Deiche mit einem weiß-rosa Schleier. Das ist nicht nur hübsch, sondern auch insektenfreundlich. Außerdem sorgen Blumen und Kräuter für eine tiefer verwurzelte Grasnarbe, also für mehr Stabilität. Die Pflege der Deiche geschieht laut Deichverband naturnah und ressourcenschonend. So werde Holzschnitt zum Heizen verwendet und mit eigenen Windenergie- und Photovoltaikanlagen mehr elektrische Energie erzeugt, als auf dem Betriebsgelände verbraucht wird.

Söntke Campen kommt immer dann zum Einsatz, wenn etwas schön illustriert werden soll: Er gestaltet das Inhaltsverzeichnis und rückt auch gerne zu Sondereinsätzen aus.

Lisa Schwarzien fährt manchmal mit dem Rad durchs Blockland und weiß jetzt endlich, was da so schön rosa blüht.

Text: Lisa Schwarzien Illustrationen: Söntke Campen

Die Hüter von Bremens grüner Stadtmauer Um die Stadt vor Hochwasser zu schützen, wurden bereits vor 500 Jahren Deiche gebaut. Aus vielen kleinen Verbänden gründete sich 1940 der Bremische Deichverband am rechten Weserufer, der für die Stadt Bremen wichtige Aufgaben übernimmt

Rechnet man alle Deiche am rechten Weserufer zusammen, kommt man auf eine Gesamtstrecke von 100 Kilometern. Dazu zählen zum Beispiel der Osterdeich, aber auch kleinere unscheinbare Deiche an der Wümme. Die Deiche haben in der Regel eine Neigung von 1:4, die Breite beträgt von Deichfuß zu Deichfuß bis zu 70 Meter. Durch die Auswirkungen des Klimawandels müssen aktuell viele Deiche von sieben auf knapp acht Meter erhöht werden. Dafür stellen Bund und Ländern 350 Millionen Euro zur Verfügung. Sturmfluten der Nordsee gelangen auch bis Bremen. Ohne Deiche würde mehr als die Hälfte des Stadtgebiets zweimal täglich unter Wasser liegen. Seit dem Weserausbau hat Bremen mit rund vier Metern den höchsten Tidenhub an der Nordseeküste. Neben Deichen dienen auch Sperrwerke dem Hochwasserschutz. Das Lesumsperrwerk beispielsweise, das nach der großen Sturmflut 1962 gebaut wurde, verkürzt die Deichlinie, sodass das Hochwasser eine geringere Angriffsfläche hat. Heute wird das Sperrwerk bei Sturmfluten ab 2,70 Meter über Normalnull geschlossen, um Lesum- und Wümmedeiche zu schützen.

Der Bremische Deichverband am rechten Weserufer hat seinen Sitz am Lehester Deich 149. Mit 55 Angestellten kümmert er sich um die Pflege und Instandhaltung der Deiche rechts der Weser und um die Binnenentwässerung – und das auf einem 22.000 Hektar großen Gebiet zwischen Weser, Wümme und dem Bremer Norden. Mitglieder sind die rund 90.000 GrundstücksbesitzerInnen, die vom Deichschutz profitieren. Sie bilden eine Solidargemeinschaft und tragen die Finanzierung mit.

Von Deichen umgeben gleicht Bremen einer Badewanne. Neben der Deichpflege ist der Deichverband auch dafür zuständig, Niederschlagswasser aus dem Stadtgebiet abzuleiten. Das geschieht über 647 Kilometer Wasserläufe, Gräben und Fleete. Dafür stehen 16 Siele und neun Schöpfwerke mit Pumpen zur Verfügung. Außerdem betreibt der Deichverband das Lesumsperrwerk, um den Wasserstand von Lesum und Wümme zu regulieren, sowie vier Schleusen, damit Boote und Schiffe die Deiche passieren können.

Eine der größten Bedrohungen für die Deiche sind Nutrias. Die südamerikanischen Nagetiere, auch Biberratten genannt, buddeln für ihre Behausungen bis zu sechs Meter tiefe Löcher und unterhöhlen den Deich. Weil sich die Nutrias in den letzten Jahren explosionsartig vermehrt haben, stehen sie auf der EU-Liste invasiver Arten und dürfen seit 2019 in Bremen ganzjährig bejagt werden. Der Deichverband arbeitet hier mit örtlichen JägerInnen zusammen. Bis zu 1.500 Tiere werden pro Jahr erlegt, um die Population auf einem normalen Niveau zu halten.

Die Deiche sind wie eine grüne Stadtmauer und explizit auch zur Naherholung gedacht. Im Frühjahr und Sommer verziert das Wiesenschaumkraut die Deiche mit einem weiß-rosa Schleier. Das ist nicht nur hübsch, sondern auch insektenfreundlich. Außerdem sorgen Blumen und Kräuter für eine tiefer verwurzelte Grasnarbe, also für mehr Stabilität. Die Pflege der Deiche geschieht laut Deichverband naturnah und ressourcenschonend. So werde Holzschnitt zum Heizen verwendet und mit eigenen Windenergie- und Photovoltaikanlagen mehr elektrische Energie erzeugt, als auf dem Betriebsgelände verbraucht wird.

Söntke Campen kommt immer dann zum Einsatz, wenn etwas schön illustriert werden soll: Er gestaltet das Inhaltsverzeichnis und rückt auch gerne zu Sondereinsätzen aus.

Lisa Schwarzien fährt manchmal mit dem Rad durchs Blockland und weiß jetzt endlich, was da so schön rosa blüht.

16 | bericht

Das Klubhaus im Nirgendwo Das Theater am Deich hat eine lange Tradition. Seit dem ersten Corona-Lockdown steht es zwar still, aber das Ensemble hofft, den Spielbetrieb noch in diesem Jahr wieder aufzunehmen Text: Meike Große Hundrup Fotos: Wolfgang Everding

In der Maske hängen hier und da vereinzelte Kostüme, inzwischen legt sich Staub auf die Perücken. Im kleinen Theater am Deich ist es düster und kühl – die Luft ein bisschen abgestanden. Das skandinavisch aussehende rote Holzhaus mit seinen weißen Fenstern liegt wie im Winterschlaf am Lehester Deich. Es herrscht Corona-Pause. Aufgestapelte rote Polsterstühle im Zuschauerraum sind unter transparenter Plane halb verdeckt. Auf der Bühne stehen noch letzte Requisiten: eine Bank, ein Tisch, ein Stuhl. Das in Acryl gemalte Bühnenbild dahinter führt die BetrachterInnen ganz woanders hin: in einen nächtlchen Wald. Es gehört zum letzten Akt, zur Schlussszene von „Figaros Hochzeit“ – dem Stück, das im Frühjahr 2020 Premiere gefeiert hätte, wenn der Lockdown nicht gekommen wäre. „Es war alles fertig“, erzählt Mary Janz. „Es fehlte nur noch eine Probe.“ Sie ist Regisseurin und Schauspielerin im Theater am Deich. Die Bühne habe sie schon immer fasziniert, erzählt sie. „Eine Nachbarin hat mich damals dazu gebracht. In meinem ersten Stück habe ich ein Dienstmädchen gespielt. Und dann bin ich einfach dabeigeblieben.“ Zwei Stücke pro Jahr stelle das Ensemble gemeinsam auf die Bühne, mit über 20 Aufführungen. Manchmal gibt es dazu noch ein kleines Sommerstück.

Bis es aber so weit ist, muss geprobt werden. Das Laienensemble trifft sich dafür ein- bis zweimal pro Woche. Seit der Pandemie auch digital, per Videokonferenz. „Für die Vorbereitungen eines neuen Stücks, also von der Idee bis zur Aufführung, brauchen wir ungefähr ein Jahr“, sagt Mary Janz. Dabei kämen immer sehr unterschiedliche Menschen zusammen, von SchauspielerInnen und RegisseurInnen über TechnikerInnen und MaskenbildnerInnen. 68 Mitglieder zählt der „Hanseaten-Verein“ momentan, ungefähr 30 davon sind aktiv. Eine Intendanz als künstlerische Leitung gibt es nicht. Entscheidungen würden demokratisch miteinander getroffen, erzählt Corinna König, die zweite Vorstandsvorsitzende des Vereins. Sie ist erst seit 2017 dabei, dem kleinen Theater aber schon viel länger verbunden. Ihre Mutter hat hier lange geschauspielert und Corinna König als Kind oft mitgenommen. „Nach ihrem Tod habe ich das Amt aufgenommen“, erzählt sie: „auch als eine Art der Trauerarbeit.“ 1984 wurde das heutige Theater am Deich in Betrieb genommen, die Anfänge des „Hanseaten-Vereins“ liegen aber deutlich weiter zurück. Die Geschichte beginnt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg im Bremer Westen. Die amerikanischen

Sie sorgen vor und hinter den Kulissen für den Spielbetrieb im Theater am Deich: Mary Janz (links) als Regisseurin und Schauspielerin sowie Corinna König als zweite Vorstandsvorsitzende.

Besatzer gründeten damals in ganz Bremen Jugendklubs für die Bevölkerung. Jugendliche sollten von den Straßen geholt und demokratisiert werden. Der Klub, um den es hier geht, entstand am 11. Dezember 1946 in Walle. Jahre später schrieb Mitbegründer Richard Dzikowski die Geschichte des Klubs nieder und erinnert sich an diese ersten Stunden: an die Versammlung in einer Kneipe, wo alle TeilnehmerInnen zwei Briketts mitbringen mussten, um den Raum zu heizen: „Es gab labberiges Heißgetränk. Es waren wohl circa 40 Personen anwesend, alles Jugendliche zwischen 17 und 19 Jahren.“ Und an das erste Klubhaus erinnert er sich: die selbst gezimmerte Baracke auf einem zerbombten Waller Schulgelände. Einige Jahre konnten sie dort bleiben und Theater spielen – bis 1962 der Schulbetrieb wieder aufgenommen wurde. Bis dahin war der Hanseaten-Verein der einzige Jugendklub, der nach dem Krieg geblieben war. Als Ersatz für ihre Baracke bot die Kulturbehörde dem Klub die alte Dorfschule am Lehester Deich an – das heutige Theater. Dzwikoswki und seine beiden Gründerkollegen seien entsetzt gewesen: „Damals war der Lehester Deich noch völlig unbebaut. Da stand nur diese alte Schule. Vereinzelt in der Ferne einige Bauernhöfe.“ Sie hätten gedacht, hier würde niemals Theater gespielt werden – und dass kein Mensch jemals in diese Einöde komme. „Aber der Spatz in der Hand ist immer noch besser als die Taube auf dem Dach“, schreibt Dzikowski. Und dann wurde eben doch Theater gespielt – bis heute. Die Leute kommen hauptsächlich über Mundpropaganda ans Theater. „Es sind alle möglichen Menschen dabei, von Jung bis Alt. Wir sind auch richtig multikulti“, meint Mary Janz und zeigt auf das Bild einer jungen Frau an der Wand in der

Eingangshalle: „Sie ist Italienerin und ist vor drei Jahren zu uns gekommen, um Deutsch zu lernen.“ Momentan ist es zwar still im Theater am Deich. Aber die Hoffnung ist groß, dass es im Herbst weitergehen kann. Dafür hat der Verein extra eine Belüftungsanlage angeschafft, die die Luft im Saal regelmäßig austauscht. „Das hätten wir uns alleine gar nicht leisten können“, sagt Corinna König. Hier und da bekämen sie mal Geld für solche Investitionen, aber an sich trage sich das Theater weitgehend alleine. 99 ZuschauerInnen finden unter normalen Umständen Platz, auch wenn es unter Corona-Bedingungen natürlich anders liefe, sagt Mary Janz: „Wir haben das Stück an die Abstandsregeln angepasst. Es gibt keine Massenszenen mehr, höchstens vier Leute dürfen gleichzeitig auf der Bühne stehen. Für die Liebesszenen ist das Abstandhalten natürlich ein bisschen doof“, sagt sie und lacht. Und man müsse sehen, wer bis zur Eröffnung noch da ist – ein paar Rollen seien schon weggebrochen und derzeit ist unklar, wann die Theater wieder öffnen dürfen. Für Mary Janz steht aber eines fest: „Wir sind heiß darauf, das Stück endlich auf die Bühne zu bringen!“

Meike Große Hundrup freut sich auf die Zeit nach der Pandemie und möchte sich dann das Stück ansehen.

Wolfgang Everding will auf jeden Fall, bei einer der für 2021 geplanten Aufführungen von „Figaros Hochzeit“ als Zuschauer in der ersten Reihe sitzen.

16 | bericht

Das Klubhaus im Nirgendwo Das Theater am Deich hat eine lange Tradition. Seit dem ersten Corona-Lockdown steht es zwar still, aber das Ensemble hofft, den Spielbetrieb noch in diesem Jahr wieder aufzunehmen Text: Meike Große Hundrup Fotos: Wolfgang Everding

In der Maske hängen hier und da vereinzelte Kostüme, inzwischen legt sich Staub auf die Perücken. Im kleinen Theater am Deich ist es düster und kühl – die Luft ein bisschen abgestanden. Das skandinavisch aussehende rote Holzhaus mit seinen weißen Fenstern liegt wie im Winterschlaf am Lehester Deich. Es herrscht Corona-Pause. Aufgestapelte rote Polsterstühle im Zuschauerraum sind unter transparenter Plane halb verdeckt. Auf der Bühne stehen noch letzte Requisiten: eine Bank, ein Tisch, ein Stuhl. Das in Acryl gemalte Bühnenbild dahinter führt die BetrachterInnen ganz woanders hin: in einen nächtlchen Wald. Es gehört zum letzten Akt, zur Schlussszene von „Figaros Hochzeit“ – dem Stück, das im Frühjahr 2020 Premiere gefeiert hätte, wenn der Lockdown nicht gekommen wäre. „Es war alles fertig“, erzählt Mary Janz. „Es fehlte nur noch eine Probe.“ Sie ist Regisseurin und Schauspielerin im Theater am Deich. Die Bühne habe sie schon immer fasziniert, erzählt sie. „Eine Nachbarin hat mich damals dazu gebracht. In meinem ersten Stück habe ich ein Dienstmädchen gespielt. Und dann bin ich einfach dabeigeblieben.“ Zwei Stücke pro Jahr stelle das Ensemble gemeinsam auf die Bühne, mit über 20 Aufführungen. Manchmal gibt es dazu noch ein kleines Sommerstück.

Bis es aber so weit ist, muss geprobt werden. Das Laienensemble trifft sich dafür ein- bis zweimal pro Woche. Seit der Pandemie auch digital, per Videokonferenz. „Für die Vorbereitungen eines neuen Stücks, also von der Idee bis zur Aufführung, brauchen wir ungefähr ein Jahr“, sagt Mary Janz. Dabei kämen immer sehr unterschiedliche Menschen zusammen, von SchauspielerInnen und RegisseurInnen über TechnikerInnen und MaskenbildnerInnen. 68 Mitglieder zählt der „Hanseaten-Verein“ momentan, ungefähr 30 davon sind aktiv. Eine Intendanz als künstlerische Leitung gibt es nicht. Entscheidungen würden demokratisch miteinander getroffen, erzählt Corinna König, die zweite Vorstandsvorsitzende des Vereins. Sie ist erst seit 2017 dabei, dem kleinen Theater aber schon viel länger verbunden. Ihre Mutter hat hier lange geschauspielert und Corinna König als Kind oft mitgenommen. „Nach ihrem Tod habe ich das Amt aufgenommen“, erzählt sie: „auch als eine Art der Trauerarbeit.“ 1984 wurde das heutige Theater am Deich in Betrieb genommen, die Anfänge des „Hanseaten-Vereins“ liegen aber deutlich weiter zurück. Die Geschichte beginnt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg im Bremer Westen. Die amerikanischen

Sie sorgen vor und hinter den Kulissen für den Spielbetrieb im Theater am Deich: Mary Janz (links) als Regisseurin und Schauspielerin sowie Corinna König als zweite Vorstandsvorsitzende.

Besatzer gründeten damals in ganz Bremen Jugendklubs für die Bevölkerung. Jugendliche sollten von den Straßen geholt und demokratisiert werden. Der Klub, um den es hier geht, entstand am 11. Dezember 1946 in Walle. Jahre später schrieb Mitbegründer Richard Dzikowski die Geschichte des Klubs nieder und erinnert sich an diese ersten Stunden: an die Versammlung in einer Kneipe, wo alle TeilnehmerInnen zwei Briketts mitbringen mussten, um den Raum zu heizen: „Es gab labberiges Heißgetränk. Es waren wohl circa 40 Personen anwesend, alles Jugendliche zwischen 17 und 19 Jahren.“ Und an das erste Klubhaus erinnert er sich: die selbst gezimmerte Baracke auf einem zerbombten Waller Schulgelände. Einige Jahre konnten sie dort bleiben und Theater spielen – bis 1962 der Schulbetrieb wieder aufgenommen wurde. Bis dahin war der Hanseaten-Verein der einzige Jugendklub, der nach dem Krieg geblieben war. Als Ersatz für ihre Baracke bot die Kulturbehörde dem Klub die alte Dorfschule am Lehester Deich an – das heutige Theater. Dzwikoswki und seine beiden Gründerkollegen seien entsetzt gewesen: „Damals war der Lehester Deich noch völlig unbebaut. Da stand nur diese alte Schule. Vereinzelt in der Ferne einige Bauernhöfe.“ Sie hätten gedacht, hier würde niemals Theater gespielt werden – und dass kein Mensch jemals in diese Einöde komme. „Aber der Spatz in der Hand ist immer noch besser als die Taube auf dem Dach“, schreibt Dzikowski. Und dann wurde eben doch Theater gespielt – bis heute. Die Leute kommen hauptsächlich über Mundpropaganda ans Theater. „Es sind alle möglichen Menschen dabei, von Jung bis Alt. Wir sind auch richtig multikulti“, meint Mary Janz und zeigt auf das Bild einer jungen Frau an der Wand in der

Eingangshalle: „Sie ist Italienerin und ist vor drei Jahren zu uns gekommen, um Deutsch zu lernen.“ Momentan ist es zwar still im Theater am Deich. Aber die Hoffnung ist groß, dass es im Herbst weitergehen kann. Dafür hat der Verein extra eine Belüftungsanlage angeschafft, die die Luft im Saal regelmäßig austauscht. „Das hätten wir uns alleine gar nicht leisten können“, sagt Corinna König. Hier und da bekämen sie mal Geld für solche Investitionen, aber an sich trage sich das Theater weitgehend alleine. 99 ZuschauerInnen finden unter normalen Umständen Platz, auch wenn es unter Corona-Bedingungen natürlich anders liefe, sagt Mary Janz: „Wir haben das Stück an die Abstandsregeln angepasst. Es gibt keine Massenszenen mehr, höchstens vier Leute dürfen gleichzeitig auf der Bühne stehen. Für die Liebesszenen ist das Abstandhalten natürlich ein bisschen doof“, sagt sie und lacht. Und man müsse sehen, wer bis zur Eröffnung noch da ist – ein paar Rollen seien schon weggebrochen und derzeit ist unklar, wann die Theater wieder öffnen dürfen. Für Mary Janz steht aber eines fest: „Wir sind heiß darauf, das Stück endlich auf die Bühne zu bringen!“

Meike Große Hundrup freut sich auf die Zeit nach der Pandemie und möchte sich dann das Stück ansehen.

Wolfgang Everding will auf jeden Fall, bei einer der für 2021 geplanten Aufführungen von „Figaros Hochzeit“ als Zuschauer in der ersten Reihe sitzen.

Text: Jan-Paul Koopmann

Eine Insel vom Reißbrett Die Tankstelle am Lehester Deich ist seit über 50 Jahren ein Familienbetrieb. Und irgendwie auch eine andere Welt

Fotos: Judith Kreuzberg

Text: Jan-Paul Koopmann

Eine Insel vom Reißbrett Die Tankstelle am Lehester Deich ist seit über 50 Jahren ein Familienbetrieb. Und irgendwie auch eine andere Welt

Fotos: Judith Kreuzberg

Auf den ersten Blick steckt wenig Magie im Tanken: Man fährt vor, zapft Sprit, zahlt und fährt halt wieder. Aber gerade in der Flüchtigkeit liegt ein sonderbarer Reiz. Denn Tankstellen sind entrückte Orte. Es gibt sie überall, sie sehen mit jeder Generation ein bisschen futuristischer und auch ein bisschen gleicher aus. Sie sind Inseln für den Autoverkehr. Oder von wegen Optik vielleicht eher noch: Raumstationen. Auf jeden Fall sind sie Transitorte, wo man zwar ständig Pausen macht, aber ganz bestimmt nie bleiben wird. Kurzum: Es gibt kaum anonymere Orte als Tankstellen – aber eben auch kaum vertrautere. Doch auch diese Inseln haben ihre Einheimischen: Die Leute, die hier arbeiten oder jeden Tag vorbeilaufen und sich das Brötchen für die Schule oder ein Bier zum Feierabend rausholen. Die Tanke ist ein sozialer Ort. Hier am Lehester Deich ist das nicht anders. Früher stand noch ein Tisch drinnen, wo die Nachbarschaft zum Frühschoppen antrat. Zu späterer Stunde folgte Zielwerfen mit Flaschendeckeln auf den Papierkorb. Warum solche Erinnerungen bewahrt wurden? Weil die Tankstelle zwar aussieht wie viele andere, aber eben doch vor allem ein Traditionsunternehmen ist. Familie von der Lieth hat sie 1967 übernommen und seitdem stetig modernisiert. Der Tisch etwa ist schon lange weg und mit ihm die Kneipenatmosphäre. Dafür gibt es besseren Kaffee und alle paar Jahre eine neue Waschstraße, um mit den immer breiteren Autos mitzuhalten. Und sicherer ist es geworden. Bis Katja von der Lieth die Tankstelle vor ein paar Jahren übernahm, war sie so etwas wie ein Hotspot für Überfälle und Einbrüche. Die Polizei ist weit weg, die Fluchtwege zur Autobahn sind dafür umso kürzer. Heute ist es besser: Alarmanlagen und Jalousien haben die Situation entspannt und ein eher unschönes Kapitel aus 50 Jahren Unternehmensgeschichte abgeschlossen. Die Geschichte geht weiter. Auch wenn man zum 100. Geburtstag dann vielleicht ganz was anderes als Diesel und Benzin tankt.

Judith Kreuzberg ist erst kurz vor dem Lockdown nach Bremen gezogen und lernt die Stadt mit der Zeitschrift der Straße auf besondere Weise kennen.

Jan-Paul Koopmann mag Tankstellen viel lieber, als er Autos mag. Er hat sogar mal eine Woche Urlaub an einer Tankstelle gemacht.

Auf den ersten Blick steckt wenig Magie im Tanken: Man fährt vor, zapft Sprit, zahlt und fährt halt wieder. Aber gerade in der Flüchtigkeit liegt ein sonderbarer Reiz. Denn Tankstellen sind entrückte Orte. Es gibt sie überall, sie sehen mit jeder Generation ein bisschen futuristischer und auch ein bisschen gleicher aus. Sie sind Inseln für den Autoverkehr. Oder von wegen Optik vielleicht eher noch: Raumstationen. Auf jeden Fall sind sie Transitorte, wo man zwar ständig Pausen macht, aber ganz bestimmt nie bleiben wird. Kurzum: Es gibt kaum anonymere Orte als Tankstellen – aber eben auch kaum vertrautere. Doch auch diese Inseln haben ihre Einheimischen: Die Leute, die hier arbeiten oder jeden Tag vorbeilaufen und sich das Brötchen für die Schule oder ein Bier zum Feierabend rausholen. Die Tanke ist ein sozialer Ort. Hier am Lehester Deich ist das nicht anders. Früher stand noch ein Tisch drinnen, wo die Nachbarschaft zum Frühschoppen antrat. Zu späterer Stunde folgte Zielwerfen mit Flaschendeckeln auf den Papierkorb. Warum solche Erinnerungen bewahrt wurden? Weil die Tankstelle zwar aussieht wie viele andere, aber eben doch vor allem ein Traditionsunternehmen ist. Familie von der Lieth hat sie 1967 übernommen und seitdem stetig modernisiert. Der Tisch etwa ist schon lange weg und mit ihm die Kneipenatmosphäre. Dafür gibt es besseren Kaffee und alle paar Jahre eine neue Waschstraße, um mit den immer breiteren Autos mitzuhalten. Und sicherer ist es geworden. Bis Katja von der Lieth die Tankstelle vor ein paar Jahren übernahm, war sie so etwas wie ein Hotspot für Überfälle und Einbrüche. Die Polizei ist weit weg, die Fluchtwege zur Autobahn sind dafür umso kürzer. Heute ist es besser: Alarmanlagen und Jalousien haben die Situation entspannt und ein eher unschönes Kapitel aus 50 Jahren Unternehmensgeschichte abgeschlossen. Die Geschichte geht weiter. Auch wenn man zum 100. Geburtstag dann vielleicht ganz was anderes als Diesel und Benzin tankt.

Judith Kreuzberg ist erst kurz vor dem Lockdown nach Bremen gezogen und lernt die Stadt mit der Zeitschrift der Straße auf besondere Weise kennen.

Jan-Paul Koopmann mag Tankstellen viel lieber, als er Autos mag. Er hat sogar mal eine Woche Urlaub an einer Tankstelle gemacht.

22 |Interview

„Kom, lat den Kleen maal hier!“ Hermann Marks wohnt seit über 90 Jahren am Lehester Deich. Wir treffen ihn gleich gegenüber seinem Haus auf einen Kaffee – in der Tankstelle Text & Foto: Volker Busch

Kommen Sie oft zum Kaffee hier rüber in die Tankstelle, Herr Marks? Ich schau ab und an mal vorbei. Man kennt sich ja eine Weile, die Tankstelle steht ja schon seit über 50 Jahren gegenüber. Und Sie waren damals schon am Lehester Deich? Jaja, ich bin wohne seit 1930 im Haus gegenüber. Sind Sie da geboren? Soll ich den Werdegang mal schildern? Meine Eltern wohnten in der Humboldtstraße zu der Zeit. Ich war ungefähr sechs Wochen alt, da sind die mit dem Kinderwagen hier vorgefahren, um mich meinen Großeltern vorzustellen. Aber genau an dem Tag ist ein riesiges Unwetter aufgezogen und da ging gar nichts mehr. Die Bahn fuhr damals erst ab Horn. Das sind vier Kilometer zu Fuß bei Sturm und Regen und da haben meine Großeltern gesagt: „Kom, lat den Kleen maal hier!“ Meine Eltern kamen erst zurück, als sich das Wetter nach 14 Tagen wieder beruhigt hatte. Dann haben sie als Baby gleich zwei Wochen Landurlaub gemacht? Nee, kein Urlaub. Ich bin gleich ganz geblieben. Hier waren zu der Zeit noch drei Tanten mit im Hause und als meine Eltern mich abholen wollten, meinten die nur: „Pustekuchen! Lat de Lüttje blot hier.“ Ich weiß gar nicht, ob ich in der Humboldtstraße noch mal gewesen bin. Ich glaub’s aber eigentlich nicht, weil ich ja eigentlich immer nur hier zugange war.

Das war damals ja schon was ganz anderes als in der Stadt. Was ich als Erstes kriegte, war ein Fahrrad. Ich musste ja fast nach Kuhsiel raus zur alten Schule damals. Ich bin dann aber gar nicht so oft gefahren, sondern meistens mit den Zwillingen von nebenan zu Fuß gegangen. Das dauerte dann meist ein bisschen länger, bis wir wieder zu Hause waren. Damals mussten alle bei uns über den Hof zur Schule. Da flog den ganzen Tag die Pforte auf und zu. Und in Bremen waren Sie dann gar nicht? Mit der Jan Reiners sind wir gefahren, wenn Freimarkt war. Mit der Kleinbahn, die hat hier schon gehalten damals? Da haben sie ja extra den Bahnhof neu gebaut dafür – den gibt’s heute auch nicht mehr. Es sah ja überhaupt wahrscheinlich alles ziemlich anders aus hier? Jaja, es gab ja auch viel weniger Häuser! Das waren Großbauern hier und die Ländereien gingen bis ans Fleet. Vor dem Krieg haben wir hier hinterm Haus so viel Aal geangelt, dass wir den schon gar nicht mehr sehen konnten. Im Krieg kamen dann Bunker. Es fuhren italienische Gefangene hier raus: alle acht Tage mit zehn Mann. Die haben schnell Mischung gemacht und so einen Koloss hochgezogen. Richtig tief in die Erde, dann Ein-Meter-Wände und oben drauf noch zwei Meter Beton.

Das war hier direkt nebenan? Genau hier, ja. Und als der Krieg vorbei war, zogen die ja rum und haben viele Bunker wieder in die Luft gesprengt. Da war ich auch dabei. Und so was habe ich nicht wieder gesehen. Durch diese acht Tage Pause war der Beton ja zwischendurch immer wieder völlig abgebunden, wenn die nächste Schicht draufkaum. Bei der Sprengung sind die Wände und die Decke einfach in diesen Schichten auseinandergeflogen. Die riesigen Betonklötze lagen hier einfach alle umzu. Dann sind hier nach und nach die Privathäuser entstanden und die Tankstelle? Und Brücken vor allem. Erst eine Holzbrücke von der Straße auf den Hof, die später durch eine schöne Maschengitter-Eisenbrücke ersetzt wurde. Gibt's die noch? Nee, die ist wieder weg, als nebenan eine Autobrücke gebaut wurde. Über die alte hätten Autos ja gar nicht gepasst. Heute ja erst recht nicht mehr. Solange man die Häuser nicht wegreißt! Nee, da hat man hier in der Gegend höchstens Probleme mit den Mardern. Die sind dann immer am Schornstein zugange, weil sie es da schön warm haben, die Biester. Dafür hat man keine Mäuse im Haus, das ist der Vorteil. Weil sie die abmurksen.

Nachbarn beim Kaffee: Hermann Marks (links) und der Senior-Chef der Tankstelle Walter von der Lieth.

Volker Busch freut sich darüber, wie eine Tanke zu gelebter Erinnerung werden kann.

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22 |Interview

„Kom, lat den Kleen maal hier!“ Hermann Marks wohnt seit über 90 Jahren am Lehester Deich. Wir treffen ihn gleich gegenüber seinem Haus auf einen Kaffee – in der Tankstelle Text & Foto: Volker Busch

Kommen Sie oft zum Kaffee hier rüber in die Tankstelle, Herr Marks? Ich schau ab und an mal vorbei. Man kennt sich ja eine Weile, die Tankstelle steht ja schon seit über 50 Jahren gegenüber. Und Sie waren damals schon am Lehester Deich? Jaja, ich bin wohne seit 1930 im Haus gegenüber. Sind Sie da geboren? Soll ich den Werdegang mal schildern? Meine Eltern wohnten in der Humboldtstraße zu der Zeit. Ich war ungefähr sechs Wochen alt, da sind die mit dem Kinderwagen hier vorgefahren, um mich meinen Großeltern vorzustellen. Aber genau an dem Tag ist ein riesiges Unwetter aufgezogen und da ging gar nichts mehr. Die Bahn fuhr damals erst ab Horn. Das sind vier Kilometer zu Fuß bei Sturm und Regen und da haben meine Großeltern gesagt: „Kom, lat den Kleen maal hier!“ Meine Eltern kamen erst zurück, als sich das Wetter nach 14 Tagen wieder beruhigt hatte. Dann haben sie als Baby gleich zwei Wochen Landurlaub gemacht? Nee, kein Urlaub. Ich bin gleich ganz geblieben. Hier waren zu der Zeit noch drei Tanten mit im Hause und als meine Eltern mich abholen wollten, meinten die nur: „Pustekuchen! Lat de Lüttje blot hier.“ Ich weiß gar nicht, ob ich in der Humboldtstraße noch mal gewesen bin. Ich glaub’s aber eigentlich nicht, weil ich ja eigentlich immer nur hier zugange war.

Das war damals ja schon was ganz anderes als in der Stadt. Was ich als Erstes kriegte, war ein Fahrrad. Ich musste ja fast nach Kuhsiel raus zur alten Schule damals. Ich bin dann aber gar nicht so oft gefahren, sondern meistens mit den Zwillingen von nebenan zu Fuß gegangen. Das dauerte dann meist ein bisschen länger, bis wir wieder zu Hause waren. Damals mussten alle bei uns über den Hof zur Schule. Da flog den ganzen Tag die Pforte auf und zu. Und in Bremen waren Sie dann gar nicht? Mit der Jan Reiners sind wir gefahren, wenn Freimarkt war. Mit der Kleinbahn, die hat hier schon gehalten damals? Da haben sie ja extra den Bahnhof neu gebaut dafür – den gibt’s heute auch nicht mehr. Es sah ja überhaupt wahrscheinlich alles ziemlich anders aus hier? Jaja, es gab ja auch viel weniger Häuser! Das waren Großbauern hier und die Ländereien gingen bis ans Fleet. Vor dem Krieg haben wir hier hinterm Haus so viel Aal geangelt, dass wir den schon gar nicht mehr sehen konnten. Im Krieg kamen dann Bunker. Es fuhren italienische Gefangene hier raus: alle acht Tage mit zehn Mann. Die haben schnell Mischung gemacht und so einen Koloss hochgezogen. Richtig tief in die Erde, dann Ein-Meter-Wände und oben drauf noch zwei Meter Beton.

Das war hier direkt nebenan? Genau hier, ja. Und als der Krieg vorbei war, zogen die ja rum und haben viele Bunker wieder in die Luft gesprengt. Da war ich auch dabei. Und so was habe ich nicht wieder gesehen. Durch diese acht Tage Pause war der Beton ja zwischendurch immer wieder völlig abgebunden, wenn die nächste Schicht draufkaum. Bei der Sprengung sind die Wände und die Decke einfach in diesen Schichten auseinandergeflogen. Die riesigen Betonklötze lagen hier einfach alle umzu. Dann sind hier nach und nach die Privathäuser entstanden und die Tankstelle? Und Brücken vor allem. Erst eine Holzbrücke von der Straße auf den Hof, die später durch eine schöne Maschengitter-Eisenbrücke ersetzt wurde. Gibt's die noch? Nee, die ist wieder weg, als nebenan eine Autobrücke gebaut wurde. Über die alte hätten Autos ja gar nicht gepasst. Heute ja erst recht nicht mehr. Solange man die Häuser nicht wegreißt! Nee, da hat man hier in der Gegend höchstens Probleme mit den Mardern. Die sind dann immer am Schornstein zugange, weil sie es da schön warm haben, die Biester. Dafür hat man keine Mäuse im Haus, das ist der Vorteil. Weil sie die abmurksen.

Nachbarn beim Kaffee: Hermann Marks (links) und der Senior-Chef der Tankstelle Walter von der Lieth.

Volker Busch freut sich darüber, wie eine Tanke zu gelebter Erinnerung werden kann.

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2 4 | F e at u r e

Knipp to go Auf der Pferdepension Hof Stein verläuft die Zeit ein

bisschen anders. Und das nicht nur, weil Weihnachten dieses Jahr wohl im Sommer stattfindet Text: Anne Duus Foto: Beate C. Koehler

„Ich glaube ja, dass dieser Hof in einer anderen Zeitzone liegt“, sagt Gaby Bärend. „Mit dem Pferd tüddeln, die Box machen, füttern, ein bisschen schnacken – und schwups sind sechs Stunden rum.“ Hier im Nirgendwo am Deich ticken die Uhren eben etwas anders, vermutet Bärend, die zusammen mit ihrer Tochter gerade das Pferd „Waly“ in der Pferdepension versorgt. Zum Hof Stein, kurz vorm Ende des Lehester Deichs, gehört neben den Pferden noch ein Hofladen. Christa Garbade betreibt die Pferdepension mit ihrem Mann und dem Sohn, der mit seiner Freundin ebenfalls auf dem Hof lebt. Bis zu 30 Pferde können hier unterkommen. Auf dem rund drei Hektar großen Gelände gibt es neben dem großen Winterstall noch einen kleineren für sogenannte Hustenpferde, die kein trockenes Heu vertragen und deshalb speziell angefeuchtete „Heulage“ bekommen. Jedes Pferd hat seine eigene Box mit direktem Zugang zu einer eigenen kleinen Koppel – auch Paddock genannt. „Wenn die Schilder von den Pferden nicht immer abgeleckt werden würden, könnte man auch lesen, wer hier jeweils wohnt“, sagt Christa Garbade und geht vorbei an der Reithalle und dem „Reiterstübchen“ zum Pferdespielplatz. Die Tiere können hier kleine Hindernisse überqueren, einen Berg erklimmen oder über eine Wippe balancieren. Im Sommer sind die Pferde durchgehend auf der Weide im angrenzenden Hollerland. Aber im Winter ermöglicht der Reitplatz vor Ort Bewegung und soziale Kontakte. „Die leiden nicht unter Social Distancing“, scherzt Gaby Bärend mit Blick auf die spielenden Pferde. Seit der Pandemie sind auch auf dem Hof einige Einschränkungen bemerkbar: Treffen oder Feiern mit mehreren Perso-

nen sind tabu, auch der sonst übliche Klönschnack im Reiterstübchen oder in der Sattelkammer. Da der Betrieb aber vergleichsweise klein und das Gelände weitläufig ist, konnte Christa Garbade von Zeitplänen à la „Click & Ride“ absehen. Auch wenn Christa Garbade hier aufgewachsen ist: Den Hof wollte die gelernte Rechtsanwaltsund Notargehilfin eigentlich nie übernehmen. Sie hat jahrelang in einer Kanzlei gearbeitet. 2011 hat sie den Bürojob dann aufgegeben und ihr Hobby zum Beruf gemacht. „Jetzt ist alles gut so, wie es ist“, sagt sie, „und ich würde nicht mehr tauschen wollen.“ Gebaut wurde der Hof Stein 1794 von Christa Garbades Urgroßeltern. Statt um Pferde hat sich hier früher alles um die Kuh gedreht. Der als Milchwirtschaft gegründete Betrieb wird heute bereits in der vierten Generation geführt und hat sich seitdem stetig weiterentwickelt. Erst kamen Hühner dazu, dann der Hofladen und schließlich gab Christa Garbades Vater mehr und mehr Kühe zugunsten der Pferde ab. Für Christa Garbades Lebensweg war das entscheidend: „Kühe hätte ich auch nicht genommen“, lacht sie kopfschüttelnd. Und der Hofgemeinschaft geht es um mehr als nur gemeinsames Arbeiten: „Egal ob im September oder im Juni – sobald es wieder erlaubt ist – bestehen wir auf unserer Weihnachtsfeier mit Glühwein“, sagt Gaby Bärend. Normalerweise werden im Dezember Bierzeltgarnituren und ein Weihnachtsbaum aufgestellt, während die Pferde aus ihren Boxen zuschauen. Eine Idylle, hinter der sehr viel Arbeit steckt: Von Oktober bis Ende April müssen alle 30 Pferde jeden Tag morgens, mittags und abends rundumversorgt werden. Auch im Sommer muss täglich auf der Weide nach dem

Keine Spur von Social Distancing auf dem Pferdespielplatz.

Rechten gesehen werden. Die Heuballen stellt Christa Garbades Sohn her. Der gelernte Landmaschinentechniker arbeitet engagiert mit und möchte den Hof Stein auch irgendwann übernehmen. Das ist für Christa Garbade eine schöne Gewissheit – und ein bisschen Erleichterung: „Der will auch nicht in den Urlaub! Er muss immer hierbleiben, weil er etwas verpassen könnte. Mit ihm können wir auch absprechen, wenn wir mal weg möchten. Das ist auch das Schöne, dass ich dann auch wirklich Zeit zum Verschnaufen habe.“ Und das ist auch nötig: Eigentlich wollte Christa Garbade den Hofladen vor sechs Jahren schon auflösen, weil das zusammen mit der damaligen Hühnerhaltung und der Pferdepension zu viel geworden war. Als Sandra Malcherek davon hörte, sagte sie spontan: „Ach, ich kann das doch einfach mal versuchen.“ Die gelernte Schifffahrtskauffrau war auch schon als Stylistin in der Modebranche tätig und arbeitet noch weiter freiberuflich in verschiedenen Bereichen. Mittlerweile betreibt sie den liebevoll eingerichteten Hofladen nebst Verkaufsautomaten mit ihrem Mann. „Früher haben Christas Eltern die Eier noch an der Haustür verkauft“, erklärt sie. Später kam ein kleines Häuschen mit Tisch und Kasse. Weil da immer wieder Geld fehlte oder Knöpfe drinlagen, beschloss Christa Garbades Vater, einen Automaten aufzubauen: 2005 ging das erste Modell in Betrieb. „Das ist wirklich superpraktisch“, sagt Sandra Malcherek, „aber manchmal hakt es

leider auch. Oder es versteht nicht jeder auf Anhieb, wie es funktioniert.“ Da könne es auch schon mal passieren, dass jemand mitten in der Nacht plötzlich laut am Automaten rüttelt. Auch wenn der Hofladen nur am Wochenende geöffnet hat, ist er für Sandra Malcherek gerade eher ein Fulltimejob. Neben Eiern, Kartoffeln und Wurstwaren aus der Region verkauft Sandra Malcherek auch selbst kreierte Produkte wie ihren Sirup. Oder sie lässt die Rezepte von Mutter und Großmutter wieder aufleben. Bei Grünkohl und Knipp „to go“ treffen sich Tradition und Moderne am surrenden Automaten. Die berühmten Bremer Spezialitäten können hier vorgepackt beim Deichspaziergang eingesammelt werden. Immerhin ein bisschen dürfte das auch über die ausgefallene Kohlsaison hinwegtrösten.

Anne Duus hat den Automaten erfolgreich benutzt und ist großer Fan der Tomatenkonfitüre. Pferden gegenüber ist sie eher skeptisch. Trotzdem wird sie nicht zum letzten Mal auf dem Hof gewesen sein. Beate C. Koehler war begeistert, welche meditative Wirkung die Beobachtung der Pferde auf dem Reitplatz auf sie hatte.

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Knipp to go Auf der Pferdepension Hof Stein verläuft die Zeit ein

bisschen anders. Und das nicht nur, weil Weihnachten dieses Jahr wohl im Sommer stattfindet Text: Anne Duus Foto: Beate C. Koehler

„Ich glaube ja, dass dieser Hof in einer anderen Zeitzone liegt“, sagt Gaby Bärend. „Mit dem Pferd tüddeln, die Box machen, füttern, ein bisschen schnacken – und schwups sind sechs Stunden rum.“ Hier im Nirgendwo am Deich ticken die Uhren eben etwas anders, vermutet Bärend, die zusammen mit ihrer Tochter gerade das Pferd „Waly“ in der Pferdepension versorgt. Zum Hof Stein, kurz vorm Ende des Lehester Deichs, gehört neben den Pferden noch ein Hofladen. Christa Garbade betreibt die Pferdepension mit ihrem Mann und dem Sohn, der mit seiner Freundin ebenfalls auf dem Hof lebt. Bis zu 30 Pferde können hier unterkommen. Auf dem rund drei Hektar großen Gelände gibt es neben dem großen Winterstall noch einen kleineren für sogenannte Hustenpferde, die kein trockenes Heu vertragen und deshalb speziell angefeuchtete „Heulage“ bekommen. Jedes Pferd hat seine eigene Box mit direktem Zugang zu einer eigenen kleinen Koppel – auch Paddock genannt. „Wenn die Schilder von den Pferden nicht immer abgeleckt werden würden, könnte man auch lesen, wer hier jeweils wohnt“, sagt Christa Garbade und geht vorbei an der Reithalle und dem „Reiterstübchen“ zum Pferdespielplatz. Die Tiere können hier kleine Hindernisse überqueren, einen Berg erklimmen oder über eine Wippe balancieren. Im Sommer sind die Pferde durchgehend auf der Weide im angrenzenden Hollerland. Aber im Winter ermöglicht der Reitplatz vor Ort Bewegung und soziale Kontakte. „Die leiden nicht unter Social Distancing“, scherzt Gaby Bärend mit Blick auf die spielenden Pferde. Seit der Pandemie sind auch auf dem Hof einige Einschränkungen bemerkbar: Treffen oder Feiern mit mehreren Perso-

nen sind tabu, auch der sonst übliche Klönschnack im Reiterstübchen oder in der Sattelkammer. Da der Betrieb aber vergleichsweise klein und das Gelände weitläufig ist, konnte Christa Garbade von Zeitplänen à la „Click & Ride“ absehen. Auch wenn Christa Garbade hier aufgewachsen ist: Den Hof wollte die gelernte Rechtsanwaltsund Notargehilfin eigentlich nie übernehmen. Sie hat jahrelang in einer Kanzlei gearbeitet. 2011 hat sie den Bürojob dann aufgegeben und ihr Hobby zum Beruf gemacht. „Jetzt ist alles gut so, wie es ist“, sagt sie, „und ich würde nicht mehr tauschen wollen.“ Gebaut wurde der Hof Stein 1794 von Christa Garbades Urgroßeltern. Statt um Pferde hat sich hier früher alles um die Kuh gedreht. Der als Milchwirtschaft gegründete Betrieb wird heute bereits in der vierten Generation geführt und hat sich seitdem stetig weiterentwickelt. Erst kamen Hühner dazu, dann der Hofladen und schließlich gab Christa Garbades Vater mehr und mehr Kühe zugunsten der Pferde ab. Für Christa Garbades Lebensweg war das entscheidend: „Kühe hätte ich auch nicht genommen“, lacht sie kopfschüttelnd. Und der Hofgemeinschaft geht es um mehr als nur gemeinsames Arbeiten: „Egal ob im September oder im Juni – sobald es wieder erlaubt ist – bestehen wir auf unserer Weihnachtsfeier mit Glühwein“, sagt Gaby Bärend. Normalerweise werden im Dezember Bierzeltgarnituren und ein Weihnachtsbaum aufgestellt, während die Pferde aus ihren Boxen zuschauen. Eine Idylle, hinter der sehr viel Arbeit steckt: Von Oktober bis Ende April müssen alle 30 Pferde jeden Tag morgens, mittags und abends rundumversorgt werden. Auch im Sommer muss täglich auf der Weide nach dem

Keine Spur von Social Distancing auf dem Pferdespielplatz.

Rechten gesehen werden. Die Heuballen stellt Christa Garbades Sohn her. Der gelernte Landmaschinentechniker arbeitet engagiert mit und möchte den Hof Stein auch irgendwann übernehmen. Das ist für Christa Garbade eine schöne Gewissheit – und ein bisschen Erleichterung: „Der will auch nicht in den Urlaub! Er muss immer hierbleiben, weil er etwas verpassen könnte. Mit ihm können wir auch absprechen, wenn wir mal weg möchten. Das ist auch das Schöne, dass ich dann auch wirklich Zeit zum Verschnaufen habe.“ Und das ist auch nötig: Eigentlich wollte Christa Garbade den Hofladen vor sechs Jahren schon auflösen, weil das zusammen mit der damaligen Hühnerhaltung und der Pferdepension zu viel geworden war. Als Sandra Malcherek davon hörte, sagte sie spontan: „Ach, ich kann das doch einfach mal versuchen.“ Die gelernte Schifffahrtskauffrau war auch schon als Stylistin in der Modebranche tätig und arbeitet noch weiter freiberuflich in verschiedenen Bereichen. Mittlerweile betreibt sie den liebevoll eingerichteten Hofladen nebst Verkaufsautomaten mit ihrem Mann. „Früher haben Christas Eltern die Eier noch an der Haustür verkauft“, erklärt sie. Später kam ein kleines Häuschen mit Tisch und Kasse. Weil da immer wieder Geld fehlte oder Knöpfe drinlagen, beschloss Christa Garbades Vater, einen Automaten aufzubauen: 2005 ging das erste Modell in Betrieb. „Das ist wirklich superpraktisch“, sagt Sandra Malcherek, „aber manchmal hakt es

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28 |Protokoll

Dreimal ist Bremer Recht

Seit zehn Jahren gibt es die Zeitschrift der Straße, und seit zehn Jahren ist er ihr Verkäufer: Bommel.

Bommel ist Verkäufer der ersten Stunde – und wenn es nach ihm geht, ist er auch in zehn Jahren noch dabei Text: Sarah Ruhase Foto: Beate C. Koehler

Mein Name ist Bommel und das ist schon mein drittes Interview mit der Zeitschrift der Straße. Ursprünglich komme ich aus Delmenhorst. Ich habe da auch noch eine Schwester, die ich auch immer noch mal sehe – letztes Mal an Weihnachten. Seitdem habe ich aber leider nichts mehr von ihr gehört. Ich bin 1996 zusammen mit meiner damaligen Freundin nach Bremen gezogen, um dort für die Luftwaffe der Bundeswehr zu arbeiten. Da war ich zwei Jahre und habe in dieser Zeit auch in Holland und Jever für die Luftwaffe gearbeitet. Danach habe ich eine Ausbildung zum Maler und Lackierer angefangen. Die habe ich nur leider nicht zu Ende gemacht, unter anderem weil meine Freundin immer genörgelt hat, dass ihr der Verdienst nicht passt. Danach bin ich wieder normal arbeiten gegangen bei einer Lkw-Spedition. Außerdem habe ich auch als Steinmetz gearbeitet. Das konnte ich aber irgendwann körperlich nicht mehr machen. Und dann kam eins zum anderen und irgendwann hatte ich kein Geld mehr. Ich bin deshalb ins Jakobushaus gezogen, dieses Papageienhaus mit den bunten Fenstern. Ich habe dann irgendwie versucht, Geld zu verdienen, und habe mich auch mal mit einem Becher an die Straße gesetzt, um zu betteln, aber das kann ich nicht und es bringt mir auch nichts. Da verdiene ich keinen Cent. Irgendwann sprach mich ein Sozialarbeiter namens Jonas an, der fuhr immer

mit seinem Wagen herum und hat uns mit Kaffee versorgt oder beim Papierkram für irgendwelche Ämter geholfen. Er hatte die Idee, dass ich bei der Zeitschrift der Straße anfangen könnte, und ich hatte Lust. Das ist jetzt zehn Jahre her, Jonas kommt immer noch jeden Tag mit seinem Wagen, um uns zu helfen – und ich arbeite immer noch bei der Zeitschrift der Straße. In dieser Zeit habe ich schon sehr viel erlebt. Ich habe mittlerweile auch so meine Lieblingsplätze zum Verkauf gefunden. Einer davon ist bei einem Netto in Schwachhausen, da ist es nicht so voll wie am Bahnhof und es gibt weniger Konkurrenz. Meistens macht mir die Arbeit auch richtig Spaß. Besonders toll finde ich es immer, wenn ich auf Sammler treffe, die versuchen, alle Ausgaben der Zeitschrift der Straße zusammenzubekommen. Die sind dann immer so glücklich, wenn ich ein Heft im Angebot habe, das sie noch nicht haben, und das freut mich dann auch immer sehr. Wenn ich die Zeit habe, blättere ich auch selber gerne mal drin und lese die Artikel, die sich spannend anhören. Manchmal ist meine Arbeit aber auch sehr hart. Besonders wenn das Wetter schlecht ist und es regnet. Da haben die Leute absolut keine Lust und gehen an mir vorbei, ohne eine Zeitschrift zu kaufen oder mit mir zu klönen. Bei gutem Wetter läuft das schon ein bisschen besser. Besonders

Studenten und ältere Leute bleiben oft stehen und kaufen gerne bei mir ein oder unterhalten sich eine Weile mit mir. Vor fünf Monaten habe ich etwas richtig Schönes erlebt! Es war ein Tag mit sehr gutem Wetter und ich habe einen Mann angesprochen, ob er vielleicht eine Zeitschrift kaufen möchte. Der Mann hat dann sein Portemonnaie herausgeholt, kurz gezögert und mir dann einen grünen Schein in die Hand gedrückt. Ich dachte erst, der wäre von Monopoly, aber es war ein echter Hunderter! Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte und habe mich ungefähr 1000-mal bedankt. Ich glaube, so etwas passiert einem auch nur einmal im ganzen Leben. Mir ist aber auch schon viel Schlechtes widerfahren. Vor einiger Zeit hatte ich eine eigene Wohnung, wo ich mich auch eigentlich ganz wohlgefühlt habe. Aber als ich eines Tages nach Hause kam, sah ich, dass irgendwer in meine Wohnung eingebrochen war und alles verwüstet hatte. Die haben sogar mein Waschbecken abgetreten und mein Sofa aufgeschlitzt. Da habe ich einen ganz schönen Schreck bekommen und bin dort ausgezogen. Im Moment lebe ich in einem Hotel, aber wirklich wohl fühle ich mich dort leider nicht. Den Winter über war es total kalt und ich habe fast jede Nacht gefroren. Jetzt letztens habe ich einen Heizlüfter bekommen, aber so viel schafft der leider auch nicht. Ich musste in meinem Leben auch schon eine ganze Zeit lang auf der Straße schlafen, das war natürlich noch schlimmer und im Winter noch viel kälter als jetzt im Hotel, aber ich freue mich trotzdem, dass es wieder wärmer wird. Außerdem geht es mir im Moment gesundheitlich nicht so gut. Vor ungefähr einem Jahr ist bei

mir Krebs diagnostiziert worden. Ich musste dann erst mal ins Krankenhaus. Ich war das ganze letzte Jahr immer wieder dort und es gab immer wieder Probleme. Immer wieder rein ins Krankenhaus und wieder raus und wieder rein, dass hat mir echt viel Kraft geraubt. Ich habe mittlerweile circa 35 Kilo abgenommen und ich muss zusätzlich auch noch meine Medikamente vorfinanzieren. Ich bekomme das Geld zwar später erstattet, aber erst mal muss ich alles selber bezahlen. Ich brauche zum Beispiel eine spezielle Salbe, die kostet jedes Mal wieder 8,90 Euro und das ist für mich verdammt viel Geld. Meine Gesundheit ist im Moment das Wichtigste. Ich versuche nun erst einmal wieder richtig gesund zu werden und ich möchte natürlich weiterhin für die Zeitschrift der Straße arbeiten. Ich kann mir gut vorstellen, dass, wenn es die Zeitschrift der Straße noch so lange gibt, ich auch beim 20. Jubiläum noch an Bord bin!

Sarah Ruhase studiert Philosophie und Sonderpädagogik. Im Gegensatz zu Bommel ist sie ganz frisch dabei – mit gleich zwei Geschichten.

Beate C. Koehler hat sehr beeindruckt, dass Bommel Verkäufer der ersten Stunde ist und dass er wie die Zeitschrift der Straße selbst zehnjähriges Jubiläum hat!

28 |Protokoll

Dreimal ist Bremer Recht

Seit zehn Jahren gibt es die Zeitschrift der Straße, und seit zehn Jahren ist er ihr Verkäufer: Bommel.

Bommel ist Verkäufer der ersten Stunde – und wenn es nach ihm geht, ist er auch in zehn Jahren noch dabei Text: Sarah Ruhase Foto: Beate C. Koehler

Mein Name ist Bommel und das ist schon mein drittes Interview mit der Zeitschrift der Straße. Ursprünglich komme ich aus Delmenhorst. Ich habe da auch noch eine Schwester, die ich auch immer noch mal sehe – letztes Mal an Weihnachten. Seitdem habe ich aber leider nichts mehr von ihr gehört. Ich bin 1996 zusammen mit meiner damaligen Freundin nach Bremen gezogen, um dort für die Luftwaffe der Bundeswehr zu arbeiten. Da war ich zwei Jahre und habe in dieser Zeit auch in Holland und Jever für die Luftwaffe gearbeitet. Danach habe ich eine Ausbildung zum Maler und Lackierer angefangen. Die habe ich nur leider nicht zu Ende gemacht, unter anderem weil meine Freundin immer genörgelt hat, dass ihr der Verdienst nicht passt. Danach bin ich wieder normal arbeiten gegangen bei einer Lkw-Spedition. Außerdem habe ich auch als Steinmetz gearbeitet. Das konnte ich aber irgendwann körperlich nicht mehr machen. Und dann kam eins zum anderen und irgendwann hatte ich kein Geld mehr. Ich bin deshalb ins Jakobushaus gezogen, dieses Papageienhaus mit den bunten Fenstern. Ich habe dann irgendwie versucht, Geld zu verdienen, und habe mich auch mal mit einem Becher an die Straße gesetzt, um zu betteln, aber das kann ich nicht und es bringt mir auch nichts. Da verdiene ich keinen Cent. Irgendwann sprach mich ein Sozialarbeiter namens Jonas an, der fuhr immer

mit seinem Wagen herum und hat uns mit Kaffee versorgt oder beim Papierkram für irgendwelche Ämter geholfen. Er hatte die Idee, dass ich bei der Zeitschrift der Straße anfangen könnte, und ich hatte Lust. Das ist jetzt zehn Jahre her, Jonas kommt immer noch jeden Tag mit seinem Wagen, um uns zu helfen – und ich arbeite immer noch bei der Zeitschrift der Straße. In dieser Zeit habe ich schon sehr viel erlebt. Ich habe mittlerweile auch so meine Lieblingsplätze zum Verkauf gefunden. Einer davon ist bei einem Netto in Schwachhausen, da ist es nicht so voll wie am Bahnhof und es gibt weniger Konkurrenz. Meistens macht mir die Arbeit auch richtig Spaß. Besonders toll finde ich es immer, wenn ich auf Sammler treffe, die versuchen, alle Ausgaben der Zeitschrift der Straße zusammenzubekommen. Die sind dann immer so glücklich, wenn ich ein Heft im Angebot habe, das sie noch nicht haben, und das freut mich dann auch immer sehr. Wenn ich die Zeit habe, blättere ich auch selber gerne mal drin und lese die Artikel, die sich spannend anhören. Manchmal ist meine Arbeit aber auch sehr hart. Besonders wenn das Wetter schlecht ist und es regnet. Da haben die Leute absolut keine Lust und gehen an mir vorbei, ohne eine Zeitschrift zu kaufen oder mit mir zu klönen. Bei gutem Wetter läuft das schon ein bisschen besser. Besonders

Studenten und ältere Leute bleiben oft stehen und kaufen gerne bei mir ein oder unterhalten sich eine Weile mit mir. Vor fünf Monaten habe ich etwas richtig Schönes erlebt! Es war ein Tag mit sehr gutem Wetter und ich habe einen Mann angesprochen, ob er vielleicht eine Zeitschrift kaufen möchte. Der Mann hat dann sein Portemonnaie herausgeholt, kurz gezögert und mir dann einen grünen Schein in die Hand gedrückt. Ich dachte erst, der wäre von Monopoly, aber es war ein echter Hunderter! Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte und habe mich ungefähr 1000-mal bedankt. Ich glaube, so etwas passiert einem auch nur einmal im ganzen Leben. Mir ist aber auch schon viel Schlechtes widerfahren. Vor einiger Zeit hatte ich eine eigene Wohnung, wo ich mich auch eigentlich ganz wohlgefühlt habe. Aber als ich eines Tages nach Hause kam, sah ich, dass irgendwer in meine Wohnung eingebrochen war und alles verwüstet hatte. Die haben sogar mein Waschbecken abgetreten und mein Sofa aufgeschlitzt. Da habe ich einen ganz schönen Schreck bekommen und bin dort ausgezogen. Im Moment lebe ich in einem Hotel, aber wirklich wohl fühle ich mich dort leider nicht. Den Winter über war es total kalt und ich habe fast jede Nacht gefroren. Jetzt letztens habe ich einen Heizlüfter bekommen, aber so viel schafft der leider auch nicht. Ich musste in meinem Leben auch schon eine ganze Zeit lang auf der Straße schlafen, das war natürlich noch schlimmer und im Winter noch viel kälter als jetzt im Hotel, aber ich freue mich trotzdem, dass es wieder wärmer wird. Außerdem geht es mir im Moment gesundheitlich nicht so gut. Vor ungefähr einem Jahr ist bei

mir Krebs diagnostiziert worden. Ich musste dann erst mal ins Krankenhaus. Ich war das ganze letzte Jahr immer wieder dort und es gab immer wieder Probleme. Immer wieder rein ins Krankenhaus und wieder raus und wieder rein, dass hat mir echt viel Kraft geraubt. Ich habe mittlerweile circa 35 Kilo abgenommen und ich muss zusätzlich auch noch meine Medikamente vorfinanzieren. Ich bekomme das Geld zwar später erstattet, aber erst mal muss ich alles selber bezahlen. Ich brauche zum Beispiel eine spezielle Salbe, die kostet jedes Mal wieder 8,90 Euro und das ist für mich verdammt viel Geld. Meine Gesundheit ist im Moment das Wichtigste. Ich versuche nun erst einmal wieder richtig gesund zu werden und ich möchte natürlich weiterhin für die Zeitschrift der Straße arbeiten. Ich kann mir gut vorstellen, dass, wenn es die Zeitschrift der Straße noch so lange gibt, ich auch beim 20. Jubiläum noch an Bord bin!

Sarah Ruhase studiert Philosophie und Sonderpädagogik. Im Gegensatz zu Bommel ist sie ganz frisch dabei – mit gleich zwei Geschichten.

Beate C. Koehler hat sehr beeindruckt, dass Bommel Verkäufer der ersten Stunde ist und dass er wie die Zeitschrift der Straße selbst zehnjähriges Jubiläum hat!

Impressum Herausgeber Verein für Innere Mission in Bremen, Blumenthalstraße 10, 28209 Bremen Partner Hochschule Bremerhaven Büro Auf der Brake 10–12, 28195 Bremen, Mo–Fr 10–16 Uhr Tel. 0421/175 216 27 Kontakt [email protected] Internet www.zeitschrift-der-strasse.de Anzeigen Preisliste 07, gültig vom 1.12.2016 Kontakt: Michael Vogel, [email protected] Abo nur für Firmen, Institutionen und Nicht-BremerInnen (45 € / 10 Ausgaben): [email protected] Spendenkonto Verein für Innere Mission, IBAN DE22 2905 0101 0001 0777 00 Sparkasse Bremen Verwendungszweck (wichtig!): Zeitschrift der Straße Spenden sind steuerlich absetzbar. Redaktion Anne Duus, Henry Schwampe, Lisa Schwarzien, Meike Große Hundrup, Reinhard „Cäsar“ Spöring, Sarah Ruhase, Volker Busch Leitung: Jan-Paul Koopmann, Karolina Meyer-Schilf [email protected] Fotografie Beate C. Koehler, Felix Müller, Hartmuth Bendig, Judith Kreuzberg, Volker Busch, Wolfgang Everding, Staatsarchiv Bremen Bildredaktion: Jan Zier

Sascha Reul 22. Dezember 1969 – 24. März 2021 Noch vor ein paar Tagen hat Sascha bei uns im Büro vorbeigeschaut, um seine Corona-Unterstützung in Empfang zu nehmen. Er sah schlecht aus. Schon sehr angestrengt und kraftlos. Ein kurzer Schnack, ein kurzes „Passt auf euch auf “ und dann verließ er im Rollstuhl sitzend unser Büro ... Leider für immer. Sascha ist tot. Am 24. März machten sein Herz und seine Lunge nicht mehr mit. Er war ein bescheidener und freundlicher Mensch. Einmal sagte er zu mir: „Weißte, Cäsar, die Freundlichkeit brauchst du als Kaufmann. Weißt du eigentlich, dass ich mal Marktleiter in einem großen Superdiscounter war? Da braucht man das. Freundlichkeit gegenüber Kunden und Personal ist die halbe Miete. Und das ist für mich Lebensmotto geworden. Jetzt beim Verkauf der Zeitschrift der Straße ist das ein Türöffner in die Herzen der Menschen, die bei mir kaufen.“ Ich habe ihn verstanden und ihm meinen Respekt gezollt. Er, der nach einem schweren Schlaganfall körperlich nicht mehr richtig in die Pötte kam und dadurch seinen Job verlor. Aber er sagte immer „Ich bin ein Kämpfer. Ich lass mich nicht so schnell niederringen.“ Mensch Sascha, wir sind traurig.

Onlineredaktion Nina Braun, Sonja Gersonde Illustration Söntke Campen Marketing Leitung: Prof. Dr. Dr. Michael Vogel [email protected] Vertrieb Marie Adenrele, Aylin Aytekin, Lisa Bäuml, Lynn Benke, Angelika Biet, Petra Böttcher, Eike Kowalewski, Refaela Lazar, Dagmar MaienbergSpöring, Anna Reisinger, Michael Risch, Eva Schönberger, Anne Schürz, Klaus Seeger, Reinhard „Cäsar“ Spöring, Waltraud Stoll, Dorothea Teckemeyer, Jörg Vogeler, Frederike Voß, Diethard von Wehren sowie viele engagierte VerkäuferInnen Koordination: Lena Bartels Leitung: Rüdiger Mantei, Reinhard „Cäsar“ Spöring [email protected] Gesamtleitung Katharina Kähler Gestaltung Fabian Horst, Janina Freistedt Ottavo Oblimar, Glen Swart Lektorat Textgärtnerei, Am Dobben 51, 28203 Bremen V. i. S. d. P. Jan-Paul Koopmann / Anzeigen: Prof. Dr. Dr. Michael Vogel Druck BerlinDruck GmbH + Co KG, Achim Papier Circleoffset White, ausgezeichnet mit dem Blauen Umweltengel und dem EU-Ecolabel Erscheint zehnmal jährlich Auflage 8.000 Gerichtsstand & Erfüllungsort Bremen ISSN 2192-7324

Mitglied im International Network of Street Papers (INSP). Die Redaktion übernimmt keine Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen. Die Zeitschrift der Straße und alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Alle AnbieterInnen von Beiträgen, Fotos und Illustrationen stimmen der Nutzung in den Ausgaben der Zeitschrift der Straße im Internet, auf DVD sowie in Datenbanken zu. Sie erkennen unsere VerkäuferInnen am VerkäuferInnenausweis.

BUNTENTOR STEINWEG Ab 5.7. beim Straßenverkäufer Ihres Vertrauens

Regeln und Wertschätzung sind uns wichtig Wir bieten eine unbürokratische Beschäftigung für Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen haben, und fördern das soziale Miteinander in unserer Stadt: Mit dem Verkauf der Zeitschrift der Straße werden Berührungsängste und Vorurteile zwischen Arm und Reich abgebaut. Als die Zeitschrift der Straße 2011 an den Start ging, kamen insbesondere obdachlose Menschen zu uns, die schon lange in Bremen auf der Straße lebten. Das hat sich über die Jahre verändert: Hinzu kamen drogenkranke Menschen, junge Erwachsene, später WanderarbeiterInnen aus Polen, Rumänien und Bulgarien. Viele landen hier auf der Straße – häufig mit ihrer ganzen Familie. Wir fragen keinen Menschen nach seinem sozialen Status. Wer die Zeitschrift der Straße verkaufen möchte und unsere Regeln akzeptiert, darf das tun. Ohne jede Diskriminierung. Respekt ist für uns das oberste Gebot – was wir zunächst bei jeder und jedem voraussetzen. Unsere zukünftigen VerkäuferInnen unterschreiben bindende Regeln. Einige Auszüge: • Alle VerkäuferInnen sollen gut sichtbar ihren VerkäuferInnenausweis mit Foto und VerkäuferInnennummer tragen. • Beim Verkaufen dürfen die VerkäuferInnen keinen Alkohol oder andere Drogen konsumieren. Betteln während des Verkaufes und das Verkaufen in Bahnen und Bussen der BSAG ist untersagt. • Grundsätzlich sollen sich unsere VerkäuferInnen so verhalten, dass KundInnen sich nicht gestört fühlen. Sollten sich VerkäuferInnen nicht entsprechend verhalten, weisen Sie sie gerne darauf hin. Bei Beschwerden kann die Zeitschrift der Straße disziplinarische Maßnahmen ergreifen, die bis zum Ausschluss des oder der VerkäuferIn reichen. Es ist gut, wenn wir dafür die jeweilige VerkäuferInnennummer erfahren. Wir hoffen, dass diese Regeln zu einem guten Miteinander beitragen – sollte es mal nicht gelingen, sprechen Sie uns an. Wir bemühen uns um eine Klärung!

Impressum Herausgeber Verein für Innere Mission in Bremen, Blumenthalstraße 10, 28209 Bremen Partner Hochschule Bremerhaven Büro Auf der Brake 10–12, 28195 Bremen, Mo–Fr 10–16 Uhr Tel. 0421/175 216 27 Kontakt [email protected] Internet www.zeitschrift-der-strasse.de Anzeigen Preisliste 07, gültig vom 1.12.2016 Kontakt: Michael Vogel, [email protected] Abo nur für Firmen, Institutionen und Nicht-BremerInnen (45 € / 10 Ausgaben): [email protected] Spendenkonto Verein für Innere Mission, IBAN DE22 2905 0101 0001 0777 00 Sparkasse Bremen Verwendungszweck (wichtig!): Zeitschrift der Straße Spenden sind steuerlich absetzbar. Redaktion Anne Duus, Henry Schwampe, Lisa Schwarzien, Meike Große Hundrup, Reinhard „Cäsar“ Spöring, Sarah Ruhase, Volker Busch Leitung: Jan-Paul Koopmann, Karolina Meyer-Schilf [email protected] Fotografie Beate C. Koehler, Felix Müller, Hartmuth Bendig, Judith Kreuzberg, Volker Busch, Wolfgang Everding, Staatsarchiv Bremen Bildredaktion: Jan Zier

Sascha Reul 22. Dezember 1969 – 24. März 2021 Noch vor ein paar Tagen hat Sascha bei uns im Büro vorbeigeschaut, um seine Corona-Unterstützung in Empfang zu nehmen. Er sah schlecht aus. Schon sehr angestrengt und kraftlos. Ein kurzer Schnack, ein kurzes „Passt auf euch auf “ und dann verließ er im Rollstuhl sitzend unser Büro ... Leider für immer. Sascha ist tot. Am 24. März machten sein Herz und seine Lunge nicht mehr mit. Er war ein bescheidener und freundlicher Mensch. Einmal sagte er zu mir: „Weißte, Cäsar, die Freundlichkeit brauchst du als Kaufmann. Weißt du eigentlich, dass ich mal Marktleiter in einem großen Superdiscounter war? Da braucht man das. Freundlichkeit gegenüber Kunden und Personal ist die halbe Miete. Und das ist für mich Lebensmotto geworden. Jetzt beim Verkauf der Zeitschrift der Straße ist das ein Türöffner in die Herzen der Menschen, die bei mir kaufen.“ Ich habe ihn verstanden und ihm meinen Respekt gezollt. Er, der nach einem schweren Schlaganfall körperlich nicht mehr richtig in die Pötte kam und dadurch seinen Job verlor. Aber er sagte immer „Ich bin ein Kämpfer. Ich lass mich nicht so schnell niederringen.“ Mensch Sascha, wir sind traurig.

Onlineredaktion Nina Braun, Sonja Gersonde Illustration Söntke Campen Marketing Leitung: Prof. Dr. Dr. Michael Vogel [email protected] Vertrieb Marie Adenrele, Aylin Aytekin, Lisa Bäuml, Lynn Benke, Angelika Biet, Petra Böttcher, Eike Kowalewski, Refaela Lazar, Dagmar MaienbergSpöring, Anna Reisinger, Michael Risch, Eva Schönberger, Anne Schürz, Klaus Seeger, Reinhard „Cäsar“ Spöring, Waltraud Stoll, Dorothea Teckemeyer, Jörg Vogeler, Frederike Voß, Diethard von Wehren sowie viele engagierte VerkäuferInnen Koordination: Lena Bartels Leitung: Rüdiger Mantei, Reinhard „Cäsar“ Spöring [email protected] Gesamtleitung Katharina Kähler Gestaltung Fabian Horst, Janina Freistedt Ottavo Oblimar, Glen Swart Lektorat Textgärtnerei, Am Dobben 51, 28203 Bremen V. i. S. d. P. Jan-Paul Koopmann / Anzeigen: Prof. Dr. Dr. Michael Vogel Druck BerlinDruck GmbH + Co KG, Achim Papier Circleoffset White, ausgezeichnet mit dem Blauen Umweltengel und dem EU-Ecolabel Erscheint zehnmal jährlich Auflage 8.000 Gerichtsstand & Erfüllungsort Bremen ISSN 2192-7324

Mitglied im International Network of Street Papers (INSP). Die Redaktion übernimmt keine Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen. Die Zeitschrift der Straße und alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Alle AnbieterInnen von Beiträgen, Fotos und Illustrationen stimmen der Nutzung in den Ausgaben der Zeitschrift der Straße im Internet, auf DVD sowie in Datenbanken zu. Sie erkennen unsere VerkäuferInnen am VerkäuferInnenausweis.

BUNTENTOR STEINWEG Ab 5.7. beim Straßenverkäufer Ihres Vertrauens

Regeln und Wertschätzung sind uns wichtig Wir bieten eine unbürokratische Beschäftigung für Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen haben, und fördern das soziale Miteinander in unserer Stadt: Mit dem Verkauf der Zeitschrift der Straße werden Berührungsängste und Vorurteile zwischen Arm und Reich abgebaut. Als die Zeitschrift der Straße 2011 an den Start ging, kamen insbesondere obdachlose Menschen zu uns, die schon lange in Bremen auf der Straße lebten. Das hat sich über die Jahre verändert: Hinzu kamen drogenkranke Menschen, junge Erwachsene, später WanderarbeiterInnen aus Polen, Rumänien und Bulgarien. Viele landen hier auf der Straße – häufig mit ihrer ganzen Familie. Wir fragen keinen Menschen nach seinem sozialen Status. Wer die Zeitschrift der Straße verkaufen möchte und unsere Regeln akzeptiert, darf das tun. Ohne jede Diskriminierung. Respekt ist für uns das oberste Gebot – was wir zunächst bei jeder und jedem voraussetzen. Unsere zukünftigen VerkäuferInnen unterschreiben bindende Regeln. Einige Auszüge: • Alle VerkäuferInnen sollen gut sichtbar ihren VerkäuferInnenausweis mit Foto und VerkäuferInnennummer tragen. • Beim Verkaufen dürfen die VerkäuferInnen keinen Alkohol oder andere Drogen konsumieren. Betteln während des Verkaufes und das Verkaufen in Bahnen und Bussen der BSAG ist untersagt. • Grundsätzlich sollen sich unsere VerkäuferInnen so verhalten, dass KundInnen sich nicht gestört fühlen. Sollten sich VerkäuferInnen nicht entsprechend verhalten, weisen Sie sie gerne darauf hin. Bei Beschwerden kann die Zeitschrift der Straße disziplinarische Maßnahmen ergreifen, die bis zum Ausschluss des oder der VerkäuferIn reichen. Es ist gut, wenn wir dafür die jeweilige VerkäuferInnennummer erfahren. Wir hoffen, dass diese Regeln zu einem guten Miteinander beitragen – sollte es mal nicht gelingen, sprechen Sie uns an. Wir bemühen uns um eine Klärung!

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